Im letzten Beitrag hatte unser Gesprächspartner Frank Baumann-Habersack erzählt, wie er eigentlich zum Thema der Neuen Autorität gekommen ist. Vor allem aber hat er den Grundstein für ein demokratisches Verständnis, eine demokratische Neuverortung von Autorität gelegt: “Autorität beruht in der Führung auf Gleichwertigkeit und Augenhöhe, bei völliger Gewaltlosigkeit. Es braucht zwar eine Beziehung, damit Autorität entstehen und wirksam sein kann, jedoch ist so eine Führungsbeziehung auch horizontal möglich. Es braucht kein Oben und Unten, um in Führung zu sein und um Folgen zu können.” Das ist die Steilvorlage für den zweiten Teil unseres Gesprächs.
Andreas: Ok. Wie hängt denn nun Autorität, Hierarchie und Unternehmensdemokratie für Dich zusammen?
Frank: Nun, zwei Dinge gibt es immer bzw. die entstehen immer, wenn Menschen zusammen sind: Autorität und Hierarchie. Das muss einem nicht gefallen, ist aber gesichertes Wissen aus der Sozialpsychologie. Und jeder, der sich schon einmal in gruppendynamischen Experimenten ohne Führung und Struktur befunden hat, wird das mehr oder weniger selbst erlebt haben. Die Frage nach Führung und Entscheidung bekommt man nicht aus Gruppen heraus. Noch nicht einmal aus einem selbst …
Autorität ist vereinfacht gesagt das Element von Einfluss und Gefolgschaft in Gruppen. Und Hierarchie ist das Ordnungsprinzip in Gruppen. Diese psychodynamischen Phänomene sind erst einmal neutral.
Interessant wird es, mit welcher Haltung, mit welchem Mindset man diese Dynamiken mitgestaltet. Bei Autorität reicht das von „nicht vorhanden“ über autoritär bis hin zu gleichwertig. Hierarchie kann vertikal organisiert sein: oben und unten, oder horizontal: gleichwertig. Dabei würde man dann eher von einer Heterarchie sprechen. Dieses Wort hat übrigens der Neuropyhsiologe und Kybernetiker McCulloch ins Spiel gebracht und es hat Einzug in die Organisationstheorie gehalten.
Jetzt wird’s spannend, weil nun das Sowohl-als-auch-Denken beginnt: Durch eine neue Autoritätshaltung, die auf Gleichwertigkeit beruht, kann selbst in einem vertikalen Hierarchieverhältnis gleichwertig zusammengearbeitet werden. Das setzt zwar bei allen Mitwirkenden einen Wandel im Verständnis von Führung voraus, ist aber möglich, wie beispielsweise soziokratische Systeme oder scaled agile Frameworks zeigen. Dass vertikale Hierarchie und Gleichwertigkeit zusammengehen, ist in unserer Gesellschaft nur (noch) nicht gelernt bzw. kein erlebtes Wissen. Ebenso, dass Heterarchie effizient sein und zu Entscheidungen kommen kann. Doch nur, weil man etwas nicht kennt heißt das ja nicht, dass es das nicht gibt oder dass das nicht geht.
Andreas: Letzeres unterschreibe ich sofort und würde anmerken: Das liegt halt am False-Validity Effekt: Wir neigen dazu, Bekanntes eher für wahr und richtig zu halten, als Unbekanntes. Damit bin ich andauernd konfrontiert, wenn ich über Unternehmensdemokratie diskutiere. Da kann ich noch so viele Fakten aufzählen, bei manchen dringt man dabei nicht durch, das Altbekannte ist ein beinahe undurchdringliches Schutzschild, um sich bloß nicht mit etwas Neuem auseinandersetzen zu müssen. Zurück zur Neuen Autorität. Welchen Unterschied macht es, wenn Menschen in heterarchischen Systemen tätig sind, also nicht im üblichen topdown formal-fixierter Hierarchien?
Frank: Wenn man in einer Heterarchie arbeitet, wie z. B. in einer Konsensdemokratie oder in einem einfachen (soziokratischen) Organisationssystem mit einem oder zwei Teams, ist es leichter ein Autoritätsverständnis von Gleichwertigkeit zu etablieren bzw. zu „leben“. Doch auch in einem heterarischen System kann man autoritär führen – kleine, patriarchal geführte Familienunternehmen, z. B. Handwerksbetriebe, Arztpraxen usw., zeugen davon.
Es kommt also darauf an, was man mit seiner Unternehmung will. Was das Ziel, der Zweck der Unternehmung ist und in welchem Umfeld das Unternehmen sich organisiert. Wer mag, kann den Grund der Führungshaltung auch noch moralisch oder ethisch „aufladen“. Ich finde ethisch ja gut, da ich vom Humanismus überzeugt bin …
Dass es die Unternehmensdemokratie nicht gibt, hast Du ja sehr gut mit Deiner Arbeit herausgestellt. Denn sie kann auch beide Strukturausprägungen zeigen: hierarchisch oder heterarisch. Entscheidend ist, mit welchen Werten in einem unternehmensdemokratischen System Führung organisiert wird. Klar ist, dass Demokratie von Teilhabe und Teilgabe, Co-Führung, Mitwirkung lebt. Damit schließt sich nahezu eine autoritäre Führungshaltung aus, wo nur einer an der Spitze alles weiß und auch noch, was richtig ist. Oder anders: mit so einer Haltung zu Führungsautorität, die sich ja dann im konkreten Führungshandeln, insbesondere bei Entscheidungen zeigt, wird man sehr wahrscheinlich die demokratischen Strukturen ad absurdum führen. Es wird sich keiner mehr beteiligen, weil es keinen Sinn macht. Daher bin ich davon überzeugt, dass die Haltung der Neuen Autorität in der Führung mit den sieben Elementen konkret zeigt, wie man gleichwertig mit den zu Führenden umgehen kann, ohne Führung aufzugeben. Das ist die ideale Voraussetzung, um nach demokratischen Prinzipien miteinander zu wirken.
Ob dann Führungskräfte gewählt werden, oder die Führungsrolle befristet ist und wechselt, ob einer nur Moderator ist oder ob die Führungskräfte klassisch ausgewählt werden, spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist, dass der- bzw. diejenige, die dann die Führungsrolle oder gar Funktion innehat die Haltung zu Autorität einnimmt, dass Führung nur dann wirksam ist, wenn Menschen freiwillig folgen.
Unternehmensdemokratie, in welcher Form auch immer, stellt meiner Ansicht nach ein Strukturmodell zur Entscheidungsfindung für Organisationen dar, insbesondere wenn sie groß und komplex sind. Die Neue Autorität in der Führung macht und hält so ein Modell vital.
Andreas: Da kommt mir zum Abschluss spontan die Metapher mit den zwei Seiten derselben Münze in den Sinn. Auf der einen Seite die demokratische Verfassung, auf der anderen Seite die Neue Autorität. Frank, vielen Dank für das Gespräch!
Herzliche Grüße
Andreas
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