Warum Basisdemokratie nicht immer die beste Wahl ist

Dieser Artikel ist ein Beitrag unseres Kunden flowedoo – Autorin: Elisabeth Morgner

Entscheidungen treffen im selbstorganisierten Team bei flowedoo

Es wurde schon viel geschrieben über selbstorganisierte Teams und wie sie Entscheidungen treffen. Unser Bücherregal bei flowedoo ist bester Zeuge davon, und doch sind es zwei verschiedene Dinge, über selbstverantwortliche Entscheidungsprozesse zu lesen oder sie selbst zu praktizieren. Woran erkennt man, welche Methode die geeignete ist, um zügig zu einer guten Entscheidung zu kommen?

Um auf diese Frage eine Antwort zu geben, muss ich kurz beschreiben, was Selbstverantwortung für flowedoo bedeutet. Wir arbeiten hierarchiefrei, bei uns hat also keiner eine Chefin oder einen Chef. Niemand wird bevormundet und es gibt auch niemanden, der im Zweifel nur durch das Innehaben einer Position eine Entscheidung treffen darf. Wir arbeiten auf Augenhöhe miteinander und jedes Teammitglied hat das gleiche Recht, Entscheidungen zu treffen. Das entspricht unseren Grundwerten und Überzeugungen, wie wir uns im Team begegnen wollen. Was das konkret in der Praxis bedeutet und welche Voraussetzungen es dafür braucht, haben wir über die Zeit herausgefunden.

Alle werden gehört: Konsens und Konsent

Wir schätzen den Wert, verschiedene Argumente zu hören und Perspektiven anderer einzunehmen. Manchmal kommen wir in unseren Diskussionen aber an einen Punkt, an dem wir uns nicht mehrheitlich für etwas entscheiden können. Wir stecken fest und merken, dass die Frage „Wer ist dafür?“ nicht eindeutig beantwortet werden kann. So war es beispielsweise bei der Entscheidung für den Einzug in unser neues Büro. Es gab gleich viele Argumente dafür und dagegen, eine Pattsituation. Lediglich die subjektive Gewichtung der Argumente war unterschiedlich. Zur finalen Entscheidung sind wir im Konsentverfahren gekommen: statt „Wer ist dafür?“ fragten wir „Wer hat einen schwerwiegenden Einwand?“. Niemand meldete sich zu dieser Frage und die übrigen Bedenken von der Kontraseite konnten wir in kreativen Lösungen für das neue Büro verarbeiten.

Konsens, also die Zustimmung aller Teammitglieder, setzen wir voraus, wenn wir über die Einstellung von neuen Kollegen entscheiden. Durch unschöne Erfahrungen haben wir gelernt, dass wir auf unsere Intuition vertrauen können, ob jemand in unser Team passt. Das Teamgefühl und unsere konsequent selbstorganisierte Art des Arbeitens sind uns so wichtig, dass wir hier alle Bedenken noch etwas ernster nehmen und im Zweifel von einer Einstellung absehen.

Basisdemokratische Entscheidungen machen langsam

Zum Glück haben nicht alle Entscheidungen, die wir tagtäglich treffen, die gleiche Tragweite wie große Investitionen oder Neueinstellungen. Bei weniger weitreichenden Themen haben wir gelernt, dass demokratische Entscheidungsprozesse nicht immer das beste Mittel sind. Sie machen uns langsam, weil wir viel Zeit in Diskussionen stecken und kosten uns viel Energie, weil Argumente von zehn Personen nicht immer leicht zu ordnen sind.

Als besonders ineffizient aufgefallen sind uns jene Entscheidungen, bei denen alle Teammitglieder im kreativen Entstehungsprozess von etwas beteiligt sind und nicht nur am Ende über Variante A oder B entscheiden. Beispielsweise haben wir damit experimentiert, Texte für unsere Website mit acht Personen (damals das gesamte Team) zu schreiben. Das Ergebnis war ein mittelmäßiger Text, der keinen so richtig ansprach und auch nicht polarisierte. Kein Text jedenfalls, an dem Besucher auf unserer Website hängen bleiben würden. Wir hatten im Schreiben nahezu jedes Wort herumgedreht, durch andere ersetzt und dadurch alle Ecken und Kanten, die einen guten Text ausmachen, rundgeschliffen. In anderen Worten: wir haben uns im Kreis gedreht. Darüber hinaus waren wir nicht nur mit dem Ergebnis unzufrieden, sondern hatten uns auf dem Weg dahin auch noch in unnötigen Diskussionen aneinander aufgerieben. Etwas Positives hatte dieses Vorgehen aber doch: Wir waren uns einig, dass wir eine neue Form der Entscheidungsfindung brauchen.

(c) Joachim Clüsserath

Vertrauen als Schlüssel für Eigenverantwortlichkeit

Doch wie sollten wir zu Entscheidungen kommen, mit denen wir am Ende zufrieden sind und die das ganze Team mitträgt? Eine Besinnung auf unsere Grundüberzeugung hat uns geholfen. Wir arbeiten auf Augenhöhe miteinander, weil wir davon ausgehen, dass jeder seinen besten Job macht, mit dem besten Wissen und Gewissen, seinen Fähigkeiten und den zur Verfügung stehenden Ressourcen in der jeweiligen Situation (angelehnt an die Prime Directive von Norm Kerth). Das heißt, dass wir jedem von uns das Vertrauen schenken, gute Entscheidungen zu treffen und dass jeder im Sinne des Unternehmens handelt. Dass jeder, wenn er sich mal nicht in der Lage sieht, eine Entscheidung selbst zu treffen, einen oder mehrere Kollegen fragt, bis er alle Informationen zusammen hat, die fehlten. Damit einher geht eine Lernkultur, in der Fehler als Lernchance gesehen werden und nicht unter Strafe stehen.

Nach dieser für uns neuen Methodik sind wir mit der Gestaltung der Unternehmens- und Stellenseite von flowedoo für priomy vorgegangen. Wir durften Entwürfe für zwei Websites gestalten, die flowedoo präsentieren und potentielle neue Kollegen anspricht.

Das Thema lag natürlicherweise bei mir, weil es über mich ins Unternehmen gekommen war. Texte schreiben war für mich kein Problem, doch das Design für zwei Websites traute ich mir nicht zu. Nach unserer neuen Vorgehensweise sprach ich nicht mit dem ganzen Team, sondern mit meiner Kollegin Claudia. Sie hat große Erfahrung sowohl mit dem Design von Websites als auch mit Texten. Gemeinsam haben wir zwei Seiten skizziert und die Texte geschrieben.

Bevor wir mit der eigentlichen Arbeit begannen, hatten Claudia und ich dem flowedoo Team den Vorschlag gemacht, dass wir uns um die zwei Seiten kümmern würden und das Ergebnis verantworten. Sie waren erleichtert, dass sich nicht das ganze Team damit beschäftigen muss und gaben uns ihr Vertrauen, ohne eine Korrektur die Skizzen und Texte rauszuschicken. Unsere Kollegen hätten jederzeit einen Blick darauf werfen können, weil unsere Entwürfe in geteilten Ordnern abgelegt waren und jeder eine Info darüber erhalten hatte. Es mischte sich aber niemand ein und das Thema kam erst wieder auf den Tisch, als die Seiten fertig gebaut waren und wir sie gemeinsam ansahen. Dieses Vorgehen ermöglichte uns, in weniger als vier Stunden die Skizzen und Texte zu erarbeiten und zu versenden. Mit Diskussionen im gesamten Team (zehn Personen) wären wir erfahrungsgemäß langsamer und weniger zufrieden geworden.

Diese Art der Entscheidungsfindung bedeutet, dass jeder von uns auch mal akzeptieren muss, wenn etwas nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. Aber ist ein Ergebnis deshalb schlechter? Sich selbst zurückzunehmen, anderen mehr Raum zu geben und so Chancen zum Lernen zu schaffen sind die Voraussetzungen für echte Eigenverantwortlichkeit.

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