Evidence Based New Work

Labor

Im Januar 2020 sind wir mit unserem jungen Team (im besten doppelten Sinn) online gegangen. Im Zuge der Entwicklung der Website haben wir natürlich zugleich unsere Angebote geprüft und aktualisiert. Was wollen wir eigentlich anbieten? Wofür stehen wir, auch bezüglich der Leistungen? Schnell war eines klar: Wir wollen nicht nur fakturierbare Leistungen anbieten, sondern auch einen Beitrag dazu leisten, neue Formen der Arbeit und Organisationsgestaltung empirisch zu fundieren. Es gibt einfach viel zu viele bloße Behauptungen auf dem Markt und viel zu wenig wissenschaftlich gesichertes Wissen.

Begriffliche Beliebigkeit

Der Fachbegriff New Work wird zum Markennamen.

Aus unserer Sicht beginnt die Herausforderung damit, dass viele Begriffe der neuen Arbeitswelt einigermaßen beliebig verwendet werden. Die Ursachen sind unterschiedlich, das reicht von Naivität, über ist-mir-doch-egal bis hin zu intendiertem TerminusGreenwashing. Letzteres trifft immer dann zu, wenn sich der nächste Konzern angeblich transformiert. Das klingt zeitgemäßer und vor allem fundamentaler. Ist es auch, wenn man es begrifflich sauber von Change unterscheidet und einen entsprechenden Veränderungsprozess vollzieht, bei dem das bislang leitende Paradigma ersetzt wird, indem die Trennung von Denken und Handeln re-integriert wird. Aber genau das passiert nicht. Da wird uns interessierten Bürgern und oftmals Stakeholdern ein X für ein U vorgemacht. Und so geht es mit den Buzzwords weiter, New Work wird trivialisiert und gar als Markenname einverleibt. Und wer bei drei das eigene Unternehmen noch nicht auf dem Weg zur Agilität weiß, ohne zu verstehen, was das alles bedeutet und welchen Preis es hat, der gehört zu den ewig Gestrigen.

Nur wenige machen sich die Mühe, für die große (digitale) Transformation der Arbeit erst mal ein sauberes, gut definiertes begriffliches Fundament zu schaffen. Eben so, wie wir das von wissenschaftlicher Arbeit gewohnt sind. Damit jeder weiß, worüber überhaupt geredet wird. Das ist keine linguistische Zwangsstörung, sondern ein ausgesprochen intelligentes Vorgehen. Denn ansonsten können wir es auch lassen, über Agilität, Augenhöhe, New Work, Unternehmensdemokratie und so weiter zu schwafeln. Denn wie seinerzeit in Babylon herrscht Chaos, weil jeder sowieso etwas anderes meint und keiner den anderen wirklich versteht. Genau deshalb erläutern wir unternehmensdemokraten zum Beispiel mantrahaft den Unterschied zwischen Transformation und Change, zwischen Unternehmens- und Wirtschaftsdemokratie (so wie BWL und VWL…) und erläutern erst einmal, was denn Unternehmensdemokratie für uns bedeutet. Und so gilt als Allererstes:

Möglichst präzise und trennscharf definierte Begriffe sind die Basis Neuer Arbeit.

Dazu gehört dann nicht immer, aber immer wieder mal, auch ein Verständnis davon zu haben, wo eigentlich ein Begriff herkommt. Ein wenig etymologisches Wissen hat bislang selten geschadet. Wer nicht nur ein paar mal am einen oder anderen digitalen Stammtisch New Work in den Mund nimmt, sondern das eigene Unternehmen zur New Work Firma umbauen will, sollte bitte wissen, wer Frithjof Bergmann ist und wie er den Begriff in seinem Buch Neue Arbeit, Neue Kultur entfaltet hat. Und wer Unternehmensdemokratie als Konzept kritisiert, weil es ja nicht neu sei und schon in den 1980ern oder 70ern en vogue gewesen wäre, liegt nicht nur sachlich daneben, sondern kann deshalb auch einige fundamentale Zusammenhänge nicht verstehen (tatsächlich wurde schon 1897 das Buch Organizational Democracy veröffentlicht).

Evidence based

Und wenn wir schon bei Begriffen sind, dann klären wir gleich, was es mit der Evidenzbasierung auf sich hat. Ich komme als diplomierter Musiktherapeut aus der klinischen Arbeit und hatte somit das manchmal zweifelhafte Vergnügen, schulmedizinische Arbeitsweisen zumindest rudimentär kennenzulernen. Und so kam ich zwangsläufig auf den Begriff der evidence based medicine. Die Grundidee ist ausgesprochen einfach und bestechend: Medizinische Entscheidungen sollen ” … nach Möglichkeit auf der Grundlage von empirisch nachgewiesener Wirksamkeit getroffen werden… ” (Wikipedia). Mensch sollte meinen, dass sei doch selbstverständlich. War es aber lange nicht.

Im weiteren Verlauf schwappte der Begriff der Evidence Based Medicine in den Bereich der Managementlehre: Evidence Based Management. Die Idee war dieselbe. Eigentlich fast grotesk, denn eines der bedeutsamsten Bücher, das bis heute fast alle Organisationen hinsichtlich ihrer Aufbau- und Ablauforganisation bestimmt, hatte ja bereits den Anspruch an Wissenschaftlichkeit: “Die Grundlagen der wissenschaftlichen Betriebsführung” von Frederic W. Taylor, 1911, also 14 Jahre nach dem unternehmensdemokratischen Urknall (s.o.) veröffentlicht. In den Jahrzehnten danach hat sich die Betriebswirtschaftslehre zunehmend in ein unfassbar enges und steifes Korsett von Wissenschaftlichkeit gezwängt. Alles jenseits mathematischer Berechenbarkeit durch empirische Quantifizierung (Taylors Stoppuhr) wurde geflissentlich ignoriert. Egal, was die Psychologie oder Soziologie empirisch über uns Menschen herausfand, für die Betriebswirte (natürlich zumeist Männer), war es belanglos. Total logisch, wo doch Unternehmen ohne Menschen, ihre Beziehungen, Kommunikation und Interaktionen nicht existieren würden.

Seit über vier Jahrzehnten wissen wir zum Beispiel um das Phänomen unbewusster Wahrnehmung und Informationsverarbeitung ebenso, wie um das implizite Wissen oder Erfahrungswissen. Beide sind gute, empirisch hundertfach kontrollierte und immer wieder bestätigte Erklärungsmodelle unserer Intuition. Mittlerweile wissen wir unter anderem durch die Forschung des amerikanischen Neurologen Antonio Damasio, dass wir ohne die bewusste Wahrnehmung von Emotionen nicht in der Lage wären, suffiziente Entscheidungen zu treffen. Und doch herrscht in der Betriebswirtschaftslehre immer noch das Paradigma der rationalen Entscheidungstheorie. Und demzufolge lernen jährlich Tausende und Abertausende Student*innen, emotional-intuitive Aspekte unternehmerischer Entscheidungen geflissentlich zu ignorieren. Das ist nicht evidenzbasiert. Es ist ulkiger Weise als rationales Verhalten getarnter Aberglaube. In meinem vorletzten Buch “Feel it! Soviel Intuition verträgt Ihr Unternehmen” hatte ich dafür den Begriff paradoxe Pseudorationalität geprägt.

Die große Transformation braucht Empirie

Julia Heuritsch leitet künftig unseren Bereich Evidence Based New Work

Damit sind wir beim dritten und letzten Schritt. Was ist denn überhaupt grundsätzlich der Stand der Selbstorganisation in Unternehmen? Selbst wenn mensch sich wie ich seit Jahr und Tag mit dem Thema befasst, ist nicht im Mindesten klar, wieviele Organisationen sich neuen Formen der Arbeit zuwenden. Viel zu schnell verfängt die Filterblase und mensch mag meinen, dass sich die ganze Unternehmens- und Organisationslandschaft in einer gewaltigen Transformation im oben eng gefassten Sinne befindet. Aber ist dem so? Und wie sieht es in den einzelnen Organisationen eigentlich aus? Genau das werde ich mit Regelmäßigkeit immer wieder gefragt: Gibt es einen Trend in diese Richtung? Deshalb hatten wir Ende 2018 eine kleine hemdsärmelige Umfrage gestartet, deren Daten wir aktuell mit unserem Forschungspartner, dem Lehrstuhl für Corporate Social Responsibility der betriebswirtschaftlichen Fakultät der Universität Mannheim, auswerten. Es handelt sich dabei um eine explorative Untersuchung, die noch nicht repräsentativ ist. Aber immerhin: 189 Unternehmen hatten teilgenommen, die Größe reicht von 1 – 400.000 Mitarbeiter bei rund 30 Branchen. Die Veröffentlichung und kleine Events haben wir für April 2020 angesetzt.

Darüber hinaus wissen wir zur Zeit erstaunlich wenig, was echte Transformationen nachhaltig erfolgreich macht. So dass Unternehmen auch Jahre nach einem initialen Transformationsprozess nicht nur selbstorganisiert, partizipativ und demokratisch organisiert sind, sondern sich ständig weiter entwickeln und sich weiter an eine volatile Umwelt anpassen. Wir wissen noch viel zu wenig. Wir können bis heute nicht mal halbwegs klar sagen, ob hippe Großraumbüros nun für erfolgreiche Neue Arbeit nützlich sind oder nicht. Selbst wenn eine Studie aus einer der weltweiten Spitzenuniversitäten wie Harvard kommt, sind die Ergebnisse alles andere als überzeugend oder gar eindeutig (vergleiche hier im Blog: “Auswirkung von Großraumbüros auf Interaktion und Kommunikation“). Und so manches Unternehmen, dass bereits eine Transformation hingelegt hatte, wurde wieder zum organisationalen Archetyp Command-and-Control zurückgebaut.

Kurze Erklärung des CultureChecks

Einen ersten bescheidenen Zugang sehen wir in der wissenschaftlichen Auswertung der qualitativen Interviews unseres priomy CultureChecks. Denn über diesen Check kommen wir schon jetzt zu interessanten Ergebnissen im Sinne einer Momentaufnahme der Erfolge und Entwicklungspotenziale der Selbstorganisation einer Organisation. Es könnte erhellend sein, diese Daten über die einzelnen Organisationen hinaus auszuwerten und zu vergleichen. Immerhin hat sich auch schon ein erster Doktorrand gemeldet, der dies gerne tun würde. Aktuell arbeiten wir hier an der Klärung der nötigen Formalitäten. Darüber hinaus haben wir ein weiteres, größeres Ziel für die nächsten Jahre: Organisationen finden, die sich transformieren möchten und bereit sind, diesen Prozess von Beginn der Auftragsklärung bis deutlich nach Abschluss der initialen Transformationsphase wissenschaftlich begleiten zu lassen. Dafür stehen die Ressourcen und das gesammelte Wissen mit einer Menge Forschungserfahrung von Prof. Dr. Laura Edinger-Schons und ihrem Lehrstuhl zur Verfügung. Wir freuen uns sehr, gemeinsam mit Ihr und allen weiteren Interessierten dieses Themenfeld der Evidence Based New Work weiterzuentwickeln und auszubauen. Wir sind bereit – wenn Ihr es seid.

Wissenschaft als Teil der #NKNA

Die Website zur #NKNA20 – Ein Klick, und Du bist da!

Da wir diese empirisch wissenschaftliche Begleitung der Transformation der Arbeit so wichtig finden, haben wir seit diesem Jahr in unserer kommenden, 2. (Un)Konferenz Neue Konzepte für Neue Arbeit, auch den gesellschaftlichen Sektor der Wissenschaft als maßgeblichen Teil integriert: Es gibt ab diesem Jahr nicht nur die Keynotes aus den Sektoren Kunst, Politik und Wirtschaft, sondern auch der Wissenschaft. Damit ist unser transsektorales Konzept noch reicher und gewichtiger geworden.

In diesem Jahr freuen wir uns, auf der kommenden #NKNA20 vom 19.-20.03. in Mannheim gemeinsam mit der #LATC2020, Dr. Hans-Joachim “Hanjo” Gergs und seine Keynote zu präsentieren: “Netzwerke brauchen Hierarchie”. Hanjo wird in seiner Keynote auf Basis der Organisationsforschung darlegen, warum wir mit der aktuellen Devise “Netzwerk schlägt Hierarchie” zu kurz greifen, wenn wir hierarchische Strukturen für obsolet erklären. Es geht um den Spannungspol zwischen diesen beiden Ansätzen von Netzwerk und Hierarchie und das wir bis auf weiteres eben beide Seiten brauchen, ganz in einem systemischen Sinn von Sowohl-als-auch statt eines reduktionistischen Entweder-Oder.

Selbstverständlich werden wir auch in den nächsten Jahren den gesellschaftlichen Sektor der Wissenschaft in das Konzept unserer (Un)Konferenz integrieren. Das ist ein weiterer Baustein zur empirischen Fundierung Neuer Arbeit und neuer Organisationsformen, jenseits von beliebigen subjektiven Glaubensannahmen und bloßen Behauptungen erfolgreicher Transformationen. In der Zwischenzeit könnt Ihr hier bei uns in Blog unter der von Anfang an vorhandenen Blogpost-Kategorie Forschungsergebnisse wissenschaftliche Studienergebnisse im Zusammenhang mit neuen Formen der Arbeit und Organisationen anschauen. All das ist unser bescheidener Beitrag zu einer Evidence Based New Work.

 

Herzliche Grüße im Namen aller unternehmensdemokraten

Andreas

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: pixabay, lizenzfrei
  • New Work SE: Screenshot
  • Feel it: Buchcover
  • CultureCheck: Screenshot

 

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