Trialog #6: Die Theory of Constraints funktioniert, aber warum? Teil 1

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Mit dieser Frage sind Conny Dethloff, Wolfram Müller und ich am 22. Februar 2019 in den Trialog Nr. 6 gestartet. Dieser kam zu Stande, weil Wolfram und Björn in einem Telefonat über die Theory of Constraints (TOC) gesprochen hatten und Wolfram davon erzählte, dass das Leuchten in die Augen der Menschen zurückkommt, wenn die TOC eingesetzt wird. Darüber hatte Wolfram auch in seinem Artikel „Die Sinn-Challenge 2019“ geschrieben. In unserem Telefonat kamen wir zur Erkenntnis, dass die TOC deswegen so gut funktioniert, weil der Mensch im Mittelpunkt steht (ohne direkt im Mittelpunkt zu stehen). Aber dazu später mehr. Wir kamen im Rahmen dieses Trialogs zum Ende hin zur selben Erkenntnis. Unser Gespräch können Sie auf SoundCloud nachhören.

Resignation, Werte und Prinzipien

Durch das heutige Design der Organisationssysteme werden häufig die Werte und Prinzipien der Menschen implizit gemacht. Sie dürfen also nicht mehr nach ihren eigenen Werten und Prinzipien arbeiten, worüber sie sich aber definieren. Menschen resignieren, wenn man sie nicht respektiert und sie Werte und Prinzipien anderer übergestülpt bekommen. Björn versteht die TOC so, dass die impliziten Werte und Prinzipien wieder explizit gemacht werden. Sie werden also wieder hochgeholt und sichtbar gemacht. Dieses geschieht u.a. dadurch, dass die Führungskräfte einen Rahmen stecken. Dazu gibt es 3, 4 oder 5 klare Regeln und dann heißt es machen, erzählte Wolfram im Telefonat. Hinter der TOC steckt also noch viel mehr, als dass sie nur eine Methode oder ein Werkzeug ist, um eine Organisation zu beschreiben und mehr als ein bisschen Multiprojektmanagement. Der Mensch darf wieder Mensch sein und kann seine Fähigkeiten, sowie seine Werte und Prinzipien wieder leben. Dann ist der Mensch auch bereit, sich den gemeinsamen Werten und Prinzipien unterzuordnen. Prinzipiell gilt es ein Gleichgewicht im sozialen System zwischen Gemeinschaft und Individualität herzustellen, wobei die Gemeinschaft vor der Individualität stehen sollte, die Individualität aber genauso wichtig ist.

Der Mensch im Mittelpunkt

Die TOC stellt den Menschen in den Mittelpunkt durch die Grundannahme: Alle Menschen sind gut. Verhalten sich Menschen komisch im Kontext von Unternehmen, dann ist es das Systemdesign, dass die Menschen dazu veranlasst sich komisch zu verhalten. Dieses ist der nach innen gerichtete Blick in die Organisation. Außerdem gibt es in der TOC auch den Blick in den Markt, auf den Kunden, die diesen mit in den Mittelpunkt des Geschehens stellt. Dazu gibt es zwei wesentliche Prinzipien der TOC, erklärt Wolfram weiter:

  1. Finde den Engpass im Wertstrom und laste den Engpass optimal aus.
  2. Erzeuge ein Signal, welches einen ganzheitlichen Blick auf die Organisation hat und stelle dieses Signal allen Teilnehmenden zur Verfügung.

Wie kann dieses nun geschehen?

Was ist eigentlich die Theory of Constraints

Für Conny ist die TOC ein Denkrahmen, um Unternehmen (anders) zu denken. Für Wolfram ist die TOC eine Denkschule. Diese wurde vom israelischen Physiker Elliyahu Goldratt entwickelt, der ein paar grundlegende Dinge entdeckt hat, z.B., dass die Systemtheorie auch für Organisationen funktioniert. Hierbei handelt es sich um die Systemtheorie aus Sicht eines Physikers, um z.B. Produktionssysteme optimal auszulasten. Goldratt hat diese Erkenntnisse auf Organisationen angewendet und sie in zwei Roman: Das Ziel: Ein Roman über Prozessoptimierung und Das Ziel – Teil II: Die Fortsetzung des Weltbestsellers beschrieben. (Im ersten Teil beschreibt Goldratt die Grundlagen der TOC und im zweiten Teil wird diese erweitert auf Organisationsentwicklung und die Ausrichtung auf den Markt.)

Die TOC und der Engpass

Wolfram wendet ein, dass die TOC nicht so einfach zu greifen sei, wie z.B. Scrum. Bei Scrum kann man „einfach“ nachlesen was es ist. Wolfram wiederholt, der Kern der TOC ist der Engpass. Jedes komplexe System hat einen Engpass, an dem man sich ausrichten sollte: Finde den Engpass, nutze den Engpass optimal aus und ordne dich dem Engpass unter. Dieses fällt den Managern schwer. Zum anderen kommt hinzu, dass die TOC im ersten Moment nicht die Kostenbrille aufhat, sondern zuerst geht es um den Engpass und den Durchsatz im System. Prinzipiell wird die Kostensicht aber auch eingenommen, jedoch dem Durchsatz unter- bzw. nachgeordnet.

Prinzipiell lässt sich aber sagen, dass die TOC mehr ist. Sie hat eine Vision: nachhaltiges Wachstum, wobei es hier nicht nur um finanzielles Wachstum geht. Es geht auch um die Entwicklung der Menschen. Eine Grundannahme der TOC ist: Alle Menschen sind gut. Außerdem verbirgt sich hinter der TOC ein Wertesystem, welches man in die vier Ebenen aufteilen kann:

  • Die Vision nachhaltiges Wachstum, aber nicht nur Geld.
  • Werte
  • Menschen Fähigkeiten und Flow, Wissenschaftliches Arbeiten, reflektiv arbeiten, sich weiterentwickeln, lernen
  • Methoden / Werkzeuge

Passfähigkeit von Modellen

Für Conny ist die TOC ein Denkrahmen oder Modell. Ein Denkrahmen oder Modell ist nie per se gut oder schlecht, sondern es ist die Frage, ob es passfähig für ein bestimmtes Problem ist. Die TOC ist nach Conny’s Ansicht passfähiger, weil ein Unternehmen aus Sicht der Wertgenerierung betrachtet wird. Somit ist der Kunde im Zentrum der Betrachtung und nicht die formale Struktur, die Kosten oder die Silos. Conny fügt dem von Wolfram beschrieben noch hinzu:

Die TOC zerlegt sehr charmant ein Unternehmen, und zwar nicht durch funktionale Trennung. Man muss ein Unternehmen zwar immer auch partitionieren, denn man kann nicht immer das ganze Unternehmen sehen, das schafft kein Mensch, ist sich Conny sicher. Aber der Charme der TOC ist es, dass die Partitionierung des großen Unternehmens so geschieht, dass es immer noch das Ziel der Wertgenerierung hat. Dazu führt Conny ein Beispiel an: Durch die Partitionierung eines Unternehmens in Einkauf, Vertrieb, Logistik durchschneidet man die Wertgenerierung. Damit wird die Sicht der Wertgenerierung zerstört, bei der TOC ist das nicht der Fall.

Lass Unternehmen Unternehmen sein

Daraufhin bringt Wolfram ein: Die TOC lässt die Organisationen von der Logik her so wie sie sind. Die Aufbauelemente sind ja da und dieses hatte früher auch alles seinen Sinn gehabt. Der Aufbau der Organisationen in BU‘s, Abteilungen, Teams geben den Menschen auch eine Heimat. Diese Heimat gibt ihnen eine Identifikation, zum Beispiel durch ein Projekt- oder Produktteam. Den eigentlichen Wertstrom muss man über alle Funktionen sehen. In der TOC wird ein Unternehmen eigentlich nur als ein Wertstrom gesehen. Dieser liegt quer über die ganze Organisation. Irgendwann prägt sich in diesem Wertstrom irgendwo ein Engpass aus. Wenn man dann den Engpass identifiziert ermöglicht es den Leuten sich zu orientieren. Sie können gleichzeitig in ihrer Struktur sein, wo sie ihre Heimat finden und sie haben trotzdem den Fokus auf das Ganze.

Das Ganz ist zu groß, um es zu verstehen

Man kann eine Organisation mit tausenden von Leuten nicht vollständig verstehen, da fühlt man sich dann oftmals auch verloren. Wenn man den Hauptwertstrom und Engpass kennt, dann ist das eine große Orientierungshilfe. Dann kann man plötzlich auch wieder sehen, was die eigentlichen Handlungen bewirken. Denn in großen Unternehmen macht man mal was und man weiß gar nicht was passiert. Das sind alles Antworten, warum die TOC anders ist. Sie hat mehr Passfähigkeit, wie Conny so gerne sagt, weil man nicht alles über den Haufen werfen muss. Das ist die Basis der TOC und legt noch eine weitere Idee darauf, nämlich den Wertstrom und den Engpass. Dennoch verändert sich das ganze System. Das ist nicht zu unterschätzen, führt Wolfram weiter aus.

Alle Menschen sind gut

Die TOC ist in der Tat mehr als nur eine Methode oder Sicht auf eine Organisation, sie ist vielschichtiger. Deswegen auch Denkrahmen oder Denkmodell, sagt Wolfram. Dahinter gibt es ein paar Annahmen und Axiome: Eines dieser Axiome ist, wie bereits erwähnt:

Alle Menschen sind gut.

Es gibt zwar auch prominente Beispiele, die das Gegenteil zeigen. Das heißt jetzt auch nicht, dass immer alle lieb sind, keine Konflikte existieren und alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Sondern wir Menschen haben viele Verhaltensweisen und tragen letztendlich auch Kulturelemente in uns. Je nach Situation verhalten wir uns unterschiedlich. Der ein und derselbe Mensch, wenn zu viel Arbeitslast und Druck da ist, wenn Konkurrenzkampf da ist, auch Konkurrenzkampf um Ressourcen, dann verhält er oder sie sich ganz anders, als in einem flow-orientierten Umfeld. Wolfram versteht unter einem flow-orientierten Umfeld, ein Umfeld wo Zeit da ist; wo Ressourcen da sind; Zeit für denken; Zeit für Kommunikation; auch Zeit für Bedürfnisse. Nicht nur schaffe schaffe, sondern ein ganzes Set an Verhaltensweisen und Kulturelementen. Es verhält sich ganz unterschiedlich. Die TOC nutzt diesen Effekt. Das heißt, in der TOC wird davon ausgegangen, nicht die Menschen verhalten sich komisch, sondern das System zwingt die Menschen im Prinzip in ein komisches Mindset und dann verhalten sie sich komisch.

Zugzwänge durch Effizienzdenken

Die TOC hat eine interessante Beobachtung gemacht (auch wenn sie für viele nichts Neues sein wird):
Die Unternehmen starten zu viele Projekte, haben zu viele Aufgaben, setzen ihre Mitarbeiter in Zugzwänge. Dahinter liegt der Effizienzgedanke. In unserer Leistungsgesellschaft ist dieses das vorherrschende Paradigma. Und dieses zwingt die Menschen in „verrückte“ Verhaltensweisen. Die TOC hat den Engpass als Konzept und wenn man den Engpass kennt, dann wird man nie auf die Idee kommen, den Engpass zu überlasten. Wenn der Engpass nicht überlastet ist, dann kann auch kein anderer Mensch im System überlastet sein. Jetzt kommt der Begriff Mensch schon wieder ins Spiel, freut sich Wolfram. Wenn ich diesen Gedanken einmal akzeptiert habe, dann verändere ich das System. Das heißt, der erste Schritt in die TOC-Welt ist immer: Die Arbeitslast des Systems optimal auszulasten, so dass niemand überlastet aber auch nicht unterlastet ist. Dieses ist ein wesentlicher Aspekt der TOC, dass die Menschen weder über- noch unterlastet sind. Implizit steckt darin, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Für den ersten Teil lässt sich abschließend festhalten, dass die TOC durch bestimmte Denk- und Handlungswerkzeuge den Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne das darüber groß gesprochen wird.

Im nächsten Teil gehen wir dann auf das Leuchten in den Augen der Menschen ein und das Maschinen ungern nach dem Sinn ihres Tun fragen.

 

Herzliche Grüße
Björn Czybik

 

Bildnachweis

  • Alle Bilder: pixabay.com, Freie kommerzielle Nutzung

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