New Work für die Generation 50+

Na, angefixt von New Work? Laloux und Konsorten gelesen und jetzt willst Du loslegen, oder? Endlich selbstbestimmt arbeiten. Sich einbringen. Mitentscheiden und Verantwortung übernehmen. Mit hübschen bunten Zetteln arbeiten, statt mit irgendeiner abgrundtief häßlichen Projektmanagement-Software, richtig? Produktive kurze Online-Konfis und Daily Sprints statt lebenszeitverkürzender Meetings, nicht wahr?

Super, so soll es sein! Und jetzt gibt es da draußen sogar etliche Unternehmen, die mit Selbstbestimmter Arbeit und New Work werben. Auf deren Website steht dann: „Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt…“ oder so ähnlich.

Motivationsschreiben statt Bewerbung

Nun denkst Du “Cool, da bin ich genau richtig!”. Also hingesetzt und eine Bewerbung aufgesetzt, die es in sich hat – sowas mit Motivation und so. Nein, natürlich nimmst Du nicht die übliche Lebenslauf-Vorlage. Die hat der oder die Personalerin des New Work Unternehmens – ah, halt, dort gibt es natürlich keine Personalerin mehr, sondern das Team entscheidet – ja schon unzählige Male gesehen. Es muss was anderes her: eine Online-Bewerbung, damit das hippe Unternehmen auch sieht, dass Du digital kannst. Und Soft Skills rein, unbedingt Soft Skills. Damit die erkennen, dass Du kein Fachzombie bist, sondern voll teamfähig und außerdem total reflektiert und super zwischen Rolle und Person switchen kannst. Jetzt noch ein schmissiges Anschreiben aufgesetzt, das mit „Hey…“ beginnt und mit „Liebe Grüße“ endet. Läuft.

Besser eine tolle Absage als gar keine Antwort, oder?

Und tatsächlich. Schon nach 3 Tagen kommt die Antwort. Absage. Keine gewöhnliche Standardabsage, nein. Eine richtig schöne, persönliche und lange Absage – über 5 Zeilen hinweg dankt man Dir für Deine tolle Bewerbung. Leider kann man Dich nicht zum Gespräch einladen. Leider versteht man nicht, warum Du Dich für den Social Media Bereich bewirbst, denn Deine Social-Media-Fähigkeiten sind nicht Deine Kernkompetenzen. Du baust zwar in Deiner Freizeit gerne Websites, kannst dazu aber kein Zertifikat liefern. Und ja, Du bist auch noch ausgebildeter Fotograf, aber das heißt ja nicht, dass Du mit Photoshop umgehen kannst, nicht wahr? Und Deine Berufserfahrung, toll, über 20 Jahre, aber…

All diese Abers hättest Du in einem Vorstellungsgespräch klären können. Du hättest auch erklären können, dass es nicht schlimm wäre, wenn im Moment der Social Media Bereich nicht in Frage käme, denn Deine Bewerbung bezog sich gar nicht auf eine bestimmte Ausschreibung, sondern war initiativ. Du wärst auch offen für jeden anderen Bereich – außer Buchhaltung. Du hättest auch erklären können, dass Fotografen selbstverständlich Photoshop können, was denn sonst. Und Du hättest auch sagen können, dass Dir Deine lange Berufserfahrung eine Menge Menschenkenntnis eingebracht hat, die für die New Work Butze von Vorteil sein könnte.

Der Mangel an Lebenserfahrung

Hätte! Da ist er wieder, der nette Herr Konjunktiv! Der Kuschelkumpel der Frau Wunschvorstellung. Doch leider ist Herr Konjunktiv der Frau Realität begegnet und die hat mitunter echt fiese Haare auf den Zähnen. Die flüstert Dir just in diesem Moment ins Ohr, dass Du ein alter Sack bist. Und ein alter Sack hat in einem jungen, hippen Bällebad nichts zu suchen. Deshalb haben die beiden Personal-Mädels, die sich jeden Morgen fingerdick erdölbasierte Schminke ins Gesicht schmieren auch nur gekichert, als sie Deine Bewerbung gesehen haben. Dann haben sie schnell zum nächsten YouTube-Beauty-Channel weitergeklickt. Die beiden Recruiter-Jungs des hippen Teams waren zwar nicht so abgeneigt, sie fanden z.B. Deine Fotografenausbildung anachronistisch, wären aber neugierig auf Deine analogen Kenntnisse gewesen. Allerdings fanden sie Dein Anschreiben total daneben, weil es nicht businessmäßig formuliert war – sooo vertraulich hätte man es dann doch nicht gerne.

Ja aber, wirst Du jetzt einwenden, die sind doch ein New Work Unternehmen, da ist das MindSet doch menschenfreundlich und offen und auf Augenhöhe. Ja, theoretisch stimmt das und sicherlich ist das auch in einigen Unternehmen so. In anderen aber halt nicht und leider kann man Unternehmen wie Menschen nur vor den Kopf schauen.

Der gedankliche Gap bei New Work Unternehmen

Unser oben genanntes Unternehmen gehört zu den Mogelpackungen. Auf den ersten und zweiten Blick ist es cool und offen für alle veränderungsbereiten Menschen. Auf den dritten Blick merkt man hauptsächlich zwei Dinge:

Erstens: Es hat keine Kausalität, dass New Work Unternehmen automatisch menschenfreundlicher sind als „konventionelle“ Unternehmen. Nach außen kann man sich natürlich genauso darstellen, wie es das hippe Firmenimage verlangt, Kickertisch und Bällebad aufstellen. Das ist nett, sagt aber nichts aus, außer dass die Entscheider Kickertische und Bällebäder am Arbeitsplatz cool finden. Tatsächlich arbeiten dort Menschen, die nicht unbedingt ihr Weltbild einfach mal so ändern können. Selbst wenn der CEO ein Holacracy-Junkie ist, bedeutet das nicht, dass alle im Team ebenfalls so ticken – zumindest nicht auf der persönlichen Ebene. Daher kann es durchaus sein, dass in einem jungen Unternehmen alte Gedankenstrukturen herrschen. Und evtl. ist man dort zu arrogant, die eigene Haltung zu hinterfragen. Von den Eltern und im BWL-Studium hat man einfach nichts anderes gelernt und reproduziert munter wie ein Großteil der Generation zuvor.

Filterblase und Alltagsdiskriminierung

Das zweite Ding ist eine Art struktureller und kultureller Vorurteile. Und das wiegt ungleich schwerer. Wer in der Studi-Blase gleichaltriger Performer unterwegs ist, der bleibt möglicherweise gerne in seiner Altersgruppe und sieht nicht, dass ältere Menschen eine Öffnung des eigenen Horizontes bieten könnten. Zusätzlich ist die strukturelle Benachteiligung älterer Arbeitnehmer symptomatisch in etlichen Studien erfasst – die sind zu alt, können nicht mehr lernen, sind zu eingefahren in ihrem Denken. Diese Annahmen finden sich selbstverständlich auch in New Work Unternehmen – trotz AGG.

Achtung, und jetzt wird es fies – hinzu kommt der ganz stinknormale Alltagsdiskriminierungsfaktor, der mitunter vorurteilsschwanger sagt „Du siehst scheisse aus, ich mag Dich nicht.“ Das ist nicht zu entschuldigen, aber Menschen ticken so aus vielfältigen Gründen. Will heißen, dass, wenn Du gerade nicht dem Schönheitsideal junger, sportlicher und hipper Menschen in einer Bällebad-Butze entsprichst, kann es möglicherweise schwierig werden. Dann passt Dein Habitus vielleicht einfach nicht in deren Raumkonzept.

Sicher, Du jaulst jetzt aufgrund der himmelschreienden Ungerechtigkeit auf, das ist vollkommen verständlich und richtig und Dich unterstützt hier auch das AGG (Allgemeines Gleichstellungsgesetz). Das bringt das New Work Unternehmen – im Moment zumindest – jedoch nicht dazu, Dich einzustellen, auch wenn Du denen die Diskriminierung in epischer Breite und mit wissenschaftlichen Studien belegt aufschreibst oder vorliest. Die sind noch nicht soweit.

Es ist bitter, aber der einzige Weg ist der, immer wieder diese Diskriminierungen zu thematisieren und bei entsprechenden Gelegenheiten und in Gesprächen darauf aufmerksam zu machen. Nur wenn ein Thema öffentlich sichtbar wird, kann sich langfristig auch etwas ändern.

Aufstehen. Krone richten. Weitermachen.

Also, habe Mut, Dich zu äußern. Immer wieder. Sei selbstbewusst und gelassen genug, dieses Unternehmen loszulassen und Dich bei einem anderen New Work Unternehmen vorzustellen, das vielleicht kein Bällebad hat, dafür aber Kollegen, die mehr im Kopf haben als das nächste Firmenevent.

 

Herzliche Grüße
Daniela

 

Zum Weiterlesen:

http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/Alter/themenjahr_alter/fragen_antworten/faq_node.html

http://www.alternalszukunft.uni-jena.de/data/Rothermund_Temming_2010.pdf

 

Bildquelle: pixabay, Lizenz CC-0, gemeinfrei

 

 

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