Seit dem Sommer 2018 arbeitet Inga Ketels als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialorganik an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn. In diesem Blogbeitrag erklärt sie, was es mit dem Begriff der Sozialorganik auf sich hat und womit sich das Institut für Sozialorganik beschäftigt.
Wirtschaft neu denken an der Alanus Hochschule
2006 wurde an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn der Studiengang „Wirtschaft neu denken“ ins Leben gerufen. Diesen Studiengang charakterisiert neben einer starken Ausrichtung auf das Thema Nachhaltigkeit auch die Ergänzung um Kunsterfahrung und kulturwissenschaftliche Fächer. Studierende haben die Möglichkeit, bereits während des Studiums praktische Erfahrungen in sozial und ökologisch nachhaltig orientierten Unternehmen zu sammeln und Kunst zu erleben. Das Institut für Sozialorganik, das Prof. Dr. Götz Rehn, Gründer und Geschäftsführer von Alnatura, im Jahr 2007 gegründet hat, steht für einen Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Bei unseren Sozialorganischen Werkstätten und bei unserer Jahrestagung bieten wir Unternehmen, die im Sinne der sozial-ökologischen Transformation bereits solidarische und nachhaltige Beziehungsweisen im Unternehmen leben, die Möglichkeit, ihre neuen Arbeits- und Organisationsformen vorzustellen. Gleichzeitig teilen wir unsere in der Forschung und im Austausch mit den Studierenden gewonnenen Erkenntnisse und bieten künstlerische Interventionen.
Woher kommt der Begriff „Sozialorganik“?
Der Begriff „Sozialorganik“ stammt von Herbert Witzenmann, der den Begriff in Anlehnung an Rudolf Steiners bildhafte Sprache und dessen Theorie des sozialen Organismus entwickelt hat. In der Sozialorganik wird das Unternehmen als sozialer Organismus betrachtet. Sinnvolles, nachhaltiges und soziales Wirtschaften zur freien Entfaltung des Menschen wird somit zur Handlungsmaxime.
Über die Gestaltungsfähigkeit des Menschen
Wir setzen uns am Institut für Sozialorganik mit selbstführenden Organisationen auseinander, die sich organisch und evolutionär entwickeln. Gleichzeitig betont Prof. Dr. Götz Rehn dabei stets die Gestaltungsfähigkeit des Menschen: Menschengemachte soziale Zusammenhänge sind nie einfach nur irgendwie naturwüchsig, sondern sie sind Ergebnis gestaltender Interaktion. Diesen Aspekt finde ich besonders wichtig, denn d.h., dass soziales Miteinander prinzipiell veränderbar und gestaltbar ist. Nur weil sich gewisse Strukturen und Machtverhältnisse fest etabliert haben, heißt das nicht, dass sie immer so bleiben müssen. Oder um es mit Ulrich Sonnemann zu sagen:
“Das Wahre ist das Ganze nicht – es will es durch den Menschen erst werden.”
Mit diesem Grundverständnis von Handlungsmacht und der Möglichkeit bewusster Gestaltung menschlichen Miteinanders grenzt sich das Institut für Sozialorganik bewusst von der Kybernetik ab. Die Übertragung des kybernetischen Verständnisses des Ökosystems als ein sich selbst stabilisierendes System auf menschliche Zusammenhänge empfinde ich als äußerst problemtisch. Allein die Idee, das Ökosystem sei ein geschlossenes System mit einer inhärenten Tendenz zu Stabilität, Balance und einem perfekten Gleichgewicht, das sich immer wieder einfach so von selbst einpendelt, teile ich nicht und sie wurde auch in den Naturwissenschaften längst widerlegt. Und zwischenmenschliche Zusammenhänge lassen sich ohne Macht- und Systemfragen zu stellen meiner Meinung nach nicht verstehen. Wir untersuchen deshalb am Institut für Sozialorganik den dynamischen, veränderbaren und flexiblen Charakter sozialer Zusammenhänge ohne davon auszugehen, dass diese automatisch irgendwie zu Stabilität und Balance tendieren. Der Schwerpunkt meiner Forschung am Institut für Sozialorganik liegt deshalb auf Agilität, Veränderungsprozessen und neuen Arbeits- und Organisationsformen. Dabei beschäftigt mich insbesondere die Frage, wie im Unternehmen Strukturen geschaffen werden können, die eine gleichberechtigte Teilhabe und eine faire Verteilung von Arbeit, Zeit und Geld ermöglichen. Macht – und Systemfragen im Kontext von New Work auszuklammern führt meiner Meinung nach zu einer Instrumentalisierung neuer Arbeitsformen zur bloßen Effizienzsteigerung und somit zur Ausbeutung – und das ist wenig nachhaltig. Und es ist gerade der Kern der Sozialorganik, zu fragen, wie wir organische Maßstäbe für die Art und Weise, wie wir miteinander arbeiten, anlegen und dabei ein neues Naturverhältnis entwickeln können. Dabei geht es sowohl um die äußere Natur, wie auch um unsere innere Natur, die im Zuge von Effizienzsteigerung, Beschleunigung, Gewinnmaximierung und Marktanpassung auch immer mehr ausgebeutet wird. Dem alten aus dem Industriezeitalter stammenden mechanistischen Denkmodell der maximalen Ausbeutung der inneren und äußeren Ressourcen stellt die Sozialorganik ein neues ganzheitliches und ökologisches Paradigma entgegen, das natürliche Rhythmen, natürliche Grenzen und organisches Wachstum beinhaltet.
Kollegiale Selbstverwaltung, Assoziationen und der soziale Organismus
Viele der Konzepte, die in der Sozialorganik ausformuliert werden, wurden von Rudolf Steiner vorgedacht und auch in der Praxis erprobt, wie etwa die kollegiale Selbstverwaltung (z.B. in den Freien Waldorf- und Rudolf-Steiner-Schulen) und die Assoziationen (z.B. Kooperativen wie die Demeter-Höfe). Ansätze zu einer Theorie neuer Formen der Zusammenarbeit finden sich in Rudolf Steiners Nationalökonomischem Kurs. Darin entwickelt er seine Theorie des Unternehmens als sozialem Organismus. Herbert Witzenmann hat diese Überlegungen aufgegriffen und konkretisiert. Heute orientieren sich viele Unternehmen aus dem anthroposophischen Spektrum an sozialorganischen Konzepten, darunter unsere Partnerunternehmen Alnatura, WALA, Weleda, Voelkel und Sonett. Diese nutzen konkrete Ausformungen der Sozialorganik, wie beispielsweise die Wertbildungsrechnung. Mit dieser können wirtschaftliche Prozesse im Unternehmen so abgebildet werden können, dass alle Mitarbeiter*innen sinnvolle Entscheidungen im Einklang mit der Vision des Unternehmens und dem Gemeinwohl treffen können. Auch ohne einen direkten Bezug zur Anthroposophie zu haben, orientieren sich derzeit viele Unternehmen an sozialen, nachhaltigen und ressourcenschonenden Formen der Arbeit. So erprobt etwa auch das Kölner Beratungshaus Synnecta, mit denen wir als Institut für Sozialorganik am 24.6. 2020 eine sozialorganische Werkstatt ausrichten, derartige sinngeleitete Arbeitsweisen.
Kernelemente eines sozialorganischen Unternehmens
Doch was zeichnet eigentlich ein sozialorganisches Unternehmen aus?
- Sinnmaximierung statt Gewinnmaximierung
- Purpose entspricht der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft
- solidarische Beziehungsweisen
- Nachhaltigkeit
- Ganzheitlichkeit
- das Unternehmen als sozialer Organismus
- Dreigliederung (Erläuterung im Anschluss)
- Wertbildungsrechnung (Darstellung folgt)
- alternative Eigentumsformen wie das Stiftungsmodell und Verantwortungseigentum
- neue Organisationsmodelle (Kollegiale Führung, Selbstorganisation)
- Beratungsprozess zur Entscheidungsfindung (konsultativer Einzelentscheid)
- Augenhöhe
- Werte wie Wertschätzung, Respekt, Achtsamkeit
- achtsame formalisierte Kommunikationsformen wie Deep Listening
- ausgeprägte Feedback-Kultur
Sinnmaximierung und Purpose
Was ist das eigene „Warum“ (nachfolgend Purpose genannt)? Sozialorganische Unternehmen haben zumeist einen starken Purpose, einen höheren Sinn, der in Richtung der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft weist. Neben der ökonomischen werden auch die ökologische und die soziale Dimension wirtschaftlichen Handelns in Entscheidungsprozesse einbezogen. Sozialorganische Unternehmen wollen einen Beitrag zu etwas leisten, das über den eigenen Nutzen und Vorteil hinausgeht: Es geht um Sinnmaximierung statt um Gewinnmaximierung. Wie können wir unser soziales Miteinander sinnvoll gestalten? Wie können wir die Arbeitswelt sinnvoll umgestalten? Was ist sinnvoll für Mensch und Natur? Diese Fragen muss jedes Unternehmen für sich in einem offenen Kommunikationsprozess beantworten, um somit zum nicht verhandelbaren Kern, zur Identität des Unternehmens vorzudringen und die eigenen Werte zu definieren. Diese im Unternehmen geteilten Werte geben Orientierung in Entscheidungsprozessen und verleihen Stabilität, welche wiederum die Grundlage für Agilität und Flexibilität ist.
Was uns bei diesem Punkt wichtig ist, ist das eigene „Warum“ zu hinterfragen: Warum organisieren wir uns selbst? Warum wollen wir eine neue Arbeitswelt („New Work“) miteinander gestalten? Was ist unser Purpose? Was genau der eigene Purpose ist, muss natürlich jedes Unternehmen für sich allein herausfinden. Wichtig für uns ist dabei jedoch ein Wirtschaftsverständnis, welches ökonomische, ökologische, soziale und gesellschaftliche Verantwortung miteinschließt. Daraus ergibt sich ein Bezug zur sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft sowie ein Fokus auf Nachhaltigkeit und eine „solidarisch-kooperative Beziehungsweise“, eine „Beziehung der solidarischen Gleichheit“ (Bini Adamczak) innerhalb der Unternehmen. Die Basis dafür ist Transparenz, das Explizitmachen unausgesprochener Strukturen, die Offenlegung von Hierarchien und Machtstrukturen und der Umgang damit, d.h. die Schaffung von Werkzeugen zur Aushandlung einer gleichberechtigten Verteilung von Geld, Arbeit und Zeit. Meiner Meinung nach können hier kreisförmige Organisationsmodelle wie sie in der kollegialen Führung oder in der Soziokratie und Holakratie entwickelt wurden, unterstützend wirken.
Die Dringlichkeit der Hinterfragung des eigenen “Warum”, des eigenen Purpose, wird mir immer wieder bewusst, wenn ich Unternehmen besuche, die sich mit angeblichem „New Work“ zu profilieren versuchen, letztendlich aber doch nur neue Managementmethoden austesten, um immer effizienter zu werden, um wiederum mit der Konkurrenz mithalten zu können und mehr Profit erwirtschaften zu können. Im Zuge der derzeitigen Transformation der Arbeitswelt experimentieren viele Unternehmen mit neuen Arbeitsweisen, um maximale Flexibilität und Agilität zu erreichen, ohne jedoch an den Grundstrukturen etwas ändern zu wollen. Es gibt beispielsweise viele Unternehmen, die derzeit mit Selbstorganisation experimentieren, um schnellere und effizientere Prozesse zu ermöglichen und Innovationen zu erzielen, die schlussendlich aber dann doch nur in die „Effizienzfalle“ tappen, wie es Boris Gloger nennt: „Kosten reduzieren, noch mehr sparen, noch schneller werden, erzeugt keinen Durchbruch.“ Hier setzt die Sozialorganik mit dem Rückbesinnen auf die Sinndimension an.
Selbstorganisation und kollegiale Führung
Sowohl auf der Ebene der Organisation, im Führungsstil als auch in der inneren Haltung (Mindset) der Mitarbeiter*innen besteht aufgrund der derzeitigen technologischen Entwicklungen (Digitalisierung, Plattformökonomie) und sozialer Innovationen unserer Lebenswelt großer Veränderungsbedarf. Insgesamt weicht das frühere Idealbild einer gut geölten „Unternehmensmaschine“ der Idee von einem lebendigen, sozialen Organismus, der von allen Akteuren bewusst gestaltet werden muss. Hier kommt die Selbstorganisation ins Spiel. In sozialorganisch ausgerichteten Unternehmen finden sich zumeist Strukturen, die es den Mitarbeiter*innen erleichtern, sich auf Augenhöhe im Unternehmen einzubringen. Bei Selbstorganisation in sich selbst führenden Teams wird davon ausgegangen, dass sich die Beziehungen und Verbindungen zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft evolutionär und organisch so gestalten, dass die von ihnen verfolgten Ziele so gut und effizient wie möglich erreicht werden. Entscheidungsfähigkeit und Macht werden auf Teams oder Projektgruppen verlagert. Die Verantwortung wird somit auf die Mitarbeiter*innen, also die ausführende Ebene, delegiert. Es bilden sich selbstorganisierte Teams, die auf der Ermächtigung, Beteiligung und Selbstregulation der einzelnen Individuen und vernetzten Teilsysteme beruhen. Wissen und Können wird dabei geteilt, dadurch wissen Teams häufig mehr als die einzelne Führungskraft. Ein Fall von kollektiver Intelligenz. Unterstützend wirken hier neue Organisationsmodelle wie beispielsweise das von Bernd Oestereich und Claudia Schröder entwickelte Modell der kollegialen Führung, eine auf viele Mitarbeiter*innen verteilte dezentrale Führungsarbeit (statt einer zentralistischen Führung der Mitarbeiter). Entscheidungen werden etwa mit dem Beratungsprozess (nach Frederic Laloux) getroffen, wonach jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin in der Organisation jede Entscheidung treffen kann, sich davor jedoch den Rat aller betroffenen Mitarbeiter*innen und von Experten in Bezug auf das jeweilige Thema einholen muss, oder im Konsent. Die neuen Organisationsmodelle orientieren sich an Soziokratie und Holakratie. Sie werden aber flexibel an die jeweiligen Bedürfnisse des Unternehmens angepasst.
Achtsamkeit und wertschätzende Kommunikation
Zentrale Werte in sozialorganischen Unternehmen sind Achtsamkeit, Respekt, Wertschätzung und gute, achtsame und wertschätzende Kommunikation: die Tugend des Zuhörens, des Sich-Hineinfühlens. Anstatt meinem Gegenüber und meiner Umwelt meinen Willen aufzuzwängen und Entwicklungen zu forcieren, die meinen Plänen entsprechen, höre ich dem anderen zu, fühle mich in mein Gegenüber und in die Situation ein. Das ermöglicht eine große Offenheit und schafft Raum für kreative Prozesse, in denen auch das Ungedachte und Unerwartete Platz hat. Die hier entwickelten Prozesse ähneln Otto Scharmers „Sensing“ und „Presencing“ aus der Theory U. Formalisierte Kommunikationsformen wie etwa „Deep Listening“ und eine ausgeprägte Feedback-Kultur integrieren eine Kommunikation auf Augenhöhe in den Arbeitsalltag.
Dreigliederung
Die Sozialorganik betrachtet die Gesellschaft als einen sozialen Organismus, der aus den drei Gliedern des Wirtschaftslebens, des Rechtslebens (die Organisation der Gesellschaft, die Politik, die Verwaltung und das Rechtswesen) und des Geisteslebens besteht.
- Das Wirtschaftsleben entfaltet sich auf der Grundlage des nutzbaren Bodens im Kreislauf der Warenherstellung (Produktion), des Vertriebs (Handel) und des Verbrauchs (Konsum). Es soll nach dem Prinzip der Brüderlichkeit durch Assoziationen geregelt werden.
- Das Rechtsleben umfasst das eigentlich Politische und das Verwaltungsrecht und regelt das Verhältnis von Mensch zu Mensch nach dem Prinzip der Gleichheit in für alle gleich geltenden Gesetzen.
- Das auf Freiheit gegründete Geistesleben wird nicht staatlich reglementiert und umfasst u.a. das gesamte Bildungswesen, Kunst, Religion, technische Erfindungen, sowie auch die Rechtsprechung im Privat- und Strafrecht.
Diese drei Glieder sind interdependent, sie sollen aber voneinander unabhängig sein. Sozialorganische Unternehmen betrachten den Primat der Wirtschaft in unserer Gesellschaft kritisch. Demgegenüber müssten das Rechtsleben und das Kulturleben wieder einen stärkeren Stellenwert bekommen, um das Ideal eines harmonischen Gleichgewichts aus Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu realisieren. Das derzeitige Ungleichgewicht der drei Glieder unserer Gesellschaft führt dazu, dass wir alles zu einem bloßen Objekt degradieren, über das wir frei verfügen und uns zu Nutzen machen können, und dass wir uns selbst als bloße Reiz-Reaktions-Wesen verstehen. Dieser Materialismus führt direkt in die Ausbeutung und zu vielen zeitgenössischen Phänomenen wie etwa der globalen Erwärmung, dem Sterben von Meerestieren durch Plastikmüll, Finanzkrisen, Wirtschaftsskandalen, Mitarbeitern, die bereits die innere Kündigung eingereicht haben, der Zunahme an Fehltagen wegen psychischer Erkrankungen, Burnout und Boreout.
Der soziale Organismus
Die Sozialorganik versteht die Gesellschaft als einen lebendigen, sozialen Organismus. Ein natürlicher Organismus, z.B. eine Pflanze, entwickelt sich seinem genetischen Code gemäß stets typisch. Im Gegensatz dazu ist ein sozialer Organismus menschengemacht und bedarf daher der immerwährenden bewussten Gestaltung durch die Ideen und Handlungen seiner Mitglieder, der handelnden Menschen. Deswegen findet er die für ihn passende Struktur nicht von alleine. Das führt zu zwei zentralen Herausforderungen: Erstens muss das Ziel, wohin man sich in Zukunft bewegt immer wieder neu gegriffen werden. Insbesondere aufgrund der Veränderung der Menschen und des Umfelds. Zweitens ist es eine Herausforderung, die Ziele in einer arbeitsteiligen Organisation Wirklichkeit werden zu lassen. Der Leiter des Instituts für Sozialorganik, Prof. Dr. Götz Rehn, überträgt die Dreigliederung der Gesellschaft auf das Unternehmen als sozialen Organismus:
- Das Geistesleben stellt die Vision des Unternehmens dar, d.h. den Purpose, den (höheren) Sinn, die Vision bzw. das Ziel der Unternehmung.
- Das Wirtschaftsleben stellt die Mission des Unternehmens dar, d.h. die Frage wie gewirtschaftet wird, um die Vision des Unternehmens zu erreichen.
- Das Rechtsleben stellt die soziale Grundlage und Art der Zusammenarbeit im Unternehmen dar.
Für Prof. Dr. Götz Rehn ist die Grundlage wirtschaftlichen Handelns das Geistesleben. Je nachdem welche Vision und Zielsetzung (z.B. Gewinn als Ziel oder den Menschen als Ziel) das Unternehmen hat, wandeln sich die Ausprägungen der anderen beiden Wesensglieder und damit die Leistungen sowie der Leistungserstellungsprozess des Unternehmens. Dies hat deutliche Folgen für das Unternehmen sowie seine gesamten Stakeholder, also alle Personen, Gruppen oder Institutionen, die von den Aktivitäten des Unternehmens direkt oder indirekt betroffen sind oder die irgendein Interesse an diesen Aktivitäten haben.
Alternative Eigentumsformen
In vielen sozialorganischen Unternehmen gibt es alternative Eigentumsformen, wie etwa das Stiftungsmodell von Wala: Eigentümerin der Wala ist die nicht gemeinnützige Unternehmensstiftung Wala Stiftung Bad Boll/Eckwälden. Das Unternehmen kann weder ge- noch verkauft werden; sämtliche Gewinne, die erwirtschaftet werden, bleiben im Unternehmen, werden reinvestiert und teilweise auch an die Mitarbeiter ausgeschüttet. Bei Alnatura hat Prof. Dr. Götz Rehn ein Doppel-Stiftungsmodell aufgesetzt mit einer gemeinnützigen und einer nicht-gemeinnützigen Stiftung, damit Alnatura sich selbst gehört. Auch Sonett und Einhorn haben alternative Eigentumsformen, die auch als „Verantwortungseigentum“ bezeichnet werden. Es geht darum, ökonomische, gesellschaftliche und ökologische sowie ethische und ästhetische Verantwortung miteinander zu verbinden. Gewinne sind dabei kein reiner Selbstzweck, sondern werden als „Saat für die Zukunft“ verstanden.
Ich finde es interessant, dass selbst Unternehmen wie Bosch, Zeiss und Elobau mittlerweile alternative Eigentumsformen haben _ Unternehmenm, die sich bisher noch nicht auf die Sozialorganik beziehen und auch noch nicht damit aufgefallen sind, einen erkennbaren Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft geleistet zu haben. Es war für mich sehr überraschend zu sehen, wie viele und wie unterschiedliche Unternehmen bei der von uns und von der Purpose Stiftung organisierten Eigentumskonferenz im Herbst 2018 im Allianz Forum in Berlin über Verantwortungseigentum diskutiert haben. Es waren über 300 Teilnehmer da, darunter viele Gründer und Geschäftsführer. Ich sehe hier eine große Veränderungsbereitschaft. Die Orientierung an Konzepten wie denen der Sozialorganik kann Unternehmen dabei unterstützen, den für sie passenden Weg zu finden. Sozialorganische Unternehmen haben oft schon eine jahrzehntelange Erfahrung mit sozialverantwortlichem und umweltschonendem Wirtschaften. Deshalb laden wir als Institut für Sozialorganik immer wieder dazu ein, gemeinsam mit uns bei unseren Sozialorganischen Werkstätten diese Unternehmen kennenzulernen, um von ihren Erfahrungen profitieren zu können.
Gegenstromprinzip und Wertbildungsrechnung
Dem Gegenstromprinzip Rudolf Steiners zufolge steht am Anfang eines jeden Wirtschaftsprozesses das Naturprodukt, z.B. wie der Apfel, der am Baum hängt. Dieses Naturprodukt hat an für sich noch keinen wirtschaftlichen Wert. Diesen erhält es erst durch die Anwendung von menschlicher Arbeit (Wert 1), z.B. indem der Bauer den Apfel pflückt und verarbeitet. Durch die Anwendung des menschlichen Geistes auf die Arbeit und den Arbeitsprozess (Wert 2), z.B. durch das Erfinden von Maschinen oder das Optimieren von Prozessen, kann menschliche Arbeit erspart werden. Im Gegenstrom dieser beiden Prozesse bildet sich der wirtschaftliche Wert dieser erbrachten Leistung. Die eigentliche Leistungserstellung, d.h. die Anwendung von Arbeit auf Natur, ist die wirtschaftliche Dimension. Es geht dabei um die Befriedigung von Bedürfnissen. Die geistige Dimension ist hierbei immer auf die Leistungserstellung fokussiert, indem menschlicher Geist auf den Arbeitsprozess angewendet wird. Die rechtliche Dimension findet sich in der Frage nach einem gerechten Preis. Die Frage danach, wie heute ein gerechter Preis in globalen Lieferketten möglich ist, ist wohl die wichtigste Herausforderung unseres heutigen Wirtschaftslebens. Mit der Wertbildungsrechnung können wirtschaftliche Prozesse im Unternehmen so abgebildet werden, dass alle Mitarbeitenden sinnvolle Entscheidungen im Einklang mit der Vision des Unternehmens und dem Gemeinwohl treffen können.
Betrachtet man die Kernelemente sozialorganischer Unternehmen, fällt auf, dass es viele Parallelen zu „New Work“ und zur Demokratisierung der Unternehmensstrukturen gibt. Grundsätzlich geht es darum, „an Mechanismen und Institutionen zu arbeiten, die in der Lage sind, hierarchische Macht demokratisch verantwortlich zu machen“, wie es Anselm Franke einmal formuliert hat.
Wer mehr darüber wissen möchte, kann sich gerne auf der Webseite des Instituts für Sozialorganik umschauen, oder den Blog-Artikel “Die Sozialorganik – Ein mit Sinn ausgerichteter Führungsstil” meiner Kollegin Louise Scharna lesen, den Sie vor kurzem auf Einladung von Dr. Ole Wintermann im Blog “Zukunft der Arbeit” der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht hat.
Herzliche Grüße
Inga
Bildnachweis
- Beitragsbild: ©Alanus Hochschule
- Inga Ketels: ©Alanus Hochschule
- Prof. Dr. Götz Rehn: ©Alanus Hochschule
- Inga bei der Arbeit: ©Alanus Hochschule
- Hände am Baum: ©Alanus Hochschule
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Sehr umfangreich und ausführlich beschrieben. Es passt sehr gut zum Wandel des Arbeitsmarktes.
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