Dies ist der zweite Teil des Beitrags “Demokratie ist mehr als nur abstimmen”. Unser Gastautor Thomas Michl erläutert, warum die Thematik dieses Zweiteilers überhaupt wichtig ist, wie Demokratie im Einklang mit Effektivität und Effizienz steht, beschreibt Unternehmen kurz als komplexe Systeme und warum Unternehmensdemokratie einen passenden Rahmen für Entscheidungswerkzeuge darstellt, die zur Komplexität der Organisationen und ihrer Umwelten passen.
Unternehmensdemokratie – darum sollten wir diese Diskussion führen
Im Folgenden möchte ich zeigen, das Demokratie keinen Selbstzweck besitzt, sondern durchaus aus Gründen der Effizienz und Effektivität gerechtfertigt ist und dass die Übertragung auf den unternehmerischen Kontext kein Widerspruch darstellt. Sicherlich mag der eine oder andere einwenden, dass wir hier von Unternehmen sprechen. Unternehmen und politische Institutionen seien nicht vergleichbar, dürfte der eine oder andere einwerfen. Nicht ganz zu Unrecht. Beide scheinen auf dem ersten Blick, sehr unterschiedliche “Logiken” zu folgen. Aber auch hier möchte ich mit Vehemenz dieser Sichtweise widersprechen. Sie sind vergleichbar. Sehr sogar.
Warum sollten wir uns daher überhaupt im unternehmerischen Kontext mit Demokratie oder besser mit Unternehmensdemokratie beschäftigen? Schließlich ist es doch so, dass der Unternehmer, der das Risikokapital stellt, derjenige ist, der dann auch die Verantwortung zu tragen hat und damit letztendlich der legitime Entscheider im Unternehmen ist.
Kleiner Einschub: Dieses Argument verfängt meines Erachtens allerdings im besten Falle im Inhaber geführten Unternehmen, in dem der „Manager“ gleichzeitig auch der Firmeneigner ist. In einem Unternehmen, wo die Geschäftsführung von außen kommt, wird es dagegen schon etwas schwieriger. Insbesondere dann, wenn das Unternehmen über eine entsprechende Zahl an Gesellschaftern verfügt, dass diese an der originären Entscheidung, wer das Unternehmen führt, kaum noch Einfluss nehmen können. Der Einfachheit vertiefe ich es hier allerdings nicht weiter und belasse es dabei.
Ich könnte dagegen argumentieren, dass es in unserer Wissensgesellschaft eben nicht nur das Geld- und Produktionskapital ist, dass ein Unternehmen ausmacht, sondern das auch Wissen der Mitarbeiter einen derart bedeutenden Zuwachs an Gewicht gewinnt, dass diese eben als ausschlaggebend zu betrachten sind. Und ich könnte auch argumentieren, dass das Risiko auch von den Mitarbeitern im Unternehmen getragen wird, deren Existenzgrundlage ja gerade an der Tätigkeit im Unternehmen hängt. Dagegen lässt sich natürlich einwenden, dass wir über die betriebliche Mitbestimmung diesen Zusammenhang ausreichend abbilden.
Da ich aber auch der Auffassung bin, dass Demokratie nicht einfach nur ein „normatives“ Muss ist, sondern durchaus eine ausgeprägte ökonomische Begründung hat, vertrete ich im Weiteren die Hypothese, dass Demokratie als Kommunikations- und Steuerungsinstrument in einer komplexen Organisation die besseren Ergebnisse im Vergleich zu einer „autokratischen“ oder „oligarchischen“ Struktur aufweist. Unternehmensdemokratie in diesem Sinne bedeutet nicht, dass der Unternehmer oder Eigentümer entmachtet wird, sondern Akteure im System Unternehmen und an dessen Schnittstellen, mit denen das Unternehmen interagiert, in den Entscheidungsprozess des Unternehmens eingebunden werden. Rückmeldungen werden aggregiert, sichtbar gemacht und Entscheidungen unter Bedingungen der Komplexität auf qualitativ bessere Grundlagen gestellt.
Demokratie im Einklang mit Effizienz und Effektivität
In der (politikwissenschaftlichen) Demokratietheorie wurde/wird schon immer diskutiert, wie Effizienz und Effektivität der Entscheidungen in Einklang gebracht werden können. Dabei wird Effektivität und Effizienz – wie auch im wirtschaftlichen Kontext – definiert. Soll heißen, Effektivität bedeutet (verkürzt und angelehnt an Drucker), die richtigen Dinge zu tun. Effizienz meint, sie richtig zu tun, also einen möglichst geringem Aufwand zu betreiben.
Alles Dinge, die bereits vorhanden sind – aber jenseits der sozialwissenschaftlichen Kreise offenbar leider immer noch wenig Beachtung erfahren. Frech erlaube ich mir zu behaupten, dass die neoklassischen Ökonomen nach wie vor ein extremes Beharrungsvermögen an den Tag legen, was ihre theoretischen Annahmen vollständig rational agierender Akteure betrifft. Und das, obwohl wir längst flächendeckend anerkennen, dass wir in einer komplexen Welt den Zustand der vollständigen Komplexität nicht einmal ansatzweise erreichen können. Eine Tatsache, die auch von Rational-Choice-Theoretikern zwischenzeitlich im Grundsatz anerkannt wird.
Seien wir ehrlich: Auch ein Unternehmen ist eine soziale Organisation, ein soziales System mit “Herrschaftsbeziehungen”. Herrschaftsbeziehungen, die legitimiert werden müssen. Auch in Unternehmen wird macht ausgeübt und damit auch „geherrscht“. Wenn ich von Macht spreche, meine ich damit in Anlehnung an Max Weber: “Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.” (M. Weber 1972, S. 28). Rede ich von Herrschaft, meine ich damit die legitimierte Befugnis oder das Recht Entscheidung zu treffen und zu vollziehen. Und um genau diese Diskussion geht es im Kern.
Unternehmen als komplexe Systeme
Das setzt für mich allerdings voraus, sich von der Idee der neoklassischen Ökonomie des Homo Oeconomicus zu verabschieden, die nach wie vor von vollständig rationalen Akteuren ausgeht. Statt dessen sollten wir anerkennen, dass auch ein Unternehmen nichts anderes ist, als ein komplexes System, in dem Entscheidungen unter extrem hoher Unsicherheit getroffen werden und der Faktor Zufall eine sehr große Rolle spielt.
Wie wir Dank des Mülleimermodells nach March/Olsen/Cohen wissen, sind Entscheidungen mehr oder minder dadurch geprägt, dass verschiedenste Faktoren zufällig zusammenkommen. Entscheidungen in Organisationen oder in unserem Falle in Unternehmen, folgen damit keineswegs der rationalen Logik des Homo Oeconomicus. Wie auch – sie sind nicht in der Lage dieser zu folgen, da sie bestenfalls begrenzt-rational sind. Zu viele Faktoren sind weder erfassbar noch vorhersehbar. In Folge klammern sich die “Institutionen” des Systems Unternehmen am historischen Entwicklungspfad fest, von dem sie nur graduell abweichen (historische Pfadabhängigkeit).
Wenn wir jetzt noch anerkennen, dass Organisationen/Unternehmen komplexe Systeme sind, die selbst wiederum eingebettet in eine Umwelt aus weiteren komplexen Systemen sind, stellt sich die Frage, wie dieses System Unternehmen an den Schnittstellen mit seiner Umwelt interagieren kann. Interagieren im Sinne von Überlebensfähigkeit sichern bedeutet in diesem Kontext anpassungsfähig zu bleiben. Formelle wie informelle Strukturen zu schaffen, die im System Unternehmen die Koordination ermöglichen, aber auch an den Schnittstellen. Und dies wohlgemerkt unter der Maßgabe, dass der Faktor Unsicherheit gigantisch ist.
Das wiederum führt für mich zu der Frage, wie ich verhindere, dass ein Unternehmen als System mit seinen einzelnen Teilen harmonisch interagieren kann, ohne an den Schnittstellen zu anderen Systemen geschädigt zu werden. Wie gelingt es mir, die unterschiedlichen Erkenntnisse an mannigfaltigen Schnittstellen des Systems zusammenzuführen und die diversen Einschätzungen, Prognosen und Vorhersagen zum Verhalten der Systeme an der Schnittstelle zum eigenen System Unternehmen zusammenzuführen?
“Entscheidungswerkzeug” für komplexe Systeme
Ein solches System kann daher nur funktionieren, wenn es nicht eine einzelne Macht- und Schaltzentrale gibt, die alles im kleinsten Detail diktiert. Es werden Entscheidungs- und Steuerungssysteme benötigt, die in der Lage sind, die vollständige Komplexität abzubilden. Nicht nur in operativer Hinsicht, sondern auch auf strategischer Ebene. Ein System, das in der Vielfalt der Optionen in der Lage ist, das Gesamtsystem zu steuern und gleichzeitig flexibel genug ist, um den Ansprüchen an den verschiedenen Schnittstellen des Systems gerecht zu werden. Hierüber komme ich in Folge auf den Punkt, dass ich eine Vielzahl an Individuen im System brauche, die auf einer wertschätzenden Basis kooperieren, womit ich dann wieder beim Thema “Demokratie” wäre, denn ein anderes Modell ist mir nicht bekannt, dass es schafft, unterschiedliche Meinungen unter einen Hut zu bekommen und in der Vielfalt tragfähige Entscheidungen herbeizuführen.
Unternehmensdemokratie wird auf diesem Wege zum Hilfsmittel, mit dem unterschiedliche Interessen aggregiert, möglichst in Ausgleich gebracht und formalisiert sichtbar gemacht werden.
Die unternehmensdemokratische Debatte steht noch immer am Anfang
Das wiederum wirft für mich die Frage auf, welche demokratietheoretischen Muster geeignet sind, in Unternehmen zum Einsatz gebracht zu werden. Sie müssen dabei gleichzeitig die Vorgabe der Effizienz und Effektivität erfüllen, um ein wirtschaftliches “Überleben” des Systems Unternehmen zu ermöglichen und doch ausreichend Spielraum für Anpassungsfähigkeit und Weiterentwicklung bietet.
Auf diese Frage kann es aber nach meiner Meinung keine einfache Antwort geben, da wir es ja – wie schon erwähnt – mit einem komplexen System zu tun haben. Ergo sind wir hier mitten in einer unternehmensdemokratietheoretischen Debatte, die nicht komplexitätsreduzierend auf eine Dimension zurückgeführt werden kann, sondern mehrdimensionale Aspekte abbildet. Wer in diesem Sinne den Fehler macht, den Demokratiebegriff und damit das Verständnis von Unternehmensdemokratie auf basisdemokratische oder konkordanzdemokratische Muster im Sinne von Mehrheitsentscheidungen zu reduzieren, läuft in der Debatte fehl.
Auch wage ich zu behaupten, dass es nicht ein Modell geben wird, sondern dass auch hier die Vielfalt Raum braucht – je nach Organisationsform, Organisationsgröße, Umfeld, ja sogar Aufgabe die zu bewältigen ist.
Herzliche Grüße
Thomas Michl
Bildnachweis
- Beitragsbild: Rama, CC BY-SA 2.0 fr
- Schilder: Pixbay – CC0 Creative Commons
- Entscheidung: Pixbay – CC0 Creative Commons
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