Führungskräfte bewerten Mitbestimmung positiv

Was denken Führungskräfte über Mitbestimmung? Oft zeichnet sich folgendes Bild ab: Wenn sich Organisationen tiefgreifend verwandeln scheint ein Hindernis besonders häufig zu sein – die Lehmschicht. So manche zum Teil alteingesessenen Führungskräfte des Mittelbaus sehen diesen Wandel äußerst kritisch, distanzieren sich von Agilität und New Work, von Selbstorganisation und Unternehmensdemokratie. Diese Erfahrung haben vermutlich schon so manche Berater*innen gemacht. Ich inklusive. Diese kritische Distanz zu alternativen Konzepten der Unternehmensführung und -gestaltung, die teilweise gefühlt in eine Blockadehaltung übergeht, erscheint mit einem Hauch kritischer Reflexion von Transformationen ausgesprochen nachvollziehbar: Jahrelang hatten sich diejenigen, die jetzt den Mittelbau bevölkern, hochgearbeitet. Sie waren Akteure in einem Spiel, dessen Regeln andere geschrieben hatten. 

Sie wurden nicht rekrutiert, um diese Regeln zu hinterfragen; sie wurden nicht eingestellt, um das Spiel neu zu erfinden; sie wurden weder bezahlt noch befördert, um Management neu zu denken. Dann, eines Tages, kommt die vielleicht erste wirklich tiefgreifende Transformation des Bisherigen. Es geht nicht mehr nur um einen bloßen Wandel in Form der vierten oder fünften Restrukturierung. Diesmal soll das Management innoviert werden. Ernsthaft. Nun sollen die Regeln neu geschrieben werden. Alte überkommene werden entsorgt, so manche auf ihren Sinn überprüft (wie ich mal schrieb: “Eine Regel ersetzt niemals ihren Sinn.”) und neue entwickelt. Das und noch sehr viel mehr ist in der Tat genug, um mehr als bloß irritiert zu sein. Umso verwunderlicher, dass eine Studie vor einem Jahr zeigte, dass die meisten der befragten Führungskräfte Mitbestimmung eigentlich gut finden. Wie jetzt?

Am 08. Juli 2016 veröffentlichte der Führungskräfte e.V. die Studie anlässlich der Inkraftsetzung des Mitbestimmungsgesetztes am 01. Juli 1976. Für die Untersuchung wurden 1040 Führungskräfte aus verschiedenen hierarchischen Positionen befragt. Damit fokussiert die Untersuchung die Meinung und Reaktionen auf institutionelle Formen der Mitbestimmung, konkret auf die Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsräten. Dies ist zunächst ein sehr spezifischer Fokus, der aber auch für andere Formen institutioneller Mitbestimmung wie Betriebsrat oder Wirtschaftsausschuss sowie freie Formen der Mit- und Selbstbestimmung interessante Schlussfolgerungen zulässt.

Studienergebnisse: Wie Führungskräfte Mitbestimmung sehen

Die Ergebnisse der Untersuchung sind wirklich erstaunlich und äußerst MERKwürdig:

Für die überwältigende Mehrheit von 93% der Führungskräfte unterhalb des Topmanagements ist die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat sinnvoll und für immer noch 84% hat sich diese Vertretung der Arbeitnehmer tatsächlich bewährt. Die gegenteilige Meinung wird damit zur klaren Außenseiterposition. Aber selbst Geschäftsführer oder Vorstände sind überragend mehrheitlich positiv gestimmt: 78% finden die Arbeitnehmervertretung sinnvoll und 74% erleben sie als erfolgreich.

Und wie wirkt sich die typisch deutsche Mitbestimmung auf Deutschland als Standort aus? Schließlich ist immer wieder zu hören, wir würden im Zuge der Globalisierung ins Hintertreffen geraten. Auch zu dieser Frage sind die Ergebnisse überraschend und wert, überdacht zu werden: 52% antworteten, dass unsere Mitbestimmung ein Standortvorteil sei. Mit 30% geht etwas weniger als ein Drittel der Befragten davon aus, dass sich die Mitbestimmung weder positiv noch negativ auswirke und die absolute Minderheit von gerade 13% sehen einen Standortnachteil darin. Etwas anders ist dieses Verhältnis in der obersten Führungsetage: 40% sehen die Mitbestimmung als Standortvorteil, 34% halten sie für neutral und für 25% ist sie ein Nachteil. Da ist zwar schon mehr Kritik sichtbar, aber sie ist immer noch in der absoluten Minderheit.

Dr. Ulrich Goldschmidt, Vorstandsvorsitzender “Die Führungskräfte e.V.”

Der Vorsitzende des Führungskräfte e.V. Dr. Ulrich Goldschmidt kommentiert: „Dass die Mitbestimmung insgesamt deutlich positiver bewertet wird als ihre Auswirkung auf den Standort Deutschland, liegt vermutlich daran, dass die Mitbestimmung immer wieder kritisch kommentiert wird, auch wenn mögliche negative Auswirkungen noch nie wissenschaftlich belegt werden konnten. Hier mag sich bei vielen der Eindruck verfestigt haben, dass diese negativen Kommentare auf mögliche inländische wie ausländische Investoren eine abschreckende Wirkung haben könnten.“ (Die meisten Führungskräfte sehen die Mitbestimmung positiv)

Aber das ist noch nicht alles: 71% der Führungskräfte und immerhin noch 64% des Topmanagements finden es nicht nur richtig, sondern erleben es auch als Erfolg, dass in Unternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeiter*innen der Aufsichtsrat mit einem leitenden Angestellten besetzt werden muss. Selbst die Vorstellung, diese gesetzliche Regelung auch auf kleinere Unternehmen anzuwenden, stößt bei 64% der Führungskräfte auf Zustimmung. Lediglich bei der Vorstellung verabschiedet sich die Mehrheit der Geschäftsführer und Vorstände aus der positiven Beurteilung der Mitbestimmung. Diese Vorstellung finden nur noch 38% sinnvoll.

Bezüglich der Zukunft gehen 62% der Führungskräfte davon aus, “dass die Globalisierung unser Mitbestimmungsmodell gefährden könnte und 47% erwarten, dass die Mitbestimmungsregelungen innerhalb der Europäischen Union unter Aufgabe der deutschen Mitbestimmungsgesetze vereinheitlicht werden könnten. Ein ähnliches Bild ergibt sich hier bei Vorständen und Geschäftsführern.” (ebnd.) Diese Einschätzung mag dann auch der Grund sein, dass viele der Befragten Vereinbarungslösungen für eine gute Möglichkeit halten, die institutionelle Mitbestimmung zu ersetzen. Wobei sogar die Studienteilnehmer selbst überzeugt sind, dass es wichtig wäre, gesetzliche Regelungen als Sicherheitsnetz zur Verfügung zu haben, wenn Vereinbarungen nicht erarbeitet werden können.

Schlussfolgerungen: Wie Führungskräfte Mitbestimmung sehen

Gerade dieser letzte Punkt thematisiert das Verhältnis formaler, institutioneller und freier Formen von Mitbestimmung. Alle Formen von Unternehmensdemokratie, die ich in meinem letzten Buch “Alle Macht für niemand” untersucht und präsentiert hatte, sind alternative Lösungen jenseits gesetzlicher Regelungen. Ein schönes Beispiel dafür ist der durch Arbeitnehmer und Geschäftsführung paritätisch besetzte Wirtschaftsausschuss bei der Autowelt Hoppmann, der dort  das höchste Entscheidungsgremium ist. Der Wirtschaftsausschuss hat dort nicht einfach nur das (formal juristische) Recht, die Geschäftsführung bei unternehmerischen Entscheidungen zu beraten und den Informationsfluss zur Belegschaft zu sichern, sondern er trifft tatsächlich die wichtigen unternehmerischen Entscheidungen. Und das ohne Überhangsmandat seitens der Geschäftsführung. Diese Praxis hat sich seit mittlerweile über vier Jahrzehnten bewährt. Ohne auch nur eine einzige Pattsituation.

Diese leider immer noch viel zu unbekannten Erfolgsgeschichten freier, nicht institutioneller Formen der Mitbestimmung sollte im Zusammenhang mit der hier vorgestellten Studie zeigen, dass gerade die Kombination institutioneller und freier Mitbestimmung und Selbstorganisation eine sehr große Chance für deutsche Unternehmen darstellt. Wie ein solches EntscheidungsDesign genau aussehen könnte, wie es sowohl juristisch abbildbar und organisationspsychologisch zu verwirklichen ist, stellte eine der zentralen Aufgaben der Unternehmensdemokratie dar.

Aus den Ergebnissen der Studie erwächst darüber hinaus die dringende Frage, wie es zu der Wahrnehmung einer “Lähmschicht” im Mittelbau von Organisationen kommt, wenn andererseits bei immerhin über 1000 befragten Führungskräften ein sehr positives Stimmungsbild zur institutionellen Mitbestimmung aufgezeigt wurde. Aus der Darstellung der Studie auf der Seite des Führungskräfte e.V. gehen leider keine weiteren Informationen über die Stichprobe hervor. Es gibt keine Aussage, wie genau sie zustande kam, wie die Daten erhoben und ausgewertet wurden und ob die Ergebnisse repräsentativ sind. Unabhängig von diesem Mangel sind die Ergebnisse meines Erachtens ein äußerst interessanter Beitrag zur (Weiter)Entwicklung von Mitbestimmung, Partizipation, Selbstorganisation und Unternehmensdemokratie.

 

Herzliche Grüße
Andreas

 

Quelle

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Kaspar1892, CC BY-SA 3.0
  • Dr. Goldschmidt: © Die Führungskräfte e.V., Pressematerial

Comments (6)

Hallo Andreas,
prinzipiell interessanter und wichtiger Artikel, was mir persönlich in der ganzen Diskussion hier in dem Artikel – ok Autowelt Hoppmann evtl. mal ausgenommen – und allgemein gesagt in der NewWork – Diskussion fehlt, ist der Bezug zu den KMU. Ganz oft wird nur von Konzernen gesprochen oder wie Du mich heute Mittag dankenswerterweise hingewiesen hast, Aufsichtsrat pflichtigen Unternehmen.
Die Mehrzahl der Beschäftigten – zumindest in D – ist allerdings nicht in diesen Unternehmen beschäftigt. Ich denke, diese sollten wir nicht außer Acht lassen.
Sicherlich sind diese Unternehmen weniger als Leuchtturm dazustellen resp. zu “vermarkten” – auf der anderen Seite arbeitet dort das Gros der Beschäftigten.
Viele Grüße Dirk

Danke Dirk – bin voll und ganz bei Dir. In meiner Wahrnehmung hat sich die Fokussierung der NW Debatte auf Konzerne eher in den letzten Monaten ergeben. Sowohl im Buch von Thomas Sattelberger et al. (Das demokratische Unternehmen), wie auch in meinem Buch (Alle Macht für niemand) sind ausschließlich KMU portraitiert. Was wiederum in der Natur der Sache liegt, da KMU natürlich viel schneller transformiert werden können als Konzerne.

Andreas, ich wollte Dein und auch das Wirken von Thomas Sattelberger nicht in Frage stellen! Lediglich auf das abdriften der Diskussionen in Richtung Konzernen mal wieder hinweisen… Wobei klar ist, “Konzerne” gönnen sich diese ich nenne es mal Spielwiesen und können und wollen sich das auch leisten. Macht sich ja auch gut nach außen…
Die entscheidendere Frage für mich ist aber, wie dieses Denken an den Patriarchen des inhabergeführten KMU ankommen kann/soll. Nicht jeder Inhaber hat das Erweckungserlebnis eines Bodo Janssen. 🙂
Vielleicht sollten wir alle mal einen, oder auch zwei Schritte, zurücktreten und wieder auf die Betroffenen, die Menschen gucken – egal in welchem Umfeld diese arbeiten.

Lieber Dirk,
ich hatte auch nicht den Eindruck, dass Du was in Frage stellen wolltest. Ich weiß ja nur nicht, wer was kennt…
Ansonsten bin ich voll und ganz bei Dir!

Hi Andrea und Dirk,
danke für diese tolle und übersichtliche sowie gleichzeitig sehr interessante Zusammenfassung der Studie.
Ich habe ja in der Tat einen “kleinen Verdacht” bzgl. der These/Frage, wie es dazu kommen könnte, dass die Bewertung von Mitbestimmung so positiv ausfällt und gleichzeitig die Lähmschicht (sehr schönes WortSprachSpiel!!) so zäh und stark ist in Unternehmen (nach meiner Erfahrung unabhängig ob Konzern oder KMU!).
1. Mitbestimmung (in der erfragten Definition) ist inzwischen schon nahezu “Kulturgut” in Deutschland – nicht vorstellbar, dass es anders sein könnte… => das führt evtl. dazu (wilde Interpretation): ich behalte lieber das (mit allen Schwächen, Widerständen, Streitereien, Negativ-Beispielen und Problemen), was ich kenne, als etwas Neues (New Work / Unt.-Demokratie oder ähnliches) auszuprobieren, was ich nicht kenne. (weil das ja völliges Um-Denken erfordern würde – wieder wilde Interpretation)
2. “Formale” (institutionelle) Mitbestimmung ist in meiner Erfahrung und auch Überzeugung längst nicht annähernd dasselbe wie “aktive Mit-Gestaltung” (oder Beteiligung).
3. Und mal ganz ehrlich: aktive Mit-Gestaltung (à la Hoppmann, CAS (Karlsruhe) und Bodo Janssen oder anderen Beispielen): Das ist echt nichts für “Feiglinge” (und dies ist echt nicht als Bewertung gemeint!!) und Mit-Schwimmer, die lieber einen “klaren Schuldigen” haben, auf den sie zeigen können, als sich selbst darüber klar werden: Was liegt mir persönlich eigentlich (so ganz tief drinnen) wirklich am Herzen? Was ist mein MOTOR, mein ENERGIE-SPENDER, FLOW-ANTRIEB, bei dem ich aufblühe, mit Leichtigkeit arbeite und lebe, mit Begeisterung und auf Augenhöhe mit anderen Menscheninter-agieren kann (übrigens: Dann ist egal, auf welcher Hierarchiestufe der Gesprächspartner steht!!).
4. Meine Befürchtung: es gibt leider auch (und das auf jeder Hierarchie-Ebene) ziemlich viele “MIT-SCHWIMMER” oder “Ab-Taucher” und “Weg-Ducker”, die sagen für sich: “Nun gut, dann machen wir halt auch noch diesen Trend/Hype mit, der vergeht schon wieder” (Originalzitat eines GF!!). Sich wirklich, echt, wirklich echt auf die sich abzeichnende Transformation (was ein Wort!) ein-zu-lassen, hat nach meiner Meinung sehr viel damit zu tun, ob ich es zum (guten) SCHEIN “halt mitmache” oder als tatsächlich echtes SEIN mit LEBEN füllen möchte und DAS braucht dann wirklich etwas ANDERES als “institutionelle Mitbestimmung”, nämlich: Selbst-Klarheit; Selbst-Wertschätzung und vor allem: Be-Wertungs-FREIHEIT im Umgang miteinander als BASIS für ein anderes Mit-Einander! Dazu nur im Telegramstil – dazu könnte ich stundenlang schreiben 🙂
Nachgedanke: An sich müssten die ganzen Gewerkschaften diese “neue OE-Formen/Entwicklungen” doch mit GETÖSE und großem TAMTAM begrüßen – machen sie das??? Wenn nein, dazu hätte ich einige konkrete Phantasien – Ihr auch??
Ach ja – eines noch ganz zum Abschluss: Wisst Ihr, was der Unterschied zwischen SCHEIN und SEIN ist??? (okay, schon in der Schule habe ich rhetorische bzw. “Ein-bestimmtes-Wort-ist-richtig”-Antworten gehasst, deshalb hier gleich die Antwort, die ich für mich er-, gefunden habe:
Der Unterschied (rein von der Schreibweise her) ist einfach: Dem SEIN “fehlt” das “CH”.
Was bedeutet das CH: Nimm dem SCHEIN das CH weg (=Charakter!!) und lass es eine gute, offene, ehrliche, inspirierende, wertschätzende Kooperation mit allen Beteiligten des Prozesses eingehen, dann entsteht was wirklich Neues, nämlich lebendiges SEIN!
Mit stimmigen Grüßen
Joachim

Lieber Joachim.
danke für Deine inspirierende Gedanken. Ja, in der Tat, es gibt große Unterschiede zwischen freier und institutioneller Mitbestimmung. Und Deine Thesen finde ich gar nicht so wild interpretiert.
Ich war bei einer der großen Gewerkschaften – und die ersten 20 Minuten hat mich einer der Gesprächspartner erst mal immer wieder auf den Prüfstand gestellt. Er wollte immer wieder wissen, ob ich Gewerkschaften nun respektiere oder in die Tonne treten will. Und das, nachdem ich den Termin angeregt hatte. Denn bis heute ist kein Gewerkschafter auf mich zugekommen und wollte mit mir über Unternehmensdemokratie diskutieren. In Summe kam Ende fast nichts heraus, alles reichlich unkonkret. Ich hatte eine irgendwie geartete Zusammenarbeit vorgeschlagen, um eine “intelligente Kombination aus institutioneller und freier Mitbestimmung” zu entwickeln. Das passte nicht in ihr vorgestanztes Verständnis der Welt und somit verpuffte mein Engagement. Sie werden ja auch bezahlt, wenn sie nicht über den Tellerrand ihrer jeweiligen Verantwortungsbereiche hinausdenken. Vielleicht würden sie für echtes, eigenständiges Weiter-Denken sogar abgestraft.
Alles in allem scheinen die tatsächlich größtenteils im Modus des Selbsterhalts zu leben. Die müssen das Schisma zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Arbeitgeber und – Nehmer aufrechterhalten, um ihre eigene Existenz weiter zu rechtfertigen. Und damit in vielen Fällen ihre berufliche Positionen zu sichern.
Meine Haltung zur Gewerkschaften hatte ich schon in “Alle Macht für niemand” erläutert: Die Gewerkschaften müssten eigentlich daran arbeiten, sich selbst überflüssig zu machen. Wie weit das fortgeschritten ist, kann jeder selber prüfen.
LGA

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