Erfolg macht unfair

Die Demokratisierung der Arbeit hat auch etwas mit dem menschlichen Wunsch nach Gerechtigkeit und Fairness zu tun. Wer möchte schon freiwillig übervorteilt, absichtsvoll belogen, beschummelt oder gar betrogen werden? Erfahrungsgemäß ist aber genau das ein Teil des normalen Arbeitslebens. Natürlich nicht für jedermann und -frau, tagtäglich in allen Situationen. Aber es ist etwas, was wir immer wieder beobachten können und was viele schon selbst unangenehm bis leidvoll erlebt haben. Nun veröffentlichten  die beiden israelischen Wissenschaftler Amos Schurr von der Ben-Gurion Universität und Ilana Ritov von der Hebräischen Universität Jerusalem im Februar 2016 die Ergebnisse einer Studie, die gerade im Kontext “Arbeit” zu denken geben.

1. Studienüberblick Erfolg und Fairness

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Im ersten Absatz ihres Artikels klären die beiden Forscher zunächst den Bezugsrahmen und die Bedeutung ihrer Forschungsfrage, die sie dann anschließen: “Life, both personal and professional, is beset with challenges and rivalries. Success is often determined by one’s ability to outstrip the competition. Although competition motivates individuals to work harder to obtain better outcomes it may also lead to deleterious effects, such as increasing dishonesty in pursuit of competitive advantage and decreasing prosocial behavior. Indeed, the literature offers important insights regarding the propensity of contestants to behave in prosocial or asocial manners before and during competitions. We know only little about contestants’ behavior after the competition has ended. The current research aims at filling this gap. In particular, we ask:

Who is more likely to subsequently engage in unrelated unethical behaviors—winners or losers?” (Schurr & Ritov 2016: 1754, kursiv: AZ)

Um diese Frage zu beantworten, haben Schurr und Ritov insgesamt 498 ProbandInnen in ihre Forschung einbezogen. In vier verschiedenen Studien erkundeten Sie folgende Aspekte:

  1. Studie 1: Der Effekt von Wettbewerbsgewinn auf unehrliches Verhalten (n=86)
  2. Studie 2: Der Effekt von Erinnerungen auf unehrliches Verhalten (n=76)
  3. Studie 3:
    • 3a: Der Effekt von Lotteriegewinnen (n=102)
    • 3b: Der Effekt von Zielerreichungen (n=88)
  4. Studie 4: Der Effekt von Wettbewerben auf das Gefühl von Anspruchsberechtigung (n=100)

2. Studienablauf

1. Der Effekt von Wettbewerbsgewinn auf unehrliches Verhalten

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In der ersten Studie wurden die Probanden in zufällig ausgewählte Paare verteilt. Den TeilnehmerInnen wurden auf einem Computerbildschirm verschiedene Objekte für je 2,5 Millisekunden gezeigt. Sie sollten zum einen das am häufigsten gezeigte  Objekt angeben und die Anzahl aller gezeigten Objekte insgesamt einschätzen. Die Gewinner erhielten zunächst einen In-Ear Kopfhörer.
Danach mussten die Probanden noch ein scheinbar unabhängiges weiteres Experiment durchführen. Eine je zufällig ermittelte Person sollte mit zwei Würfeln in einem Becher, in dessen Boden ein kleines Loch eingearbeitet war, würfeln und die Augenzahl der beiden Würfel angeben, die nur er oder sie durch das kleine Loch im Becher sehen konnte (der Becher wurde also nicht hochgehoben). Die so ermittelte Augenzahl wurde dem Würfelnden in Form von 1 Schekel Münzen pro Auge ausgezahlt, der Rest wanderte zu dem Experimentalpartner, der in einem anderen Raum saß. Es gab also einen leichten Anreiz zum Schummeln, da auf diese Weise mehr Geld erspielt werden konnte.
Ergebnis: Die Personen, die zuvor im Schätz-Wettbewerb gewonnen hatten, betrogen signifikant häufiger als die Verlierer und vergaßen ihre Fairness. Zwar konnten die Forscher nicht sehen, welche Augenanzahl beim Würfelspiel tatsächlich zu sehen war, aber sie konnten die ermittelten Werte (2-12) mit dem statistisch zu erwartenden Mittelwert abgleichen und kamen so den Schummlern auf die Spur.

2. Der Effekt von Erinnerungen auf unehrliches Verhalten

In der zweiten Studie fand derselbe Ablauf wie in Studie eins statt, mit einem Unterschied: Die ebenfalls zufällig ermittelten Paare hatten nicht die Aufgabe des Einschätzens der Objekte auf dem Computerbildschirm, sondern sie sollten sich an einen erfolgreichen Wettbewerb oder eine erfolgreiche Zielerreichung ohne Wettbewerbscharakter erinnern. Danach wurde wieder das Würfelspiel mit den zufällig ermittelten Würfelnden und passiven Partnern gespielt.
Ergebnis: Alleine die Erinnerung an den Erfolg in einem Wettbewerb führte wiederum zu einer signifikant erhöhten Quote von Schummeln beim Würfelspiel. Die Erinnerung an eine Zielerreichung ohne Wettbewerb führte hingegen nicht zu unehrlichem Verhalten.

3. Der Effekt von Lotteriegewinnen und Zielerreichung auf unehrliches Verhalten

In der dritten Studie wurde zwischen den Probanden in der ersten Variante (3a)  im ersten Schritt die Ohrhörer verlost. Der Erfolg wurde also offensichtlich zufällig erreicht, es handelte sich einfach um Glück. In der zweiten Variante konnten alle ProbandInnen, die mindestens 10 von 20 Trivialfragen beantworteten einen Ohrhöhrer gewinnen. Allerdings waren die Fragen so schwer, dass die TeilnehmerInnen nicht wissen konnten, ob sie tatsächlich die Mindestanforderung erreicht hatten. Am Ende des Experiments 3b (Zielerreichung anhand der Trivialfragen) wurden die Personen, die das Ziel (angeblich) erreicht hatten, zufällig durch die Forscher ermittelt. Danach spielten wiederum Paare das Würfelspiel.
Ergebnis: Die Lotterie und die nicht wettbewerbsartige Zielerreichung führten nicht zu einem signifikanten Anstieg an unehrlichem Verhalten. Fairness wird auf diese Weise nicht unterhöhlt.

4. Der Effekt von Wettbewerben auf das Gefühl von Anspruchsberechtigung

Letztlich wurde aus den 100 TeilnehmerInnen der vierten Untersuchung zufällig die eine Hälfte gebeten, sich an einen erfolgreichen Wettbewerb zu erinnern, während die andere sich eine persönliche Zielerreichung ins Gedächtnis rufen sollte. Danach wurden beide Gruppen aufgefordert, diese Erinnerungen kurz schriftlich zu beschreiben. Danach füllten alle TeilnehmerInnen einen standardisierten Fragebogen aus, mit dem die subjektive, psychologische Anspruchsberechtigung gemessen wird.
Ergebnis: Die TeilnehmerInnen, die sich an einen erfolgreichen (Verdrängungs-)Wettbewerb erinnerten, zeigten eine signifikant höhere subjektive Anspruchsberechtigung als die Personen, die sich an eine erfolgreiche persönliche Zielerreichung ohne Wettbewerbscharakter erinnerten.

3. Studienergebnisse zusammengefasst

Gewinnen an sich ist nicht das Problem. Sondern Gewinnen und Erfolg in einem Kontext von (Verdrängungs-)Wettbewerb. Wer sich erfolgreich gegen andere in einem Nullsummenspiel durchsetzt, läuft Gefahr, nach Abschluss des Wettbewerbs mit höherer Wahrscheinlichkeit unehrlich zu agieren und Fairness aufzugeben. Aus dem Ergebnis der vierten Studie lässt sich schlussfolgern, dass dies an einem gesteigerten Gefühl von Anspruchsberechtigung liegt: Wer sich gegen Konkurrenten durchgesetzt hat, hat aus subjektiver Sicht des Gewinners anschließend eine höhere Berechtigung auf weitere Erfolge.
Die Untersuchung von Schurr und Ritov zeigt einmal mehr, dass es gerade im Zusammenhang von Arbeit zu überdenken ist, inwieweit Konkurrenz und (Verdrängungs-)Wettbewerb ein nützliches Instrument für erfolgreiches Arbeiten sind. Fairness und somit die dringend nötige Kooperation in komplexen Umfeldern wird damit offensichtlich nicht erreicht.
Herzliche Grüße
Andreas

Quelle
Schurr, A., Ritov, I. (2016): Winning a competition predicts dishonest behavior. PNAS, Vol. 113, Nr. 7: 1754-1759

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Roland Scheicher, gemeinfrei
  • Amos Schurr und Ilana Ritov: Screenshot der Universitätswebsite

Comments (6)

Vielen Dank für die spannende Zusammenfassung- nachvollziehbar für mich… persönlich finde ich den Wettbewerb nicht gegenüber Kollegen (was sie ja zu Konkurrenz machen würde) sondern gegen die Zeit, gegen ein bestmögliches Ziele spannend – “Was können wir, oder was kann ich schaffen/dazu beitragen”
Dabei sind für mich ein echter Moment des Glücks/Zufriedenheit/Begeisterung wenn diverse Teams Ziele erreichen, die man ihnen nicht zutraut. Daran “wachsen” alle Beteiligten…

Hallo Harald!
Vielen Dank für den Kommentar! Klar, ein kooperativer Wettbewerb, bei dem der “Gegner” nicht andere Menschen sind und vielleicht sogar noch Kooperation zielführend ist, führt zu ganz anderen Folgen als Verdrängungswettbewerb. Geht mir auch so. Leider sehe ich nicht, dass dies die Regel im Arbeitsleben ist. Die bewusste Inszenierung von Konkurrenz erlebe ich noch häufig als die Regel, von der Nichtnullsummenspiele die Ausnahme sind.
Herzliche Grüße
Andreas

der Untersuchung mangelt es an seriöser Wissenschaft: es wird nicht dargestellt, auf welchen Annahmen die Experimente getätigt wurden… sieht so aus, als ginge man von finalem-kausalen Denken aus… na ja, wer das noch zitiert, sollte erst mal einen starken Kaffee trinken….

Herr Steffenhagen, verlassen Sie doch Ihre Allgemeinplätze und werden Sie konkreter. Haben Sie das verlinkte Originalpaper gelesen, und dort speziell die Seite 1754?

Das Prinzip einer Solidargemeinschaft beruht auf Gegenseitigkeit.

Natürlich. Aber die meisten Unternehmen würden wohl kaum behaupten, eine Solidargemeinschaft zu sein. Sie stellen ökonomischen Erfolg gewissermaßen als heiligen Gral ins Zentrum des Handelns. Somit verstehe ich den Kommentar nicht.

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