Gutes Personal zu finden und zu halten ist nicht einfach und kostet viel. Um Fehlbesetzungen vorzubeugen, leisten sich große Firmen Assessment Center. Leider sind diese wirkungslos!
Eine starke Behauptung, nicht wahr? Denn seit den 60er und 70er Jahren erfreut sich diese Methodik eines Assessmentcenter (AC) gerade bei der Auswahl von Führungskräften in Unternehmen mit Konzernstrukturen immer noch allgemeiner Beliebtheit. Klassische Unternehmen fahren ganz gut damit. Sie haben ein klares Bild von Jemanden, der ein bestimmtes Anforderungsprofil erfüllen soll und aus dieser Sicht mag so ein Check auch ganz vernünftig sein. Er soll Bewerberverhalten in möglichst fach-und berufsnahen Situationen beurteilen helfen.
Was ist gut am Assessment Center?
- klare Funktionen werden ermittelt
- Schnelle Auswertungen
- kostengünstig – erfasst viele Menschen auf einmal
- sind oft anonym
- Status Quo Analyse der Skills und bringt diese ins Unternehmen
- man bekommt eine Vorstellung von einem existierenden Berufsbild mit theoretischem Input und Simulationen vermittelt
- Ergebnisse werden in Kategorien, Balken, Prozenten und Diagrammen geliefert, die für den Auftraggeber interessant und lesbar sind
Aber das reicht für die heutige Arbeitswelt einfach nicht aus. Was vor drei Monaten im AC herausgefunden wurde, ist heute ohne Relevanz. Es sichert zwar den Status Quo und die Kollegen sind bestrebt, diesen unbedingt zu erhalten allein schon in Anbetracht der vermeintlich sicheren Existenz und Angst vor neuen Verfahren. In den oberen Riegen interessiert sich eh keiner für den Einzelnen. „Du kannst SAP? Alles gut“ Der oberste Chef wird den Mitarbeiter sowieso nie kennen lernen.
„Die Abteilungen müssen funktionieren. Wie gut, dass wir Leute haben, die darein passen. Das Budget muss stimmen und ehrlich, ich habe noch 10 Jahre bis zur Rente und solange ich hier bin, werde ich nichts ändern.“ höre ich auf einer privaten Veranstaltung vom Geschäftsleiter eines kommunalen Unternehmens. Keiner wagt den Blick auf das große Ganze. Der Status Quo bleibt und verhindert Bewegung, Lernfähigkeit und ein gesundes Unternehmensklima.
Machen wir uns klar, wesentliche Potenziale werden nicht gelebt und statt dessen verschleudert. Wie wertvoll wäre es, auch für Großunternehmen über die geforderten und festverankerten Skills hinaus, die wahren Talente und Fähigkeiten herauszufinden, womit sich jemand gerne einbringt? Ein Personalthema ist es auf jeden Fall geworden. Die Boston Consultant Group gab 2008 die HR – Challenges bis 2015 heraus. An erster Stelle steht Talentmanagement, gefolgt von Leadership und Transformation der Unternehmenskultur. Der große Run begann. „Wie finden wir am besten die Talente unserer MitarbeiterInnen heraus, wie identifizieren wir die High Potentials, um sie für uns nutzbar zu machen?“
Warum ist ein AC für die heutigen HR Challenges von gestern und schlichtweg unzulänglich?
Diese Prüfungsmethode mit dem Gründungsspirit von 1920 erzeugt einfach Stress. Die natürliche Reaktion eines Menschen auf starken Stress ist Flucht oder Angriff. Genau diesem starken Stress wird jeder Prüfling ausgesetzt, kombiniert mit diversen Leistungstests und gruppendynamischen Aufgaben. Mit anderen Worten: Der klassische Psychologieansatz „Ich beobachte dich und weiß, wer du bist!” bedient das Hierarchiedenken. Der zu Beobachtende hat keine Verantwortung und ihm wird unterstellt, dass er nicht weiß, wer er ist.
Anfang 2000 habe ich für zwei Jahre Erfahrungen im Personalmanagement gesammelt. Bewerber auf vakante Stellen durchliefen “Assessmentcenter-Situationen”, um uns zu überzeugen, mit ihnen den richtigen Fachmann zu erwischen, an dessen Vermittlung wir schliesslich viel verdienen konnten. Diesem ganzen Prozedere liegen Zwänge der Triade Auftraggeber, Prüfer und Proband zugrunde. (Zwang ist ein durch Gewalt erzeugter Druck auf jemanden, der diesen dazu bewegt, etwas gegen seinen Willen zu tun!)
Der Zwang des Auftraggebers, die besten Leute zu bekommen, die mit ihren Skills ins Konzept passen, der Zwang des Prüfers, anhand der besten Analysenmodelle die besten und kompetentesten zu liefern und diese auch als Alibifunktion zu nutzen, wenn der Bewerber nach Einarbeitung und Probezeit trotzdem nicht ins System passt. Und der Zwang des Probanden, sich unbedingt passend zu machen.
Ein Teufelskreislauf. Erwartungen und Anforderungen an andere, von anderen und an sich selbst, einzig mit dem Ziel, Geld zu machen. Ansehen zu gewinnen: “Ich habe es geschafft, ich werde genommen.” In Klammern, ich funktioniere gut. Nur, wie steht’s um die Leidenschaft? Gibt es eine Vision? Intrinsische Motivation? Eher so etwas wie geile Triebe, die irgendwann in sich zusammenfallen.
Aber ich habe verstanden, dass der Mensch komplex ist und je nach Kontext unterschiedlich reagiert. So gibt es z.B. Menschen, die unter Stress zu Allem Ja sagen während andere Verneinen. Es gibt welche, die wie ein Fels in der Brandung stehen und unter Stress an der Brandung zerbrechen, es gibt welche, die drohende Gefahren wittern und die Flucht ergreifen, es gibt welche, die unter Stress erst einmal ausgiebig reflektieren müssen bevor sie eine Entscheidung treffen oder ein Wort herausbekommen. Wie soll das ein psychologisch geschulter Bewerter / Prüfer verstehen, das sich dahinter Talente verstecken, wenn er sich lediglich auf seine Analysetools verlässt?
Für alle Beteiligten ist ein AC hochgradig stressig und liefert letztendlich fragwürdige Ergebnisse. Trotzdem werden sie gebetsmühlenartig wiederholt. Könnte es sein, weil es schon immer so gemacht wurde? Oder fehlt ganz einfach der Mut, Macht abzugeben, den gesteckten Rahmen mit innovativen und kreativen Ideen zu öffnen?
Zum Beispiel, den Menschen zuzuhören, sie zu verstehen und Vertrauen zu schenken? Da fällt mir Steven M.R.Covey zu ein, von dem ich 2006 auf einem Kongress in Santa Fe “Speed of Trust” gelernt und erfahren habe. “Vertrauen ist ein extrem ökonomischer Faktor, macht die Menschen erfolgreicher, erzeugt ein stärkendes Klima und erreicht überdies eine Transformation der Unternehmenskultur!”
Mittlerweile benutzen Firmen sogar alternative Namen für ein solches Testverfahren, um den Teilnehmern mit der Einladung zu einem AC die damit hervorgerufenen Ängste zu nehmen. (Quelle: Wikipedia). Wer aber unter Angst steht, kann sein Potential nicht ausreichend ausschöpfen und zeigen, er wirkt uninteressanter oder flacher. Was hält uns eigentlich davon ab, die neurobiologischen Erkenntnisse aus der Hirnforschung zu verstehen?
Assessment Center und Potenzialanalysen sollen auch in Schulen helfen, Talente frühzeitig zu erkennen. Sie gehören seit 2016 zum Pflichtprogramm. Wie zum Beispiel bei Timo im Gymnasium. Der 15 jährige Schüler fand die Aufgaben mit dem Berufsausbildungspass „ganz lustig“. „Bei den Übungen beobachtet zu werden war komisch aber ansonsten war es toll, es gab ja keinen Unterricht. Abschließend wurde das Fazit mitgeteilt. Etwas Soziales soll ich machen– dabei fahre ich total auf Physik ab und ich schreibe auch gerne. Das haben die überhaupt nicht entdeckt.
(Werner Sarges (2009): Warum Assessment Center häufig zu kurz greifen und zudem meist das Falsche zu messen versuchen. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 53, 79-82.)
Kritiker bestreiten die Tauglichkeit der Methodik bzw. die Wirksamkeit, demnach sind Manipulationsmöglichkeiten und Interessenskonflikte die stärksten Indikatoren für den mangelnden Nutzen. Außerdem wird die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die tatsächlichen Anforderungen angezweifelt. Kritisiert wird auch die starke Konzentration auf die Persönlichkeit des Teilnehmers. Bislang ist der Organisationspsychologie der Nachweis nicht gelungen, dass Menschen mit bestimmten Eigenschaften besonders erfolgreich führen können. Dies wird damit begründet, dass gewisse Eigenschaften, wie etwa Intelligenz, von Menschen ganz unterschiedlich in Verhalten umgesetzt werden.
Halten wir abschließend fest: Bei einem AC handelt es sich um künstlich hergestellte ‚Situationen‘ in denen Konkurrenten gegen einander getestet und abgewogen werden, so werden Bewerber beurteilt wie Laborratten.
Diese Situationen weichen vom echten, kollegialen Miteinander in der Unternehmung absolut ab. Der Experte ist wiederum ein Außenstehender, der bewertet und sich damit nicht auf Augenhöhe befindet. Assessment Centern haftet eine Zurückentwicklung in alte Hierarchiestrukturen an. Sicher, es wird immer Menschen geben, die autokratische Führung brauchen.
Demokratie muss man wollen und können: Je größer die Unternehmen desto mehr müssen die Leute die Skills und Funktionen erfüllen und das Menschliche außenvorlassen.
Je kleiner das Unternehmen, desto mehr wird auf die Ganzheitlichkeit – auf das ganze Potenzial – geachtet werden, weil alle den ganzen Tag miteinander zu tun haben und die Aufmerksamkeit auf das lenken, was Sinn macht.
Jeder hat doch die Wahl, oder?
Herzliche Grüße
Christiane
Literatur
- Buch: Steven M.R.Covey – Schnelligkeit durch Vertrauen, Gabal
Bildnachweis
- Beitragsbild: pixabay, lizenzfrei
- Grafik Interessenkonflikt: Friedrich Graf, CC BY-SA 3.0
[…] C. (2017): Talente finden, Teil 1: Assessment Center war gestern. Blog der […]