Partizipatives Interimmanagement

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Partizipatives Interimmanagement – gibt es das überhaupt? Während Partizipation in den Ohren so mancher Menschen nach Basisdemokratie und Maiglöcken klingt, hat sich Interimmanagement seinen Platz als hartes “Restrukturierungsmanagement” erworben. Ist der Begriff des partizipativen Interimmanagements ein schwarzer Schimmel – oder gibt es das wirklich?

Drei Vorab-Definitionen

Bisweilen ist es wertvoll, vorab zu definieren. Das reduziert Sprachirritationen und führt nicht selten dazu, dass ein Thema schon (nahezu) hinreichend bearbeitet ist, sobald die Definitionen vorliegen. Ich komme nicht umhin, dieses Vorgehen auch hier zu nutzen.

Partizipation

Von was spreche ich, wenn ich von Partizipation rede? Um es ganz deutlich zu sagen: Nicht davon, Mitarbeiter Entscheidungen treffen zu lassen, die das Management zu treffen hat. Und ich spreche auch nicht von den Entscheidungen, die der Mitarbeiter zu treffen hat. Ich spreche vom “Bereich dazwischen”, auf den ich noch zu sprechen kommen werde. Diese Unterscheidung mag profan aussehen, ist es aber nicht. Ganz im Gegenteil: Es ist eine Unterscheidung, die nach meinem Dafürhalten enorme Kraft entfaltet. Sie ordnet allen Beteiligten ihren Wirk- und Entscheidungsraum zu, trägt somit zur Klärung bei und sagt damit ganz eindeutig, wer in welchem Kontext entscheidet und wer eben halt auch nicht. Einmal definiert, emanzipiert sie Management und Mitarbeiter.

Im „Bereich dazwischen“, dem Bereich der Partizipation, allokiere ich den Bereich der Entscheidungsfindung. Und diese hat „demokratisch“ zu erfolgen, also im Diskurs, im Bereich des Ringens um die „Wahrheit“ und der besten Vorgehensweise.

In diesem Diskussionsraum entsteht die gemeinsam geteilte Wirklichkeit zwischen Management und Mitarbeitern, hier begegnen sich Menschen und nicht Funktionsträger.

Management

Ich benutze die Begriffe Führung und Management äquivalent. Den Begriff Leadership lehne ich ab und nutze ihn daher so gut wie nie. Er erscheint mir nicht dienlich, begriffliche Klarheit zu erzeugen, wird von mir als Buzzword empfunden und wird nach meinem Dafürhalten durch die Begriffe Management (englisch) und Führung (deutsch) vollständig abgedeckt.

Interim Management

Bei diesem Begriff handelt sich um einen, der mittlerweile ähnlich abgenutzt ist, wie eine Aktenledertasche, die 30 Jahre ins Büro geschleppt wurde und nun im Keller ihr tristes Dasein als Aufbewahrungsbehälter für diversen Krimskrams fristet. Zwischen den Mahlblöcken der Nahles´schen Reformversuche zum Thema Scheinselbständigkeit, dem Thema AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz = rechtlicher Rahmen der Zeitarbeit) und den profanen Absatzsteigerungsmaßnahmen der diversen Interim-Provider ist der Begriff schäbig geworden. Ich benutze ihn im ursprünglichen Sinne: Interimmanager ist Management auf Zeit, also befristet und aufgabenbezogen und hat den primären Sinn, Unternehmen in kritischen Phasen (Restrukturierung, Sanierung, M&A, Turnaround, etc.) zu unterstützen.

Wir Interimmanager kommen, um zu gehen. Wir sind die Lotsen im rauen Wasser, wir kommen, wenn es rumpelt und kracht. Ist die Krise überwunden, verlassen wir das Schiff. Wir übernehmen als Schlechtwetterlotsen die Befehlsgewalt auf Zeit. Diese Definition mag nicht jedem gefallen, sie trägt jedoch zur Klärung bei. Sie mag als authentisch empfunden werden, wird jedoch durch mich genauso genutzt, wie ich sie nutze, um damit meiner Umgebung etwas mitzuteilen: Wenn der Interimmanager kommt, wird der „Notstand“ ausgerufen. Mit diesem Notstand geht eine Einschränkung der Grundrechte einher, insbesondere des Grundrechts auf Partizipation. Grafisch gesprochen bedeutet dies, dass der Raum des partizipativen Miteinanders verkleinert wird, in Einzelfällen auch der Entscheidungsraum der Mitarbeiter. Und dies alleinig mit dem Ziel, schneller zu Entscheidungen zu kommen.

Partizipatives Interimmanagement bedeutet damit, dass es trotz der Krisenlage des Unternehmens, nach wie vor ein partizipatives Miteinander gibt, jedoch dieses kleiner im Vergleich zu den Normalphasen des Unternehmens gibt.

 

Ein Praxisbeispiel

Nach all den theoretisch daherkommenenden Definitionsversuchen nun ein Praxisbeispiel. Unternehmen, Medizintechnik, deutsche Tochter eines internationalen Konzerns mit knapp dreistelligen Millionenumsatz. Das Unternehmen befand sich in der Schräglage. Die Umsätze gingen kontinuierlich runter, jährliches Umsatzwachstum lag bei 5% während die Kosten sich nach oben entwickelten. Die Mitarbeiter begannen das Management in Frage zu stellen, das Management hingegen entwickelte einen Kontrollfetisch. Sämtliche Ausgaben wurden kontrolliert und mussten durch das jeweilige Mitglied der der Geschäftsleitung freigegeben werden. Kontrollzwänge erzeugten Beklemmungen und reduzierten Freiheit bzw. den zur Innovation notwendigen Freiraum. In solchen Situationen verlassen gerne diejenigen der Mitarbeiter und Manager, die frei und kreativ sind, das Unternehmen und das Elend verstärkt sich. Der Unternehmenstod ist dann nicht selten nur eine Frage der Zeit, bestenfalls rettet man sich eine durch die eigene dinosaurische Unternehmensgröße in eine Demenz aus Agonie und Tetanie.

Ich übernahm das Vertriebsruder. Einer der ersten Maßnahmen, die ich einleitete, war die Definition der Governance. „Wer entscheidet was?“ war meine Kernfrage und damit auch die Frage „Wer entscheidet eben nicht?“ Dies passte weder den Managern, die bei allen Entscheidungen der Mitarbeiter mit Rumplantschen wollten („Die da unten…“) , so wie es auch den Mitarbeitern gefiel, die bei allen Entscheidungen des Managements mit eingebunden sein wollten, spätestens um diese destruktiv in Frage stellen zu können („Die da oben…“). Die von mir definierten und eingeführten Governance-Regeln wurden selbstverständlich auch von mir angewendet, auch wenn mein Naturell als Silberrücken einer solchen Vorgehensweise bisweilen im Wege steht. Insbesondere in Krisen ist jedoch darauf zu achten, dass die Ruhe und Sicherheit stiftende Leuchtturmwirkung der Führungskraft nicht in Frage gestellt wird, indem Wort und Tat nicht identisch sind.

Neben der schwarz-weißen Darstellung der Wirkung- und Entscheidungsräume (siehe Grafik oben), brauchte es aber auch einen Interaktionsraum für das Miteinander, das Gemeinsame, das Partizipative, um so eine gemeinsam geteilte Wirklichkeitskonstruktion entstehen zu lassen.

Damit sah die von mir ausgerollten Governance-Regeln in Phase 1 wie folgt aus:

  1. Management trifft Personalentscheidungen allein, es gibt keinerlei Mitspracherechte der Mitarbeiter.
  2. Management trifft Strategieentscheidungen allein, die Mitarbeiter tragen diese ohne weitere Diskussion.
  3. Die Führungskraft mischt sich nicht in die alltägliche Arbeit des Mitarbeiters ein.
  4. Führungskräfte und Mitarbeiter stellen die Entscheidungen der anderen Seite nicht in Frage.
  5. Der Mitarbeiter stimmt sich mit seiner Führungskraft ab, über welches Budget er allein entscheiden kann und ab wann er seine Führungskraft hinzuziehen muss. Im konkreten Fall haben wir das individuelle Budget durch 300 geteilt und damit eine Art Tagesbudget definiert. Budgetentscheidungen, die diesen Rahmen sprengen, mussten abgestimmt werden. Budgetentscheidungen, die darunter lagen, konnten durch den Mitarbeiter sofort und allein getroffen werden.
  6. All das, was keinen Mehrwert für Kunde UND Unternehmen schafft, wird nicht getan. Der Mitarbeiter beantragt dies bei seiner Führungskraft und diese ist nachdrücklich angewiesen, diesen Antrag zu unterstützen.
  7. Freitags ab 15.00 Uhr ist open end ein Diskussionsforum. Jeder kann kommen, keiner muss. Diskutiert werden nur Fragen der Governance, um so wochenaktuell Entscheidungsräume ausweiten oder ggf. einengen zu können.
  8. Jenseits dieses Diskussionsforums konzentrieren wir uns auf die Arbeit und nicht auf die Diskussion.

Ich ordnete (ja, ich weiß, dass dies wenig demokratisch ist) eine Phase 1 von einer Dauer von 2 Monaten an. In dieser Zeit war es nicht gestattet, die oben definierten 8 Regeln in Frage zu stellen. Nach Ablauf dieser ersten 2 Monate wurde die Phase 2 dadurch eingeleitet, dass wir eine Zukunftskonferenz mit dem Ziele durchführten, die oben genannten 8 Regeln auf ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen, um diese dann gegebenenfalls anzupassen. Die dann demokratisch verabschiedeten Regeln haben eine Gültigkeit für weitere 3 Monate. Die Regeln wurden bestätigt.

Wir wiederholten dieses 3 Monats-Zyklus mehrfach und nie wurden die oben genannten Regeln verändert. Er hat sich seinen Platz im Unternehmen gesucht und gefunden. Das Unternehmen gedeiht und wächst, Mitarbeiter, Kunden und Führungskräfte fühlen sich wohl.

Quintessenz: Klare Definition der Governance mit der deutlichen Benennung des hier-bist-du-hier-darfst-du-sein, ebenso wie der präzisen Benennung des bis-hierhin-und-nicht-weiter hat klärende Wirkung. Diese Vorgehensweise erzeugt Produktivität sowie Entscheidungs- und Verantwortungsräume. Das allwöchentliche Diskussionsforum kreiert den Raum für den Austausch, das Miteinander, die Partizipation. Hierarchisches gedeiht ganz vortrefflich neben demokratischen Elementen. Aus unklarem Einheitsbrei, der keine Orientierung schuf, wurde präzises Verständnis und Miteinander, in dem jeder seine Rolle, Funktion, Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten kannte.

 

Herzliche Grüße

Bodo Antonic

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: pixabay, lizenzfrei
  • Grafik Partizipation: ©Bodo Antonic

 

 

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