Unternehmensdemokratie und Sprache, Teil 1

Im Rahmen einer Diskussion des Autorenteams über einen neuen Blogpost ergab sich die Idee zu diesem Beitrag. Conny und Andreas setzten sich mit der Frage auseinander, inwiefern es für einen konstruktiven Diskurs sinnvoll ist, Fachbegriffe zu nutzen: Sind Begriffe wie “Unternehmensdemokratie” eher nützlich, um ein Verständnis der erfolgreichen Führung und Gestaltung von Unternehmen zu erzielen? Oder sind solche Begriffe eher hinderlich, weil Menschen dazu neigen, sich hinter ihnen zu verstecken? Brauchen wir überhaupt solche Begriffe und die damit verbundenen Konzepte?

Andreas: Ich mach mal den Aufschlag Conny. Du hattest geschrieben, der Begriff der “Demokratie” und somit der Unternehmensdemokratie polarisiere zu stark und ließe keinen empathischen inhaltlichen Diskurs zu. Das ist, wie ich finde, eine starke Formulierung. Du hattest nicht geschrieben, dass der Begriff eine empathische Auseinandersetzung erschweren würde, sondern nicht zulässt. Also mit anderen Worten: ausschließt. Wie kommst du darauf? Welche Erfahrungen hast Du gemacht, die Dich zu einer solchen Generalisierung bringen?

Dethloff #1
Conny Dethloff, Senior Manager Business Intelligence, Otto Group

Conny: Erst einmal danke für die Idee zu diesem Dialog, Andreas. Ja, ich glaube das die Verwendung von Fachbegriffen eher hinderlich als förderlich für eine inhaltliche Verständigung ist. Das meine ich nicht grundsätzlich, sondern in einem bestimmten Kontext, den ich kurz beschreiben möchte.
Fachbegriffe, die Du beispielsweise in Deinen Sätzen verwendest, teile ich meine interpretierte Bedeutung zu, nicht Deine. Wenn nun unsere beiderseitig hinein gelegte Bedeutung in die Fachbegriffe unterschiedlich ist, haben wir natürlich ein Problem in der Verständigung, da wir gar nicht merken, dass wir uns nicht verstehen. Der Dialog liegt dann quasi im blinden Fleck.
Dieser blinde Fleck wird dann in Dialogen auch nicht verlassen, weil wir es verlernt haben, einander zuhören zu wollen. Um es mit Herbert Pietschmann zu sagen: “Wir führen dialogische Schattenkämpfe.” Dazu aber später mehr.
Fachbegriffe tragen also nur dann zu einer verständlichen Diskussion bei, wenn die Bedeutung hinter diesen Begriffen vergemeinschaftet ist. Insbesondere bei dem Begriff “Unternehmensdemokratie” sehe ich das noch nicht ganz. Hier haben wir ein To Do.
Ich bin ein Freund davon, in Diskussionen von den Fachbegriffen weg zu kommen, hin zu einer allgemein verständlichen Beschreibung dessen, was man mit den Fachbegriffen eigentlich meint. Wie Einstein schon sinngemäß formulierte: “Hast Du etwas nicht verstanden, kannst Du es auch nicht einfach verständlich erklären.”
Bist Du der Meinung, wir haben den Begriff “Unternehmensdemokratie” bereits ausreichend und einfach verständlich beschrieben? Welche Erfahrung machst Du mit der Verwendung von Fachbegriffen in Diskussionen?

az und Hinterkopf
Dr. Andreas Zeuch, live bei einem Vortrag im Februar 2016

Andreas: Ich sehe das ähnlich wie Du, allerdings radikaler. Aus meiner Sicht funktioniert nicht nur die Fachsprache konnotativ, sondern jegliche Sprache. Will heißen: Alles was jemand sagt, wird von anderen, die es lesen oder hören immer durch deren subjektiven Filter interpretiert. Deshalb bin ich bis heute von der Dialog-Methode nach David Bohm begeistert, die durch Entschleunigung des Gesprächs den Raum schafft, endlich wieder intensiv hinzuhören und dabei auch noch die eigenen Reaktionen auf das Gesagte zu beobachten. Eine meiner Erkenntnisse auf die ich stolz bin, hatte ich im meinem vorletzten Buch “Feel it! Soviel Intuition verträgt Ihr Unternehmen” publiziert: “Das eigentlich Missverständliche ist das scheinbar Selbstverständliche.” Und deshalb glaube ich, dass Fachbegriffe das geringere Problem sind, da diese auf einer kommunikativen Metaebene den meisten Nutzern als Fachbegriffe bewusst sind.
Damit wären wir bei meinen Erfahrungen: Ich hatte den Begriff für mich und mein aktuelles Buch bewusst gewählt – und nicht “Selbstorganisation”, was ich bereits in einem anderen, interessanterweise viel gelesenen, Blogpost erläutert habe. Ja, der Begriff polarisiert und emotionalisiert. Das bringt Menschen aber schneller in einen lebendigen Diskurs, als über eher technisch anmutende Begriffe wie Selbstorganisation oder Agiltät zu reden – oder überhaupt keinen Fachbegriff zu verwenden. Ich habe es im Vorfeld noch nie geschafft, mit allen Vorträgen, Barcampsessions, Workshops etc. mit den TeilnehmerInnen in einen intensiven und hochengangierten Diskurs zu kommen. Da gibt es erst mal viel Spannung und Reibung und die kann dann konstruktiv transformiert werden in eine fruchtbare Auseinandersetzung.
Meine abschließende Frage für heute an Dich: Wie sollen wir denn ohne Fachbegriffe auskommen? Ein Fachbegriff umfasst eine bestimmte Konzeptualisierung des Gemeinten. So wie ich beispielsweise ein Kapitel in meinem aktuellen Buch darauf verwendet habe, Unternehmensdemokratie als Begriff und Konzept greifbarer zu machen.
Conny: Einig im Kontext der Sprache. Deshalb ist ja auch ein sensibler Umgang mit Sprache und insbesondere mit Fachbegriffen so wichtig.
Umgangssprache, wie der Begriff “Hund” ist mittlerweile bedeutungstechnisch vergemeinschaftet. Wer da nicht mitspielt hat in der Gesellschaft Probleme. Die Bedeutung wird qua Naturgesetz genutzt.
Bei Fachbegriffen ist das anders. Nun komme ich wie angekündigt auf Herbert Pietschmann und seine dialogischen Schattenkämpfe zu sprechen. Er hat mit seiner so genannten HX-Verwirrung nachgewiesen, dass wir uns in Diskussionen häufig auf digitale Pole verkriechen. Das möchte ich am Beispiel Unternehmensdemokratie kurz anreißen.
Gegner der Unternehmensdemokratie äußern oft, dass es ja wohl nicht sein darf, dass JEDER Mitarbeiter eines Unternehmens bei JEDER Entscheidung involviert werden muss. Befürworter entgegnen, dass es ja wohl nicht sein darf, dass immer wieder die gleichen Menschen, in der Regel das Management, JEDE Entscheidung treffen muss.
Beide Ansichten liegen auf entgegen gesetzten Polen, wo mit unserer auf Logik aufgebauten Sprache keine Versöhnung möglich ist. Jede Seite bekämpft quasi den Schatten der anderen Seite. Warum? Unsere Logik ist zweiwertig, 0 oder 1, gut oder böse, hässlich oder schön, … Etwas Drittes ist nicht möglich. Das besagt ein Axiom der Aristotelischen Zweiwertigen Logik.
Diesen Fakt beobachte ich sehr oft in Diskussionen. Menschen versteifen sich auf ihre digitale Sicht, also einen der angesprochenen Pole, und interpretieren alles Gesagte des Gegenüber in den “Schatten” des anderen Pols hinein. Versöhnung ist schwierig bis ausgeschlossen.
Was hilft? Fachbegriffe sollten über Umgangssprache, wie oben angedeutet mit dem Begriff “Hund” erklärt und beschrieben werden. Mit diesen Erklärungen und den auf Bedeutung vergemeinschafteten Begriffen wird dann diskutiert. Ich wette, dass dann beide Parteien ganz viele Gemeinsamkeiten erkennen. Hat man dann die Versöhnung vollzogen, kann man das Ergebnis gerne in Fachbegrifflichkeit trivialisieren.
Andreas: Da sehe ich allerdings noch weiteren Diskussions- und Klärungsbedarf, denn aus konstruktivistischer Sicht sind auch scheinbar selbstverständliche Begriffe wie “Hund”, “Arbeit” oder “Liebe” ausgesprochen subjektiv gefärbt. Dem werden wir dann in unserem zweiten Teil dieses Dialogs nachgehen, liebe LeserInnen. Also: Freut Euch auf den kommenden Teil unseres Dialogs über Unternehmensdemokratie und den Umgang mit Sprache!

Herzliche Grüße
Conny Dethloff und Andreas Zeuch

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Dr. Andreas Zeuch
  • Andreas Zeuch: Foto von Georg Staebner, Nutzung mit freundlicher Genehmigung

Comments (5)

Hallo Andreas, hallo Conny,
ich verfolge die Diskussionen rund um die Unternehmensdemokratie (zumindest ausschnittsweise) auf den verschiedenen Kanälen. Der Reflex, der auch in der Grafik ganz oben thematisierst ist, ist da sehr oft zu beobachten. Ich nenne es mal den Ausweichreflex. Das ist ein rethorisches Muster einen Bedeutungsraum auf eine extreme Ausprägung zu reduzieren und daran die ganze weitere Diskussion aufhängen zu wollen. Damit komme ich auch zum Inhalt des obigen Beitrags. Den Begriff Unternehmensdemokratie sehe ich als Bedeutungsraum, ich befürchte dass sich dieser nie auf ein Gemeinverständnis wie “Hund” reduzieren lassen wird. Zu unterschiedlich sind die Ausprägungen der Demokratie. Das illustriert schon der klassische (griechische) Begriff, der ganz explizit die arbeitenden Menschen von den Entscheidungen über das Gemeinswesen ausschließt – in diesem Sinne möchte ich z.B. die Unternehmensdemokratie keineswegs verstanden wissen.
Ich befürchte also, dass die Schärfung des Begriffes sehr schwierig werden wird. Ein Ausweg könnte vielleicht die Formulierung von Merkmalen sein. In anderem Kontext schrieb ich heute über die “Autonomie des Lernens”. Das wäre für mich so ein Merkmal. Wenn den Menschen, die die Wertschöpfung erarbeiten, nicht zugestanden wird aus eigenen Erfahrungen zu lernen, kann man Unternehmensdemokratie gleich vergessen – oder?
LG Eberhard

Moin Moin Eberhard,
danke für Deine Replik.
Den von Dir beschriebenen Reflex beobachte ich ebenfalls, den ich ganz im Sinne von Herbert Pietschmann mit den dialogischen Schattenkämpfen beschrieben habe. Ich zweiten Teil werde ich darauf dediziert eingehen, vor allem auch, dass man diesen Reflex wohl nie ganz weg bekommt. Allerdings helfen Empathie und Partizipation im Sinne von Unternehmensdemokratie dieses Muster ein wenig einzudämmen. Dazu aber wie gesagt im zweiten Teil dann mehr.
Schärfung des Begriffes “Unternehmensdemokratie” über Merkmale finde ich gut. Hier haben wir wie angesprochen noch ein 2Do.
BG, Conny

Schöner Post, ihr beiden, damit macht ihr ein riesiges Fass auf – im positiven Sinne. Spontan fällt mir dazu der Satz ein: „Das Missverständnis ist der Regelfall in der Kommunikation.“
Ich möchte Eurem Dialog noch weitere Aspekte hinzufügen, nehmt sie gerne als Spielball auf:
Ihr beschreibt beide in Teilen das Phänomen, was Niklas Luhmann zum „differenz- und selektionsorientierten Kommunikationsbegriff“ ausführt. Das Missverständnis liegt im System und zwar im System Sprache, das zunächst einmal nichts mit dem Individuum zu tun hat, sondern nur Beziehungen sichtbar macht. Vereinfacht gesagt, meint Luhmann, dass Kommunikation erst beim adressierten System entsteht und nicht vorher. Luhmann redet immer über Systeme nicht über Personen, daher verzeihe man mir hier den direkten Vergleich, der dadurch etwas hinkt: „Die Kommunikation wird sozusagen von hinten her ermöglicht, gegenläufig zum Zeitablauf des Prozesses.“ (Luhmann, 1984)
Wenn ich Euch richtig verstehe, seid ihr Euch eigentlich einig darüber, dass Fachbegriffe notwendig sind, man sich aber nicht verkürzt auf diese beschränken sollte, sondern den Bedeutungsraum (danke Eberhard, sehr schöner Begriff!) um sie eröffnen muss, um in den Dialog zu kommen. Dem stimme ich uneingeschränkt zu, das ist eine der allerersten Handlungen, die wir in unseren Komplizen-Dialogen vollziehen. Der Grund dafür ist einfach: Wir verwenden mit unserer Sprache, wie schon oben genannt, ein abstraktes System als Kommunikationsmittel. Abstraktion ist immer eine Vereinfachung. Unsere abstrakten substantivischen Begriffe sind eine Vereinfachung für eine Vielfalt an individuellen Bedeutungsgehalten sowie für Konstruktionen gedachter und tatsächlicher Realität und daher hochkomplex.
Diese Komplexität an sich wäre nicht so schlimm, wenn die Begriffe mit weitgehend konsensfähigen und flexiblen Merkmalen ausgestattet wären (deshalb auch hier ein „Ja“ von mir zum ToDo in Sachen Schärfen des Begriffs Unternehmensdemokratie). Allerdings würde ich bei dieser großen Aufgabe das Augenmerk auf folgenden Aspekt lenken: Die Substantivierung von Begriffen führt zu reduzierten, mutmaßlichen Ist-Zuständen. Die begriffliche Komplexität wird dadurch kompliziert – und unbeweglicher. Ich rege an, die Merkmale mit Verben zu belegen, die einen Prozess beschreiben und den Begriff beweglicher machen können.
Es sind m.E. auch nicht die Fachbegriffe selbst, die Verwirrung stiften, sondern deren indifferenter Bedeutungsgehalt. Ihr habt das Beispiel „Hund“ genannt. Das ist ein klares Beispiel für eine greifbare und materialisierbare Realität und daher allgemein verständlich: Ein Hund ist dieses wunderbare Lebewesen, das in dunklen Stunden Licht ins Leben bringt; ein Begleiter und Freund, der aber auch Ängste auslösen kann, weil wir seine Sprache nicht immer verstehen. Schon beim Wort „Liebe“ wird jedoch deutlich, dass man das Wort zwar in menschlichen Beziehungen beobachten kann, der Begriff selbst aber keine Materie hat und daher abstrakt bleibt.
Andreas, Du sprachst den Konstruktivismus an. Dem möchte ich den Dekonstruktivismus nach Jacques Derrida gegenüberstellen, den ich im Kontext Sprache/Kommunikation deutlich interessanter finde. Grob gesagt dekonstruiert man Begriffe, Situationen, Kontexte bis nahezu nichts mehr übrigbleibt. Auf dieser Basis, sozusagen vor der leeren Leinwand, läßt sich alles neu zusammensetzen und neu gestalten. Die PhilosophInnen unter den Lesenden mögen mir nachsehen, dass ich den altbackenen Derrida auspacke, aber in der Unternehmenskommunikation ebenso wie in der Unternehmensgestaltung liegt die Postmoderne erst vor uns – wir haben Nachholbedarf.
Übrigens ist Kommunikation ein zentrales Thema auch im Wirken von Joseph Beuys, nur als kleiner Hinweis am Rande. Daher freue ich mich ganz besonders auf Teil 2 Eures Dialogs.
Viele Grüße
Daniela

Hallo Andreas und Conny,
finde Eure Idee grundsätzlich sehr gut.
Ich mag den Dialog nach David Bohm auch sehr gerne; das kann Raum für mehr Verständnis schaffen.
Wie wäre es gerade zu diesem Thema eines zu machen. Freunde des Begrifs “Unternehmensdemokratie”; Menschen mit gegenteiliger Meinung und neutrale und dann sprecht, schweigt, denkt, fragt in einer Dialogrunde. Auf Video als Format. Kann mir vorstellen, dass das zu mehr Erkenntnissen führt, als ein Blog.
Viele Grüße, Christoph

Guten Morgen Christoph,
Danke für Deinen Kommentar. Die Idee, zum Begriff der Unternehmensdemokratie einen Dialog zu veranstalten, finde ich sehr spannend! Allerdings glaube ich kaum, dass sich jemand anschaut, wie 60-90 Minuten lang Menschen in einer Runde sitzen und vielleicht eben auch mal schweigen… Leider ist die Aufmerksamkeitsspanne für Videos durchschnittlich nach ca. 2 Minuten vorbei. Selbst Vorträge, bei denen jemand durchgehend Inhalte präsentiert, und sei es noch so gut gemacht, werden maximal noch im TED Format bis 18 Minuten angesehen.
Aber das Ganze für diejenigen zu veranstalten, die daran Interesse haben, finde ich gut. Bin mir aber auch da nicht sicher, ob diejenigen, die sich zur Zeit so unglaublich über die Unternehmensdemokratie aufregen (“Andreas Zeuch hat nichts verstanden” usw…) überhaupt Interesse hätten, sich dem Dialog mit anderen Menschen zu öffnen, wenn sie es nicht müssen, weil sie beispielsweise in einer Organisation zusammenarbeiten und sie dieser Konflikt täglich Lebens- und Arbeitsqualität kostet.
Wie schätzt Du das ein?
Herzliche Grüße
Andreas

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