In der aktuellen Transformation von Arbeitswelten hinterfragen wir nicht nur die Änderung von Arbeitsstrukturen. Unserer Ansicht nach sollte sich darüber hinaus vor allem Führung ändern.
Sie soll moderieren, empathisch sein, dienend handeln (wie z.B. bei Servant Leadership), wertschätzend kommunizieren, jederzeit um die Bedürfnisse der Belegschaft und/oder des Teams wissen und offene Türen und Ohren haben. Eine gute Führungskraft ist nach aktueller Lesart also die eierlegende Wollmilchsau. Sind diese Anforderungen realistisch?
Vermutlich nicht. D.h. wer mit diesen Anforderungen eine Stellenanzeige formuliert, sucht nicht nur die Nadel im Heuhaufen, es ist auch fraglich, ob die Nadel überhaupt in dem Heuhaufen steckt, in dem gesucht wird. Was also tun? Gemeinsam haben diese Anforderungen, dass es in die Zukunft gerichtete Wünsche sind, denn niemand kann valide belegen, dass genau diese Anforderungen das Unternehmen erfolgreicher machen. Natürlich soll die geänderte Mannschaftsaufstellung von Jogi Löw dazu führen, dass Tore fallen und möglichst zahlreich. Ob das tatsächlich eintrifft, weiß niemand.
Ein kurzer Ausflug zu McGregors Theorie X und Y
Es ist daher sinnvoll, sich nicht zuerst um die Zukunft zu kümmern, sondern um die Gegenwart und in der gibt es klare Indikatoren, die darauf hindeuten, welche Art von Führungskraft man vor sich hat. Vermutlich kennt jeder die X- und Y-Theorie von Douglas McGregor.
Kurz zur Auffrischung: Die X-Theorie geht davon aus, dass der Mensch, in diesem Fall der Arbeitende, keine Lust hat zu arbeiten und generell extrinsisch motiviert werden muss, d.h. für seine Handlungen oder Nicht-Handlungen belohnt oder bestraft werden muss. Die Y-Theorie schreibt dem Menschen eine generelle innere Motivation zu. Menschen dieses Typs haben Freude an ihrer Arbeit, ist verantwortungsvoll, selbstdiszipliniert und ehrgeizig an der Erreichung von Zielsetzungen interessiert.
Da logischerweise Menschen nicht pauschal in 2 Kategorien gepresst werden können und niemand sein ganzes Leben ausschließlich intrinsisch oder ausschließlich extrinsisch motiviert ist, führte McGregor noch die Theorie Z ein, die beide Komponenten beinhaltet.
Analog zum Menschenbild X oder Y speist sich hieraus auch der entsprechende Führungstyp. Führungstyp X führt autoritär mit Command-and-Control und sanktioniert Fehlverhalten. Mitarbeitende sind für diesen Typ Mittel zum Zweck. Führungstyp Y pflegt einen eher kooperativen und partizipativen Führungsstil. Auch hier sollte berücksichtigt werden, dass Führungspersonen nicht pauschal alle Mitarbeitenden gleich behandeln. Der Führungstyp X kann z.B. seine Peer-Group durchaus auch kooperativ führen.
Die X und Y Theorie ist nicht auf den Arbeitskontext beschränkt
Man könnte annehmen, dass Führungstyp X mit dem Untergang des Taylorismus (zumindest ist der in der New Work Filterblase gefühlt nicht mehr da) verschwunden ist, doch leider ist dem nicht so wie die Realität zeigt. Interessanterweise war McGregors Einteilung nämlich keine neue Erfindung, sondern hat historisch gewachsene und kulturelle Wurzeln. Daher sind diese Theorien auch nicht auf den Arbeitskontext zu beschränken, sondern finden sich ganz tief in unserer Gesellschaft wieder.
Historische Entwicklung des Menschenbildes
Springen wir ganz kühn ein paar Jahrhunderte zurück in ein Zeitalter, in dem es noch gar kein individuelles Menschenbild gab – in die griechische Antike. Da die Antike uns wenig Originaldokumente hinterlassen hat, müssen wir uns auf Editionen der antiken Gedankenwelt verlassen. Diese wurden im lateinischen Europa im frühen Mittelalter in Klöstern angefertigt.
Wir wissen also aus dem Quellenbestand aus Klöstern, Kirchen und Bistümern, dass es in der klassischen griechischen Antike eine Vorstellung vom Menschen in Bezug auf Erde, Himmel und Kosmos gab. Und die fällt nicht besonders vorteilhaft für uns aus. Bis hinein ins 16. Jh. sah man mehrheitlich unsere Erde im Mittelpunkt des Universums, eine geozentrische Weltsicht, die den Mensch als sterbliches, fehlerhaftes und unvollkommenes Wesen definierte.
Erkenne Dich selbst
Der oft zitierte Spruch „Erkenne Dich selbst“, ursprünglich eine Inschrift am Apollontempel in Delphi, verweist nicht auf ein individuelles Selbst (das Wort Selbstbewusstsein kommt erst mit dem Humanismus im 19. Jh. auf), sondern auf die Fehlerhaftigkeit des Menschen: Erkenne Dich als fehlerhafter Mensch in Bezug zum Universum und zur Götterwelt. Der Begriff „Individuum“ (im Sinne von unteilbar) erscheint erst im Lateinischen, die griechische Sprache verwendet das Wort „átomon“.
Römische Spaßvögel und christliches Dogma
Im 4. Jh. n. Chr. erhebt ein römischer Spaßvogel, Konstantin I., das Christentum zur Staatsreligion und verbietet alle heidnischen Religionen und Kulte. In Westeuropa zieht sich dieses Dogma bis weit in die Neuzeit hinein. Das Menschenbild aus der Antike wird adaptiert und geschickt umgedeutet – nicht Vollkommenheit ist jetzt das Ziel, sondern Heilung der Ursünde durch beten und arbeiten.
Die unfrei geborene Mehrheit der Bevölkerung wurde „in einen Stand hineingeboren“ und dies galt als Bestimmung. Arbeiten war gottgefällig.
Es ist die Zeit der „Ordnung durch Ungleichheit“– die gesellschaftliche Ordnung und Stabilität wird durch Ungleichheit hergestellt: Die Lebensaufgabe der Bauern bestand – neben der regelmäßigen religiösen Praxis – darin, Land zu bewirtschaften und dessen Erträge der Kirche abzutreten, damit diese für die Heilung der Ursünde sorgen konnte. Erst mit dem Wachsen der Städte ab dem 12. Jahrhundert formt sich auch die Vorstellung des Individuums und wird eine Hochphase in der Aufklärung erfahren.
Was Frithjof Bergmann und die Aufklärung gemeinsam haben
Die Intellektuellen der Aufklärung teilten sich in zwei Kategorien: die einen – die Atheisten-Fraktion wird es schon ahnen – frönten weiterhin der Gottgefälligkeit. Diese Traditionalisten bewahrten die Idee der Ursünde und verachten den Menschen nahezu. Die Dualität der Lebens- und Menschenbilder ist nicht nur bei Historikern Konsens, sondern auch unsere geistige New Work Basis, Frithjof Bergmann, verweist auf das Menschenbild der Aufklärung (er bezeichnet es als „Januskopf“) und zitiert hier u.a. Thomas Hobbes, „dass das Leben in seinem ursprünglichen Zustand ‚widerlich, brutal und kurz‘ sei“.
Bergmann führt weiter aus:
„Die Grundidee war eher, dass der Mensch im Grunde blutrünstig und wild ist – so, wie man sich Tiere zu dieser Zeit vorstellte – und dass er zuallererst sozialisiert werden muss, indem man ihm die Krallen beschneidet und ihn zähmt.“ (in: Neue Arbeit, Neue Kultur, S. 41)
Demgegenüber formierte sich die zweite Kategorie – es waren mutmaßlich die Hippies der Aufklärung, die eher den Geistes- und Naturwissenschaften zugeneigt waren: Kant (teilweise), Goethe, Schiller, Hegel. Sie gingen davon aus, dass der Mensch sehr abhängig ist und daher „genährt und gestärkt werden muss“ (Bergmann, ebd.). Individualität sollte gefördert und aufgeweckt werden. Bergmann nennt diese Tradition die „lebensbejahende Tradition“.
Goethe und Schiller z.B. gründeten in Weimar das „Weimarer Theater“, das mit den Werken der Weimarer Klassik das Volk mit Kunst und Literatur dazu ermächtigen sollte, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Schiller verfasste die Briefe zur „ästhetischen Erziehung des Menschen“ – mit Erziehung war nicht Zucht und Ordnung, sondern Persönlichkeitsentwicklung gemeint – sinnliche Erfahrung, die zum Verstehen führen sollte, damit Veränderungen umgesetzt werden konnten.
Von Generation zu Generation
Diese historische Entwicklung zweier konträrer Perspektiven auf das menschliche Wesen ist bis heute spürbar. Warum ist sie spürbar? Zu allen Zeiten sind mentale Modelle wie hier das Menschenbild Allianzen eingegangen und trugen sich von Generation zu Generation weiter. Das Bild des zu bändigenden Menschen fand Einzug in Erziehungsmethoden. Sidekick: Auf Frauen wurde dieses Bild verstärkt und in vielen Ausprägungen angewendet und rechtfertigte deren Unterdrückung. Schulen machten aus Kindern uniformierte, sich selbst ignorierende Erwachsene, die dieses Erziehungsergebnis weitergaben – an ihre eigenen Familien, an Arbeiter in den Fabriken, an andere Menschen. An dieser Stelle empfehle ich gerne den Film „Das weiße Band“, der sehr eindrücklich zeigt, was in einer Gemeinschaft passiert, wenn Druck von oben nach unten weitergegeben wird. Fatal ist, dass das „lebensfeindliche“ Menschenbild gut funktioniert, wenn Macht und Kapital eine Allianz eingehen.
Fazit:
Kehren wir wieder an den Arbeitsplatz zurück. Sind wir der Meinung, dass es unserem Unternehmen gut tut, sich künftig partizipativ und kooperativ aufzustellen, dann sollten die dazu passenden Führungskräfte ein Menschenbild haben, das lebensbejahend ist. Dazu braucht es vielleicht auch gar keine neu einzustellende Führungskraft. Vielleicht findet sich dieses Menschenbild längst bei einigen Mitarbeitenden und/oder Kolleg*innen. Könnte doch sein, oder?
Fröhliche Dienstagsgrüße in die Runde
Daniela
Zum Weiterlesen:
Frithjof Bergmann, Neue Arbeit – Neue Kultur
Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen
Bildquellennachweis: pixabay, CC-0 Lizenz, gemeinfrei
Gut beobachtet, aber woher kommen all die command & control führungskräfte?
Ist es nicht so, dass meisten menschen zu beginn ihrer karriere noch eine weitaus menschenfreundlichere haltung am den tag legen?
Der arbeitsauftrag aus dieser haltung an eine führungskraft ist jedoch erstens unklar, zweitens schwierig und riskant und drittens gibt es wenig ‚handlungstemplates‘, an die man sich halten könnte. Wenn also eine neue führungskraft an dieser herausforderung scheitert, was liegt näher als den fehler bei anderen zu suchen: „leider war mein menschenbild zu positiv, die leute brauchen eben jemanden, der durchgreift“.
Was also hilft es, menschen mit anderer haltung zu finden, wenn man ihnen nicht die (führungs)instrumente an die hand gibt, die es ihnen erlaubt, sich diese haltung auch zu bewahren?
[…] liegt auch an der neuen Kultur, die aus der Neuen Arbeit erwachsen wird. Die wird sich in einem lebensbejahenden Menschenbild zeigen, d.h. diese neue Kultur zügelt, zähmt und sozialisiert nicht top-down, sondern erkennt die […]