Komplizenschaft als kollaborative Arbeitsform

Denken Sie einen Moment an die Worte „Komplizen“ und „Komplizenschaft“. Was fällt Ihnen dazu ein? Vielleicht „Bonnie und Clyde“, das romantisch verbrämte Liebespaar, das Dutzende Straftaten beging und am Ende gemeinsam erschossen wurde? Oder vielleicht an den Film „Oceans 11“, in dem eine smarte Bande von 11 Kriminellen drei der größten Casinos in Las Vegas um mehrere Millionen erleichtert? In beiden Fällen denken Sie vermutlich weniger an die Straftaten selbst, sondern sympathisieren vielmehr mit den Protagonisten – warum eigentlich?

Prof. Gesa Ziemer, Professorin für Kulturtheorie und kulturelle Praxis, Vizepräsidentin Forschung an der HafenCity Universität Hamburg, forschte von Juni 2006 bis Dezember 2007 in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern aus Kunst, Theorie und Wirtschaft zum Thema „Komplizenschaft – neue Perspektiven auf Kollektivität“. Die methodische Umsetzung war spezifische Begriffsforschung, die inhaltliche Beschäftigung mit dem Begriff führt uns tief in unsere Arbeits- und Lebenswelten hinein.

Definition und Umdeutung

Komplizenschaft ist in erster Linie ein Begriff aus dem Strafrecht und heißt Mittäterschaft, die einen Vorsatz voraussetzt. Eine konspirative Gruppe von Menschen begeht bewusst einen Regelübertritt, d. h. sie setzt sich über gültiges Recht hinweg. Komplizenschaft ist mit einem relativ hohen Strafmaß belegt, was historische Gründe hat. Etliche Staaten machten in der Vergangenheit die Erfahrung, dass schon kleine widerständische Gruppen (z.B. RAF, IRA, ETA) „… schwer kontrollierbare Kräfte freisetzten und damit Sicherheitssysteme jeglicher Art aushebeln können.“ (Ziemer, Komplizenschaft, 1.1 Strafrecht, S. 21). Die individuelle Täterschaft wird von der Gruppe legitimiert und getragen und mindert so die eigene Angst. Die Tat läßt sich gemeinsam leichter durchführen als alleine, so Strafrechtler Daniel Jositsch.
Demgegenüber wird der Begriff auch in der Kunst, im Alltag oder im Journalismus verwendet. In der Kunst findet er sich u.a. im Kontext von Künstlerkollektiven, im Alltag in der umgangssprachlichen Verwendung, im Journalismus im Zusammenhang mit Meldungen zu Verbrechen. Die sprachliche Metapher „unter einer Decke stecken“, die man inhaltlich mit Komplizenschaft in Verbindung bringen kann, wird sowohl für negative als auch positive Umstände benutzt.

Phasen und Strukturen einer Komplizenschaft

Komplizenschaft besteht lt. Ziemer aus drei Phasen: Entschlussfassung, Planung und Durchführung einer Tat. In einer klassischen Komplizenschaft durchlaufen die Beteiligten alle Phasen gemeinsam. Innerhalb der Komplizenschaft können durchaus hierarchische Strukturen existieren, manchmal sind diese flexibel. Die Rollen und Funktionen innerhalb der kriminellen Komplizenschaft sind klassischerweise festgelegt.
Phasen der Komplizenschaft

Komplizenschaft umdeuten

Nicht nur Kriminelle brechen Regeln, sondern auch Teams müssen mit schwankenden Regeln und Grenzen arbeiten, wenn sie Neues produzieren wollen. Wie kann Komplizenschaft also von der negativen in eine positive und konstruktive Arbeitsweise umdefiniert werden? Werfen wir hier zunächst einen Blick auf die Umsetzung: das Handeln bzw. die Tat. Der Begriff der Tat im strafrechtlichen Sinne umfasst drei Handlungslehren: die kausale, die finale und die soziale. Bei der kausalen Lehre geht man davon aus, dass die Handlung eine Ursache hat: eine gewollte Körperbewegung oder auch eine bewusste Unterlassung einer Bewegung. Die finale Lehre beschreibt den Zweck der Handlung, die soziale deutet auf eine soziale Relevanz hin. Deutet man den Begriff nun positiv um, merkt man, dass wir in der Projektarbeit exakt auf diese drei Handlungslehren treffen: Es besteht ein bewusster Wille, der durch einen Grund motiviert ist und auf einen Zweck gerichtet ist. Auch in der Projektarbeit kann die tatsächliche Handlung mitunter aus Nichthandeln bzw. Unterlassen von etwas bestehen.

Komplizen im Projekt

In klassischen Komplizenschaften positiver Natur haben alle Beteiligten immer wieder Entscheidungsmöglichkeiten und können den Verlauf der Tat mitbestimmen. Die Funktionen und Rollen innerhalb der Gruppe sind hoch spezifisch, so dass die Tat ohne Zustimmung oder Ablehnung eines Einzelnen nicht durchgeführt werden könnte. Die jeweilige Kompetenz würde fehlen und sich negativ auf die Qualität und/oder Erfolg auswirken. Die Komplizenschaft funktioniert nach bestimmten Spielregeln, die einerseits den Handlungsspielraum begrenzen und fokussieren. Andererseits sorgen die sichtbaren Regeln dafür, dass sie bewusst wahrgenommen werden und animieren zum Regelbruch. Dieser wiederum kann starke Reaktionen auslösen, die eine Vielfalt an Perspektivwechseln möglich machen können.

11 Regeln der Komplizenschaft (nach Gesa Ziemer)

1.    … agieren nie alleine, sie sind mindestens zu zweit.
2.    … erscheinen nicht als solche, sondern als EinzelgängerInnen.
3.    … suchen sich nicht, sie finden sich.
4.    … agieren taktisch, weniger strategisch.
5.    … verwandeln Unsicherheit in Lust und folgen Affekten, weniger Emotionen.
6.    … entfalten Kreativität durch diese Lust: am Ungewissen, Risiko und Spiel.
7.    … achten auf das Informelle und kommunizieren auf anderen Wegen.
8.    … sind kühl und leidenschaftlich zugleich (ähnlich wie Liebende)
9.    … verfolgen ein gemeinsames Interesse, das beiden (allen) Nutzen verschafft.
10.    … sind ein Beispiel für die Kraft des Schwachen.
11.    … spielen mit der Macht.
Dies ist der Anfang einer Artikelserie über Komplizenschaft als kollaborative Arbeitsform. In diesen werde ich genauer auf einzelne Aspekte einer solchen Komplizenschaft eingehen und auf den konkreten Mehrwert für Unternehmen mit demokratischen Strukturen verweisen.
Herzliche Grüße
Daniela
Literatur
Gesa Ziemer, Komplizenschaft, Transcript Verlag, 2013
Bildquellennachweis
Daniela Röcker

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