Am 11. Oktober hat mich Marcus Raitner auf die Blogparade anlässlich des kommenden PM Camps in Dornbirn aufmerksam gemacht – und mich eingeladen teilzunehmen. Das Thema “Unterscheiden ohne zu trennen” fand ich äußerst interessant. Zumal es eine Menge mit Unternehmensdemokratie zu tun hat, mit Partizipation, Mitbestimmung, Selbstorganisation und vor allem: Der Weisheit der Vielen, weniger poetisch: Kollektiver Intelligenz.
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Ich beginne beim Offensichtlichen: Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Menschen, Gedanken, Werten, Methoden und so weiter und so fort. Beides ist Wirklichkeit, etwas, das wirkt. Es gibt nicht nur das Eine oder das Andere. Insofern wäre die erste logische Schlussfolgerung: Es ist näher an der Wirklichkeit, eine Haltung des Sowohl-als-auch einzunehmen, als sich im Entweder-oder zu verlieren. Eine wichtige Frage ist dann: Worauf fokussieren wir mehr? Darauf, dass es beides gibt und das beides wichtig ist, oder eher auf eine der beiden Seiten? Meine Erfahrung sagt mir: Für mich ist es lebensdienlicher und klüger, die Haltung des Sowohl-als-auch einzunehmen. Wobei ich mich jetzt fast gezwungen sehe, noch eine logische Ebene höher zu gehen und zu fragen: Ist es nicht auch sinnvoll, mal die Haltung des Sowohl-als-auch einzunehmen und sich manchmal klar für eine Seite zu entscheiden? Also das Sowohl-als-auch der beiden Haltungen Sowohl-als-auch und Entweder-oder.
Demokratie lebt von beiden Seiten: Den Gemeinsamkeiten und den Unterschieden. Wir brauchen einen gemeinsamen grundlegenden Wertekanon, der unantastbar ist. So wie zum Beispiel die Menschenwürde. Oder das Recht auf Selbstbestimmung. Wir brauchen aber auch, wenn wir nicht in ein egalisierendes totalitäres System abrutschen wollen, die Unterschiede. Den unbedingten Respekt vor der Andersartigkeit. Das impliziert, dass ich den anderen in seiner Andersartigkeit respektiere und von ihm in meinem anders sein respektiert werde. Damit hätten wir dann schon mal grob die Grenzen der Toleranz abgesteckt: Wir können nicht tolerieren, das jemand andere nicht toleriert und gewaltsam bekämpft. Das gilt ebenso für unseren alltäglichen, gesellschaftlichen Kontext als auch für unsere Arbeit.
In der Arbeitswelt, so scheint mir, fokussieren die meisten Organisationskulturen auf die dysfunktionalen Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Einerseits nehmen sie starke Trennungen vor, die zu Blockbildungen führen: Hier das Kapital, dort die Arbeit; hier das Top-Management, dort die Belegschaft; hier die Führungskräfte, dort die MitarbeiterInnen; hier die Abteilung X, dort die Abteilung Y; hier die außertarifliche, dort die tarifliche Bezahlung; hier die Entscheider, dort die Ausführenden. Diese Trennungen finden dann auch ihren Niederschlag in rechtlichen Regularien, Führungspositionen, Stellenbeschreibungen und dergleichen mehr. Andererseits finden wir oft ein Verwischen von Unterschieden, ein Vereinen um den Preis dysfunktionaler Egalisierung: DIE MitarbeiterInnen, DAS Top-Management, DIE High-Potentials, DIE Konzerne und so weiter. Gerade so, als ob es in den jeweiligen Kategorien keine Unterschiede mehr gäbe. Es werden also Blöcke gebildet und Trennungen vorgenommen und innerhalb dieser Blöcke wird Egalisiert und Unterschiede verwischt. Unterschiede, die aber einen Unterschied machen, wie der ehemalige Systemiker Gregory Bateson formulierte. Sprich: Bedeutsame Unterschiede. Wir alle wissen und haben es vermutlich auch schon selbst erlebt: Es gibt tolle Geschäftsführer und solche, die menschenverachtend handeln. Sie haben gemeinsam, dass Sie ein Unternehmen zumindest formal führen und bestimmte gleiche rechtliche Risiken tragen. Aber wie sie mit diesen Gemeinsamkeiten umgehen, macht den entscheidenden Unterschied.
Dieses dysfunktionale Trennen und Egalisieren wird besonders im klassischen Karriereweg deutlich: Die MitarbeiterInnen können “aufsteigen” und Führungskraft werden. Und dann natürlich später noch weitere Etagen in Richtung Top-Management-Olymp erklimmen. Die Leiter führt immer weiter aufwärts, bis das Peter-Prinzip erreicht ist, und ein Angestellter seine Kompetenzgrenzen erreicht hat. Dann heißt es die Berentung abwarten oder zu einem anderen Arbeitgeber wechseln. Die Trennung zwischen Mitarbeiter hier und Führungskräfte dort ist eine semipermeable Membran. Von der Mitarbeiterseite aus diffundieren die “talentierten” Angestellten auf die andere Seite rüber ins Lager der Führungskräfte. Der Weg zurück ist nicht geplant, sondern immer nur ein Versagen, eine Zurückstufung. Diese Einbahnstraße nach oben und die damit verbundene Lagerbildung zeigen sich dann auch in den großartigen Seminarangeboten wie “Gestern Mitarbeiter, heute Führungskraft”. Mann und Frau wechseln die Seite. Sie gehören jetzt zu DEN anderen.
Auf der anderen Seite angelangt stellen wir fest: Ja, es gibt sie, die Chefs, die irgendwie fast immer alles für alle Beteiligten richtig machen. Die die Potentiale Ihrer Mitarbeiterinnen freisetzen, erfolgreiche Entscheidungen treffen, für eine tolle Arbeitsatmosphäre sorgen etc. pp. Aber wie oft? Ist es nicht vielmehr die Regel, dass viele von uns in manchen Bereichen, bei manchen Aufgaben gute oder sehr gut die Führung übernehmen können, während wir bei anderen Aufgaben, in anderen Situationen glatt versagen würden? Und sind wir nicht alle nur Menschen, die – auch wenn sie noch so tolle Führungskräfte sind – früher oder später durchs Leben gebeutelt werden und emotional besser den Staffelstab der Führung zumindest zeitweise an jemanden anderen weiterreichen sollten? Denn selbst wir sind nicht immer gleich mit uns selbst. Wir sind mal so, mal so. Mal sind wir mutig, mal feige; mal intelligent, mal dumm; mal lustig und mal traurig. Und das ist wiederum eine unserer Gemeinsamkeiten.
Wir würden also gut daran tun, die Strukturen und Kulturen von Organisationen flexibler und damit lebendiger zu gestalten. Sie sollten ein Abbild der Wirklichkeit sein, dass es ebenso Gemeinsamkeiten wie Unterschiede gibt. Die organisationalen Strukturen und Kulturen sollten weder trennen noch egalisieren. Statt dessen sollten sie so angelegt sein, dass wir achtsam im täglichen Tun Unterschiede und Gemeinsamkeiten respektvoll wahrnehmen und uns über sie freuen. Denn ohne die Grundlage gemeinsamer Werte und Grundüberzeugungen sowie ohne die Unterschiede im Wahrnehmen, Denken und Handeln könnten wir niemals die Kraft kollektiver Intelligenz für unsere Arbeit nutzen. Wir brauchen verbindende Vielfalt, das Bunte. Ansonsten verlieren wir uns im grauen Einerlei des Gruppendenkens, dessen größte Unterscheidung darin besteht, sich vom Rest der Welt abzutrennen und zu glauben, das WIR die einzig wahre Lösung und DIE da keine Ahnung haben. Was leider immer noch viel zu häufig passiert. Unternehmensdemokratie heißt auch, genau das nicht zu tun, sondern zu unterscheiden ohne zu trennen und verbinden ohne zu egalisieren.
Herzliche Grüße
Andreas