Ist es nicht erstaunlich, wie schnell Firmen wie Google und Facebook zu einer extremen Marktmacht kommen konnten? Ist es nicht verwunderlich, wie Facebook, ohne zu Beginn einen klaren und nachweislichen Return on Invest darstellen zu können, Milliarden an Investitionsgeldern ergattern konnten? Und das, obwohl die Dienstleistung von Anfang an auch noch kostenfrei angeboten wurde und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch kostenlos bleibt (denn welche User würden jetzt plötzlich 4,99 € im Monat zahlen?). Und ist es nicht faszinierend, dass Kapitalgeber und Analysten diesen geradezu winzigen Unternehmen (gemessen an den Mitarbeiterzahlen von Konzernen VW mit über 642.000 Mitarbeitern) auf dem Aktienmarkt einen Wert zuschreiben, der relativ weit über das hinausgeht, was die physische Produktionsbetriebe an Wert kumuliert haben?
Alle bisherigen Erklärungen, die ich gelesen habe, überzeugen mich nicht restlos. Ja klar, das ist halt Plattform-Ökonomie, die ist beliebig und vor allem schnell skalierbar, da müssen nicht mit großem Aufwand erst mal Genehmigungen für neue Fabriken eingeholt, Liegenschaften gekauft oder gepachtet und Fabriken gebaut werden. Die Google und Facebook-Skalierung erleichtert die Aufgabe, enorme Investitionen zu gewinnen, ungemein. Aber reicht das, um Milliarden Investitionen zu ergattern? Eher nicht. Indes erinnere ich mich an eine Anekdote über Revlon. Ich glaube es war Joseph Revson, einer der Gründer, der sinngemäß gesagt haben soll: “Wir verkaufen keine Lippenstifte. Wir verkaufen Hoffnung.” Das sitzt. Diese Aussage macht den Erfolg eines Unternehmens sofort und unmittelbar spürbar.
Und genau darum geht es den längst etablierten unternehmerischen Giganten der Wissensgesellschaft. Zuckerberg, Page, Bezos und wer sich da noch so als CEO im Namen eines Multimilliarden-Dollar-Konzerns präsentiert, verkaufen genau dasselbe Prinzip: Hoffnung. Aber worauf? Sicher nicht auf einen Traumpartner. Auf eine tolle Nacht. Zumindest nicht für die Investoren. Hier meine These:
Facebook, Google & Co. verkaufen Investoren die Hoffnung auf vollständige Information, Kontrolle und Vorhersagbarkeit.
Diese Hoffnung fruchtet bei denjenigen, die die Verwalter der nie versiegenden Geldtöpfe sind. Denn diese Menschen brauchen diesen Glauben, wie die Luft zum Atmen. Und so suggerieren diese Unternehmen die Möglichkeit, alle zukünftigen Schritte von uns Konsumenten vorhersagen zu können. Damit die zahlenden Kunden der Herrscher der digitalisierten Welt dann in der Lage sind, die perfekt manipulierende Werbung lancieren zu können. Jene Werbung, die jeden von uns ins Mark trifft und zu willenlosen Konsumrobotern macht, die sofort die Geldbörse zücken und zahlen, sobald eine Google Ad erscheint; oder die uns zu manipulierbarer Wählermasse machen, indem Microtargeting Anzeigen bei Facebook uns Trump als nächsten Präsidenten schmackhaft machen.
Auf dieser quasi-religiösen Annahme der Vorhersagbarkeit und Kontrolle beruht nämlich unsere Wirtschaft insgesamt; verdichtet in der verquasten Theorie des Homo oeconomicus, der den ganzen Tag nichts weiter tut, als stur seinen Eigennutzen zu maximieren und total rational zu entscheiden. Dazu vollzieht er die Quadratur des Kreises, seine emotional-intuitiven Entscheidungsanteile einfach wie eine Deckenleuchte auszuknipsen und unbewusste Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse zu 100% zu rationalisieren. Damit ist er dann bislang zumindest in der Theorie vorhersagbar. Allerdings zeigte die Praxis bisher, dass dieses Modell ziemlich löchriger Käse ist. Aber dafür haben wir heute Big Data und die Analyse aller möglicher Kundendaten, deren selbst erstellten und publizierten Content ebenso, wie die Stamm- und Metadaten. Wer da nur genug sammelt, kann tatsächlich eine erstaunliche Vorhersagegenauigkeit erreichen. Das immer wieder zitierte Beispiel der Schwangerschaftsvorhersage durch Supermärkte illustriert das sehr gut.
Es ist nur menschlich, allzumenschlich, unser aller Bedürfnis nach Sicherheit in einer Welt der Unvorhersehbarkeit. Es ist das alte biblische Motiv, dass wir Menschen uns die Natur zum Untertan machen. Der Sieg des Verstandes und des Wissens über die Natur. Vollständige Information ist Allmacht. Der Laplace’sche Dämon ist wiederauferstanden: Hätten wir nur alle Informationen über die Welt zu einem Zeitpunkt x, könnten wir den Lauf aller Dinge vorhersagen. Und genau an der post-postmodernen Umsetzung dieser alten Idee arbeiten die Internetgiganten mit Hochdruck. Alle Informationen sammeln, kumulieren, kombinieren und auswerten.
Dieser Glaube, diese Hoffnung, diese Sehnsucht gepaart mit der genauso sinnentleerten und verrückten Idee, Wirtschaft müsse ständig wachsen, erklärt sofort, warum die Geldtopfverwalter eine wundersame Wärme durch Ihren Körper fließen spüren, wenn ihnen vollständige Information über Endkunden als Dienstleistung implizit oder explizit angeboten wird. Damit wird die endgültig zielgruppengerechte Werbung möglich, die Vorhersagbarkeit des Individuums und seiner Bedürfnisse und seiner finanziellen Situation. Damit wiederum wird Wachstum deutlich beschleunigt. Wachstum ohne Grenzen natürlich. Im glasigen Blick der Verwalter und der B2B-Kunden spiegelt sich die exponentiell ins endlos steigende Wachstumskurve.
Habt Ihr Zweifel an meiner These? Oder anders gefragt: Wie komme ich darauf? Ganz einfach. Es gibt da einige Hinweise, die meine Annahme nahelegen. Vor geraumer zeit outete sich der Google Ex-CEO Eric Schmidt beispielsweise als technokratischer Allmachtssüchtiger: “Sie werden nie mehr einsam sein.” – Als ob Einsamkeit ein Problem mangelnder technischer Ausrüstung wäre. Ebenso erhellend seine leicht komplexitätsreduzierende Sicht, Klimawandel oder Terrorismus als “Informationsproblem” zu definieren. – Als ob Wissenschaftler und Geheimdienste nicht jetzt schon in Daten ersaufen. Und das Lustigste: “Wir wollen Ihnen die Zeit zurückgeben. … Wir wollen die Dinge schneller machen.” – Als ob die Beschleunigung der Datenverarbeitung nicht die Ursache der Datenflut wäre, die uns wiederum in vollkommen unproduktives Multitasking stürzt, was die Interruption Science untersucht. (Dazu hatte ich mich auch in meinem vorletzten Buch “Feel it!]” geäußert).
Was Schmidt darüber hinaus über Privatsphäre dachte, ist hinlänglich bekannt: “If you have something that you don’t want anyone to know, maybe you shouldn’t be doing it in the first place…” – hier das Video dazu:
Aber im Grunde war das von Anfang an klar. Denn bis heute geht es zumindest bei Google darum, “Die Informationen der Welt zugänglich und nutzbar zu machen, für alle Menschen, zu jeder Zeit.” Laplace hätte bei Page, Brin und Schmidt in die Lehre gehen können. Allerdings bin ich mir nicht ganz so sicher, ob Google tatsächlich möglichst viele Informationen für wirklich alle Menschen nutzbar machen will. Es scheint doch eine gewisse Abstufung zu geben, wer Zugang zu wievielen und welchen Informationen erhält. Wenn wir an die bei den Usern erhobenen und anschließend monetarisierten Daten denken, mit denen deren Verhalten weitgehend vorhergesagt werden soll, scheint es eine gewisse asymmetrische Informationspolitik zu geben.
Aber davon unbenommen scheint das Leistungsversprechen an die werbenden (Non)Profit-Organisationen, die über Facebook, Google, Amazon und Co. werben oder dort Datensätze erwerben, bestens zu funktionieren. Die großen Digitalisierungskonzerne sind somit aus einem Grund bei Investoren so exorbitant erfolgreich:
Facebook, Google & Co. lösen den Glauben, die Hoffnung und Sehnsucht der Standardökonomie nach totaler Kontrolle und Vorhersagbarkeit ein.
Herzliche Grüße
Andreas
Quellen und weitere Literatur
- Dworschak, M. (2011): Im Netz der Späher. (Spiegel 2/2011, S. 114-124)
Bildnachweis
- Beitragsbild (eigene Zusammenstellung basierend auf)
- Brin: Steve Jurvetson CC BY 2.0
- Page: Stansfield PL CC BY-SA 3.0
- Zuckerberg: Guillaume Paumier CC BY 3.0
- Like Button: Enoc vt, CC BY-SA 3.0
- Google Logo: Gemeinfrei
Die Bewertungen von Aktien werden von unfassbar gut bezahlten Menschen analysiert und bestimmt. Zum einen wird ein Verständnis der Weltwirtschaftsordnung nach dem 2. Weltkrieg an den Tag gelegt, und zum anderen das Agieren des 1. Banken-, 2. Versicherungs- und 3. Börsensystems der USA. Und mit dem Verhalten der vierten Partei, dem US-Konsumenten und dem nachgeordnete Parteien.
Zusammengefasst: Ein großer Anteil an überschüssigem Vermögen und gedrucktes Geld fließt in diese Sektoren. Es ist de facto Risikokapital, welches auch Unternehmen wie Tesla treibt. In den 20er Jahren floss unfassbar viel Kapital in die Verstädterung und andere Prestigeobjekte und eben in fiktives Wachstum, während das Produktivwachstum behindert wurde und daran Kriege entbrannten.
Hinter den Enablern und Nutzern der Produkte der IT-Unternehmen stecken wiederrum neue Geschäftsmodelle und neue Firmen, neue Investoren und neue Ansichten, die beide Welten miteinander verbinden. Daher ist die IT auch ein politisches Schlachtfeld, welches die Staatsparteien in Ihrem Interesse regulieren und beäugen wollen.
Und zu guter letzt ist Facebook und Co. ein Konsumgegenstand, der “Einsamkeit” vorbeugt. Deshalb wird er genutzt.