Heute nun endlich mein zweiter Post auf dieser Plattform, der thematisch und inhaltlich an den ersten Können Maschinen entscheiden? anschließt. Geht man mit dem Fakt einher, das Maschinen nicht entscheiden können, sondern lediglich aus bereits vorgefertigten Entscheidungsoptionen eine auswählen können, hat das große Implikationen auf Entscheidungsprozesse und damit einhergehenden Organisationsstrukturen in Unternehmen.
Was beobachte ich tagtäglich in Unternehmen?
Eine Entscheidung steht an. Häufig muss oder will das Top-Management die Entscheidung fällen und fragt dafür Information bei den Experten des jeweilig zu entscheidenden Themas an. Powerpointfolien oder andere Dokumente werden erstellt und dem Top-Management vorgestellt. Was bekommen die Experten dann oft von den Entscheidern entgegnet? “Ich benötige mehr Information.”, “Das reicht noch nicht.” oder “Auf dieser Basis kann ich nicht entscheiden.” Und so geht diese skurrile Reise weiter.
Was macht das Top-Management mit dem immer wieder kehrenden Nachfragen implizit?
Auf der einen Seite wird damit Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern “ausgelobt”. Denn das Top-Management glaubt ja anscheinend den Ausführungen nicht. Es fragt immer weiter nach. Auf der anderen Seite aber dokumentiert es damit auch ihr Vertrauen, denn es delegiert ja die Entscheidung weiter. Ein Bewegen zwischen den Polen. Klar. Dessen muss man sich nur bewusst sein. Das Leben ist voller Widersprüche, sonst wäre es keines.
Nicht zu verachten ist aber auch der Fakt, dass bei solchen dargestellten oft beobachtbaren Entscheidungsprozessen Zeit verschwendet wird. Das Top-Management ist oft nicht kompetent genug Entscheidungen zu treffen. Deshalb die immer wieder kehrenden Nachfragen nach Argumentationsketten für eine anstehende Entscheidung. Das Top-Management ist bestrebt Wissen aufzubauen. Das kostet Zeit und Aufwand, vor allem bei den Mitarbeitern, die beim Wissensaufbau behilflich sein müssen. Damit verliert das Unternehmen wertvolle Zeit. Wir wissen aber auch, dass Wissen alleine in komplexen Systemen, wie ein Unternehmen eines ist, nicht ausreicht. Basis für gute Entscheidungen sind Talent, Können und Erfahrung, was aber nur durch Handeln an sich erlangt werden kann. Für Entscheider ist Marktnähe essentiell wichtig.
Warum glauben wir noch viel zu häufig an solche Art von Entscheidungsprozessen?
Nun mache ich den gedanklichen Schwenk zurück zu den Maschinen. Wer an Maschinen glaubt, die entscheiden können, glaubt ebenfalls, dass Entscheidungen über starre Rollen und Prozesse vorbereitet und letztendlich gefällt werden können. Entscheidungen innewohnende Unsicherheit soll durch Verfahrensanweisungen und Kriterienkataloge absorbiert werden. Das kann aber niemals funktionieren, da es im Kontext von Entscheidungen stets um die Zukunft geht. Und wir können die Zukunft nun mal nicht vorhersagen, aber wir können, ja müssen, auf sie vorbereitet sein. Was heißt das? Jede Entscheidung, die wir fällen, sollte dazu führen, dass wir den Raum an möglichen Zuständen der Zukunft erweitern. Die Menge der Optionen an möglichen Zukunftszuständen sollte anwachsen. Das ist beispielsweise die Taktik beim Schach. Hört sich einfach an, ist aber wohl nicht so einfach. Warum? Na weil durch dieses Erhöhen möglicher Zustände der Zukunft Unsicherheit eben nicht absorbiert wird, sondern sogar erhöht wird, wenn man es zulässt.
Aber!!! Durch Entscheidungen wird Unsicherheit zwar nicht absorbiert, aber transformiert, da man aus dem schier unendlichen Möglichkeitsraum von Entscheidungsoptionen eine auswählt und sich damit festlegt. Unsicherheit wird also nicht in Sicherheit absorbiert, sie wird umgewandelt und zwar ebenfalls in Unsicherheit, aber auf einen höheren Level. Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts. Absorption von Unsicherheit bei Entscheidungen kann also nicht das Ziel von Entscheidungsbefugten innerhalb der Unternehmen sein, denn ohne Unsicherheit gibt es auch keine Entscheidung, die von ihnen gefällt werden muss.
Was erzeugen tradierte Entscheidungsprozesse bei den Mitarbeitern?
Frust. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Entlang dieser tradierten Entscheidungsprozesse werden Unternehmen technokratisch und eben nicht Menschen zu gewandt geführt. Prozesse und Regeln bekommen Autorität. Menschen müssen sich in einem solchen Umfeld von ihnen traktieren lassen. Unabhängig davon, dass dieser Fakt nicht dazu führt, dass Menschen gerne in dem Unternehmen arbeiten, führt dieser Fakt auch dazu, dass diese Unternehmen an Schnelligkeit und Flexibilität einbüßen. Kommen den Unternehmen diese Fähigkeit abhanden büßen sie an Lebensfähigkeit ein.
Wenn wir versuchen Alles und Jeden über Prozesse und Regeln handhaben zu wollen, schaffen wir Menschen uns gedanklich selber ab. Mit dieser Geisteshaltung versuchen wir dann Alles vorauszudenken und in Kriterien und Entscheidungsbäume abbilden zu wollen. Damit, und dessen muss man sich bewusst sein, programmieren wir quasi den Code, nach dem wir Menschen dann “entscheiden”. Das dieser Prozess dann allerdings kein Entscheiden mehr ist, deshalb auch in Anführungsstriche geschrieben, habe ich im ersten Post dargelegt. Des Weiteren benötigt man zum Ausführen dieser Prozesse den Menschen nicht mehr, da das Abarbeiten von Entscheidungsbäumen durch Maschinen erfolgen kann und das in der Regel auch noch schneller.
Unternehmensdemokratie ist also kein Kann, um den Menschen etwas gutes zu tun, sondern ein Muss, um die Lebensfähigkeit eines Unternehmens zu sichern.
Lebendigkeit muss in Unternehmen groß geschrieben werden. Das möchte ich an einer differenzierten Sichtweise zu Hierarchien verdeutlichen. Hierarchien an sich sind niemals gut oder schlecht. Warum? Weil Hierarchien immer existieren, wenn Menschen mit einander denken und handeln. Sie sind nur manchmal einem Zweck zuträglich und manchmal eben nicht. Deshalb vollziehe ich bei Hierarchien gerne die Unterscheidung in “kontextlos” und “kontextbezogen”.
Die Unterscheidung bildet sich am Entstehungsprozess von Hierarchien aus. In traditionellen Unternehmen entstehen diese per Gesetz mittels fest auferlegten Ritualen (Assessment Center etc.), also kontextlos. In der oben abgebildeten Darstellung ist das die linke Seite. Das prangere ich ganz klar an. Besser sollten diese Hierarchien kontextabhängig durch die Beteiligten, die an einem Thema arbeiten, entstehen (rechte Seite der obigen Abbildung). Sie entstehen ja sowieso, weil Menschen erkennen, wer was wie viel zu einem Thema beitragen kann. Gibt man diesen Hierarchien dann einen Raum, und zwar innerhalb eines Netzwerkes im Unternehmen, sind diese dann auch mehrwertgenerierend. Also Derjenige, der zu einem Thema das meiste Talent und Geschick mitbringt, der bestimmt. Dieser kann aber im Kontext eines anderen zu behandelnden Themas ebenso “einfaches” Teammitglied im Netzwerk sein. Entscheider haben dann in diesem Modell auch die weiter oben angesprochene Marktnähe. Hierarchien sollten also niemals in Stein gemeißelt sein und in fest gezurrten Organigrammen im Unternehmensintranet proklamiert werden.
Ein kleiner Ausflug zur skalierten Agilität
In den letzten Monaten befasse ich mich sehr intensiv mit der Fragestellung, wie die agilen Prinzipien, die teilweise im Projektkontext sehr gut operationalisiert wurden, auf gesamte Unternehmen skaliert werden können. Auch hier spielen natürlich Entscheidungen eine zentrale Rolle. In Diskussionen und Artikeln in diesem Kontext wird das Thema “Hierarchien in Unternehmen” bereits reflektiert. Alle Frameworks dazu, sei es nun SAFe oder LeSS lassen aber aus meiner Sicht eine entscheidende Frage außer Acht: “Wie fließt Information innerhalb eines lebensfähigen Systems?”
Stafford Beer hat genau dies getan. Er hat untersucht, wie unser menschlicher Körper seine Überlebensfähigkeit sicherstellt. Information und das Fließen dieser in Echtzeit nimmt dabei einen zentralen Punkt ein. Er hat seine Erkenntnisse in ein Framework, dem Viable System Model (kurz VSM), konsolidiert. Einen Knackpunkt zum VSM gibt es allerdings. Vielleicht ist dies auch ein Fakt, warum es derzeit noch unzureichend bekannt ist. Beers Ausführungen zu den Hintergründen seiner Überlegungen sind nicht einfach zu erfassen und damit nachzuvollziehen. Deshalb war meine Freude unglaublich groß, dass Mark Lambertz in den kommenden Wochen ein Buch veröffentlichen wird, in welchem er auf einfache und verständliche Art und Weise das VSM herleitet. Ich durfte es bereits Korrekturlesen. Es ist unglaublich lesenswert.
Nicht nur ob diesem Fakt freue ich mich ganz besonders, dass Mark ab sofort Autor dieser Plattform ist, und sicherlich einige seiner Gedanken zum VSM hier posten wird.
Denkerische Grüße,
Conny
Bildnachweis
- Beitragsbild: entnommen von Seite http://www.humanresourcesmanager.de/ressorts/artikel/schoene-neue-arbeitswelt-13632 am 05.02.2016
- Bild im Text: © Conny Dethloff, 2016