Mitarbeitende oder Kunden – wer ist wichtiger?

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Wer ist wichtiger für den Erfolg eines Unternehmens: die Mitarbeiter*innen oder die Kunden? Die Frage ist natürlich leicht zu beantworten: Die Mitarbeiter*innen sind wichtiger, denn ohne ihre Arbeit, ihre Leistung und ihr Zutun hätten Unternehmen nichts zu verkaufen, keine Produkte und keine Dienstleistungen. Ohne sie gäbe es schlicht keine Kunden. Andererseits kaufen Kunden Produkte und Dienstleistungen, sie stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Unternehmen und zahlen Rechnungen und somit auch die Gehälter der Mitarbeiter*innen. Ohne Kunden braucht es keine Mitarbeiter*innen, somit sind sie natürlich wichtiger. Möglicherweise liegt die Wahrheit auch in der Mitte: Mitarbeitende und Kunden sind gleich wichtig, sie bedingen einander, können ohne die jeweilige andere Seite nicht existieren und sind daher zwei Seiten einer Medaille.

Wer ist wichtiger für den Erfolg eines Unternehmens: die Mitarbeiter*innen oder die Kunden? Vielleicht finden Sie die Frage albern, eine theoretische Überlegung, ohne praktischen Bezug?! Ich persönlich glaube das nicht; im Gegenteil, sie ist von elementarer Bedeutung und erklärt im Kontext von New Work das eine oder andere existierende Missverständnis. 

New Work – ist bereits alles gesagt?

Vor kurzem fragte mich jemand, ob im Kontext von New Work nicht alles bereits gesagt wäre, was es zu sagen gibt? Und kurze Zeit später veröffentlicht die Holding von XING, dem Business-Netzwerk, das verzweifelt versucht, das Rennen um die Gunst der Nutzer nicht vollends gegen LinkedIN zu verlieren, dass sie sich von XING SE in New Work SE umbenennen möchte. Es gibt wirklich immer weniger, was es nicht gibt. Ich persönlich kann gar nicht die Ebenen zählen, auf denen ich dies „merkwürdig“ finde. Eventuell sollte ich meinem Geschäftsführer direkt vorschlagen, dass wir uns auch umbenennen: Diversity GmbH, Social Social AG, Weltfrieden GmbH & Co. KG – es gibt bestimmt einige schöne Namen, die noch nicht vergeben sind und ungemein wohlfeil klingen. 
Doch ähnlich wie der Versuch von XING geht auch die Frage – ob denn nicht bereits alles gesagt worden wäre – an einem wesentlichen Problem in der Unternehmensrealität vorbei: wer ist der Adressat der Botschaft? In der Tat wurde schon viel gesagt und geschrieben. Über Augenhöhe, Miteinander, Austausch und Partizipation. Über Herrn Bergmann und dass, was „wir“ wirklich wirklich wollen. „Wir“ meint die Mitarbeitenden. Die Menschen, die in großen und kleinen Organisationen landauf und landab oftmals Dinge tun, von denen sie nicht überzeugt sind, von denen sie nicht glauben, dass sie einen sinnvollen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens oder für das Wohl des Kunden beitragen. Dinge, die schon immer so getan wurden, weil irgendjemand in der Vergangenheit dachte, sie wären wichtig und nützlich. Und diese Dinge waren es vermutlich auch einmal. In der Vergangenheit. Manche sind auch in der Gegenwart wichtig und nützlich. Und sie werden es auch in Zukunft noch sein, vielleicht sogar unabhängig davon, ob die Mitarbeitenden dies sehen und anerkennen. Natürlich sollte ein Austausch zwischen den Mitarbeitenden, zwischen Kollegen und Vorgesetzten über die Sinnhaftigkeit solcher Dinge stattfinden, doch dies hat wenig mit New Work sondern eher etwas mit gesundem Menschenverstand zu tun.

Der Adressat der Botschaft

New Work adressiert Mitarbeiter*innen in Unternehmen. Das ist weder gut noch schlecht. Es ergibt wenig Sinn, Herrn Bergmann vorzuwerfen, er hätte die Kunden in seiner Betrachtung außen vor gelassen. Die eine oder andere Meinungsäußerung spricht hier von einem Denkfehler, doch eine solche Auffassung teile ich nicht. Wenn ich etwas über den Mond sage, sage ich nichts über den Mars. Dennoch stellt sich die Frage nach dem Adressat. Und darüber hinaus auch: wen erreicht New Work?
Wer heutzutage nicht glücklich in seinem Job ist, findet leicht Zuspruch und andere Menschen, denen es ähnlich geht. Es wird von Work-Life-Balance geschrieben und so getan, als gäbe es eine Trennung zwischen Arbeit und Leben. Man(n) oder Frau sollte die Zeit, die mit Arbeit verbracht wird, in Einklang mit der Zeit für das verbleibende Leben bringen. „Arbeiten, um zu leben oder Leben, um zu arbeiten“ hieß es früher. Es gibt aktuelle Studien, die besagen, dass ein Großteil der Mitarbeitenden ihren eigenen Unternehmen nicht vertraut. Und immer häufiger wird von sinnstiftendem Austausch zwischen Mitarbeitenden in modernen Firmen berichtet, bei denen zwar im Einzelfall in einer Sparte durch die Geschäftsführung viele tausende Mitarbeiter*innen wegen mangelnder Spartenumsätze entlassen werden, aber das sind nur einzelne Wolken am schönen New Work Himmel.
Worauf möchte ich hinaus? New Work erreicht Menschen, die im besten Sinne für New Work empfänglich sind. Viele Berater*innen machen sich das natürlich zunutze, indem sie das Thema promoten und versuchen, den Menschen „etwas Gutes zu tun. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch; ich meine das nicht kritisch, denn auch dies ist weder gut noch schlecht. Aber: damit werden die Menschen erreicht, die etwas über den Mond lesen wollen und nicht diejenigen, die sich für den Mars interessieren. Es führt in der Folge zu einem steigenden Bewusstsein der Interessenten des Erdtrabanten, zu mehr Wissen, mehr Klarheit und manchmal auch zu konkreten Veränderungen. Gleichgesinnte werden gesucht und gefunden. Neue Formate in Unternehmen und auch außerhalb von Unternehmen entstehen. Und Unternehmen ändern – wenn auch oft eher langsam und Schritt für Schritt – ihre Art zu denken und zu handeln. Das finde ich bemerkenswert und, solange es nicht in die Umbenennung von Unternehmen mündet, wirklich wirklich großartig. 
Und was ist mit den Unternehmen, in denen New Work nur schwer auf fruchtbaren Boden fällt?

Old Work

¡Old Work!

New Work steht gegen Old Work. Old Work steht für ein überholtes System, für ein Arbeiten nach Wasserfall, für Command and Control. Gestern durfte ich auf Twitter lesen, wie sich jemand über die Arbeitsweise eines Weltmarktführers ausließ. Als Antwort wurde die These geäußert, dass das Unternehmen in fünf, spätestens in zehn Jahren kein Weltmarktführer mehr wäre. Ein Argument genau im Sinne von New Work. Wer nicht auf einen Austausch mit Mitarbeitenden achtet, wer nicht für ein sehr gutes Arbeitsklima sorgt, der wird zukünftig keine Chancen mehr haben. Es klingt so schön und nachvollziehbar. Und ich finde: die These ist unbewiesen und vermutlich schlicht falsch. Ein Weltmarktführer ist ein Unternehmen, das in seiner Branche weltweit die beste Arbeit leistet und die besten – nach welchen Kriterien auch immer – Produkte oder Dienstleistungen produziert. Produkte und Dienstleistungen, die von Kunden nachgefragt und gekauft werden. Es gibt bereits heute eine große Anzahl von Weltmarktführern, die sich nicht nachhaltig, nicht umweltschonend, nicht sozial, nicht steuergerecht etc. verhalten. Bestimmt fallen Ihnen leicht ein, zwei oder auch 14 Unternehmen ein. Diese Unternehmen sind Weltmarktführer, jetzt, heute und oftmals auch in fünf oder zehn Jahren noch. Ich weiß nicht, wie sich die Zukunft entwickelt, aber eins weiß ich: obwohl nicht alles toll ist in diesen Unternehmen, obwohl ich persönlich in vielen dieser Unternehmen nicht arbeiten möchte, besitze auch ich das eine oder andere Produkt eines Weltmarktführers. Die Produkte sind Weltklasse! Sie lassen sich leicht in Betrieb nehmen, sind leicht zu bedienen, sie helfen, sind robust oder sehen cool aus. Die Unternehmen bieten guten Support, verständliche Dokumentation und schnelle Hilfe falls nötig. Sie begeistern mich. Und das heißt, dass diese Unternehmen mich als Kunden in den Mittelpunkt gestellt haben. Meine Bedürfnisse und Wünsche. Wie haben sie das getan? Keine Ahnung. Ich sehe als Kunde das Ergebnis, das Produkt oder die Dienstleistung. Ob dies auf alten oder neuen Wegen entstanden ist, kann ich nicht erkennen.

Erfolg ist kein Zufall

Erfolg ist vergänglich. Natürlich. Der Erfolg von Unternehmen in der Vergangenheit ist keine Garantie für den Erfolg in der Zukunft. Als außenstehender Beobachter nehme ich an, dass erfolgreiche Hidden Champions sehr viel richtig gemacht haben. Bestimmt haben sich viele Unternehmer – jenseits aller moderner Buzzwords – schon immer um Mitarbeiter*innen gekümmert. Ich glaube, dass vielen Firmeninhaber oftmals die Namen von sehr vielen Mitarbeiter*innen kennen, dass sie früh morgens durch die Belegschaft laufen und sich nach dem Wohlbefinden erkundigen. Ich glaube, dass sie im besten Sinne verlässlich und klar sind, und oft auch ein offenes Ohr für Verbesserungsvorschläge haben. Ist es wirklich wichtig, ob solche Verbesserungsvorschläge demokratisch bewertet werden? Ist es wirklich wesentlich, ob Unternehmen Boni zahlen oder für eine Gehaltstransparenz sorgen? Vermutlich sind viele solcher Themen nicht so wichtig wie gerne behauptet wird. Eins ist aber klar: Erfolg ist sehr selten Zufall. Meist ist er erarbeitet. Von Mitarbeiter*innen für Kunden. Unabhängig von Old oder New Work.

Das Hidden Hindernis von New Work

Wer ist wichtiger für den Erfolg eines Unternehmens: die Mitarbeiter*innen oder die Kunden? Natürlich sind beide Seiten wichtig. Ohne das eine wird das andere nicht lange existieren können. Und ohne das andere, dreht sich das eine immer nur um sich selbst. Für mich ergeben sich aus dieser Erkenntnis zwei Fragen:

  1. Was muss sich bei wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen ändern, dass sie sich mit New Work auseinandersetzen? Oder wie lässt sich die Notwendigkeit vermitteln, etwas zu verändern, obwohl das Unternehmen erfolgreich ist?
  2. Warum setzen sich viele Unternehmen nicht mit New Work auseinander?

Auf die erste Frage habe ich keine Antwort. Aber auf die zweite: die Kunden verhindern es. Sie stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit, sie fordern Leistung und Qualität. Nicht nur ein bisschen Leistung und Qualität, nicht nur an einzelnen Tagen, sondern kontinuierlich. Das ist für Unternehmen anstrengend und aufwändig, und es ist die Antwort auf die Frage, wer wichtiger für den Erfolg von Unternehmen ist. 

Herzliche Grüße
Michael Schenkel

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Michael Schenkel
  • Old Work: unsplash, freie Nutzung

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