Dieser Post ist der erste Artikel der Serie “Aus der Praxis eines Collaboration Consultants – Tools, Kultur und ihre Wechselwirkungen” und dreht sich um die Einführung eines gemeinsamen Boards – weitere Artikel dieser Serie findest Du in Kürze hier auf dem Blog. In dieser Serie schreibe ich als Atlassian Consultant aus eigener Beobachtung, meiner Praxis als Consultant bei diversen Unternehmen und meiner Freiberuflichkeit sowie dem Austausch mit anderen Atlassian-Anwendern und Administratoren über die Nutzung von Collaboration Tools und ihre kulturellen Wechselwirkungen. Mein Zielbild beim Einsatz von Collaboration Tools ist Selbstorganisation und Selbstmanagement von Teams zu unterstützen sowie Transparenz für mehr Synergien und Zusammenarbeit in Teams und Unternehmen herzustellen.
Wenn ein Team beginnt, agil zusammen zu arbeiten bzw. ein gemeinsames Board für mehr Transparenz über die gemeinsame Arbeit einführen möchte, bringt dies in der Regel einigen Gesprächsbedarf mit sich. Neben der Frage, ob und in welchem Tool das Board abgebildet werden soll (häufig schon durch die im Unternehmen vorhandenen Softwarelösungen vorgeklärt) ist vor allem die Frage relevant, wie die gemeinsame Arbeit abläuft bzw. welche Aufgaben in welcher Granularität abgebildet werden sollen. Dieser Post gibt Dir Aufschluss, was zu beachten ist und was Auswirkungen auf eure Zusammenarbeitskultur sein können.
Doch nun zuerst zu den Grundlagen:
- Was ist ein Board?
- Wie kann das aussehen?
- Warum und wofür ein gemeinsames Board einführen?
Was ist ein Board? Wie kann das aussehen?
Ein Board (manchmal auch übersetzt mit “Arbeitsbrett”) visualisiert Aufgaben nach ihrem aktuellen Status (meist in der Horizontalen) und einer weiteren Eigenschaft, z. B. ihrem Typ (meist in der Vertikalen). Eine Aufgabe wird als Karte mit einer kurzen Zusammenfassung der Aufgabe, ihrem aktuellen Bearbeiter und ggf. weiteren Informationen, wie z. B. einem Fälligkeitsdatum, in einer ihrem aktuellen Status entsprechenden Spalte und ggf. einem ihrem Typ o.ä. entsprechenden Schwimmbahn (“Zeile”) dargestellt. Da ein Bild mehr als tausend Worte sagt hier ein Screenshot eines Boards:
Warum und wofür ein gemeinsames Board einführen?
Wenn Teams ein gemeinsames Board einführen, so geschieht dies meistens, um sich besser über die gemeinsame Arbeit austauschen und diese optimieren zu können. Stell Dir dazu vor, jedes Teammitglied hat für sich selbst eine Aufgabenliste (z. B. in Outlook oder Excel), auf die die anderen Teammitglieder in der Regel keinen Zugriff haben bzw. deren Struktur und Inhalt auch nur bedingt nachvollziehen könnten. Nun wird z. B. einmal pro Woche gemeinsam darüber gesprochen, wer welche Aufgaben hat, wie der aktuelle Status ist, wo Probleme auftreten etc. – ein ganz normales Teammeeting. Dazwischen ist den anderen Teammitgliedern meist völlig unbekannt, woran der Kollege/die Kollegin gerade arbeitet und wie der Status ist. So können sich Teammitglieder einfach an Aufgaben “festbeißen”, eher unwichtige aber spannendere Aufgaben zuerst angehen oder für das Team wichtige Aufgaben bei einem Teammitglied verloren gehen ohne dass das Team das vor dem nächsten Meeting mitbekommt.
tell Dir nun vor, all diese Aufgaben sind in einer gemeinsam abgestimmten Struktur auf einem wie oben gezeigten Board abgebildet. Jedes Teammitglied kann nun jederzeit sehen, wer an was arbeitet (“aktueller Bearbeiter”), wie der Status ist (“aktuelle Spalte”) und was sonst ggf. noch zu tun ist. Außerdem können in täglichen kurzen Meetings (“Dailies”, in der Regel maximal 15 Minuten im Stehen vor dem Board, daher auch gerne als Stand-Up bezeichnet) beim gemeinsamen Blick auf das Board Aufgaben umverteilt, Information über Probleme geteilt und Unterstützung im Team untereinander angefordert werden. Auf einmal hat das Team untereinander Transparenz und kann sich gemeinsam organisieren und unterstützen z. B. eine höhere Kundenzufriedenheit durch mehr Liefertreue zu erreichen, dadurch dass keine wichtigen Aufgaben mit versprochenem Lieferdatum mehr bei einem überlasteten Teammitglied untergehen.
Was sind die nächsten Schritte?
Gehen wir davon aus, Du bist nun davon überzeugt, dass Du ein gemeinsames Board für Dein Team einführen willst (sonst teil es mir gerne per Kommentar mit, dann können wir Deinen Fall noch genauer diskutieren): Was sind die nächsten Schritte?
Zunächst musst Du Dein Team davon überzeugen, dass es sich zumindest auf das Experiment einlässt. Nimm dabei bitte Deinen Teammitgliedern ggf. vorhandene Bedenken, dass damit ihre Produktivität gemessen werden soll o.ä. – sollten diese Bedenken vorhanden sein ist dies außerdem ein Indikator für eine mangelnde Vertrauensbasis im Team bzw. Unternehmen. Solltest Du vorhaben, mit dem gemeinsamen Board die Produktivität im Team auf Mitarbeiterebene zu messen lass es bitte sein – stell Dir vor, Du wirst an einer Kennzahl gemessen – wirst Du etwas anderes im Kopf haben, als diese Kennzahl zu optimieren? Hast Du Spaß dabei? Hast Du dann noch Zeit, freundlich und hilfsbereit gegenüber Kollegen und Kunden zu sein, wenn Du dadurch Deine Kennzahl verschlechterst und dafür beim nächsten Meeting unangenehme Fragen beantworten musst?
Wenn Dein Team davon überzeugt ist, dass es seine Zusammenarbeit verbessern, einen gemeinsamen Aufgabenüberblick bekommen und sich selbst besser organisieren und dabei ggf. noch mehr als Team zusammenwachsen möchte, solltest Du im Team darüber sprechen, welches Tool Du nutzen willst. In der Regel empfiehlt es sich für nicht-verteilte Teams (alle Teammitglieder sitzen die meiste Zeit gemeinsam in einem Raum) zuerst mit einem physischen Board (Papier an der Wand bzw. Metaplanwand sowie Karten/Stickies) zu starten. Damit habt ihr maximale Flexibilität in der Board-Gestaltung und -Anpassung ohne von euren Collaboration Tool-Administratoren bzw. eurem Know-How abhängig zu sein oder sich in den technischen Details zu verlieren.
Auf diesem Board könnt ihr z. B. mit Edding oder einzelnen DIN A3-Blättern wie oben zu sehen oder mit Reißzwecken und Schnüren Spalten und Schwimmbahnen abtrennen, Spalten- und Schwimmbahnbezeichnungen auftragen und eure Aufgaben als Karten durch das Board bewegen und vor diesem Board ihre Dailies durchführen. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der gemeinsame Prozess stabil geworden und die Akzeptanz im Team hoch ist, könnt ihr dieses Board in einem Tool eurer Wahl digitalisieren bei Bedarf (z. B. weil Teammitglieder auch von Daheim arbeiten wollen oder weil auch andere Teams einen Überblick bekommen bzw. Dir Aufgaben zukommen lassen wollen).
Erarbeitung des gemeinsamen Boards
Doch zuerst müsst ihr das gemeinsame Board erarbeiten. Kurz zur Erinnerung – ihr müsst wissen, welche Aufgabentypen/kategorien mit welchem Prozess über das Board wandern sollen und welche Informationen auf den Karten stehen sollen.
Lass dazu z. B. jedes Teammitglied seine aktuellen Aufgaben mit einem Status und einer Aufgabenkategorie (z. B. “Kundenanfrage”, “Softwareentwicklung” o.ä.) auflisten und besprecht diese gemeinsam im Team. Konzentrier Dich dabei zunächst darauf, heraus zu finden, welche Aufgabentypen es in Deinem Team gibt. Worin unterscheiden sich diese? Folgen sie z. B. einem unterschiedlichen Prozess oder benötigen sie unterschiedliche Attribute? Gibt es besonders wichtige Aufgaben, denen ggf. die oberste Schwimmbahn gewidmet werden sollte? Alternativ kannst Du auch einfach ein Board mit den Spalten “Offen”, “In Arbeit”, “Review/Test” und “Abgeschlossen” und den Schwimmbahnen “Wichtig”, “Tagesgeschäft” und “Projekte” o.ä. bereitstellen und Dein Team seine Aufgaben darauf als Karten mit jeweils einer kurzen Zusammenfassung der Aufgabe, dem Namen des aktuellen Bearbeiters und ggf. einem Fälligkeitsdatum einordnen lassen. Plan dazu ein gemeinsames Meeting in ca. zwei Wochen ein, um über die gemeinsame Nutzung des Boards, was gut und was nicht so gut lief und was Schritte zur Verbesserung sein könnten zu besprechen (“Retrospektive”). Ob Dein Team gemeinsam ein Board erarbeiten kann oder sich dabei völlig in Detaildiskussionen verliert und Du daher lieber mit einem Board startest kannst Du am besten selbst entscheiden – wichtig ist, das Board gemeinsam mit dem Team iterativ weiter zu entwickeln und unter Berücksichtigung der gemeinsamen Learnings anzupassen. Ein guter Zyklus dafür sind am Anfang ein bis zwei Wochen, damit das Board eine gewisse Zeit stabil bleibt (und damit nicht die Anpassung zum Selbstzweck wird) aber nicht zu stark von der tatsächlichen Arbeit bzw. euren Erkenntnissen im Team abweicht.
Aus meiner Praxis als Atlassian & Collaboration Consultant kann ich sagen, dass ich in Workshops häufig zuerst dem Team die Prozessfindung/Board-Erarbeitung überlasse und dann, wenn die Teammitglieder anfangen, hilfesuchend in die Runde zu blicken, einige Fragen (z. B. die oben genannten) stelle und auf Basis des bisher gehörten einige Vorschläge zur möglichen Struktur mache mit dem Angebot, diese einfach so umzusetzen und dann das Board iterativ weiter zu entwickeln. Dieses Angebot wird in der Regel dankend angenommen und das Team kann schnell vom gemeinsamen Board profitieren.
Sieben Benefits eines gemeinsamen Boards
Nun zum Abschluss des Posts nochmal sieben Benefits eines gemeinsamen Boards bzw. die Auswirkungen auf die Zusammenarbeit und Kultur in Deinem Team – bitte beobachte diese und kommentiere gerne diesen Post, falls sie (nicht) eintreten – ich freue mich auf Dein Feedback!
- Durch den Prozess der gemeinsamen Boardfindung und die Arbeit auf einem Board entsteht ein Austausch darüber, wie einzelne Aufgaben bearbeitet werden – so kann ein Wissenstransfer im Team angestoßen werden.
- Durch die regelmäßige Besprechung der gemeinsamen Arbeit entsteht mehr Teamgefühl und Teammitglieder unterstützen sich gegenseitig bei der Abarbeitung der Aufgaben.
- Durch die zyklische Besprechung/Retrospektive und gemeinsame Weiterentwicklung des Boards und der Zusammenarbeit sind die Teammitglieder zufriedener und schätzen ihre Selbstwirksamkeit/Möglichkeiten zur positiven Veränderung höher ein.
- Durch die erhöhte Transparenz und gemeinsame Übersicht gehen weniger Aufgaben verloren und die Auslastung der einzelnen Teammitglieder ist besser bzw. gesünder verteilt.
- Wenn andere Teams bzw. Teile Deines Unternehmens einen Blick auf euer Board werfen verstehen sie auf einmal, warum ihre Anfrage ggf. noch nicht beantwortet ist bzw. warum Du ihr Anliegen nicht sofort bearbeiten kannst – nun kann ein Austausch über die Priorisierung erfolgen.
- Wenn Dein Team permanent überlastet ist hast Du nun eine gute Grundlage, dies auch sichtbar zu machen und damit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, eine positive Veränderung, z. B. durch das Einstellen eines weiteren Teammitglieds oder die Reduktion von unnötiger Arbeit, zu erreichen.
- Wenn Du zusätzlich zu dem physischen Board auch noch ein digitales Collaboration Tool wie z. B. JIRA oder Trello einsetzt, erhöhst Du die Wahrscheinlichkeit, dass für die Bearbeitung einer Aufgabe relevante Informationen nicht im Posteingang Deines heute leider nicht erreichbaren Teammitglieds vergraben sind und Dich damit von der Bearbeitung dieser wichtigen Aufgabe abhalten. Und Du findest Informationen deutlich schneller, da diese im Kontext einer Aufgabe abgelegt und nicht in Mails und Dokumenten wechselnden Betreffs und Dateinamens verborgen sind…
Bildnachweis
- Beitragsbild, Screenshots: Christoph Thomas, CC BY-SA 3.0
- Foto Team beim Daily: Drew Stephens, CC BY-SA 3.0
- Beispiel-Board 1: Jeff.lasovski (Own work), CC BY-SA 3.0
- Beispiel-Board 2: Rool Paap, CC BY-SA 3.0