Neulich zuhause. Abends. Irgendwie keine Lust mehr zu arbeiten, hatte schon genug getan, ein kreatives Päuschen stand an. Wobei: So richtig kreativ war ich auch nicht mehr. Mir war eher nach konsumieren zumute. Und so scrollte ich durch das Streaming-TV Angebot und blieb immer wieder bei einer Komödie aus dem Jahr 2015 mit Robert DeNiro hängen: “Man lernt nie aus.” Vielleicht auch, weil ich mir intuitiv etwas davon versprach. Und tatsächlich: Nachdem ich die Glotze schon längst ausgeschaltet hatte und meine Gebiss (noch das naturgegebene) mit einer stark vibrierenden elektrischen Zahnbürste (das ist Fortschritt) für die Nacht auf glänzenden Vordermann brachte, kam mir die Idee zu diesem Beitrag: Der Film ist gerade für Unternehmensdemokraten und solche, die es werden wollen, ein lohnenswerter Zeitvertreib. Er macht nämlich klar, wie idiotisch das Modell einer alles steuernden Geschäftsführung ist, das Bild des gottgleichen Patriarchs, auch wenn er sich ebenso zeitgemäß wie opportunistisch in der Hülle einer jungen adretten Frau versteckt und einen Beitrag zur Quotenregelung leistet.
Achtung liebe Leserin, lieber Leser: Wenn Du weiterliest, verrate ich Dir nicht nur den Plot, sondern muss, um den Film hier fruchtbar zu nutzen, auch das Ende der Geschichte erzählen. Wenn Du den Film noch unvoreingenommen erleben willst, musst Du jetzt leider erst mal aufhören, weiterzulesen. Du kannst dann ja später wiederkommen (würde mich freuen). Aber ein bisschen Werbung für meine Sache erlaube ich mir: Das Ende ist absehbar, ist eben ein mehr oder minder typisch amerikanisches Durchschnittswerk ohne geistreich kreative Wendungen. Du könntest also eigentlich weiterlesen und den Film dann anschauen – oder es auch gleich lassen… Der Trailer hilft vielleicht bei dieser Entscheidung:
Jules, die Gründerin und Geschäftsführerin eines erfolgreichen E-Commerce Start-ups ist am Rande totaler Erschöpfung. Aber warum bloß? Es ist herrlich anzusehen: In der ersten Einstellung sitzt sie im Call-Center Bereich und beschwichtigt eine Kundin, der zur Hochzeit das falsche Kleid geliefert wurde. Dann hastet sie weiter, gestern, heute, morgen; ist mal hier, mal dort, bestimmt welche Fotos auf dem Frontend für die Kundenansicht groß und klein sind, wie groß eine Ziffer auf einem Foto dargestellt wird und erläutert nach einer Testbestellung zu sich nach Hause den Damen im Versand, wie sie zukünftig die Ware verpacken sollen. Dazwischen kümmert sie sich natürlich um die Entwicklung des Geschäfts, diskutiert Kennzahlen-Analysen und muss dann irgendwann, als ihr die Investoren die Pistole auf die Brust setzen, einen Geschäftsführer aussuchen. Kurzum: Geschäftsführung durch Mikromanagement in Reinform.
Wen wundert es bei dieser zwanghaften Steuerungswut, egal wie kompetent und mit wieviel Gespür sie ausgeführt wird, dass jemand, egal wer, früher oder später zusammenbricht? Natürlich geht das auf Kosten des Privatlebens, natürlich fühlt sich der Ehemann (oder wie vermutlich im echten Leben meistens noch: die Ehefrau) vernachlässigt und geht auf Suche, ganz zu schweigen von den Kindern. Im Film soll die Wachstumskrise durch eine erfahrenere Geschäftsführung bewältigt werden, wobei alle Kandidaten natürlich Männer sind. Der analysiert dann und macht anschließend die Ansagen, wie alles besser organisiert und koordiniert werden muss, damit der Laden nicht im Chaos versinkt. Ja, und irgendwie könnte das für Jules Privatleben auch eine Lösung sein. Hätte sie dann nicht endlich die ach so bitter nötige Zeit, um die Ehe vielleicht noch zu retten und die Beziehung zur Tochter zu heilen? Aber ja, keine Frage. Also: Her mit dem Geschäftsführer, auch wenn Jules das verdammt schwerfällt, denn sie liebt ihre Arbeit so sehr, brennt dafür Tag und Nacht. Aber: Die Angst, am Ende alleine begraben zu werden, nicht neben ihrem Mann zu liegen und die Tochter zu verlieren, lassen sie einsichtig werden. Kurz vor Schluss hat sie dann doch noch einen gefunden.
Nachdem sie eine Nacht drüber geschlafen hat, sucht sie Rat bei Ben, einem Seniorenpraktikanten (Robert DeNiro), der schon seit einiger Zeit in der Firma arbeitet. Ein cooler Kniff, denn die Senioren wollen einfach nur ein bisschen arbeiten ohne Geld zu verdienen, um dem Gefühl zu entrinnen, auf dem Abstellgleis zu stehen. In den Wochen seiner Mitarbeit ist Ben jedoch längst zur absoluten grauen (im wahrsten Sinne) Eminenz geworden ist, einer den alle lieben, weil er ganz simpel allen aus der Lässigkeit seines gelebten Lebens mit Respekt, Wertschätzung und Humor begegnet. Und weil die Oldschool doch auch so ihre Vorzüge gegenüber der Generation Y hat (Stofftaschentücher zum Beispiel). Ben ist aber auch noch zum väterlichen Freund geworden, der ruhende Fels, an dem sich Jules festhalten und ausruhen kann. Folgerichtig fragt sie ihn bei dieser im Film letzten großen Entscheidung, was er denkt. Und dann bricht sich das Klischee Bahn, entblößt sich die Regisseurin ihrer grenzenlosen Naivität in Sachen Geschäftsführung:
Ben singt ein Hohelied auf Jules großartige Leistung. Sie war es, die das Unternehmen gegründet und aufgebaut hat, es ist ihre Seele, die der supermodernen, coolen und natürlich mit hundert 27 Zoll iMacs bestückten Firma Leben einhaucht; es war ihr Traum, der wahr geworden ist und er, Ben, hatte niemals so etwas geleistet. Und nur um die Ehe zu retten – schließlich ist der Ehemann ja alleine für seinen Ehebruch verantwortlich – soll sie das alles aufgeben? Es finden sich schon andere Lösungen, aber sie sei die unersetzbare wahre Geschäftsführerin, niemand kennt das Unternehmen in all seinen Details so gut wie sie. Wer, wenn nicht sie, sollte diesen neuen Start-up Stern in die Zukunft führen? Natürlich hat Jules über Nacht ohnehin die gleiche Meinung entwickelt und sagt dann dem avisierten Geschäftsführer wieder ab. Und selbstverständlich kommt der Ehemann dann noch in die Firma, nimmt alle Verantwortung auf sich und macht einen Kotau vor dem unternehmerischen Genie seiner Frau.
Zu keiner Sekunde kam auch nur irgendjemand auf die Idee, dass das durchaus realistische Wachstumsproblem gemeinsam gelöst werden könnte und keine zentralistische Geschäftsführung braucht. Jules müsste sich dann nicht mehr zerreißen, alles kontrollieren und anschließend anweisen, wie es besser zu machen sei. Sie könnte, anstatt sich im Klein-Klein zu verlieren, aufzureiben und ihre privaten Beziehungen zu zerstören, auf das fokussieren, was den Kern ihres Unternehmens ausmacht; sie könnte ständig die Rahmenbedingungen verbessern, damit ihre MitarbeiterInnen ihre Talente und Leidenschaften entfalten und auch all ihre Kreativität mit einbringen könnten. Ach ja: Und vielleicht müsste das Unternehmen auch gar nicht so schnell wachsen, sondern könnte es einfach gemächlicher angehen. Unternehmensdemokratie könnte eine Lösung für alle im Film aufgezeigten Probleme sein. Sowohl für die Firma, als auch für Jules professionelle Erschöpfung und damit für ihr im Zerbrechen befindliches Privatleben. Statt dessen suggeriert uns die Regisseurin Nancy Meyers, dass der Neuanfang in matriarchalischen Patriarchat liegt. Die allwissende Mutter wird’s schon wuppen.
Herzliche Grüße
Andreas
Bildnachweis
- Beitragsbild: Eugène Delacroix: Die Freiheit führt das Volk, gemeinfrei
- Stofftaschentuch: Wongx, gemeinfrei
[…] Zukunftsvorraussage an Hand von Ursache-Wirkungs-Prozessen, werden so ganz schnell Kontrollfreaks. Wie die Chefin, die ihr Unternehmen mittels Mikromanagement führt, weil (nur) sie Gesetze zu kennen glaubt, die am Ende über Erfolg und Misserfolg entscheiden. […]