Mit diesem Post stelle ich die Behauptung auf, dass das Phänomen der Unternehmensdemokratie viel weiter verbreitet ist als gemeinhin angenommen. Denn die Komplexität zwingt manchmal selbst den hartgesottensten Top-Down-Gorilla dazu, sich den Mitteln der Unternehmensdemokratie zu bedienen.
Viele Stimmen, ein Entscheider
Leider sind sich die meisten Führungskräfte nicht des Umstandes bewusst, dass diese (zumindest gelegentlich) mit der schwächsten Form der Unternehmensdemokratie operieren: Dem konsultativen Einzelentscheid. Dieser Begriff steht für ein Verfahren, bei dem verschiedene Mitglieder aus einer Gruppe einen Beitrag rund eine Entscheidungsfindung leisten dürfen. Die Entscheidungsmacht verantwortet jedoch alleine eine Führungskraft. Klassischerweise drängt sich das Bild eines Königs auf, der seinen Sekretären, Ministern und sonstigem höfischen Personal zuhört. Er wägt die einzelnen Beiträge ab um dann alleine zu bestimmen, was genau getan wird.
Dies klingt nach einer negativen Interpretation dieser Form, sodass ich diese als den geschlossenen konsultativen Einzelentscheid bezeichnen möchte. Es gibt aber auch eine andere Gestaltungsmöglichkeit dieses Entscheidungsmusters – und genau dieses wird meines Erachtens nach mehr oder weniger täglich im Umfeld der Wissensarbeit praktiziert.
Der offene konsultative Einzelentscheid
In dieser Situation bestehen zwar weiterhin formale Hierarchien, aber diese werden in der Gruppe nicht gelebt, weil sie die Zusammenarbeit behindern – mithin bei der Zielerreichung stören. In diesen Gruppen bleibt also die formale Verantwortung bei der Führungskraft, aber diese ist sich gleichzeitig der Tatsache bewusst das ihr Wissen endlich und diese von den Beiträgen der anderen Team-Mitglieder abhängig ist. Gleiches gilt wechselseitig, denn auch das Team braucht einen Entscheider um Patt-Situationen zu vermeiden. Wie Andreas in seinem Buch auch an verschiedenen Stellen beschrieb, kommt es in solchen offenen Systemen seltenst bis nie zum Patt.
Dabei schaffen Führungskräfte instinktiv den Rahmen im dem sich die Experten vernetzen – manchmal besser, manchmal schlechter, aber ohne dieses Loslassen und Vertrauen ist es in der Praxis gar nicht möglich mit der Komplexität umzugehen. Dieses Verhalten ist in der freien Wildbahn daher öfters zu beobachten als sich das so mancher Top-Downer eingesteht.
In solchen Situation kann man herrlich das Phänomen der Emergenz erleben: Wenn durch Interaktion von Systemelementen neue, nicht zuvor beobachtete Eigenschaften und Strukturen entstehen. Ein deutliches Kennzeichen, dass mit Komplexität umgegangen wird. Die Frage ist allerdings, ob da was da emergiert auch funktioniert, denn das Phänomen selbst ist kein Garant zum Umgang mit Wirkgefügen.
Es gibt jedoch verschiedene Anzeichen um einen effektiven Diskurs zu erkennen; besonders einfach ist das Muster der gleichmäßigen Verteilung der Sprechzeit zu beobachten. Häufig deutet dies auf eine vielschichtig ausgeprägte Ausgewogenheit in der Gruppe hin, in welcher die Stand- und Verknüpfungspunkte zu einem gesamtheitlichen Lösungsgewebe verbunden werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich einen ‘einfachen’ Trick anbieten: Beobachten Sie mal, wie oft Sie in einem Gespräch einen Beitrag leisten und wie lang diese Beiträge im Verhältnis zu denen der anderen Menschen sind. Oder: Fragen Sie sich, warum jemand sich gerade nicht am Gespräch beteiligt oder insgesamt wenig Gesprächszeit in Anspruch genommen hat – was fehlt(e) in diesem Moment?
Konsent statt Konsens
Ein weiterer Aspekt des offenen Entscheids liegt darin begründet die Kunst der ‘starken Moderation’ auszuüben. Das klingt vielleicht paradox, doch in Diskussionen braucht es auch kommunikative Hygiene. Nicht immer stimmen alle Mitglieder einer Gruppe überein, sodass statt eines konsensualen Prozesses viele Manager unbewusst den Weg des Konsent beschreiten. Meist entsteht dieser Schritt aus der puren Not heraus, wenn die Argumente hin und her gewogen werden und man irgendwann feststellt, dass zu viele gleichzeitig-gültige Handlungsoptionen bestehen. Nach 1.000 Diskussionen wird einem klar, dass man die Zukunft immer noch nicht vorhersagen kann und eine Option ausgewählt werden muss.
Dann erweist es sich als klug die Frage nach dem schwerwiegenden Einwand zu stellen, um sich aus dem Möglichkeits-Dilemma zu befreien und eine Entscheidung zu finden. Auch hier entsteht automatisch ein Diskurs der ohne Teilhabe (= Sinnkopplung) nicht funktioniert. Es hat also schon wieder etwas vom demokratischen Prinzip des Austauschs der Perspektiven und Kennenlernen unterschiedlicher Standpunkte.
Wer also des öfteren den offenen konsultativen Einzelentscheid wählt ist der Unternehmensdemokratie näher als gedacht!
Herzliche Grüße,
Mark
Bildnachweis
- NASA, ESA, and E. Hallman (University of Colorado, Boulder) – http://www.nasa.gov/mission_pages/hubble/science/hst_img_20080520.html
- This graphic represents a slice of the spider-web-like structure of the universe, called the “cosmic web.” These great filaments are made largely of dark matter located in the space between galaxies. Credit: NASA, ESA, and E. Hallman (University of Colorado, Boulder)