Vertrauen und Kooperation sind ein zentrales Prinzip für eine effektive Entscheidungskultur und Unternehmensdemokratie. Es ist nicht nur die Grundlage Neuer Arbeit, sondern genauso die Condition sine qua non in unserer “alten Arbeit”. Allerdings scheint sich paradoxerweise unser Wirtschaftssystem auf Wettbewerb und Misstrauen zu gründen. Zweifelsfrei. Konkurrenten unterbieten sich zum Beispiel mit idiotischen Dumpingreisen, wie wir es seit ein paar Jahren bei den menschenverschleißenden Lebensmitteldiscountern beobachten konnten. Die Personalkosten wurden häufig auf 1,5% der Betriebsausgaben gekürzt und die Mitarbeiter wurden obendrein derart dreist ausspioniert, dass auch seriöse Medien wie die Süddeutsche Zeitung von “Stasi-Methoden” sprachen. Keine Frage…
… es ist also bewiesen: Wir kooperieren nicht, sondern zerfleischen uns gegenseitig im sozialdarwinistischen Kampf aller gegen alle. Ist in der Natur schließlich genauso. Es gibt Jäger und Gejagte. Räuber und Beute. It’s “the survival of the following fittest”. Warum sollte es bei uns anders sein? Obendrein finden wir haufenweise Kriegsmetaphern in der Wirtschaft, wie den Chief Executive OFFICER und sein Heer unterstellter Offiziere; wir finden Strategien und Taktiken; es gibt den War for Talents und wir hören ständig die Weisheiten von Militärstrategen wie Sun Tsu, Miyamoto Musashi und von Clausewitz. Eindeutiger gehts nicht, wie ich vor kurzem in meinem Post übers WarWording in der Wirtschaft zeigte. Darwin hatte Recht und wir sind alle irgendwie konkurrierende Affen. Vertrauen ist eine verträumte Illusion.
Wir waren allerdings auch schon mal sicher, die Sonne kreise um die Erde. Giordano Bruno war vermutlich nicht der einzige, der für die Infragestellung dieses Weltbildes öffentlich verbrannt wurde. Fehlannahmen halten sich äußerst hartnäckig, selbst wenn wir längst überwältigende Gegenbeweise vorliegen haben. Genau so verhält es sich auch mit dem Märchen des Sozialdarwinismus. Wie ist diese Geschichte entstanden, die wir uns immer noch gegenseitig als Rechtfertigung für destruktiv-aggressives Wirtschaftsverhalten erzählen?
Darwin selbst formulierte den menschlichen Überlebenskampf eindeutig und drastisch: “Bei den Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt… auf der anderen Seite tun wir zivilisierte Menschen alles nur Mögliche, um den Prozess der Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze, und unsere Ärzte strengen sich an, das Leben eines jeden bis zum letzten Moment zu erhalten. Es ist Grund vorhanden anzunehmen, dass die Impfung Tausende erhalten hat, welche in Folge ihrer schwachen Konstitution früher den Pocken erlegen wären… Niemand… wird daran zweifeln, dass dies für die Rasse des Menschen in höchstem Maße schädlich sein muss.” (Darwin 2005 [1871]: Die Abstammung des Menschen. Voltmedia, S. 148)
Dies war – wie nicht zu übersehen – eine, wenn nicht die Steilvorlage für eine pseudowissenschaftliche Begründung des nationalsozialistischen Menschenbildes. Und tatsächlich führt Darwin über eine Kette von “Wissenschaftlern” und Ärzten hin zu Euthanasiegedanken und dergleichen mehr. So gründete der Mediziner Alfred Ploetz 1905 die “Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene”. Ploetz selbst machte klar, dass er seine Ideen zu eugenischen Maßnahmen von Darwin hatte. Natürlich schlossen sich Militärs an (so die Generäle Franz Conrad von Hötzendorf und Friedrich von Bernardi), die den Krieg zur biologischen Notwendigkeit stilsierten, um der kulturellen Degeneration, von der Darwin sprach, entgegenzuwirken.
Nun geht es mir nicht darum, gegen Darwin moralisch zu argumentieren. Denn diese Gedanken zum “War of nature” sind offensichtlich etwas sonderbarer Natur. Viel interessanter ist die Tatsache, dass Leben und damit auch Wirtschaft ohne Kooperation vollkommen unmöglich wäre. Die GRUNDLAGE des Lebens und unserer Existenz ist Kooperation. Ein Blick auf die Grundlagen des Lebens zeigt allerdings, dass Darwins Artenkampf über die Soziobiologie massiven Einfluss auf die Mikrobiologie nahm. Das wichtigste Element der Soziobiologie ist das “egoistische Gen”, eine Erfindung des mit vier Ehrdoktortiteln geehrten Richard Dawkins (“The Selfish Gene”). Seiner Fakten ignorierenden Darstellung zufolge sei das Gen alles, das Individuum hingegen nichts. Der einzelne Organismus, also jeder von Euch, liebe Leser, ist nichts weiter als eine “Überlebensmaschine” – so formuliert es Dawkins – zum Zwecke der Reproduktion der egoistischen Gene. Das Gen wird zur Grundlage des Eigennutzens. Und ist damit der biologische Beweis des Eigennutzen maximierenden Homo oeconomicus. Dumm nur, dass der bereits augenscheinlich eine idiotische Theorie und experimentell unter anderem durch das “Ultimatumspiel” transkulturell längst widerlegt ist. Sind wir Menschen unseren Genen gegenüber also ungehorsam?
Wohl kaum. Es ist vielmehr so, dass Gene längst nicht so egoistisch sind, wie durch Dawkins und den anderen maßgebenden Soziobiologen Edward Osborne Wilson immer wieder behauptet. Dawkins selbst ignoriert die Tatsache, dass sich kein Gen ohne Hilfsmoleküle (Kooperation, nicht Kampf!) selbst replizieren kann. Außerdem werden wir nicht ausschließlich durch unsere ach so egoistischen Gene gesteuert, weil die Umwelt, in der wir leben, wiederum einen Einfluss darauf hat, ob und wie sehr ein Gen abgelesen wird. Obendrein hat die Umwelt sogar einen dauerhaften Einfluss auf den individuellen Gencode. Gene sind also keine Durchsetzungsprogramme, sondern kommunizieren in vielfältiger Weise mit Ihrer direkten und indirekten Umwelt. Übrigens: Keiner der zwei genannten Gründer der Soziobiologie hat jemals an Genen geforscht.
Darüber hinaus wird immer wieder deutlich, dass wir Menschen Kooperation, Zuwendung und Beziehung brauchen, um überleben zu können. So wird bereits Friedrich II. (1194-1250) nachgesagt, er habe Kinder beschränkt auf die physiologische Grundversorgung ohne weitere Beziehungsaufnahme aufwachsen lassen, um herauszufinden, was die menschliche Ursprache sei. Tragischerweise sind – wenn die Überlieferung stimmt – alle Kinder frühzeitig gestorben. Heute können wir glücklicherweise ethisch korrektere Experimente durchführen, um herauszufinden, welche Rolle Vertrauen, Kooperation und eine positive Beziehung für uns Menschen spielt.
Hier einige Forschungsergebnisse zur Bedeutung positiver Beziehungen, Vertrauen und Kooperation:
- Der Psychologe Rolf Loeber fand in einer umfassenden Studie mit 1500 Jugendlichen heraus, dass selbst erlittene Gewalt und fehlende menschliche Beziehung die beiden stärksten Einflussfaktoren auf die Aggression und Gewalt der untersuchten Jugendlichen waren. Zudem war es wichtig, dass die Jugendlichen in Banden wiederum Bindung und Beziehung fanden.
- Der Psychiater Marc Sageman kam bei der Untersuchung der Lebensläufe der 400 islamistischen Top-Terroristen zu einem interessanten Ergebnis: Über 70% gingen in Terrorgruppen, während sie außerhalb ihrer Heimat lebten. Über 80% hatten den Eindruck, von der Gesellschaft, in der sie lebten, ausgeschlossen zu sein. Und 86% wurden über persönliche Freundschaften rekrutiert! (Sagemen, M. (2004): Understanding Terror Networks. University of Pennsylvania Press. Eine Kurzfassung im Internet findet Ihr hier.)
- Der Sozialpsychologe John Cacioppo und die Psychosomatikerin Janice Kiecolt-Glaser haben in je eigenen Studien gezeigt, dass Einsamkeit schon bei jungen Menschen das Risiko von Blutdruckerkrankungen und den Stresshormonlevel von Adrenalin und Noradrenalin erhöht sowie ein Stresssystem aktiviert, dass sich bei depressiven Patienten findet.
Diese Ergebnisse zeigen, dass wir abhängig sind von kooperativen, zugewandten menschlichen Beziehungen und Bindungen. Wird uns dieses Vertrauen und die damit einhergehende Kooperation versagt, erfolgt Aggression oder Depression. Abgesehen davon liegt es auf der Hand, dass wir Menschen im höchsten Maße von einer liebevollen Kooperation gerade zu Beginn unseres Lebens abhängig sind. Kein individueller Mensch würde ohne körperliche und emotionale Zuwendung und Unterstützung überleben. Damit steht am Anfang des Arterhalts des Homo Sapiens Vertrauen und Kooperation.
Genauso offensichtlich: Kein noch so tougher Manager wird ohne sein Netzwerk einerseits und die Zuarbeit seiner Mitarbeiter andererseits seine Abteilung, seinen Bereich oder das gesamte Unternehmen führen können. Interessanterweise verfügen ja gerade mächtige und streitbare Manager über ein besonders weitreichendes unterstützendes Beziehungs-Netzwerk, welches ihnen erlaubt, trotz lausiger Leistung immer wieder an Spitzenpositionen zu gelangen. Wenn wir nur einen Moment überlegen, erkennen wir schnell, dass die gesamte Arbeitsleistung in Unternehmen vollkommen unmöglich wäre, wenn wir auf individueller und kollektiver Ebene nicht kooperieren würden.
Herzliche Grüße
Andreas
Literatur
Dringender Lesetipp: Joachim Bauers “Prinzip Menschlichkeit”. Dort findet Ihr eine brilliante, komprimierte Historie des Sozialdarwinismus. Aber Bauers Buch ist natürlich noch viel mehr. Es zeigt leicht leserlich den aktuellen Wissensstand zum Thema Kooperation als Lebensgrundlage. Eine Empfehlung für alle Freunde und Skeptiker von Vertrauen und Kooperation.
- Axelrod, R. (2009): Die Evolution der Kooperation. Scientia Nova
- Bauer, J. (2008): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Heyne
- Zeuch, A. (2010): Feel it! Soviel Intuition verträgt Ihr Unternehmen. Wiley
Bildnachweis
- Beitragsbild: Hugo Rheinhold, CC BY-SA 3.0
- Darwin: gemeinfrei
- Friedrich II: gemeinfrei