Der systemische Familientherapeut, Supervisor, Organisationsberater und Autor Frank Baumann-Habersack hatte letztes Jahr das lesenswerte Buch “Mit neuer Autorität in Führung” veröffentlicht. Da Führung natürlich auch in demokratischen Organisationen entgegen einem häufigen Missverständnis stattfindet, stellt sich mir auch die Frage, welche Form von Autorität dort nützlich ist. Wie steht es um Autorität, wenn jeder in Führung gehen kann oder wenn Führungskräfte gewählt und wieder abgewählt werden? Was ist mit der Autorität eines Geschäftsführers, wenn er die Belegschaft zur Strategieentwicklung mit einlädt? Fragen über Fragen – Zeit für einen Dialog mit Frank!
Andreas: Frank, kurz vorweg, wie bist Du eigentlich zu diesem Thema gekommen? Warum hast Du ein Buch darüber geschrieben?
Frank: Es gibt zwei Spuren. Die eine führt zurück ins Jahr 2006, wo ich mit Haim Omers Buch “Autorität durch Beziehung” in Berührung gekommen bin. Da ich als Organisationsberater mit einer systemischen Brille unterwegs bin, interessiere ich mich “by default” für systemische Konzepte. Und als Vater hat mich natürlich dieses Buch, welches eigentlich für Eltern und Erziehende geschrieben wurde, natürlich auch angesprochen.
Als ich das Buch las, erkannte ich schnell, dass die Parallelen zwischen der Führung von Organisationen und die “Führung” einer Familie deutliche Parallelen von der grundsätzlichen Beziehungsdynamik her aufweisen. Mir war klar, dass es erstmals Antworten mit der Haltung der Neuen Autorität geben könnte, die abseits von Führungsstilen, Führungstools und -techniken liegen, mit denen ich als Führungskraft selbst auch wenig anfangen konnte. So nahm ich mir vor, das Konzept auf den Führungskontext zu übertragen.
Da begann die zweite Spur: 2010 entschloss ich mich, ein Buch über die Neue Autorität in Führungskontexten zu schreiben. Durch den Schaffensprozess am Buch von rund vier Jahren ist mir jedoch erst so richtig bewusst geworden, warum mich dieses Thema so fesselt und ich dafür einstehe: Insbesondere schon in der Grundschule, Mitte der 1970er Jahre, habe ich als Schüler autoritäre Lehrer erleben müssen, die ihre Hilflosigkeit, mit einem sicherlich fordernden Kind (obwohl ich nicht nur der einzige in den jeweiligen Klassen war) nur über kooperativ verpackte Machtausübung kompensieren konnten, z. B. eine Stunde demütigend mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke stehen, vor der ganzen Klasse.
Als Kind war ich dieser Macht hilflos ausgesetzt und musste mich anpassen. Und lernte: Autorität ist machtvoll, erniedrigend. Ich bin klein, meine Meinung zählt nichts und wenn ich den Mund aufmache, werde ich bestraft.
Durch das Buch sind zunächst unbewusst beide Spuren zusammengeflossen.
Mir ist es ein Anliegen, was vielleicht durch meine etwas längeren Ausführungen nachvollziehbarer wird, das Autorität als beziehungsgestaltendes Element zwischen Menschen enttabuisiert und aus der autoritären Ecke geholt wird. Und dabei geht es nicht darum Autorität abzuschaffen! Das Experiment ist mit der sogenannten antiautoritären Erziehung komplett gescheitert. Und wo es ein Autoritätsvakuum gibt, entsteht schnell Chaos. Daher im Gegenteil: Es geht somit darum, Autorität neu zu denken und zu verkörpern. Denn Autorität kann man, dank Haim, auch anders verstehen.
Andreas: Das kann ich gut nachvollziehen! Wie verstehst Du denn aktuell den Begriff “Autorität”?
Frank: Bevor ich auf den Punkt komme, will ich eine kleine Runde drehen, denn die Wurzeln meines Autoritätsverständnisses sind bedeutsam und helfen leichter zu verstehen.
Zunächst gibt es nicht die Autorität. Auch gibt es nicht sogenannte natürliche Autorität, auch wenn viele davon schwadronieren. Damit wird ein dynamisches Element in Beziehungen, was Autorität schon immer war und auch bleiben wird, individualisiert und eingefroren. Dieses Einfrieren oder „der Geschichte und Zeit trotzen“, wie Richard Sennett das nennt, ist übrigens ein Teil, ich möchte fast sagen, ein Plan einer autoritären Autoritätslogik, um sich zu erhöhen und unangreifbar zu machen.
Doch wenn ich schon gerade bei autoritärer Logik bin: Das alte, autoritäre Verständnis von Autorität etabliert ein vertikales Hierarchieverhältnis zwischen Menschen: Das heisst, es gibt ein Oben und ein Unten. Die Autoritätsperson ist oben. Der unten muss gehorsam sein und folgen. Durch den dazu passenden blinden Gehorsam legitimiert der Mensch, der unten ist, die Autorität des Übergeordneten. Wenn jemand nun nicht gehorsam ist, bedroht das diese Form von Autorität und muss mit welcher Form von Gewalt auch immer wiederhergestellt werden – so die Logik des Menschen in der übergeordneten Position.
Diese Psychodynamik wurde und wird uns über Sozialisierung beigebracht, z. B. in Schulen (auch wenn es meist kooperativ verpackt wird). Dass durch diese Erfahrungen kaum einer zwischen Macht und Autorität unterscheiden kann, verwundert mich nicht. Denn Macht erzwingt Gefolgschaft.
Hannah Arendt hat schon in den 1950er Jahren beschrieben, dass Autorität und Freiheit keineswegs Gegensätze sind. Doch es schien so, dass es bis zur Jahrtausendwende brauchte, bis der schon erwähnte israelische Psychologieprofessor Haim Omer die autoritäre Psychodynamik dekonstruierte, Autorität von Gehorsam entkoppelte und Autorität neu gedacht hat. Gemeinsam mit Professor Arist von Schlippe hat Omer das Konzept in Deutschland bekannt gemacht und nennt es die Neue Autorität.
Hierauf beziehe ich mein Verständnis und sage, dass neue Autorität in der Führung auf Gleichwertigkeit und Augenhöhe beruht, bei völliger Gewaltlosigkeit. Es braucht zwar eine Beziehung, damit Autorität entstehen und wirksam sein kann, jedoch ist so eine Führungsbeziehung auch horizontal möglich. Es braucht kein Oben und Unten, um in Führung zu sein und um Folgen zu können. Autoritäre Autorität zwingt zu Gehorsam und Gefolgschaft, wie Macht.
Neue Autorität lässt Menschen die Möglichkeit, freiwillig zu folgen. Sie schätzt und fördert geradezu die Autonomie des Menschen, denn sie respektiert, dass man andere Menschen nicht verändern oder vollständig kontrollieren kann. Man kann nur sich selbst kontrollieren und verändern, was in der Neuen Autorität in der Führung Selbstführung bedeutet. (Frank Baumann-Habersack)
Das ist für sehr viele Menschen vollkommen undenkbar. Denn bekannt ist ja nur die autoritäre Form, die misstraut und kontrolliert, invasiv ist oder eine sich entziehende Autorität, also eine überhaupt nicht vorhandene oder wahrnehmbare Autoritätsfunktion oder Person.
Andreas: Das ist äußerst interessant – und ging, als ich Dein Buch las, auch gegen mein durch Gewohnheit entstandenes Begriffsverständnis. Damit nähern wir uns der Frage nach dem Zusammenhang von Neuer Autorität und Unternehmensdemokratie und gehen ihr am kommenden Donnerstag im zweiten Teil dieses Gesprächs nach.
Herzliche Grüße
Andreas
Bildnachweis
- Beitragsbild: gemeinfrei
- Frank Baumann-Habersack:
- Cover: SpringerGabler 2016