Doku_ Votrag bei der Interface AG 10_2015

Ende Oktober hatte ich das Vergnügen, bei der Interface AG in Unterhaching in der Nähe von München meine Erfahrungen und Erkenntnisse aus „Alle Macht für niemand“ in einem Vortrag vorzustellen. Eingeladen hatte mich der Gründer, Inhaber und jetziges Aufsichtsratsmitglied Roland Dürre. Zu meiner Ehre war der gesamte Vorstand da und bereicherte auch die anschließende Diskussion mit denkwürdigen Beiträgen. Das Publikum war angenehm durchmischt, alte Hasen und junge Startup Gründer, Männer wie Frauen in ausgewogenem Verhältnis. Kurzum: Demokratische Vielfalt im Auditorium, was will man und frau mehr?

Roland Dürre eröffnete den Abend mit einer erschreckenden Geschichte über Moritz Schreber, der als Arzt und Hochschullehrer im 19. Jahrhundert mit folterähnlichen, mechanischen Erziehungsinstrumenten zu einem wahren Schreckensbild autokratischer Kinderaufzucht wurde. Und tatsächlich beginnt Demokratie schon im Elternhaus, wie ich Alle Macht kurz erläutere. Somit war Rolands Anmoderation eine gute Steilvorlage, die ich gerne nutzte.

Inflation statt Unternehmensdemokratie

Nach dem Vortrag zögerten die Zuschauer nicht im Geringsten und es ging sofort in eine belebte Diskussion über. Zuerst wurde widersprochen, dass die verbesserten wirtschaftlichen Daten der von mir vorgestellten Unternehmen eine Aussage über den Erfolg der Unternehmensdemokratie wären. Vielmehr seien Sie der Inflation geschuldet. Ein Argument was seinerseits nur in Teilen greift. Denn im einzelnen erwähnte ich folgende verschiedene auf jeweils ein Jahr umgerechnete Vergleichsdaten vor und nach der Demokratisierung in zwei Unternehmen:
Unternehmen A (betrachteter Zeitraum: 4 Jahre, 2011 – 2014)

  • 2,9 mal so viele Mitglieder gewonnen wie in vorherigen 101 Jahren top-down
  • 5,5 mal so viele Kundeneinlagen
  • 4,9 mal so viele Kundenkredite

Unternehmen B (betrachteter Zeitraum: 41 Jahre, 1973 – 2014)

  • 1,5 mal so viele neue Mitarbeiter wie in 37 Jahren vor der Transformation
  • 5,0 mal so viel Umsatzwachstum
  • 8,1 mal so viel Bilanzwachstum
IF AG - Vorbereitung
Letzte Vorbereitungen, ©Andreas Zeuch, 2015

Sicherlich spielt insbesondere bei über Jahrzehnte gezogenen Vergleichen wie dem Unternehmen B die Inflation eine Rolle. Wäre sie alleinige Ursache, müssten jedoch alle vergleichbaren Autohändler und -werkstätten einen ähnlichen Erfolg verzeichnen, was natürlich nicht so war. Im Gegenteil mussten andere, klassisch geführte Mitbewerber die Pforten schließen. Würde Inflation zu einem automatischen Wachstum in Bilanzen und Umwachs führen, müssten alle Unternehmen eines Landes gleichermaßen davon betroffen sein. Aber ganz offensichtlich wachsen manche Unternehmen in einer Branche in einem Land und andere schrumpfen oder müssen sogar Insolvenz anmelden. Und warum die Inflation bei einem betrachteten Zeitraum von 4 Jahren eine ursächliche Rolle für deutliches Wachstum spielen soll leuchtet mir ebenfalls nicht ein, zumal ich im Buch auch Unternehmen vorstelle, deren Demokratisierung nur 3 Jahre her ist.
Desweiteren ist es nicht schlüssig, warum die Inflation ursächlich für das Mitgliederwachstum beim genossenschaftlichen Unternehmen A sein soll. Dafür wurde dann aber auch gleich ein anderer Grund gefunden: Die allgemeine Verdrossenheit mit anderen Banken. Womit sich dieses Argument selbst widerspricht, denn dann besteht Motivation der neuen Mitglieder ja gerade darin, zu einer Bank zu gehen, die sich demokratisch statt autokratisch organisiert. Somit ist die Unternehmensdemokratie das entscheidende Kriterium für die neu gewonnenen Mitglieder.

Evaluation unternehmensdemokratischer Erfolge

In Aktion, ©Siegried Lautenschläger 2015
In Aktion, ©Siegried Lautenschläge,r 2015

Eine andere Frage zielte auf die wissenschaftliche Evaluation von Unternehmensdemokratie: Gibt es Studien, die wirtschaftliche Erfolge der Demokratisierung von Unternehmen untersucht haben? Dabei war es fraglos, dass es auf der kulturellen und menschlichen Ebene von Vorteil sei, wenn die Mitarbeiter (viel) mehr in Entscheidungsprozesse eingebunden wären. Entsprechende Studien, die andere Variablen als den Demokratisierungsprozess heraus gerechnet haben, sind mir nicht bekannt. Wobei es aus meiner Sicht überaus interessant wäre, endlich auf diese Frage wissenschaftliche Antworten zu finden.
Alle diese Argumente und Fragen, die die wirtschaftlichen Vor- oder Nachteile von Unternehmensdemokratie betreffen, führen andererseits in dieselbe Sackgasse alter Denkmuster. Denn dann geht es immer nur darum, durch die Demokratisierung die Wirtschaftlichkeit zu verbessern und eben gerade nicht diese extrem einseitige Sichtweise endlich um weitere Perspektiven zu erweitern. Es gibt, wie ich in „Alle Macht“ im ersten und dritten Kapitel zeige, seriöse wissenschaftliche Hinweise, dass Unternehmensdemokratie auch ökonomische Vorteile bietet. Aber die entscheidende Frage lautet viel mehr: In welcher Welt wollen wir leben? Thront die Gewinnmaximierung immer noch über allem anderen? Soll es weiterhin immer nur um unendliches Wachstum gehen? Oder nicht allmählich auch darum, dass wir gerne und mit Freude arbeiten und nicht mehr unterscheiden müssen zwischen Work und Life, um ein Leben in Balance zu führen, gerade so, als ob Arbeit kein Leben wäre?

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

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