Wie setzt man Unternehmensdemokratie eigentlich gut um? Also, wie kommt man vom Überlegen, Vereinbaren, gedanklichen Organisieren und Planen, etc. ins aktive Handeln? Was braucht der und die Einzelne dazu? Diese Frage könnte jetzt implizieren, dass man das, was man braucht nicht hat. Also alles mit einem Mangel startet, den es erst einmal zu beseitigen gilt. Dem ist nicht so. Das, was es für das Handeln braucht, haben Sie und ich schon längst. Wir nutzen es nur nicht bewusst, d.h. wir sind lediglich aus der Übung. Untrainiert ist unsere bewusste Aufmerksamkeit und unsere Wahrnehmung – vielleicht fehlt es auch an einer guten Fehlerkultur im Unternehmen, aber das ist ein eigenes Thema.
Tools für Veränderungsprozesse
Wenn Unternehmen Veränderungen umsetzen möchten, suchen sie zunächst einmal nach Tools, nach Werkzeugen, die man einsetzen kann, um eine Veränderung zu erreichen. Oft sind das Tools, die auf das Verhalten nach außen zielen – Handlungsanweisungen, die z.B. veränderte Kommunikations-, Arbeits- oder Dokumentationsprozesse einleiten. In den meisten Unternehmen initiiert die Geschäftsführung einen Wandel. Führungskräfte werden extern dahingehend geschult und gecoacht, „selbst die Veränderung zu leben“, um dann das Team „mitzunehmen“. Das ist grundsätzlich nicht falsch, reicht aber auch nicht.
Das leidige Leitbild
In CSR-Prozessen z.B. geschieht dies in der Regel, indem die Leitbildentwicklung als Partizipationsinstrument genutzt wird. Im Idealfall gibt es freiwillige Gruppendiskussionen und ergänzende anonym gestaltete Befragungen (vielfach durch externe Moderation) in denen Werte und fachliche Schwerpunkte erarbeitet werden, nach denen sich das Unternehmen künftig ausrichtet. Der Theorie zufolge identifizieren sich Mitarbeitende, die von Beginn an aktiv in einen transparenten Veränderungsprozess eingebunden werden, aktiv mit ihrer neuen Rolle und deren Aufgaben. Dass die Praxis anders aussieht, ist leider zu oft Realität.
Der blinde Fleck im System
Interessant ist jedoch, dass in so gestalteten Prozessen immer eine Art blinder Fleck besteht. Die Befragungen und Diskussionen drehen sich isoliert um die Frage „Was brauchen wir, was brauche ich, um erfolgreich zu verändern?“ Niemand stellt Fragen wie „Wer bin ich, wer sind wir heute an dieser Stelle?“, „ Was bringe ich bis hierhin mit?“, „Was umgibt mich?“ oder „Was treibt mich als Individuum um und an?“. Die eigene Person im Prozess wird lediglich im Bezug auf Widerstand und Veränderungsmotivation betrachtet.
Wir reproduzieren erlernte Muster
Als arbeitende Menschen – nehmen wir beispielhaft die Generation X und früher – haben wir in den meisten Fällen seit Beginn unserer beruflichen Laufbahn gelernt, dass zuerst unsere fachliche Kompetenz wichtig ist. Wir sind nicht darin geübt, unsere individuelle Persönlichkeit in Gänze praktisch in unser Arbeitsleben einzubringen. Und in den meisten Fällen ist dies von der Geschäftsführung auch nicht gewünscht. Wir erwarten schlichtweg gar nicht, dass man uns als ganzheitlich denkende und handelnde Menschen behandelt. Also verhalten wir uns auch oft so, als ob wir die arbeitende Person von der lebenden Person trennen könnten. Deshalb funktionieren Veränderungsprozesse durchaus erfolgreich solange alle Beteiligten die erlernten Muster reproduzieren.
Unternehmensdemokratie auf einer einfachen Ebene könnte auch so funktionieren und umgesetzt werden – keine Frage. Ob sie aber dann von Dauer sein kann, ist eine andere Frage. Sinnvoller im Hinblick auf aktuelle und zukünftige Marktsituationen ist aber eine Veränderung des Blickwinkels.
„Ohne ich kein wir!“
„Ohne ich kein wir!“ lautet ein Zitat der Künstlerin und Professorin Shelley Sacks, die an der Oxford Brookes University zur Entwicklung der Sozialen Skulptur (=> erweiterter Kunstbegriff nach Joseph Beuys) forscht. Ihre vielfach international erprobte These ist, dass kein gemeinsames Ziel formuliert werden kann, solange sich das Individuum nicht seiner Rolle und seines Beitrags im Gesamtgefüge bewusst ist.
Um diese bewusste Basis zu schaffen, ist Übung notwendig – ein Training, in dem wir aufmerksam werden, indem wir aktiv dem anderen zuhören und urteilsfrei wahrnehmen. Das mag sich einfach anhören, ist es aber nicht. In aller Regel sind wir nur wenige Augenblicke aufmerksam und lassen uns schnell ablenken und hängen dann unseren eigenen Gedanken nach, während unser Gegenüber spricht. Im aktiven Zuhören fokussieren wir Sprache in Begleitung von Gestik und Mimik im Moment des Sprechens und empfangen Bilder des Gesprochenen, indem wir hoch konzentriert alleine auf den Menschen vor uns sind.
Urteilsfrei wahrnehmen ist die zweite Kompetenz, die wir verwenden, um hoch aufmerksam zu sein. Was uns üblicherweise ablenkt, sind unsere eigenen Bilder, Annahmen und Urteile, die wir im Laufe unseres Lebens erfahren haben. Sie überlagern das urteilsfreie Wahrnehmen. Kleinkinder haben diese urteilsfreie Aufmerksamkeit, sie werten nicht. Sie beobachten und nehmen auf. Diese Fähigkeit gerät später durch verschiedenste Einflüsse in Vergessenheit. Aber sie ist da und kann jederzeit aktiviert und geübt werden.
Je besser die Basis desto besser die Unternehmensdemokratie
Wer also erfolgreich Unternehmensdemokratie in aller Tiefe und Breite umsetzen möchte, dem sei angeraten, sich sehr intensiv mit dieser Basis zu beschäftigen. Das hat nicht nur den Vorteil, dass über den Tellerrand und quer gedacht werden kann. Es tut auch einfach gut, sich einmal ganz intensiv seiner ureigensten Fähigkeiten zu versichern und macht sicherer und selbstbewusster. Und was kann einem Team Schöneres passieren, als wenn es merkt, wie stark und leistungsfähig seine Individuen und in Folge die Gruppe als Ganzes ist – und das sogar über das Unternehmen hinaus. Mit dieser stabilen Basis kann Unternehmensdemokratie ganz gelassen angegangen werden. Worauf warten Sie also noch?
Herzliche Grüße
Daniela
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