Was brauchen Arbeitnehmer ganz besonders, wenn sie in einem hochdynamischen Umfeld selbstbestimmt arbeiten wollen? Lust darauf, Neues zu entdecken, zu erforschen, auszuprobieren – und damit verbunden: Risiken einzugehen. Denn schließlich ist nicht klar, wohin die (neue) Reise führt und ob sie von Erfolg gekrönt sein wird. Interessanterweise wird diese Eigenschaft bisher jedoch im Kontext Neuer Arbeit kaum diskutiert. Umso besser, dass Merck 2016 eine Studie zu arbeitsbezogener Neugier veröffentlichte.
Studiendaten
In Summe wurden rund 3000 Arbeitnehmer*innen befragt (N=3015), wovon je rund 1000 Befragte auf die USA (1013), Deutschland (1000) und China (1002) entfielen. Zusätzlich zu der Hauptumfrage gab es chinesische und deutsche Fokusgruppen mit jeweils rund 12 Teilnehmern. Die Umfrage basierte auf einem vierdimensionalen Modell der Neugierde aus Offenheit für neue Ideen, Wissbegierde, Kreativität bei Problemlösung und Stresstoleranz („Merck Modell“). Die Stresstoleranz mag im ersten Moment überraschen, ist dann aber als wichtiges Element nachvollziehbar: Nur wer auch im volatilen Umfeld noch gut klarkommt, kann auch das, was seiner oder ihrer Neugierde entspringt, umsetzen.
„In allen Umfragen mussten die Teilnehmer Fragen zu ihrer eigenen beruflichen Neugier aus allen vier Dimensionen beantworten. Darüber hinaus gab es spezifische Fragen zu jeder einzelnen Kategorie, um zu messen, inwieweit Unternehmen die Neugier ihrer Mitarbeiter förderten. Daraus ergaben sich zwei separate Maßzahlen für Neugier:
- Arbeitnehmer-Index: Punktzahl aus den Selbstbewertungen der einzelnen Umfrageteilnehmer bezüglich ihrer eigenen Neugier in allen vier Dimensionen.
- Arbeitgeber-Index: Punktzahl aus den Bewertungen der einzelnen Umfrageteilnehmer bezüglich der unternehmensseitigen Unterstützung von beruflicher Neugier in allen vier Dimensionen.“ (Merck 2016: 5)
Die Fragen wurden im Vorfeld wohl getestet, wobei offen bleibt, inwiefern die gesamte Umfrage überhaupt valide und reliabel ist. Entsprechende Daten dazu konnte ich nicht finden.
Studienergebnisse
1. Ländervergleich
Ein erstes interessantes Ergebnis besteht darin, dass in Deutschland die größte Lücke zwischen der Selbsteinschätzung der Arbeitnehmer und der Einschätzung des Unternehmens durch die Arbeitnehmer besteht. In China liegt der kumulierte Durchschnittswert über alle 4 Dimensionen in der Selbsteinschätzung bei 60,2. Die Fremdeinschätzung der chinesischen Arbeitgeber liegt mit 59,7 ziemlich nah dran. In den USA ist die Differenz mit 2,3 Punkten schon etwas höher (59,6/57,3), während in Deutschland die Differenz satte 7,6 Punkte beträgt (60,3/52,7). Sofern die Ergebnisse zuverlässig und genau sind, würde hier eine erste Aufgabe für deutsche Arbeitgeber liegen: Neugierde in den vier Dimensionen mehr fördern als bisher.
2. Selbsteinschätzung
Satte 84% der Befragten halten Neugierde für wichtig. Sie gehen davon aus, dass neugierige Menschen mit der größten Wahrscheinlichkeit neue Ideen umsetzen, sehen sich selbst aber nur zu einem Fünftel selbst als neugierig. Diese Eigenschaft landet damit auf Platz 12 von insgesamt 20 Eigenschaften. Organisiert (61), kooperativ (53) und detailorientiert (48) werden wesentlich öfter als eigene Eigenschaften genannt. Wobei mich interessieren würde, inwiefern hier soziale Erwünschtheit eine verzerrende Rolle gespielt haben könnte.
Bei den Arbeitnehmern gab es eine Korrelation zwischen dem Maß an Neugierde und der Position im Job sowie der Arbeitszufriedenheit: Je höher in der Hierarchie und je zufriedener im Job, desto neugieriger. Wie das genau zusammenhängt, bleibt offen. Ob Neugierde tatsächlich hilft, die Karriereleiter schneller aufzusteigen, weiß ich nicht. Dass neugierige Menschen eher auch zufrieden im Job sind, scheint mir augescheinvalide. Der durchschnittliche Indexwert für Neugierde lag bei Teilnehmern ohne Entscheidungsbefugnis bei 51,2, mit mittleren oder erheblichen Entscheidungsbefugnissen bei 62,2 und bei Teilnehmern mit finaler Entscheidungsbefugnis bei 68,4. Dieser Unterschied ist beeindruckend.
3. Neugierde fördern: Autonomie, Bildung & Transparenz
Die Frage, wie Arbeitgeber Neugierde fördern können, brachte drei zentrale Elemente zu Tage: Am wichtigsten ist – Autonomie. Nicht gerade überraschend. Macht aber auch unter dem Gesichtspunkt der Neugierde nochmal klar, welchen Wert Autonomie in der Arbeit hat neben den bisherigen altbekannten Vorteilen wie Freisetzung intrinsischer Motivation oder Sinnkopplung auch wichtig ist, um Neugierde entfalten zu können, die wiederum stark assoziiert ist mit der Innovationskraft des Arbeitgebers. Immerhin geben 28% der Befragten an, Freiraum zu erhalten, um neue Ideen zu entwickeln, was mich ziemlich überrascht. Ich hatte die Quote deutlich niedriger geschätzt.
Ebenfalls sehr wichtig (Weiter)Bildungsmöglichkeiten, die immerhin 34% gefühlt ausreichend erhalten. Hier würde mich wiederum interessieren, inwiefern die Befragten die (Weiter)Bildung selber organisieren und steuern können, was ja zur Autonomie passen würde. Andersherum gefragt: Gibt es einen signifikanten Unterschied im Maß der Neugierde bei Studienteilnehmern, die ihre (Weiter)Bildung selber organisieren im Vergleich zu denen, die das nicht dürfen?
Schließlich sei Transparenz wichtig zur Förderung der Neugier. Den Mitarbeitenden muss klar sein, was das Unternehmen macht und auch warum. Je mehr Menschen das und auch die konkreten Ziele des Unternehmens kennen, desto leichter können sie einschätzen, ob die eigenen Ideen dazu passen und einen Mehrwert darstellen können.
Zusammenfassung
Neugier scheint eine wichtige Eigenschaft von Mitarbeitenden zu sein, um sich möglichst erfolgreich agil und selbstorganisiert aufzustellen. Obwohl gut Vier Fünftel der Befragten (84%) davon ausgehen, das neugierige Kolleg*innen neue Ideen am ehesten entwickeln und umsetzen, halten sich nur 20% selbst für neugierig. Da dürfte in der Unterstützung der individuellen Neugier noch Entwicklungsmöglichkeit sein. Insbesondere auch deshalb, da in Deutschland die Selbst- und Fremdbeschreibung bezüglich der eigenen Neugier und der Unterstützung von Neugier durch den Arbeitgeber im Vergleich zu den USA und China am meisten auseinander klafft.
Um Neugier zu fördern könnte die Ausweitung der Autonomie der Mitarbeitenden ebenso förderlich sein, wie (Weiter)Bildungsangebote und Transparenz im Unternehmen.
Herzliche Grüße
Andreas
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Literatur
- Merck KGaA, Group communications (2016): Seien Sie neugierig. Neugier-Studie 2016. PDF
Bildnachweis
- Beitragsbild: © Dr. Andreas Zeuch
- Studiencover: Merck KGaA