Führung abgeben – Was heißt das für meine Karriere?

Oh, mein Gott! Diese New Work Fuzzis verlangen tatsächlich, dass Führung moderativ sein soll. Und phasenweise wechseln soll sie auch noch. Was für ein Irrsinn, nicht wahr? Wie soll das denn gehen und wer will das überhaupt? Ich auf jeden Fall nicht, ich habe lange genug gebuckelt und mich taktisch klug hochgearbeitet. Meinen Führungsanspruch macht mir hier keiner mehr streitig. Hier bin ich und hier bleib‘ ich! So! Sei ehrlich – hast Du Dich gerade beim Nicken ertappt? Das geht nicht, dass man eine hart erarbeitete Karriereleiter auf der mutmaßlich höchsten Stelle – auch nicht zeitweise – verlässt, richtig?

Karriere reloaded

Herzlich willkommen, damit bist Du tief verhaftet in patriarchalen und linearen Strukturen, die Dich in Deiner Pubertät schon genervt haben. Für die Du Deine Eltern verachtet hast. Und jetzt reproduzierst Du exakt die gleiche Schiene. Vermutlich rechtfertigst Du Dich, wenn jemand Dich darauf anspricht, sogar dafür, weil ja „nicht alles schlecht ist“, was Deine Eltern Dir mitgegeben haben.

Damit hast Du völlig Recht, denn Deine Eltern sind tolle Menschen und haben Dir auf jeden Fall eine Menge toller Dinge mitgegeben. Nur, das was Du da reproduzierst, kommt gar nicht von Deinen Eltern, sie haben es nur ungefragt übernommen und an Dich weitergegeben. Auch das ist Ordnung. Eltern machen das so, weil sie ihren Sprösslingen Sicherheit geben wollen. Sicherheit, die aus Vergangenheitserfahrungen kommt, aus Situationen, die erfolgreich waren. Was Eltern leider grundsätzlich vergessen: Solche Erfahrungen sind immer abhängig vom zeitlichen und kulturellen Kontext.

Der unsichtbare Zeitgeist

Intellektuelle sprechen mitunter vom „Zeitgeist“ und haben damit eine grandios perfekte Formulierung gefunden, die so gut ist, dass sie noch nicht mal ins Englische übersetzt wurde, sondern 1:1 international übernommen wurde. Etwas kann eine enorm lange Zeit gut funktionieren, weil sich Umfeld, Akteure und Bedingungen scheinbar nicht ändern. Doch Zeit ist ein Geist. Einerseits vergeht sie extrem langsam und ist nahezu unsichtbar. Und dann springt sie einen völlig unvermittelt an und auf einmal scheint sich alles zu drehen und gleichzeitig aufzulösen. Deshalb kommt Weihnachten jedes Jahr auch immer so plötzlich.

Goethe läßt seinen Faust den „Geist der Zeiten“ richtig gut beschreiben:

„Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.“

 

Karrierefeld statt Karriereleiter

Zurück zum Phänomen Karriere. Einer meiner ehemaligen Englischlehrer sagte mal: „Ihr Deutschen habt ein merkwürdiges Verständnis von Karriere. Bei Euch muss es immer nach oben gehen. Wir Amerikaner haben ein anderes Verständnis – unsere Karriere ist vielfältiger und breitflächiger angelegt. Es geht uns um persönliche Weiterentwicklung. Das macht für uns Karriere aus.“ Ich weiss nicht, ob diese Sicht allgemeingültig ist, aber mich hat der Satz beeindruckt und ins Nachdenken gebracht. Warum ist das so, dass unser deutsches Bild einer Karriereleiter so hartnäckig ist?

Du errätst es sicher schon: Unsere Eltern sind schuld. Zumindest initial. Sie bringen uns nach wie vor bei – lerne und studiere fleißig, dann bekommst Du auch einen guten Beruf. Das dazugehörige Selbstverständnis verbindet diesen „guten Beruf“ mit einer darauf aufbauenden linearen Karriere – Karriereleiter eben – so wie es Jahrzehnte gut funktionierte. In unserem Berufsleben soll es bergauf gehen – möglichst kerzengrade – vom Junior zum Senior Manager und dann zum CEO.

Stuck in „Mittleres Management“

Doch oft geht es nicht ganz so schnell nach oben und man bleibt zunächst im mittleren Management hängen. Hat man/frau diese Führungsstufe erreicht, wird sie verteidigt. Schließlich weiss man erstens nicht, wann es weiter nach oben geht und zweitens kann man hier schon mal das Delegieren und Herrschen üben.

Auch wenn es so anmuten mag, das mittlere Management ist grundsätzlich gar keine so schlechte Idee, dennoch hängt ihm seit den 1990er Jahren der Begriff „Lehmschicht“ oder „Lähmschicht“ an. Ziel dieser hierarchischen Ebene sollte ihm Idealfall Effizienz heißen – der Mittelmanager sorgt dafür, dass die Ziele des Top-Managements umgesetzt werden. Hier nur pauschal und ausschließlich von Lähmschicht zu sprechen, d.h. Veränderungen werden nicht oder nicht ausreichend umgesetzt, weil der/die Vorgesetzte blockiert, wäre fahrlässig, denn diese Ebene hat durchaus Potential um genau diese Veränderungen durchzusetzen (siehe Studie unten). Ob diese Ebene als Karrierestufe gelten muss, ist jedoch fraglich.

Karriere als Entwicklungsfeld

In der neuen Arbeitswelt wird Karriere anders definiert – es geht sowohl um moderative Führung als auch fluide Führen. Was heißt das? Für die moderative Führung braucht es eine Menge Soft Skills – mehr als fachliche Kompetenzen. Einer der wichtigsten Skills dabei ist die Fähigkeit, Führung auch abgeben zu können. D.h. genau das, was unsere Eltern als erstrebenswert am Ende einer Kette von Berufsjahren hielten, ist so nicht mehr gefragt. Neues Arbeiten bedeutet Macht abzugeben – anzuerkennen, dass man eine gewisse Position und damit Macht hat, aber diese auch wieder verlassen kann, ohne, dass man psychisch leidet und sich minderwertig fühlt.

Dies funktioniert umso besser, wenn man das alte Verständnis der Karriereleiter verlässt und in ein Entwicklungsfeld eintritt (Andreas hat das in seinem Beitrag “New Work: Persönlichkeitsentwicklung statt Karriere” schon angesprochen). Besser wäre es also, das mittlere Management hin zu einem Lern- und Experimentierfeld zu transformieren, in dem persönliche Entwicklung möglich ist. Dazu gehören menschliche Größen wie Gelassenheit, Loslassen und Vertrauen. Die Fähigkeit zur tiefen Aufmerksamkeit – einerseits Führung aufgreifen, wenn es nötig scheint und sie flexibel wieder abzugeben, wenn Führung unnötig ist oder ein/eine andere sie besser ausführen kann.

Dass diese persönliche Entwicklung sich auch auf den unternehmerischen Erfolg auswirken kann, dürfte klar sein – wer zufrieden und motiviert arbeitet, ist auch leistungsfähiger. Und das wusste schon meine Oma.

Herzliche Grüße
Daniela

 

Zum Weiterlesen

http://www.juergen-meyer-stiftung.de/stiftung-ethik-pdf/DMM%20Die%20unsichtbaren%20Leistungstraeger.pdf

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Daniela Röcker

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