Bestimmte Unternehmensformen, wie Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung einer gewissen Größe, müssen verpflichtend einen Aufsichtsrat haben. Andere Unternehmen setzen freiwillig Aufsichtsräte ein, wieder andere haben keinerlei Funktionen dieser Art. Aufsichtsräte sollen, wie der Name es erahnen lässt, darüber wachen, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Es gibt klare Regeln, wie Aufsichtsräte zu agieren haben und was ihre Aufgaben sind. Jedoch fällt ihnen, insbesondere in heutiger Zeit, eine viel wesentlichere Rolle zu, die nicht geregelt ist und auch nicht geregelt werden kann: Eine ethische Wächterfunktion.
Das einfache Regelwerk
Beschäftigt man sich mit den anzuwendenden Gesetzen, findet man rasch die wesentlichen Eckpfeiler, die die Arbeit und Aufgaben von Aufsichtsräten regeln. Dabei kommt klar heraus, dass der Aufsichtsrat nicht operativ agieren darf. Er muss die Arbeit des Vorstands beziehungsweise der Geschäftsführung überwachen und dabei darauf achten, dass die gesetzlichen Vorgaben bei beispielsweise den Jahresabschlüssen, strategischen Entscheidungen des Unternehmens sowie des Berichtswesens, eingehalten werden. Außerdem wacht er über Personalentscheidungen, wie die Besetzung und Vertragsgestaltung von Vorstandsmitgliedern, so dass diese sowohl monetär als auch von der Qualifikation der betreffenden Person zum Wohle und Nutzen des Unternehmens erfolgen.
Diese Aufgaben sind nachvollziehbar und machen im Gesamtkontext – insbesondere von komplexen Großkonzernstrukturen – viel Sinn. Aber auch bei kleinen Unternehmen sind Kontrollfunktionen häufig sinnvoll. Gerade in Unternehmen, die nicht eigentümergeführt sind, kann damit sichergestellt werden, dass die Entscheider, die auch nur Angestellte des Unternehmens sind, im Interesse des Unternehmens handeln, denn die Instanz des Eigentümers, der typischerweise auf den langfristigen Erhalt des Unternehmens bedacht ist, fehlt. Über das eigentliche Aufgabenfeld hinaus ist auch geregelt, wie eine gültige Mehrheit in Aufsichtsräten zustande kommen muss (“doppelte Mehrheit”), wie viele Aufsichtsratsmandate eine Person zeitgleich wahrnehmen darf und wie viele Sitzungen es pro Jahr mindestens geben muss.
Die meisten Mitglieder von Aufsichtsräten haben einen betriebswirtschaftlichen oder juristischen Bildungshintergrund. Schaut man auf die eigentliche Aufgabe, die zuvor kurz skizziert wurde ist dies durchaus nachvollziehbar. Doch dieser Hintergrund allein ist zu wenig. Gute Aufsichtsratsbesetzungen zeichnen sich durch eine ausgeglichene Mischung verschiedener für das Unternehmen relevanter Qualifikationen aus. Zudem sollte es eine gutes Verhältnis aus erfahrenen und neuen Mitgliedern geben, um gelebte Erfahrung mit frischen Ideen zu kombinieren.
Bewegte Zeiten
In den letzten Jahren kann man immer mehr erkennen, dass Unternehmen viel häufiger und in weitaus ungeplanterer Form auf Änderungen des Marktes, also der Kunden, reagieren müssen. Man sagt immer, der Markt sei “volatiler” geworden, was nichts Anderes heißt, als dass sich die Bedürfnisse und die Werte der Kunden viel unvorhergesehener ändern. Die Antwort vieler Unternehmen ist dann wieder mal die Leier, die sie seit Jahrzehnten kennen und die sie perfekt beherrschen: Man implementiert wieder mal ein neues und vielversprechendes System, um zum Beispiel “agiler” zu werden oder man führt ein Methodenhandwerk wie “Lean” oder “Scrum” ein und meint, dass damit alle Probleme gelöst seien. Nein, dem ist nicht so. Eigentlich müssen Unternehmen das tun, was viele leider völlig verlernt haben beziehungsweise eventuell noch niemals konnten: Echtes Unternehmertum.
Über die schnellen Veränderungen im Wirtschaftsumfeld hinaus gibt es insbesondere in den vergangenen Monaten bedenkliche Veränderungen in Gesellschaft und Politik. Immer mehr fragwürdige Kandidaten und Parteien erhalten Zuspruch, die sicher nichts Gutes im Sinn haben. In Großbritannien gewinnt das Brexit-Lager mit Panikmache und Unwahrheiten und in den USA wird ein Mann Präsident, der gegen das so genannte Establishment antritt, selbst aber so viel davon verkörpert, dass kaum mehr möglich ist. In vielen europäischen Ländern wird die Freiheit durch Parteien und Personen mehr oder weniger stark gefährdet, die autokratisch denken und sich in krankhaftem Nationalismus aalend, von einer Gesellschaft träumen, die bisher immer nur zu Kriegen geführt hat.
Die Ursache, weshalb trotz der offensichtlichen Gefahren und Widersprüche, so viele Menschen solchen fragwürdigen Charakteren hinterherrennen, ist im Wesentlichen auch in der Wirtschaft zu suchen. Die Zuwächse bei der Produktivität in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sind fast nur bei einigen wenigen “Eliten” angekommen, nämlich bei Unternehmenseigentümern und Top-Managern. Diejenigen, die diese Zuwächse erarbeitet haben, gingen und gehen fast komplett leer aus. Die berühmt berüchtigte “Schere zwischen arm und reich” geht immer weiter auseinander. Man spricht oft von “denen da oben” und “wir hier unten” – ein massives Gefühl der Ungerechtigkeit, welches dann, wenn auch klar unvernünftig, viele Menschen in die Hände von denen treibt, die vermeintlich einfache Antworten auf komplizierte Fragen liefern.
Aufsichtsräte müssen mehr leisten
Unternehmen müssen neben Profit und Gewinn auch ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung nachkommen. Dafür benötigen Unternehmen in ihren Führungsebenen echte Unternehmer und keine Manager. Unternehmer sind Menschen, die neben Profit und Wirtschaftlichkeit genauso gewichtet auch die soziale Verantwortung von Unternehmen erkennen und diese bei Entscheidungen miteinbeziehen. Und an dieser Stelle kommen Aufsichtsräte ins Spiel. Aufsichtsräte müssen eben mehr sein als Kontrolleure für die Einhaltung des Regelwerks.
Sie müssen für die Vorstände oder Geschäftsführer Sparringspartner sein, um sie zu begleiten und zu unterstützen, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Entscheidungen der Unternehmenslenker müssen durch die Mitglieder des Aufsichtsrats immer wieder auch auf die Legitimität, also die Verantwortbarkeit im Kontext des allgemein akzeptierten Wertekontexts und der gesellschaftlichen Verantwortung hinterfragt werden. Der reine Blick auf die Fragen der Legalität ist bei weitem nicht ausreichend.
Die Sicht auf Faktoren, die über monetäre Elemente hinausgeht, ist leider vielen Managern abhanden gekommen, und viele hatten diese Sicht noch nie. Aufsichtsräte können hier ansetzen, nicht nur um die aktuell im Amt befindlichen Manager zu Unternehmern zu machen, sondern damit auch die nächsten Generationen von Unternehmenslenkern besser zu entwickeln, damit diese wieder mehr unternehmerisch handeln.
Interessenkonflikte und die Kandidatenfrage
Doch inwiefern sind Aufsichtsräte dazu in der Lage? Es entstammen viele Personen, die in Aufsichtsräten sitzen, dem gleichen Lager wie diejenigen, die sie kontrollieren sollen. In diesen Positionen haben sie ein klassisches, rein auf Effizienz und Profit ausgerichtetes System kennen gelernt. Kann man dann die innere Haltung ändern und sich etwas Anderes außerhalb dieses Systems vorstellen?
Außerdem zeigt die Besetzung von Aufsichtsräten leider immer wieder, dass diese nicht frei von Konflikten in Bezug auf die eigenen Interessen verläuft. So kommt es oft vor, dass Personen aus der Geschäftsführung oder dem Vorstand direkt in den Aufsichtsrat wechseln und damit ihre eigene Arbeit und Entscheidungen aus der Vergangenheit “kontrollieren”.
Auch Seilschaften und Verstrickungen führen dazu, dass der eine oder andere Aufsichtsrat vielleicht nicht so genau hinschaut. Zwar gab es 1965 eine Reform, die die gegenseitige Kontrolle verhindert (Überkreuzkontrolle), jedoch lassen sich damit persönliche Verstrickungen und Seilschaften niemals ausschließen. Beispielsweise ist die Deutsche Bank seit jeher bekannt dafür, gerade auf Aufsichtsratsebene über ein sehr gutes Netzwerk zu verfügen.
Kurt Fiebig war nicht nur ein bekannter Kirchenmusiker, Komponist und Professor für Musikwissenschaften, sondern auch Anleger bei der Deutschen Bank, der immer wieder solche Machenschaften öffentlich anprangerte. Er äußerte seinen Unmut über die Verstrickungen im Rahmen einer Hauptversammlung sehr deutlich:
„In jeder Hauptversammlung trifft man auf die gleichen Gesichter, von denen man weiß, dass sie sich gegenseitig zu Amt und Würden verhelfen.“
Auch im Kontext der Politik gibt es immer wieder fragwürdige Wechsel vom politischen Amt zu Lobbyverbänden, in Vorstandsebenen oder auch Aufsichtsratsfunktionen mit keiner oder nur geringer Zeitdifferenz. All diese Fälle sind höchst brisant und lassen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Aufsichtsratsgremien und damit auch den gesamten Institutionen aufkommen. Hier ein paar Beispiele:
- 2012 wechselte Franz Fehrenbach von der Position des Geschäftsführers direkt in Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden bei Bosch.
- 2007 wurde Manfred Bischoff Aufsichtsratsvorsitzender der damaligen DaimlerChrysler AG. Er war zu dem Zeitpunkt Vorstandsmitglied bei EADS, wo DaimlerChrysler Anteilseigner ist, und außerdem ist er ein Daimler-Urgestein.
- Hilmar Kopper war von 1998 bis 2007 Aufsichtsratsvorsitzender von Daimler Benz (später DaimlerChrysler). Zuvor war er Vorstandschef der Deutschen Bank, die in den 1990iger Jahren 12 % der Anteile bei Daimler hielt und damit einer der größten Anteilseigner war.
- Wolfgang Clement wurde 2006 Mitglied des Aufsichtsrats bei RWE nachdem er zuvor bis 2005 in der von Gerhard Schröder geführten Bundesregierung Wirtschaftsminister war.
Generell wäre zu wünschen, dass es eine angemessene Karenzzeit gibt, nach der man erst in ein Aufsichtsratsmandat wechseln kann, wenn Interessenskonflikte – beispielsweise Kontrolle der eigenen Arbeit oder der Wechsel zwischen Unternehmen, die in einem Wettbewerbs-, Zuliefer- oder Kundenverhältnis stehen – erkennbar sind.
Das Gleiche sollte auch für Politiker gelten. Außerdem sollten Aufsichtsräte nicht nur von Personen aus der etablierten Wirtschaft und der wohlgesonnenen Politik bestehen. Auch Menschen mit völlig anderen Hintergründen, die Qualifikation vorausgesetzt, können eine Bereicherung sein. Vorstellbar sind hier zum Beispiel Vertreter aus NGOs oder NPOs oder auch Künstler und andere Menschengruppen, die bewusst anders denken als klassische Wirtschaftsvertreter.
Ein Aufsichtsratsmandat ist kein Schönwettertörn
Aufsichtsräte müssen natürlich qualifiziert sein, aber insbesondere müssen sie ungemütlich sein. Wertschätzend, aufrichtig, aber eben auch konstruktiv kritisch und dabei den Finger in die Wunde legend und haltend, wo es nötig ist. Richtigen Aufsichtsräten fällt eine besondere Coaching-Rolle zu. Das ist nicht gemütlich und macht auch nicht immer Freude, ist aber unabdingbar, um einer Aufsichtsfunktion gerecht zu werden. Daher sollte man bei einer Besetzung auch darauf schauen, dass eine betreffende Person neben Erfahrung auch gewisse Charakteristika eines Querkopfs und Querdenkers mitbringt und damit in einem gewissen Grad nicht in das “System” passt. Seminare für angehende Aufsichtsräte dürfen nicht nur auf das reine juristische und betriebswirtschaftliche Regelwerk schauen. Inhalte zu Ethik, Unternehmertum sowie Instrumente des Coachings und der Umgang mit Menschen müssen ebenso vermittelt werden.
Aufsichtsratsmandate sind sehr begehrt, viele wünschen sich ein derartiges Amt. Es beinhaltet sicher ein spannendes Aufgabenfeld, enthält aber auch viel Verantwortung. Diese Verantwortung ist aber weit höher als vielen klar sein dürfte, denn sie reicht weit über das Unternehmen hinaus.
Die Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit der Wirtschaft und die Stabilität in unseren Gesellschaften liegt auch in einem nicht unerheblichen Maß in den Händen der Aufsichtsräte. Inwiefern das den meisten Personen, die solche Ämter bekleiden, wirklich klar ist, ist aus meiner Erfahrung heraus mehr als fraglich.
Herzliche Grüße
Mario
Bildnachweis
- Beitragsbild: Mario Buchinger
- Andere Bilder: Marlene Buchinger, Mario Buchinger
[…] Die besondere Rolle der Aufsichtsräte für unternehmerische und gesellschaftliche Verantwortung. Bestimmte Unternehmensformen, wie Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung einer gewissen Größe, müssen verpflichtend einen Aufsichtsrat haben. Andere Unternehmen setzen freiwillig Aufsichtsräte ein, wieder andere haben keinerlei Funktionen dieser Art. Aufsichtsräte sollen, wie der Name es erahnen lässt, darüber wachen, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Es gibt klare Regeln, wie Aufsichtsräte zu agieren haben und was ihre Aufgaben sind. Jedoch fällt ihnen, insbesondere in heutiger Zeit, eine viel wesentlichere Rolle zu, die nicht geregelt ist und auch nicht geregelt werden kann: Eine ethische Wächterfunktion. […]