Groß und stark – ist das noch zeitgemäß?

Ein Naturkundemuseum ist eine wirklich tolle Erfindung – Dinos, Darwin, DNA. Noch Fragen? Ja, der kleine 6-jährige in dem grünen Dinosaurier-Shirt hatte eine Frage: „Papa, wozu braucht der T-Rex eigentlich so große Zähne?“ Der Vater scherzte: „Na, kleine Zähne sind ja was für kleine Dinosaurier und Vegetarier. Der T-Rex ist doch so stark, da müssen auch die Zähne riesig sein. Am besten wirst Du auch mal so groß und stark, dann kann Dir keiner mehr was.“

Szenenwechsel: Besuch von der Oma. Der fünfjährige Pimpf freut sich wie Bolle auf sie, weil sie weit weg wohnt und nur zweimal im Jahr vorbeischauen kann. „Hey, Du bist ja groß geworden“, ruft die Oma freudig aus, als sie den Enkel sieht.

Stereotype im Alltag

Fällt Euch an den beiden Beispielen was auf? Möglicherweise wird ein Helikopterelternpaar den Vater oben bashen, weil er seinem Sprössling nicht die korrekte wissenschaftliche Erklärung für die T-Rex-Zähne gegeben hat, aber darüber hinaus? Vermutlich nicht, denn beide Beispiele sind so alltäglich, dass normalerweise niemand auf die Idee käme, sie zu hinterfragen. Deshalb mache ich das jetzt einfach mal: Was könnte an den obigen Beispielen fragwürdig sein?

Ich frage mich, ob es noch zeitgemäß ist, dieses Begriffsduo zu verwenden – bei Kindern und insbesondere bei Jungs. Kann es richtig sein, dieses Begriffsduo ausschließlich positiv zu besetzen? Ist es sinnvoll, dass der Vater die mutmaßliche körperliche Stärke so hoch hängt, als ob nichts anderes wichtiger wäre? Und was meint die Oma eigentlich mit der Aussage? Freut sie sich nicht eher, dass der Enkel gut gedeiht und benutzt das „groß“ als Metapher dafür?

Groß und stark – wozu eigentlich?

In Zeiten, in denen langsam aber sicher klar wird, dass groß und stark nicht automatisch gut ist, muss es möglich sein, Standardnarrative, die zu schlechten Ergebnissen im Gesamtkontext führen auf den Prüfstand zu stellen: die extensive Landnutzung – Monokulturen, die die biologische Diversität stören, Immobilienkonglomerate, die eine lebendige Stadtentwicklung durch Renditeobjekte zunichte machen, Multinationale Konzerne, die wahlweise die eigenen Kunden betrügen oder sogar Grundgüter wie Wasser kapitalisieren.

Groß, stark, riesig. Klingelts? Das steht auf einer Höhe mit „höher, schneller, weiter“. Diese Formulierung wird seit einiger Zeit – zum Glück – stärker in Bezug auf wirtschaftliches Handeln hinterfragt. Das, was eine Ökobewegung seit den 1970er Jahren beklagt, kommt langsam, ganz langsam im Mainstream an. Doch selbst hier ist nicht alles grün, was glänzt, denn Windparks in der Nordsee oder Solarpanelparks, die massiv in die Landschaft und damit in Lebensräume eingreifen, können auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Aber das nur am Rande.

Neue Bilder brauchen neue Worte

Da Sprache eines unserer wichtigsten Werkzeuge ist, sollten wir sie regelmäßig prüfen, ob sie nicht stumpf geworden ist und sie mehr Schaden anrichtet als uns nutzt. Mit der Sprache kreieren wir Bilder im Kopf und aus diesen entstehen Erinnerungen, die wiederum zu Wissen führen können. Wenn diese Bilder Muster enthalten, die nicht mehr zeitgemäß sind, sollten die Bilder entsorgt und durch andere ersetzt werden. Ersetzt werden können sie jedoch nur, wenn wir Worte und Beschreibungen für die neuen Bilder gefunden haben. Hört sich abstrakt an? Ist es auch, aber deshalb ist es nicht schwierig.

Mit der Formulierung „groß und stark“ ist üblicherweise ein historisches Bildkonstrukt im Kopf verknüpft, das aus vielen Einzelteilen besteht und in dem eines der Bilder „Held/Beschützer“ heißt. Dieses Bild ist vorwiegend mit männlichen Figuren/Charakteren belegt (weibliche Bilder wie Pipi Langstrumpf, WonderWoman, die rote Zora, o.ä. sind vorhanden, aber deutlich weniger). Die Kino-Blockbuster der letzten Jahre, die man als Mythologien unserer Zeit (danke Andreas, für den Hinweis auf die mögliche Analogie) lesen kann, sind gespickt von Action- und Superhelden-Filmen, die allesamt das gleiche Narrativ reproduzieren: es gibt ein Problem für die Menschheit als Ganzes und ein Einzelner oder Wenige haben Superkräfte, die das Problem lösen. Der abstrakte Kampf “Gut gegen Böse” wird personifiziert. Neuerdings dürfen dennoch auch die “Guten” einige wenige dunkle Seiten haben, was das Ganze zwar differenter macht, aber nicht besser.

Sollte am Ende eines Helden-Blockbusters kein Happy-End stehen, liegt das vielleicht nur daran, weil die kapitalistische Verwertungsmaschinerie längst an der Fortsetzung arbeitet. Geht es in diesen Filmen um gemeinsame Entwicklung von etwas? Um Kooperation mit dem vermeintlich anderen? Nein, es geht um die Zerstörung des „Anderen“ mit hohem körperlichem Einsatz, bei dem man auch die Zerstörung von materiellen Ressourcen mal eben hinnimmt. Es ist übrigens nicht das Problem, dass es diese Geschichten gibt. Die meisten Storys waren vorher bereits in Comics vorhanden und Teil einer Fan-Community. Das Problem liegt eher darin, dass mit dem Medium Film/Kono mehr Öffentlichkeit, mehr Mainstream erreicht wird. Eine dominant auftretende Marketing- und Merchandisingmaschinerie sorgt zudem dafür, dass “man” dazugehören möchte und sich als Teil dieses Heldenuniversums fühlen kann.

Superhelden im New Work Kontext

Neben diesen gesellschaftlichen und individuellen Schauplätzen lohnt es sich, in den Schauplatz Arbeitswelt und den New Work Kontext hineinzuschauen, in dem sich ähnliche Bilder zeigen – von Organisationsrebellen bis zu Evangelisten (ergänzende Lektüre von Andreas Zeuch dazu: Organisationsrebellen. Sinnentleertes New Work Wording). Natürlich sind diese „neuen Vorkämpfer“ (sic!) vordergründig deutlich weniger spektakulär als The Flash, Green Lantern, Spiderman oder Jesus, aber mit ähnlicher Historie: Es ist ein hoher persönlicher (und damit auch körperlicher!) Einsatz notwendig, um Erfolg zu erzielen.

Darüber hinaus lese ich auch deutlich mehr von Rebellen als von Rebellinnen in diesem Kontext. Kann man so oder so sehen – rein quantitativ mag man es kritisch sehen, qualitativ ist es vielleicht sogar besser, weil das heißen könnte, dass hier auch keine Frauenförderung im klassischen Sinne stattfindet, die männliche Karrieremuster reproduziert (siehe weiter unten, Artikel in der SZ von Vera Schröder).

Im Hinblick auf das Gesamtthema Diversity und damit auch Gleichberechtigung, scheint es mit dem oben genannten Unterbau notwendig, sich von diesen historischen Narrativen sowohl für Frauen als auch für Männer zu verabschieden. Es kann nicht erstrebenswert sein, wenn sich weiterhin Bilder reproduzieren, in denen Männer groß und stark sein müssen, um als leistungsfähig zu gelten. Bilder, in denen Heldenposen zelebriert werden. In denen die Rolle des Beschützers 24/7 gelten soll und romantisiert wird. Insbesondere diese beiden Posen/Rollen haben eine wirklich fiese Kehrseite – die des Zerstörers, der die vermeintliche Gefahr – egal ob in Person oder nicht – mal eben abknallt, eliminiert, verletzt, mundtot macht. Ist das zukunftsfähig? Ich meine, nein. Jede Handlung, die sich rein destruktiv gegen irgendetwas wendet, kann nicht konstruktiv werden und ist damit sowas von gestern.

 

Das gedruckte Super-Helden Universum

 

Der romantische Held hat Burn-Out

Halten sich also diese überkommenen und wenig konstruktiven Bilder, kann das in Zeiten des Wandels nur zu Frustration führen, wenn Rollen und Aufgaben sich wandeln, aber alte Rollenvorstellungen und Narrative weiter reproduziert werden – und sich in Erwartungshaltungen verfestigen. Dies gilt für Frauen und die sogenannte Frauenförderung, wie Vera Schroeder kürzlich in der Süddeutschen Zeitung wunderbar beschrieben hat. Es gilt jedoch genauso für einen modernen Feminismus, der Männer nicht nur mitmeinen muss, sondern dafür mitstreiten muss, dass sich überkommene Stereotype auflösen. Dies kann auf vielerlei Art und Weise geschehen, wie Thomas Gesterkamp am 05.05.18 in der taz sehr anschaulich beschrieb und sich u.a. auf die männliche Gesundheit bezieht:

„Dass Männer früher als Frauen sterben, ist schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt. Das ist jedoch kein Naturgesetz, sondern auf krank machende gesellschaftliche Bedingungen und historische Geschlechternormen zurückzuführen. Diese Erkenntnis müsste eigentlich einen gewichtigen Stellenwert haben in einem Bericht zur Gleichstellung der Geschlechter, der die „Lebensverlaufsperspektive“ zum Konzept erklärt. Dem ist aber nicht so.“ (Gesterkamp, taz, “Die Lücke namens Mann”, 05.05.2018)

 

 

Wenn Männer sich nicht mitgenommen fühlen

„Wenn Gleichstellungspolitik alle Männer für privilegiert, Frauen aber für stets benachteiligt und daher förderungswürdig hält, macht sie sich angreifbar.“ Exakt diese Angreifbarkeit haben längst sogenannte Maskulisten für sich entdeckt, die sich u.a. auch in rechtspopulistischen Gruppierungen und Parteien wiederfinden, worauf Gesterkamp zu Recht hinweist:

„Die vor allem in den Echokammern des Internets präsente antifeministische ‚Männerrechtsbewegung‘ inszeniert sich als Opfer weiblicher Emanzipation. Sie behauptet, Frauen seien mittlerweile in nahezu jeder Lebenslage privilegiert. Ein von der „Gender-Ideologie“ geprägter „Umerziehungsstaat“ würde Männer auf vielfältige Weise diskriminieren. Solche Thesen finden Unterstützung bis in die bürgerlichen Leitmedien hinein, parlamentarisch aufgegriffen werden sie vor allem von der AfD.“ (Gesterkamp, taz, “Die Lücke namens Mann”, 05.05.2018)

 

Die „Abgehängten“ fühlen sich in diesem Falle nicht nur von „den Fremden, den Migranten“ bedroht, sondern auch von Frauen, die sie ebenfalls – Simone de Beauvoir läßt grüßen – als „das Andere“, als Feindbild inszenieren.

 

Stereotype und Diversity am Arbeitsplatz

Diversity am Arbeitsplatz ist ein hochkomplexes Feld. Doch Stereotype lassen sich nicht auf die Wirtschaft begrenzen, sondern sind omnipräsent im Privaten, im Gesellschaftlichen, bei der Arbeit. Um sie zu überwinden, müssen übergreifend alle Bereiche betrachtet werden und mit bestehenden Strukturen verglichen werden: Welche Struktur, welches System befördern Stereotype und verhindern eine Transformation und Auflösung? Wie greift was ineinander? Dabei ist es – wie immer – notwendig, alle und wirklich alle Probleme sichtbar zu machen. Denn die Systeme, die der Feminismus in Bezug auf Frauen kritisiert, sind die gleichen Systeme, die auch in männlichen Lebensentwürfen toxisch wirken und sich dementsprechend täglich am Arbeitsplatz zeigen.

 

Herzliche Grüße
Daniela

 

Zum Weiterlesen:
https://www.taz.de/!5501111/
http://www.sueddeutsche.de/karriere/essay-ueber-frauen-im-job-jetzt-sei-nicht-so-langweilig-1.3957355?reduced=true

Bildquelle:
pixabay, CC-0 Lizenz, gemeinfrei

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