Tag 29 – machen wir eigentlich Soziokratie 3.0?

Es ist Tag 29 nach meiner Idee, den “Creative Collaboration Culture Day”  als Non-Profit-Event mit 70-150 Teilnehmern, 5 Impulsen und parallelen Open Space Sessions dieses Jahr in Karlsruhe zu veranstalten. Nachdem wir nun u.a. vier von fünf Impulse beisammen, die Wunsch-Location bekommen und den Ticketverkauf letzte Woche gestartet haben, eine erste Version der Webseite umgesetzt und das Event Orga-Team auf 11 Personen (Tendenz steigend) angewachsen ist habe ich mir heute vorgenommen, zu reflektieren wie ich bisher vorgegangen bin und was das mit Soziokratie 3.0/Unternehmensdemokratie zu tun hat.

Auch wenn ich manches intuitiv wahrscheinlich anders genannt habe glaube ich nach Lesen des Blog Posts von Arne “Soziokratie 3.0 – die bessere Demokratie?” schon mal: jede Menge! Darüber hinaus könnte das Projekt ein spannendes Beispiel für Andreas Aussage über die “Neuheit der Unternehmensdemokratie” sein: “Weder in den 1970ern noch den 80ern, geschweige denn in der Zeit davor, hatten wir die technischen Möglichkeiten, Arbeit tatsächlich sinnvoll demokratisch zu gestalten. Heute verfügen wir über mobile Computing (vulgo: Smart Phones und Tablets) Entscheidungsmärkte, Online Konsensieren, Appstimmen, interne Wikis, soziale Netzwerke und dergleichen mehr […] Das Neue besteht also nicht in der grundsätzlichen Idee, was ich an keiner Stelle behauptet habe. Es liegt statt dessen vielmehr in den definitiv neuen Möglichkeiten, die Demokratisierung der Arbeit weitflächig zu verwirklichen.”

Schauen wir uns zunächst die zentralen Elemente von Soziokratie 3.0 (Treiber, Konsent und Rollen und Wahlen) an. Alle folgenden Zitate sind, wenn nicht anders gekennzeichnet, aus Arnes oben erwähnten Blogpost. Ich bin gespannt, was ich gleich herausfinde und freue mich jetzt schon auf euer Feedback und eure Gedanken!

Treiber (Soziokratie 3.0)

Der Treiber drückt aus, was Menschen, Teams und Organisationen in einer spezifischen Situation zum Handeln motiviert. Die Besonderheit: Bei der Definition von Treibern werden die Bedürfnisse aller Beteiligten aktiv einbezogen.

Foto: © Mathias Krumbholz (Own work) CC BY-SA 3.0
Foto: © Mathias Krumbholz (Own work) CC BY-SA 3.0

Natürlich stand am Anfang eine Idee, meine Idee. Was dann aber geschah, war dass die Idee sich rapide mit jedem neuen Orga-Team-Mitglied und jedem Feedback veränderte und angepasst wurde. Ich versuche bei jedem Kontakt zum Event herauszufinden, was die Motivation des Einzelnen ist, sich mit dem Event auseinanderzusetzen:

  • Möchte er/sie einfach nur ein cooles Event oder ggf. Möglichkeiten zur Präsentation, um daraus Akquisemöglichkeiten zu gewinnen?
  • Möchte er/sie mal in einem verteilten, dynamischen Team mitarbeiten,
  • sich ultimativ einbringen können oder
  • verdient er/sie in diesem Umfeld seine Brötchen und ist daher darauf angewiesen, auch finanziell einen Nutzen aus dem Event bzw. der Organisation zu ziehen?

Um dies zu erfahren ermutige ich alle Menschen, mit denen ich in Kontakt gehe, über ihr “Warum?” zu sprechen, ihre Vorstellungen und Wünsche zu äußern. Solange diese nicht mit meinen Grundwerten und dem Grundkonzept des Events (an das unser Team glaubt) kollidieren sowie keine Vorstellungen und Wünsche der anderen Teammitglieder beeinträchtigen, setze ich alles daran, dass diese möglich gemacht werden bzw. zumindest der Raum für die entsprechende Person entsteht, diese weiterverfolgen zu können. Gibt es Vorstellungs- bzw. Wunschkonflikte zeige ich diese auf und gehe in den Dialog, um diese aufzulösen und dabei für alle Beteiligten eine noch bessere Lösung zu erreichen. Bisher hat das immer gut funktioniert, aber die Event-Idee und Organisation sind ja auch “erst” 29 Tage alt (es kommt mir viel mehr vor nach all dem was seither passiert ist…). Dazu ein konkretes Beispiel hier an der Stelle:

  • Andreas ist u.a. professioneller Speaker und ich wollte ihn für “mein” Event haben.
  • Nach seiner ersten Honorar-Rückmeldung war klar, mit dem von mir angesetzten maximalen Ticketpreis von 50€ pro Teilnehmer ist das so nicht realisierbar.
  • Er gab mir zu bedenken, dass sich das Event ja nicht nur an StudentInnen richtet, sondern vor allem an Berufstätige, und diese seiner Meinung nach ebenfalls fair bezahlt werden wollen und daher auch eine tolle Veranstaltung entsprechend finanziell wertschätzen sollten.
  • Ich ging kurz in mich und stellte fest, dass es meiner grundsätzlichen Non-Profit-Idee keinen Abbruch tut, ja diese sogar deutlich attraktiver macht, wenn die Ticketpreise höher sind.
  • Denn letztendlich zahlen ja in den meisten Fällen die Firmen die Tickets bzw. die Teilnehmer können diese steuerlich absetzen,
  • wir haben damit mehr Budget zur Verfügung (und damit potentiell eine tollere Veranstaltung) und
  • da am Ende sowieso der Großteil der Gewinne an thematisch zum Event passende Vereine gespendet wird hat die Allgemeinheit davon auch noch was, da für sie am Ende voraussichtlich mehr übrig bleibt.

Also schickte ich Andreas einen Vorschlag zur Ticketpreisstaffelung den er für gut befand und das Event-Konzept war wieder einen Schritt weiter und hatte zudem einen tollen Speaker und Unternehmensdemokraten gewonnen.

Konsent (Soziokratie 3.0)

Konsens bedeutet „Ja, ich stimme zu“, Konsent hingegen „Ich habe keinen schwerwiegenden Einwand“.

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Foto: © A.Savin CC BY-SA 3.0

Eine meiner Lieblingsfragen lautet “Passt das für Dich/euch?” gefolgt von einem “Ansonsten mache ich das ab Datum x einfach so – freue mich über kurzes Feedback”. Gefühlte 99,9 Prozent aller Entscheidungen in diesem Projekt wurden bisher so getroffen, dass eine Person einen Vorschlag machte und allen Beteiligten die Möglichkeit zum Einwand gab (Stichwort Transparenz, dazu mehr im Folgepost “Die Organisation des Creative Collaboration Culture Day – jetzt mal konkret!”). Gab es Einwände, wurden diese eingearbeitet und erneut ein Vorschlag unterbreitet, bis es keine Einwände mehr gab.

In der Regel ging das fix – z.B. wollte ich ursprünglich jedem Mitglied des Orga-Teams ein T-Shirt als Erkennungszeichen spendieren aber einige Mitglieder des Orga-Teams sind keine T-Shirt-Fans/tragen keine T-Shirts “von der Stange”. Wir kamen relativ schnell auf Buttons für alle und da mir Nachhaltigkeit wichtig ist werde ich nun zu einem späteren Zeitpunkt biobuttons bestellen, wenn es keine Einwände mehr gibt.

Rollen und Wahlen (Soziokratie 3.0)

In soziokratischen Organisationen übernimmt jedes Mitglied eine oder mehrere Rollen. Rollen unterscheiden sich massiv von klassischen Stellen, da sie personenunabhängig sind und flexibel kreiert, angepasst oder abgeschafft werden können.”

Dazu ein Screenshot unserer “README”-Karte mit dem Titel “Wie funktioniert die Zusammenarbeit?”:

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Natürlich habe ich auf Grund der kurzen Zeit seit Entstehung der Idee initial Menschen angefragt und ihnen gewisse Rollen zugedacht. Zwei Orga-Team-Mitglieder kamen aber auf Vorschlag eines dritten Orga-Team-Mitglieds ins Boot und definieren ihre Rolle selbst. Ich habe sie mit dem Stichwort “Event-Botschafter” angefragt, freue mich aber sehr über ihren allgemeinen Input und ihre Ideen. Wer den obenstehenden Screenshot aufmerksam gelesen hat: “ihr könnt gerne Dinge editieren, neue Karten hinzufügen etc.” sowie “wenn ihr eine Aufgabe übernehmt/mitarbeitet setzt euch bitte als Mitglied auf der Karte” – was gleichbedeutend mit seine Anmerkungen und Ideen einbringen und selbst verfolgen ist. Auch sind die Mitglieder des Orga-Teams aufgefordert, sich kurz vorzustellen: “Name, Hintergrund, warum sie dabei sind und was machen sie/Rolle” – dies soll zum einen die Transparenz erhöhen und Grundlage für Vertrauen in einem verteilten, sich nicht vollständig gegenseitig persönlich kennenden Team schaffen, zum anderen eine Reflexion über die eigene Motivation und Rolle anregen. Das Element der Wahlen habe ich noch nicht durchdacht – habt ihr dazu Gedanken/Vorschläge (ich denke spontan, dass das ggf. erst ab einer größeren Teamgröße relevant wird)?

Fazit

Ich scheine die zentralen Elemente der Soziokratie 3.0 intuitiv bei der Organisation des “Creative Collaboration Culture Day” angewendet zu haben bzw. anzuwenden – wenn ihr dazu Gedanken habt, das anders seht oder Feedback habt freue ich mich sehr über eure Rückmeldungen und Kommentare. Und wenn ihr Fragen/Anregungen zum Event habt natürlich auch – ihr dürft diese natürlich auch gerne direkt an mich adressieren. Ich würde mich freuen, euch am 20.10.17 beim “Creative Collaboration Culture Day” in Karlsruhe persönlich kennen zu lernen – mehr Infos und Tickets gibt es hier!
Logo des Creative Collaboration Culture Day © Clemens K. Thomas im Auftrag von Christoph Thomas CC BY-NC-ND 3.0
In einem meiner nächsten Blog Posts zeige ich euch, wie wir die Soziokratie 3.0-Elemente bzw. das “verteilte Arbeiten auf Augenhöhe” etc. im Orga-Team realisieren und wie die von Andreas angesprochenen “technischen Möglichkeiten, Arbeit tatsächlich sinnvoll demokratisch zu gestalten” in unserem Fall aussehen und genutzt werden. Falls ihr dabei bestimmte Fragestellungen berücksichtigt haben wollt gebt mir gerne vorab z.B. per Kommentar an diesem Blogpost Bescheid.

Herzliche Grüße
Christoph

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild, Screenshot: Christoph Thomas, CC BY-SA 3.0
  • Bienen: Mathias Krumbholz (Own work) CC BY-SA 3.0
  • No.: A.Savin CC BY-SA 3.0
  • Logo des Creative Collaboration Culture Day: Clemens K. Thomas im Auftrag von Christoph Thomas CC BY-NC-ND 3.0

 

Comments (3)

Wie immer ein hervorragender Blog bei den Unternehmensdemokraten! Ich wende das Vorgehen ebenfalls eher intuitiv an, meine Erfahrung ist, dass die Beteiligten oft damit nicht umgehen können. Es wird auf eine Entscheidung gewartert und dann der Auftrag ausgeführt. Das ärgert mich, denn ich wünsche mir mehr Ideen, Initiative, Freiraum . Am Creative Collaboration Culture Day in Karlsruhe werde ich gerne dabeisein!

Hallo Ulrike,
vielen Dank für Deinen Kommentar und dass Du dabei bist am 20.10. in Karlsruhe! Ich habe am 20.03. das große Geschenk bekommen, dass ich meine Ideen früh geteilt habe und diesmal viele Türen offen stehen – werde dazu demnächst auch mal noch einen Blogpost veröffentlichen. Ich denke, diese Form der Zusammenarbeit lässt sich nicht erzwingen – man kann nur mit gutem Beispiel vorangehen, entsprechend kommunizieren und sich Menschen suchen, die auch so arbeiten wollen. Dass es davon immer mehr gibt kann ein Beitrag des #c3day sein 😉
Bis bald,
Christoph
P.S.: Du kannst mir auch gerne mal per Mail (s. Link im Blogpost) ein paar Beispiele zukommen lassen, in denen es nicht geklappt hat – vielleicht finden wir gemeinsam noch ein paar Kniffe oder Ansätze?

Liebe Ulrike,
danke für Deine Gedanken. Wenn es Dich nicht pressiert, könntest Du ja zu dem oben aufgeführten Problem eine Session beim C3Day machen – ich würde dann auch gerne dabei sein 🙂
Kann natürlich am kulturellen Rahmen und den je individuellen Arbeitsweisen liegen. Christoph arbeitet hier ja nur mit agilen Freelancern, die das natürlich auch gefälligst können sollten, derart spontan und ungeplant gemeinsam was zu wuppen…
Herzliche Grüße, Andreas

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