Das Henne-Ei-Problem im Change

Ich habe in meinem neuesten Beitrag auf der Lean Knowledge Base Gute Führung lässt sich nicht beschreiben, … bereits ausgeführt, dass “gute” Führung ausschließlich beobachtbar, aber nicht beschreibbar ist. Aufgrund einer fehlenden Beschreibung für Führung könnte man nun schlussfolgern, dass Regeln einem Change in Unternehmen nicht förderlich sind. Das ist aber aus meiner Sicht nicht ganz zutreffend. Selbst Kontextlose Regeln, die ich ja in meinem Artikel Business Cases als kontextlose Entscheidungsregel hart an den Pranger stelle, sind in manchen Situationen sehr wertvoll. Und genau darum ranken sich meine Ideen und Gedanken in diesem Text.

Komplexe Vorgänge lassen sich ausschließlich beobachten.

Sie lassen sich nicht beschreiben, jedenfalls nicht so, dass der Leser der Beschreibungen danach genau weiß was zu tun ist. Diese Beschreibungen wären also nicht handlungsleitend. Komplexe Vorgänge haben keine linearen Ursache-Wirkungsbeziehungen und sind deshalb für uns schwer formalisierbar. Unsere Sprache ist nun einmal linear aufgebaut: Texte-Sätze-Wörter-Silben-Buchstaben. Glauben Sie diese These nicht? Okay, dann machen Sie mal gerne folgenden Versuch. Erklären Sie bitte einem Menschen, wie Sie beim Fahrradfahren das Gleichgewicht halten, aber bitte so, dass diese Person genau danach handeln kann. Erklären, wie man ein Kuchen backt, ist da schon einfacher. Oder? Klar, dieser Vorgang ist ja auch allenfalls kompliziert.
Begeht man also nun den Fehler Führung beschreiben zu wollen, werden die komplexen Vorgänge in puncto Führung trivialisiert. Man erhält dann etwas Kompliziertes. Widersprüche und damit Lebendigkeit sind aus der Beschreibung verbannt. Menschen zu Maschinen simplifiziert. “Gute” Führung schließt Widersprüche nicht aus, sondern bedient diese. Damit lässt sich diese dann auch nicht formal-logisch beschreiben, denn unsere zweiwertige Logik schließt ja Widersprüche aus. Prinzipien “guter” Führung, wie

Eine gute Führungskraft muss authentisch sein!

führt zu keiner Handlungsleitung. Welche Schritte 1 bis 10 muss man denn nun vollführen, um authentisch zu sein? Ich bin mir sicher, dass je nach Kontext eine bestimmte Handlung mal zu Authentizität im Auge des Betrachters beiträgt, und die gleiche Handlung eben manchmal nicht. Beobachten und darauf aufbauend werten können wir. Versuchen wir diese Wertung mit Argumenten zu belegen wird es schwierig.
Der Gefahr des “Entweder-Oder” können wir uns in unserer westlichen Gesellschaft schwer entziehen. Falls Sie mehr dazu wissen möchten, kann ich Ihnen gerne meinen Beitrag Wir haben uns nicht für Digitalisierung entschieden, … empfehlen.

Regeln minimieren interne Komplexität.

Was bedeutet dieser Fakt denn nun für Regeln? Regeln, die ja kontextlos sein müssen, sind objektiviert, so dass diese auch messbar sind. Sie dürfen keinen bis wenig Spielraum für Interpretationen lassen. Denn Menschen interpretieren mittels ihrer Einstellung. Unterschiedliche Einstellungen führen zu unterschiedlichen Handlungen, was wir ja nicht wollen. Ziehen Sie in diesem Kontext die schönste Nebensache der Welt, den Fußball, als Beispiel heran. Spielt ein Feldspieler den Ball mit der Hand wird abgepfiffen und dieser abgestraft. Der Fakt des Handnehmens lässt sich schwer wegdiskutieren und subjektiv interpretieren. Knifflige Szenen im Spiel möchte ich hier mal ausklammern. Ich glaube der eigentliche Fakt hinter Regeln wird klar.
Wie sieht es aber nun mit Prinzipien wie

Wir gehen wertschätzend mit unserer Zeit und der unserer Kollegen um!

aus? Je nach Einstellung eines Menschen kann dieses Prinzip in unterschiedliche Handlungen umgesetzt werden. Will man als Team gemeinsam in eine Richtung voran gehen, ist damit nicht viel gewonnen. Ganz einfache Regeln, die nicht interpretierbar sind, helfen hier weiter, ähnlich wie beim Fußball.

Nehme niemals den Ball in die Hand, es sei denn Du bist Torwart!

Hier ist es egal, wie jeder einzelne Spieler zu der Regel steht. Er muss sie befolgen.
Statt dem Prinzip “Wir gehen wertschätzend mit unserer Zeit und der unserer Kollegen um!” lassen sich folgende Regeln definieren.

  1. Vor dem Drang, ein Meeting einladen zu wollen, beantworten wir uns die Frage, ob es nicht auch ohne geht. Ist ein Meeting notwendig, durchdenken wir, was genau in diesem Meeting erreicht werden soll. Dieses Ziel formulieren wir klar und verständlich aus und schauen, wer dafür im Meeting notwendige Teilnehmer sind.
  2. In der Einladung wird das Ziel dieses Meetings inkludiert. Einladungen ohne klare Zielangabe zum Meeting werden ab sofort kommentarlos abgesagt.
  3. In Meetings fokussieren wir uns auf Aufgabendefinitionen zum benannten Ziel inkl. der Verantwortung und Deadline, nicht auf inhaltliche Diskussion und Abarbeitung.
  4. Wir achten bei Einladungen zu Meetings auf die Verfügbarkeit der Kollegen. Wir passen uns der Verfügbarkeit der Kollegen an. Wir laden niemals Kollegen ein, wenn diese in dem Zeitraum nicht verfügbar sind, es sei denn wir holen uns vorher das Einverständnis dafür ab.
  5. Einladungen zu Meetings werden nicht weg delegiert. Damit haben wir einen Überblick über unsere gemeinsam verfügbare Zeit in den Kalendern.

Regeln wirken sehr technokratisch. Sie minimieren interne Komplexität, da sie kontextlos sind. Am Anfang der Teamfindung benötigt man diese Kontextlosigkeit. Je reifer man als Team wird, desto weniger wichtig werden sie. Eine entsprechende Haltung hat sich dann ausgebildet. Die richtigen Handlungen kommen intuitiv von “innen heraus”. Mit Weglassen dieser Kontextlosigkeit in Regeln erhöht man damit auch wieder die interne Komplexität im Team, was für die Lebensfähigkeit des Teams enorm wichtig ist, da der große Optionsraum der Umwelt optimaler bespielt werden kann. Hintergründe dazu liefert das Gesetz von Ashby.
Nur durch Handeln lernt man. Prinzipien befeuern einen Change nicht, da sie nicht handlungsleitend für etwas Neues sind, denn sie sind interpretierbar. In der Regel interpretieren wir Menschen gegen das Hier und Jetzt, frei nach dem Motto “Das mache ich doch schon längst.” Dann ändert sich aber nichts. Man benötigt im Team eine quasi-objektivierte Bewertungsbasis, die bei Prinzipien nicht gegeben ist. Regeln führen zu schematisch-mechanisch ausgeführte Handlungen, die aber helfen, eine Einstellung sich ausbilden zu lassen, die dann letztendlich dazu führen, diese Regeln nicht mehr zu benötigen. Denn wie gesagt, “gute” Führung lässt sich nicht beschreiben, also auch nicht über Regeln abbilden.
Allerdings müssen diese Regeln aufgrund ihrer Kontextlosigkeit mit Bedacht gewählt werden.

Führen bedeutet sowohl Steuern als auch Regulieren.

In meinem Beitrag Fördert Kybernetik die Steuerungsobsession von uns Menschen? bin ich bereits auf das Steuern und Regulieren eingegangen. Diese Erkenntnisse möchte ich in den Kontext dieses Beitrages setzen. Ich zitiere aus dem Beitrag.

Steuern wird also über kontextlose Regeln befeuert, da man nur vom Input her denkt und agiert, also kontextlos. In Zeiten des Wandels zu regulieren, also vom Output her zu führen, ist schwierig. Es müssen Wahrnehmungs- und Reflektionsfähigkeit sehr gut ausgebildet sein. Dafür benötigt man die passfähige Haltung und Einstellung, die sich ja aber im Rahmen des Wandels erst ändern soll. Deshalb benötigen wir eine einfache interpretationsfreie Basis zum Handeln. Das könnten die angesprochenen kontextlosen Regeln sein, da hier leicht zu bewerten ist, ob eingehalten wurden oder eben nicht.

Nur durch Handeln und die darauf aufbauenden selbst gemachten Erfahrungen lernt man, nicht durch Reden.

Fazit.

Change ist paradox. Man muss parallel und gleichzeitig Regeln des Systems einhalten und brechen. Ohne Einhalten von Systemregeln wird man aus dem System gespült, da man als Akteur nicht mehr passfähig zum System ist. Konsequentes Einhalten von Systemregeln befeuert den Change nicht, da sich dann ja nichts ändert. Kontextlose Regeln aktivieren aufgrund ihrer Kontextlosigkeit den Wandel, führen aber bei zu langer fortwährender Anwendung zur Einbuße der Lebensfähigkeit, da sie Führung auf Beschreibbarkeit reduziert.
Im Change helfen kontextlose Regeln, dem folgenden Teufelskreis zu entfliehen. Es sollen andere Handlungen entstehen, denn nur die machen den Unterschied aus, so dass man sich wandelt. Handlungen entstehen zu einem Großteil aus innerer Einstellung, die sich aber nicht ändert so lange sich Erfahrungen nicht ändern, die aber wiederum nur aus veränderten Handlungen resultieren. Erkennen Sie das Henne-Ei Problem? Was war zuerst da, die veränderte Einstellung oder die veränderte Handlung? Hier setzen Kontextlose Regeln an.
Und noch eines zum Schluss. Im Rahmen eines Change sollte man nicht bei den Menschen, sondern bei den Strukturen ansetzen. Strukturen konditionieren Menschen im Denken und Handeln. Kontextlose Regeln helfen, Strukturen in einem System, wie Unternehmen oder Teams welche sind, zu ändern. Sind diese Strukturen dann geändert, ändern sich entweder die Menschen in dem System ebenfalls oder sie verlassen das System. Es ist dann ihre Entscheidung.
Paradoxe Grüße,
Conny

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Henne-Ei-Problem, gefunden hier am 18.10.2016

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