+++ CAVE! Für sensible Charaktere: Dies ist eine polemische Satire +++
Startup! Im September 2017 erschien bei jetzt.de ein Interview mit der französischen Schriftstellerin Mathilde Ramadier. Das Gespräch dreht sich um ihre Erlebnisse in der Berliner Startup Szene. Und die waren offensichtlich “ernüchternd”, wie sie in ihrem Buch „Bienvenue dans le nouveau monde“ berichtet. Ramadier thematisiert damit etwas, was leider viel zu selten auf den Tisch kommt und statt dessen lieber klammheimlich unter den Teppich gekehrt wird: Die vollmundigen Behauptungen vieler Startups bezüglich einer unglaublich großartigen Unternehmenskultur auf der einen und die eher triste traditionelle Alltagswirklichkeit auf der anderen Seite.
Die sonderbare Welt der Mathilde
Die Autorin, die das Auseinanderklaffen von Sein und Schein thematisiert, hat in verschiedenen Startups mit verschiedenen Jobs Erfahrungen gesammelt. Sie war Content, Country und People Managerin. In all diesen Funktionen gab es laut ihrer Darstellung wenig, was mit Neuer Arbeit zu tun hatte. Als Content Managerin musste Mathilde “die immer gleichen Werbeformulierungen in verschiedene Newsletter-Formate einfügen, um möglichst hohe Klickzahlen zu erzielen.” (Speiser & Heppe 2017) Ja, das klingt in der Tat nach hirnamputierter Tätigkeit. Sowas wie Fließbandarbeit für Autor*innen, mithin eine Art Foxconn für Intellektuelle, was dann durchweg nachvollziehbar zu einem Bore-Out führte. Wenn man mehr drauf hat, als die ersten fünf Buchstaben des Alphabets mühevoll zu entziffern, ist es ein wirklich ganz und gar, durch und durch effizienter Einsatz menschlicher Intelligenz, jemanden so eine Tätigkeit aufzutragen und sie dann noch dafür zu bezahlen. Herrje – wo sind hier eigentlich die ach so famosen Algorithmen? Wieso erledigt diesen Mist eigentlich noch keine künstliche Intelligenz (wer kauft mir das jetzt als disruptive Innovation ab)? Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes mal erzählt werden.
Natürlich hat Mathilde noch mehr brilliant lausige Erfahrungen in der Startup Szene gemacht, sonst hätte das wohl kaum zu einem Buch gereicht, selbst wenn frau sich noch so anstrengt. Also erläutert sie den Interviewern, dass die inhaltliche Gestaltungsfreiheit ihrer Aufgaben sehr begrenzt war und die Aufstiegsmöglichkeiten gering. “Alle werden überwacht und mit den individuell festgelegten Leistungskennzahlen abgeglichen, um den Erfüllungsgrad der Arbeitsziele zu ermitteln.” (ebnd.). Und da fange ich mich an zu wundern. Weniger über all die möchtegern hippen Startups. Sondern über Mathilde. Sie berichtet durchgängig von negativen Erlebnissen (zumindest im Interview). Wo, frage ich mich, ist da die Eigenverantwortung? Was hat das mit ihr zu tun? Hat sie jemand gezwungen, in diesen bescheuerten Läden zu arbeiten? Aber noch viel besser gefällt mir ihre Kritik an den mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten. Herrlich. Also was nun? Will die Autorin die neue (Arbeits)Welt, die eben keine klassische Karriere mehr bietet, oder will sie Karriere machen können in einem alten formal-fixierten hierarchischen Gefüge – am besten mit mindestens zehn Hierarchieebenen, damit sie sich auch schön weit nach oben kämpfen kann bis ins 100qm Dachgeschossbüro mit zwei knackigen Assistenten? Und weil dieser Widerspruch derart himmelschreiend ist, wurde er gleich von zwei Interviewern nicht bemerkt.
Einen Kommentar von Mathilde wäre nicht nur die Großspurigkeit der Stellentitel, sondern auch deren Verankerung in alten Managementmodellen wert gewesen: Content/Country/People MANAGER. Hey ihr hippen Mate-Freaks: Was wollt ihr? Flache, dynamische Hierarchien? Mitarbeiter*innen die eigenverantwortlich mitdenken und entsprechend unternehmerisch handeln? Menschen die souverän mit VUK(C)A Szenarien umgehen können? Wieso heißen die dann alle MANAGER? Manus agere – an der Hand nehmen und führen. Das ist eine ethymologische Interpretation von Management/Manager (tja, ein bisschen Latein könnte vielleicht doch nützlich sein, um zu kapieren, dass Begriffe eben Konzepte und damit Werkzeuge sind, die im allgemeinen diverse Implikationen (schon wieder Latein) mit sich bringen). Allerdings kann niemand mit Gewissheit sagen, ob diese Interpretation stimmt, aber es würde passen. Die implizite Installation eines Hoch-Tief-Status (schon wieder Latein, und das auch noch als Alliteration): Hier der Manager, dort der Arbeiter. Und weil wir langsam auf 2020 zugehen hier die ManagerIN und dort der Arbeiter. Zu mehr reicht’s noch nicht, oder wie? Aber soweit reicht die Kritik von Mathilde nicht. Egal, Hauptsache die Startups sind schuld. Da reichen die anderen Punkte. Und die sind, unabhängig von der projektiven Verantwortungszuweisung der Autorin, durchweg bemerkenswert:
Startup: Pimp my Job!
Es gibt sicher noch mehr, aber die vier reichen schon: Chief Happiness Officer, Online-Marketing Ninja, Treasure Hunter oder Reporting Wizard. Aha. Megkreativ. Eine geradezu Joycesche Sprachgewalt (damit spiele ich auf ein ziemlich dickes Buch an, ein Jahrhundertwerk, in dem nur ein einziger Tag einiger weniger Protagonisten beschrieben wurde, so für alle, denen 10 Minuten YouTube Videos schon zu lang sind). Das wäre ja im Prinzip vollkommen egal, einfach nur dumpfbackige Laberei, wenn damit nicht letzlich, wie Mathilde es schildert, dreist dämliche Büroarbeit sprachlich aufgeblasen und künstlich verschlaumeiert werden soll. Pimp my Job. Da könnte man sicher eine TV Serie draus machen, vielleicht mit Stefan Raab, aber der ist ja auch schon wieder viel zu alt. Dann müssen die vielbeschäftigten postpubertären CEOs (ich denk mir mal ein paar Schulterklappen aus, so mit eingebauten LEDs in lustig bunten Farben) nicht noch anfangen, intellektuell herausfordernde Texte zu lesen, sondern können sich statt dessen lieber der kreativen Buchhaltung hingeben. Mathilde und der Rest der Crew werden es dann bei der Insolvenz danken.
Der Autor in seiner Jugend mit einer selbstentwickelten hyperrealen 4D-Katzen-HolographieAber halt! Natürlich reicht die neue Arbeitswelt bei einigen (vielen?) Startups viel weiter. Da werden Schallmauern der Arbeitskultur durchbrochen! Dem alten Kalle (Marx, der mit dem Rauschebart und dem dicken Wälzer, Stupid) wären vor Freude die Tränen gekommen: Es gibt sogar Tischkicker im Büro!! Nein jetzt, echt?; (← das da ist ein sogenanntes “Semikolon”, ein leider heutzutage kaum noch gesehenes Exemplar von Satzzeichen, die ja heute sowieso keine Rolle mehr spielen in all der ultra-agilen Chatkommunikation), also wo waren wir jetzt? Warte mal, … äh, das Opossum, nein … das war’s nicht. Ach ja, all die tiefgehenden kulturellen Merkmale diverser Startups. Den Kicker hatten wir gerade, aber es gibt natürlich noch mehr: “Arbeitsanweisungen werden mit Smileys, GIFs oder süßen Katzenbildern verziert.” (ebnd.). Ja wow, der Hammer, unfassbar geil. Endlich, endlich, endlich – ein Katzenbild! Am besten als GIF, in einer hospitalisierten Endlosschleife. Feel-Good-Management in Perfektion. Denn irgendwo auf der Welt findet sich sicher eine Studie, die die positive Wirkung von kleinen, flauschigen, knopfäugigen Kätzchenbildern auf unser Glückserleben belegt.
Und weil das noch längst nicht reicht, bekommst Du im Büro natürlich noch frisches Obst jeden Tag vom Biobauern geliefert, der dafür so ca. 50Km mit seinem Transporter durch die Gegend geeiert ist. Das ist so frisch, da klebt noch der Regenwurm dran, was du erst merkst, nachdem du herzhaft zugebissen hast. Das stärkt die Abwehrkräfte, psychisch wie physisch. Oder – was auch nun wirklich total obermäßig der Burner ist – : Es gibt Recruitingvideos, die hälst du für ein post-postmodernes Kunstwerk. Da wird dann mit allen möglichen Stilmitteln gearbeitet, um den nächsten CEO zu finden (Kacke, jetzt ist diese reaktionäre Abkürzung den Hobby-Arbeitswelt-Revoluzzern doch wieder rausgerutscht. Aber egal, solange sie es selber nicht merken ist doch alles gut, oder etwa nicht?). Oder aber man macht aus der Not die Tugend. Dann gibt es eben den Chief Innovation EVANGELIST. Hinterhofgaragengrünfroschfotzengeil: Das hat biblisches Ausmaß! Ich sehe die Jünger vor mir, und IHN, wie ER (natürlich keine Frau, geht gar nicht!), der EVANGELIST zu mir, Dir, uns spricht, mit gesalbter Stimme, die Innovation direkt von GOTT in seine Cochlea geflüstert. Wer einen CIE hat, dem kann einfach nichts mehr passieren. Das ist besser als Trump für Amerika! Wo wir schon gerade dabei sind:
Fuck the truth. Fakenews first!
Startups sind die Inkarnation der New Work Order! Da kann Mathilde doch reden und schreiben was sie will: „Dieser Jugendwahn (also der mit den süüüüßen Katzenbildchen. Mathilde, du würdest dahinschmelzen, wenn du meine Holografie oben sehen würdest!, AZ) verdeckt jedoch nur oberflächlich Probleme wie Sexismus oder schlechte Arbeitsbedingungen. Start-ups stellen mitnichten eine „neue Arbeitswelt“ dar, wie sie es gerne von sich selbst behaupten.” (ebnd.) Na und? Hey, wen juckt’s? Spieß nicht so rum, Mathilde! Hauptsache die Website ist mal so richtig cool und absolut auf dem allerneuesten Stand. Im Moment heißt das vor allem: Scrollen bis der Finger krampft. (früher, also nicht als ich ganz so jung war (denn da gabs noch gar kein Internet, ungelogen!), also sagen wir, mit ca. Anfang, Mitte 30, da war Scrollen total, aber wirklich völlig verpönt, kein Witz, ihr Startup-Hipster). Also zurück zum Design Thinking erprobten MegaOberflächenDesign. Das ist das Wichtigste. Hauptsache die UX haut die Seitenbesucher vom Coworking Hocker und der Latte spritzt in hohem Bogen durch die Gegend auf dass möglichst viele Leute hinsehen und kreischend aufspringen durch das wahnsinnige Surf ERLEBNIS! Also: Surface matters.
Denn – und das lehrt uns doch die aktuelle Old Economy, die bald so marode ist, wie Detroits Fabriken – die Oberfläche, der Schein ist das, was zählt. Oder anders formuliert: Hauptsache ihr entwickelt irgend eine brandneue Technik. Aber bitte nix mit 3D Druck, das kennt ja sogar schon meine Oma, die sich gestern ihre Stützstrümpfe ausgedruckt hat. Vielleicht eher was, das carbonbasiertes Leben mit Siliziumbigdataintelligenz verschmiltz. Denn das, die Tradition der Innovation, ist das was zieht: Deshalb und aus keinem anderen Grund schicken die ganzen Old-Ecnomy Obermacker ihre Untertanen ins Valley (siehe oben das Beitragsbild). Schließlich kommt von dort und nirgends sonst the next big thing! Wir dummen Deutschen mit unserer verstaubten Mitbestimmung sollen uns mal so richtig den Marsch blasen lassen mit ner groundbreaking Vuvuzela aus einer heißen Titan-Oblaten-Legierung. Das dort eine Technokratie entstanden ist, entkoppelt vom Rest der sterblichen Welt, ist egal, schließlich arbeitet Alpha schon an der Unsterblichkeit der Menschen. Aber bitte nur jener, die es sich leisten können, von der völlig übervölkerten Erde ins Elysium zu entfliehen. Der Rest verreckt im Siff, ist wurscht, Hauptsache das Geschäftsmodell erlaubt die unendliche Skalierbarkeit zu einem kosmischen Exit, der die institutionellen Investoren einem urknallgleichen Orgasmus entgegentreibt. Denn nur so kann die Geilheit nach unendlichem Wachstum befriedet werden. Never ending Story.
Das der größte Teil von Euch Startup Freaks wieder im Nichts verschwindet und dass ihr all Eure heißen Mitarbeiterafricolaadepten wieder entlassen müsst, wenn ihr die Hinterhofbude zumacht, sollte wirklich kein Argument sein gegen den Fortschritt. Die Zukunft der Arbeit liegt in Euren Händen. Nicht etwa in der Transformation der bestehenden Unternehmen oder gar Wirtschaft mit einem tiefgreifenden Re-Thinking der altehrwürdigen Maschinenmetapher eines Unternehmens. Humbug. Nein, das Wort ist ein antiquierter Fehlgriff. Besser so: Bullshit! Es gilt vielmehr: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Natürlich geht der größte Teil der Startups kaputt, das ist eben das Gesetz der Evolution. Nur die überleben, die sich am schnellsten anpassen können. Und was halt immer noch gefragt ist: Die Reproduktion des Gestern. Also vorwärts in die Vergangenheit, ihr Gründer!
Herzliche Grüße
Andreas
PS: Mathilde, danke Dir!
Quelle
- Ramadier, M. (2017): Bienvenue dans le nouveau monde. Interforum Editis
Bildnachweis
- Beitragsbild: Elf, CC BY-SA 3.0
- Katzenholographie: Dr. Andreas Zeuch