Wer kennt es nicht: Das Mitarbeitergespräch als mindestens jährliches Ritual. Alle Mitarbeitenden sollen zu ihren Vorgesetzten und – im besten Falle – in einem Dialog auf Augenhöhe gemeinsam die erbrachten Leistungen besprechen, zukünftige Ziele und die Weiterbildung erarbeiten. Für die Mitarbeiter:innen ist das zwar ein überschaubarer Aufwand, allerdings führt er in der Breite der Belegschaft meistens zu Frustrationen. Schlimmer noch für die Führungkräfte, denn die führen immer soviele Gespräche wie ihnen Mitarbeiter:innen unterstellt sind. Wirklich Lust haben ebenfalls die wenigstens drauf, denn sie bekommen ja (in)direkt mit, was ihre Untergebenen davon halten. Warum also sollte dieses Ritual eigentlich aufrecht erhalten werden?
Mitarbeitergespräch: Ziele
Wozu dient das Mitarbeitergespräch (MAG) eigentlich? Es soll einen kommunikativen Raum zur Verfügung stellen, in dem folgende klar definierte Ziele erarbeitet werden können, die in der täglichen Kommunikation keinen Platz finden:
Rückschau
- Bilanzierung der vergangenen Arbeitsperiode der MitarbeiterInnen
Vorausschau
- Eignungsschwerpunkte der Mitarbeitenden(neu) bestimmen
- Reflexion von Zusammenarbeit und Führung
- Vereinbarung über Ziele und Aufgaben der kommenden Arbeitsperiode
- Entwicklungsmaßnahmen
Dabei wird schnell klar: Das MAG ist ein Führungsinstrument für klassische formal-fixierte Hierarchien. Die jeweiligen Führungskräfte führen mit ihren Untergebenen die Gespräche, die wiederum die Grundlage für verschiedene traditionelle Folgeprozesse sind: (Gemeinsam) definierte Aufgaben und Ziele abarbeiten, Fort- und Weiterbildung sowie Karriere- und Gehaltsentwicklung der Mitarbeiter:innen. Dabei gerät das MAG selbst im Rahmen relativ konservativer Unternehmensführung (top-down über formal-fixierte Hierarchie) immer mehr in Misskredit. Zur Zeit gibt es auffällig viele Artikel (zB. Washington Post, Wirtschaftswoche) und sogar gleich ganze Bücher (s.u.), in denen das MAG selbst in diesen Umfeldern stark kritisiert wird. In demokratisch verfassten Organisationen und Unternehmen wird es indes vollkommen sinnfrei. Dazu gleich mehr, jetzt erst einmal ein Blick auf die wirtschaftliche Seite des MAG.
Mitarbeitergespräch: Kosten
Um beurteilen zu können, ob ein (Führungs-)Instrument geeignet ist, muss unter anderem natürlich auch die Frage von Aufwand und Ertrag geklärt werden. Im Falle des MAG ist der Aufwand relativ leicht zu beschreiben, der Ertrag hingegen bleibt recht nebulös.
Vorbereitung
- Planung (Zeit, Raum): Stundensätze der Führungkräfte + Personaler
- Inhaltliche Vorbereitung: Stundensätze der Mitarbeitenden und Führungskräfte
- Eventuell Trainings zur Durchführung (Kosten des Trainers (Honorar + Spesen), Fahrt-, Hotel- und Ausfallkosten der TeilnehmerInnen)
Durchführung
- Stundensatz der Mitarbeiter:innen
- Stundensätze der Führungskräfte (1 Stundensatz x Anzahl der geführten Mitarbeiter:innen)
- Raum- und Materialkosten
Auswertung
- Stundensätze der Mitarbeiter:innen (sofern sie auswerten und das Ganze nicht einfach vergessen)
- Stundensätze der Führungskräfte
- Stundensätze der Personaler
Neben diesen offensichtlichen und objektiv beschreibbaren Kosten kommen noch die Kosten für unerwünschte Nebeneffekte hinzu: Demotivation. Dies ist, wie meistens in anderen Zusammenhängen auch, wenn überhaupt nur sehr schwer zu beziffern.
Mitarbeitergespräch: Probleme
Selbst in traditionell geführten Unternehmen führt das MAG immer wieder zu Problemen. Interessanterweise sind die Argumente der bisherigen Kritiker teilweise gar nicht so besonders stichhaltig. Da wird zum Beispiel beanstandet, dass es doch unsinnig sei, Mitarbeitende, die man eingestellt habe, weil sie gut seien, jährlich zu beurteilen. Dieses Argument ist fragwürdig, denn der Einstellungsprozess ist keine Garantie dafür, dass die neuen Kolleg:innen tatsächlich so gut sind, wie sie eingeschätzt wurden. Und wie entwickeln sie sich über die Zeit?
Die wirklichen Probleme liegen anderswo. Erstens ist es vor allem fraglich, warum eigentlich Mitarbeitende in ihren Einzelleistungen jährlich beurteilt werden sollen? Das in einer Zeit, in der schnelles gemeinsames Handeln wichtiger denn je ist. Dauernd wird das Hohelied der Kollaboration gesungen, aber Mitarbeiter:innen werden weiter einzeln beurteilt und belohnt (oder bestraft). Zweitens wird mit dem Vorgehen eine althergebrachte, formal-fixierte Hierarchie immer weiter zementiert, Jahr für Jahr. Der Chef beurteilt die Untergebenen und wird so zu seinem ökonomischen Scharfrichter, denn am Ende ist die Summe der MAG mitentscheidend, ob jemand die gewünschte Gehaltserhöhung bekommt oder die nächste Karrierestufe erklimmt.
Dann greifen noch ein paar der bereits an anderen Stellen erwähnten Probleme: Warum sollten Fehler oder schwache Leistungen nicht sofort sondern erst Monate später besprochen werden? Erstens ist das menschliche Erinnerungsvermögen ausgesprochen löchrig, das läuft in der Psychologie unter dem Terminus “false memories”. Die subjektive Wahrnehmung ist ebensowenig zuverlässig, wie die anschließende Erinnerung daran. Deshalb sollte Feedback beziehungsweise Auswertungsgespräche möglichst zeitnah geführt werden. Zweitens sollten die angestrebten Lernprozesse möglichst schnell integriert werden, anstatt noch Monate lang mit demselben nicht zieldienlichen Verhalten weiterzumachen. Zudem führen die für MAG typischen Zielvereinbarungen zu den durch die Beyond Budgeting Vertreter klar beschriebenen Problemen. In Deutschland hat das Niels Pfläging mit seinem Buch “Führen mit flexiblen Zielen” bestens erläutert.
Mitarbeitergespräch: Alternativen
Die allereinfachste Alternative besteht darin, den ganzen Zauber einfach abzuschaffen und sich die damit verbundenen Kosten zu sparen. Allerdings muss dann im Arbeitsalltag mehr und besser kommuniziert werden, damit die oben beschriebenen Lernprozesse möglich werden.
Eine hochgradig sinnvolle weitere Alternative liegt in einem selbstgeführten (mindestens) jährlichen Team- oder Arbeitsgruppengespräch.
- Dabei gibt es nicht nur die Vorgesetzten als Gesprächspartner:innen, sondern zusätzlich selbstgewählte Gesprächsleiter:innen.
- Zweitens liegt der Fokus auf der Kollaboration und nicht auf den Einzelleistungen.
- Drittens sollte der Fokus der Rückschau nicht die Analyse einzelner Fehler oder Leistungen sein, sondern deren Musterbildungen. Denn die können nur in der längeren Rückschaue herausgearbeitet werden. Dann würde der zeitliche Abstand auch einen wirklichen Mehrwert bieten, der direkt nach einem Ereignis gar nicht abzurufen wäre. Ergo lautet mein Plädoyer:
Schafft das Mitarbeitergespräch ab und ersetzt es durch kurzschleifige Kommunikation und jährliche selbstgeführte Teamgespräche.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Literatur
- Trost, A. (2015): Unter den Erwartungen – Warum das jährliche Mitarbeitergespräch in modernen Arbeitswelten versagt. Wiley-VCH.
Bildnachweis
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Tja, einerseits aus vollem Herzen ja, wenn es um den zeitlichen Aufwand und die Form geht. Und andererseits: auf keinen Fall! Natürlich kann man sich auch zwischendurch Zeit nehmen, was auch ritualisiert geschieht. Aber sich wirklich mal intensiv miteinander befassen, wie es ein jährliches Gespräch idealerweise vorsieht, bringt z.B. Regelungsbedarf auf beiden Seiten auf. Gruppenmeetings werden den Einzelnen nicht gerecht.
So dachte ich bis vor 5 Jahren auch. Bis mit eine Kollegin auf die Frage, warum sie denn nicht auch mal zu einem Innovations-Workshop kommen mag sagte: “Was soll ich lange warten und dort über was quatschen, wenn ich etwas, das mit in meiner Arbeit lähmt nicht sofort mit den Beteiligten abzustellen versuche.”
Fazit: Keine Rabattmarken kleben sondern direkt die Kuh vom Eis holen. Und das auf allen Ebenen. Dann braucht es auch kein Mitarbeitergespräch mehr, denn die Gelegenheiten gibt es so zu Hauf, und nicht so unnatürlich …