„CSR beschreibt die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen in Umwelt und Gesellschaft.“ – Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz gelesen, selbst geschrieben oder ausgesprochen habe, vermutlich unzählige Male im Laufe der letzten 6 Jahre.
Manchmal motiviert, freundlich und erklärend in Beratungen oder Vorträgen ausgesprochen, mitunter in Diskussionen aber genervt, resigniert oder gebetsmühlenartig wiederholend. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Für mich ist CSR ein alter Hut und so unfassbar selbstverständlich, dass ich mitunter wirklich nicht auf die Idee komme, dass auch nur irgendjemand auf diesem Planeten nicht weiß, was unternehmerische Verantwortung und damit die entsprechende Auswirkung im Innen- und Außenverhältnis heißt. Dass damit nicht die Unterstützung des örtlichen Fußballvereins gemeint ist, dass Konzerne CSR fürs Marketing instrumentalisieren, dass es nicht klug ist, mit dem CSR-Budget ökologische Projekte finanziell zu fördern, wenn die eigenen Mitarbeiter aber nicht fair entlohnt werden, oder dass die CSR-Abteilung eine einsame Insel im Unternehmen ist oder dass der Erfolg der CSR-Managerin an zwei Nachkommastellen bei der Energieeffizienz der neuen Heizanlage gemessen wird, oder, oder, oder.
Fair gehandelter Kaffee und Wasserkaraffen
Was die ökologische Komponente bei CSR angeht, ist das Messen vordergründig leicht – Papierverbrauch senken, Wasserverbrauch senken, Energieverbrauch senken, fairen Kaffee und Bio-Milch und Bio-Rohrohrzucker in die Kaffeeküche stellen, bei Besprechungen Wasserkaraffen statt Plastikwasser bereitstellen. Die Produktion auf noch mehr Effizienz umstellen. Arbeitsprozesse lean machen. Lieferketten verschlanken. Emissionen und andere ökologische Verschmutzungen reduzieren – nicht nur im Anlagen- und Fabrikbereich, sondern auch beim Fuhrpark!
Das „soziale“ bei CSR
Was die soziale Komponente angeht, steht nach wie vor Vermeidung im Vordergrund. Vermeidung von Ausbeutung und Benachteiligung gleich welcher Art für alle Stakeholder. Weiterbildung und Weiterentwicklung von Arbeitnehmern fördern. Danach kommt die Transparenz: Die Transparenz von Lieferketten – nicht freiwillig natürlich, sondern aufgrund einer neuen EU-CSR-Richtlinie. Und natürlich der Gradmesser, an dem sich das CSR-Verständnis schneidet: gesellschaftliches Engagement im Sinne von Unterstützung für das Gemeinwohl. Ein Running-Gag bei CSR-Gesprächen ist immer wieder die Feststellung: Ach ich hatte gerade ein Gespräch mit XY, aber die machen nur sozial. Zur Erklärung: CSR-Enthusiasten, zu denen ich mich zählen würde, sehen CSR im Kerngeschäft, nicht als Add-On. Deshalb verknüpfe sowohl ich als auch wir bei priomy CSR gedanklich und praktisch mit New Work.
Ich hatte bei der CSR-Komponente „Soziales“ immer die diffuse Ahnung, dass das nicht alles ist, sondern dass sich die internen Maßnahmen, die sich dann auch gerne im Nachhaltigkeitsbericht finden, nach außen in den Standort des Unternehmens, die entsprechende Stadt und Region auswirken – der „Spill-over“-Effekt, den wir auch als Folge von Unternehmensdemokratie sehen. Genau definieren und formulieren konnte ich das nie und mit Zahlen belegen schon gar nicht.
Soziale Standortauswirkungen von Unternehmen
Seit letzter Woche ist das anders. Da las ich den taz-Artikel (Link unten), der Bezug auf den gerade erschienenen Entgeltatlas der Arbeitsagentur nahm. Diese Studie beleuchtet deutsche Städte im Hinblick auf Gehaltshöhe und -verteilung in Relation zur Bevölkerungsstruktur. Ingolstadt, las ich, ist die Stadt der Extreme und steht an Platz 1 bei den bundesdeutschen Bruttoverdiensten. Männer verdienen dort gut 50% mehr als Frauen und rund 90% mehr als ausländische Arbeitnehmer. „Liegt bestimmt an Audi“, dachte ich fast reflexartig und richtig:
„Der Grund liegt u.a. an der Wirtschaftsstruktur dort“, gab Christian Weinert von der Agentur für Arbeit im Artikel zur Auskunft.
Die Wirtschaftsstruktur sorgt übrigens auch dafür, dass nicht alle statistischen Angaben an die Öffentlichkeit gelangen – in diesem Fall keine Zahlen aus dem Landkreis wieviele Menschen in der verarbeitenden Industrie arbeiten:
Es herrsche der „Dominanzfall“, heißt es zur Begründung: Durch amtliche Zahlen könnten geschützte Daten des dominierenden Unternehmens bekannt werden, weil es einen derart hohen Anteil der Statistik bestimmt.
Alleine dieses Phänomen möge einem zu denken geben: Ein Unternehmen sorgt kraft Gesetz für Intransparenz von Daten, die möglicherweise zur Stadt- und Landentwicklung beitragen könnten.
Frauenanteil? Was war das nochmal?
Gründe für den massiven Paygap in Ingolstadt nennt Weinert u.a. dass Audi am Standort mehrheitlich gutbezahlte IngenieurInnen und ElektrotechnikerInnen beschäftigt, also technische Studiengänge die tendenziell immer noch mehr von Männer als von Frauen belegt werden. Alleine, dies taugt noch nicht wirklich als Begründung, denn auch Wolfsburg ist mit VW Autostadt und von der EinwohnerInnenzahl her vergleichbar, hat aber eine bessere Gehaltsbalance – dort verdienen Männer „nur“ 20% mehr als Frauen. Der Gap liegt in der Unternehmensstruktur selbst – der Frauenanteil liegt dort bei 16%, in Wolfsburg schafft man immerhin 20%, bei einer höheren Beschäftigtenzahl.
Frauen arbeiten in Ingolstadt prozentual gesehen nicht in der gutbezahlten Autoindustrie, sondern in den niedriger bezahlten Bereichen: soziale Arbeit, Bildungseinrichtungen, öffentliche Verwaltung, Handel. Ausländische Arbeitnehmer arbeiten mehrheitlich im Niedriglohnsektor, woraus sich auch hier der PayGap erklären läßt.
Weniger Gefälle in den „neuen“ Bundesländern
Interessant ist der Blick in Städte in denen es keine dominierenden Industriebereiche gibt: mehrheitlich ist dort das Gehaltsgefälle niedriger, wo es ein höheres Dienstleistungsangebot gibt. 26 Gemeinden listet der Entgeltatlas auf, in denen Frauen mehr verdienen als Männer. Alle liegen in der ehemaligen DDR, Cottbus ist hier Platz 1. Frauen arbeiten hier in ähnlichen Bereichen wie in Ingolstadt. Der Unterschied: in Cottbus sind die Tariflöhne höher als in Ingolstadt, daher Gehälter der Frauen höher. Im Gegensatz dazu arbeiten Männer in Cottbus eher auf dem Bau oder in der Logistik, Bereiche die niedriger bezahlt werden als in der Autoindustrie. Noch interessanter ist, dass es diesen Gemeinden finanziell dennoch nicht besser geht als in den „Industriestädten“, die Gehälter sind dort weiterhin niedriger.
Gesundheitliche Auswirkungen
Vor rund zwei Jahren unterhielt ich mich bei einer New-Work-Veranstaltung mit jemandem, der bei Audi Veränderungsprozesse begleitet hatte, als Halb-Interner. Er sprach noch eine ganz andere Ebene an, die die Auswirkungen eines Unternehmens auf den jeweiligen Standort haben. Laut seiner Aussagen, profitierte nämlich der medizinische Sektor der Region von Audi und zwar speziell der psychologische Bereich: Die Burn-out- und Depressionsquote sei dank Audi so hoch, dass sowohl Krankenhäuser ausgelastet wären als auch die Terminkalender der Psychologen. Dies ist natürlich nur die Aussage eines Einzelnen und die Prüfung schwierig, daher lasse ich sie hier einfach mal so stehen. Wer dazu etwas sagen kann – ob bestätigend oder verneinend – der/die melde sich bitte gerne.
Fazit
Man mag sich selbst vorstellen, wie Gehalts- und Personalstrukturen sich in die sozio-kulturellen Verhältnisse am Standort des Unternehmens auswirken, denn der Artikel kann m.E. ein Ausgangspunkt für weitere Recherchen sein: Wie viele Kinos, Theater, Museen gibt es am Ort? Wie viele ShoppingMalls? Wieviel Autoverkehr? Wie viele Radwege? U-Bahn, S-Bahn? In welchem Takt fahren Busse? So ließe sich eine komplette Landkarte anlegen, auf der man die sozio-kulturellen Auswirkungen von Unternehmen nachvollziehen kann. Eine Utopie? Vielleicht. Noch. Vielleicht aber auch irgendwann Grundlage einer völlig normalen und selbstverständlichen CSR-Strategie.
Herzliche Grüße
Daniela
Literatur
https://www.taz.de/!5527145/
https://entgeltatlas.arbeitsagentur.de/entgeltatlas/
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