Werden Chefs, Personalentwickler, Trainer & Coaches bald arbeitslos?

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Persönlichkeitsbildung: Vor einiger Zeit veröffentlichte ich hier meinen ersten Blogartikel unter der Überschrift „Ist die Pädagogik noch zu retten?“ Es war eine Abrechnung mit dem vorliegenden Bildungssystem und all den in ihm agierenden Akteuren, nein besser noch Dresseuren. Denn ja, die vorherrschende und tief in gesellschaftliche Strukturen verankerte behavioristische Bildungstheorie sorgt für die Aufrechterhaltung bestehender Machtstrukturen und lässt uns evolutionsbedingt als Gesellschaft seit Jahrhunderten auf der Stelle treten. Wie dressierte Elefanten in der Zirkusmanege schaffen wir es nicht, unsere natürliche Freiheit des komplexen Denkens und Handelns zurück zu erlangen.

Natürlich erntete ich dafür auch kritische Stimmen. Und das war gut so, denn darum ging es mir: Anecken, beflecken, Aufmüpfen, Gedanken knüpfen, kritisieren, reflektieren. Ich halte es da mit Bourdieu: Nur durch „contre-dressage“ (Gegendressur) lassen sich tief eingespurte Verhaltens- und Denkmuster „umtrainieren“. Und hartes Training darf gerne auch mal weh tun. Das kenne ich von mir selbst nur zu gut. Ohne an dieser Stelle zu stark auf Bourdieus Habitus Theorie eingehen zu wollen, möchte ich hier ein Zitat von ihm setzen: „Dass man hat, was man mag, weil man mag, was man hat.“ Dafür sorgt unser Geschmack, der durch unseren Habitus – unsere Grundhaltung  – geprägt ist. Tja und so bleibt alles beim Alten und Bekannten und so, wie wir es auszuhalten vermögen. Jedoch nicht, wie es auch sein könnte.

In  einer zunehmend komplexeren Welt und nicht vorhersehbaren Zukunft verspielen wir als Gesellschaft das Potential, wenn wir weiterhin an bekannten Strukturen und Machtverhältnissen festhalten und es nicht wagen, dort auszubrechen. Wir verspielen dabei den globalen Klimawandel, den sozialen Frieden und die Gerechtigkeitsfrage.

Wo also beginnen? Ich meine – bei der Bildung!

An dieser dieser Stelle sei nochmals deutlich betont, dass in unserem Land Bildung eben NICHT dafür sorgt, Chancengleichheit zu gewährleisten. In Deutschland bestimmt nach wie vor die soziale Herkunft über den Bildungserfolg. Was auch immer “Erfolg” natürlich sein mag. Einschlägige Forschungsergebnisse jedenfalls gibt es hierzu genüge und brauchen deshalb nicht nochmals weiter erläutert werden.

Als Kind aus der “Arbeiterklasse” kann ich selbst nur allzu gut nachvollziehen, wie es ist, die Erste aus der Familie zu sein, die eine Universität besuchte. Wie schwer es war, sich im “universitären Habitus” zurecht zu finden und immer wieder gegen Klischees anzukämpfen. Ein Satz eines Professors von mir hat sich noch bis heute tief eingebrannt in meinem Gedächtnis: “Vielleicht ist die Universität und auch der Lehrerberuf nichts für Sie”.  Mit letzterem sollte er Recht behalten (zumindest im aktuellen System), mit Ersterem wohl eher nicht. Mit einem zweiten “erfolgreich” abgeschlossenen Studium in der Tasche hege ich bis heute eine gewisse Verbundenheit zum wissenschaftlichen Arbeiten und faktenbasierten Diskursen. Mir dünkt, als hätte sich der gute Herr hier eindeutig von seinen eingefahrenen Denkmustern – seinem Geschmack – leiten lassen, denn natürlich sind auch Universitätsprofessoren nicht davor gefeit, das „contre-dressage“ sträflich zu vernachlässigen.

Persönlichkeitsbildung - wie man wird, wer man sein kannDoch genau darum geht es, wenn ich von Bildung spreche. Mir geht es nicht um Titel, Bescheinigungen oder hochdotierte Jobs. Denn das tatsächliche Wissen ist stets nur die eine Seite der Medaille und hat zudem eine eine immer kürzere Halbwertzeit. Wenn ich von Bildung spreche, orientiere ich mich an die systemisch-konstruktivistische Bildungstheorie. “Diese geht davon aus, dass Bildung bzw. Gebildetheit letztlich eine Kompetenzreifung [beschreibt], die mehr umfasst als ein Sichauskennen in Themen, Fachgebieten und Kulturbestandteilen. Bildung wird in ihrem Kern als Persönlichkeitsbildung gedacht, zumal man viel wissen kann, ohne dadurch in seiner Persönlichkeit zu wahrer Selbsterkenntnis, sozialer Resonanzfähigkeit und konstruktiver Gestaltungskraft vorangeschritten zu sein.” (Arnold, Rolf 2019.  (German Edition) . Carl-Auer Verlag. Kindle-Version.)

Die Komplexitätsproblematiken von heute und erst Recht von morgen verlangen uns denkfähigen Lebewesen richtig viel ab. Nicht differenzieren zu können oder in einfältigen Formen zu denken und zu handeln führt in eine Sackgasse der unüberwindbaren Konflikt- oder Problemlösung. Dieses “Sackgassenphänomen” konnten wir unlängst in fast schon fremdschämender Art und Weise beim TV-Duell von Trump gegen Biden erleben. Aber auch in Teams – oder sollte ich lieber Arbeitsgruppen sagen? – Organisationen, der Politik oder gar Familiensystemen erspäht ein scharfer Beobachter immer wieder diese “Sackgassenphänomene”, erzeugt durch unreflektierte zwischenmenschliche Interaktion basierend auf einfältige, tief einkonditionierte Denk- und Verhaltensmuster.
Natürlich, der Mensch konstruiert sich seine Umwelt selbst. Sein Handeln und Denken fußen auf biographischen Erfahrungen und folgen der Struktur der eigenen Deutungs- und Emotionsmuster. Hort Siebert (Erwachsenenpädagoge) prägte daher den Satz: “Ein Mensch ist lernfähig, aber unbelehrbar”.

Es macht Sinn, sich hinsichtlich Tragweite und Bedeutung dieses Satzes mal länger Zeit zu nehmen und wirklich in sich zu gehen. Was heißt das jetzt? Für unser Bildungssystem, für die betriebliche Organisation, für unsere Arbeit und unser Lernen?

Wir müssen radikal umdenken und uns befreien von diesem Korsett unserer eigenen Sozialisation. Tief eingeprägte Denk- und Verhaltensmuster lassen sich nicht bloß durch Wissensvermittlung oder der Tatsache des faktenbasierenden und rational überlegenden Argumentes aufbrechen. Dafür sind die inneren menschlichen Logikfolgen mit Blick auf die Hirn- und Emotionsforschung viel zu komplex. (vgl. Arnold)

Der Mensch ist aber nicht nur ein Gewohnheits- und Erfahrungstier. Im Gegensatz zu anderen Lebewesen besitzen wir Menschen die Fähigkeit der selbsteinschließenden Reflexion. Diese Fähigkeit bleibt aber unterwickelt, solange an Strukturen festgehalten wird, die diese Fähigkeitsbildung verhindern. Und deshalb ist es verdammt nochmal notwendig, dass wir jetzt unser Verständnis von Bildung, sei es in der “Erziehung” des eigenen Kindes, der Schul- und der Arbeitswelt und der Gesellschaft insgesamt (denn lernen findet immer überall und zu jeder Zeit statt) grundlegend und radikal verändern und die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Mensch eine Persönlichkeit werden kann mit vielfältigen und mehreren Perspektiven einschließenden Formen des Denkens, Handelns und Fühlens. Eine Persönlichkeit, die in der Lage  ist, der Komplexität mit scharfer Logik, emotionaler Kompetenz und schneller Handlungskompetenz zu begegnen und zwar einerseits zu sich selbst, aber auch in der Beziehung zu anderen, damit das “Sackgassenphänomen” keine Chance mehr hat.

Es ist nicht zu übersehen, dass Unternehmen “Arbeitskräfte” dringend benötigen, die über diese Fähigkeit des Denkens, Handelns und Fühlens verfügen.

Rahmenbedingungen für echte Persönlichkeiten

Warum schaffen Sie dann aber nicht die Rahmenbedingungen für Persönlichkeitsbildung? Ich kann es mir nur so erklären, dass die führenden “Unternehmenslenker” selbst noch nicht über diese Art des Denkens verfügen und kümmerlich in ihrer “dressage” ihr Dasein fristen. Zwar wird versucht, mit entsprechenden Methoden die Menschen im System “umzutrainieren”, doch wenn der Mensch nicht springen will, dann will er nicht springen. Da verkennen die ganzen Organisationsentwickler, Berater und Agilecoaches usw. das soziale Eigenleben mit den genannten komplexen Logikfolgen von uns Menschen.

Persönlichkeitsbildung braucht etwas RebellionUnd wie kommt Mensch jetzt raus aus dieser Misere? Aus diesen Sackgassenphänomen? Tja, wenn das so einfach wäre. Kann es mehrere Lösungswege geben? Ich denke ja.

Ein erster Schritt könnte aber sicherlich darin liegen, erstmal tief durchzuatmen, inne zu halten und zu relaxen. Es hilft uns allen nicht, wenn wir wie aufgeschreckte Hühner kopflos durch die Gegend rennen, uns gegenseitig Vorwürfe machen und noch schlimmer: Andere dazu zu zwingen, so zu denken und handeln wie wir selbst ohne dieses selbst mal für längere Zeit beobachtet zu haben.

Was können Unternehmen tun? Auch Unternehmen als Systeme besitzen die Fähigkeit der selbsteinschließenden Reflektion. Unternehmen müssen nur erleben, wie das geht und dies ermöglichen. Sie brauchen Beobachtungs- und Veränderungskompetenz und den Mut und das Verständnis, dass alles auch ganz anders gehen könnte. Sie brauchen die Fähigkeit, sich immer wieder selbst neu zu erfinden. Eine systemisch-konstruktivistische Haltung der in ihr agierenden Akteure ist hierfür grundlegend, weil sie den Weg ebnet, offen, kreativ und selbstorganisiert Probleme zu lösen. Unternehmen müssten also ein Lernort der Ermöglichung werden, wo Potential gefördert und Kompetenzen sich entwickeln können. Ich glaube, im Moment gibt es die Unternehmen, die so einen Ort darstellen, noch nicht wirklich. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass sich immer mehr Unternehmen auf diesen Weg machen werden, so ein Ort zu werden. Genauso wie sich immer mehr Menschen auf den Weg machen werden, die Persönlichkeit zu werden, die sie sein könnten, ohne Mauern im Kopf.

Und was machen dann die ganzen fleißigen Arbeitsbienchen, die sich bisher so “fürsorglich” um die ErZIEHung ihrer Schützlinge gekümmert haben, wenn diese plötzlich ihre Entwicklung selbst in die Hand nehmen? Die Personalentwickler (naja, eigentlich sind sie ja eher Personalverwalter), die Trainer und Coaches, die Ausbilder und Chefs? Werden die jetzt plötzlich überflüssig und arbeitslos?

So schnell wird es – so denke ich – sicherlich nicht gehen. Im besten Fall ist sich diese Berufsgruppe ihrer eigenen eingefahrenen Denk- und Emotionsmuster bereits bestens bewusst und trainiert fleißig die “contre-dressage” und begleitet so andere Menschen und Unternehmen im Training des Umlernens und praktischen Reflektierens. Sie entwickeln sich quasi vom Gärtner zum Garten- und Landschaftsbauer.

Das alles braucht allerdings Zeit, viel Übung und vor allem Austausch, Gestaltungswillen und den Mut der radikalen Missachtung, indem Erzeugtes, Festes und Starres immer wieder hinterfragt wird, einschließlich des Selbst.

Mit den Unternehmensdemokraten wage ich einen ersten Versuch, genau so einen Lernort des Ausprobierens und Missachtens zu kreieren.  Im ersten Schritt wird es einen VirtShop geben, der uns zusammen führt. Wer mich kennt, der weiß allerdings, dass ich keine Trainerin im klassischen, weil behavioristischen Sinne bin. Dafür weiß und kann ich selbst viel zu wenig und lerne selbst viel zu gern mit und von anderen. Über ein wenig (erwachsenen-)pädagogisches Fachwissen verfüge ich natürlich trotzdem, hinterfrage es regelmäßig und teile dieses gerne. Dieses Wissen über system-konstruktivistische Zusammenhänge in der Bildung gepaart mit einer ethischen Grundhaltung könnten unter anderem das Fundament für wirkliche Weiterentwicklung im Denken und Handeln schaffen. Diese Tatsache ernstnehmend kann Learning&Development eine Schlüsselrolle in Transformationen spielen, wenn Sie es schafft, sich selbst zu transformieren: Zu Möglichmachern, Lernbegleitern und Designern von Lernumgebungen.

Wer sich als Unternehmen oder als einzelner Akteur eines Unternehmens auf diesen Weg machen will, den möchte ich einladen, dieses Wagnis einfach mal mit mir auszuprobieren.

Während ihr euch selbstbestimmt zum gemeinsamen VirtShop inhaltlich vorbereitet und Probleme aus eurer Praxis einsammelt, versuche ich einen Ort zu kreieren, der es uns ermöglicht, in die gemeinsame Interaktion zu kommen, um in der Kollaboration kreative Lösungen zu finden und uns persönlich weiter zu entwickeln. Dieser Übungsraum soll es uns ermöglichen, das pädagogische Wissen anzuwenden und Kompetenzen zu entwickeln. Für mich hat im Lern- und Entwicklungsprozess das Soziale eine immense Kraft, weshalb die Kollaboration und der gegenseitige Austausch bei der Erarbeitung realer Praxisprobleme einen zentralen Platz im VirtShop einnehmen wird.

Um das Wissen dann auch in die Praxis zu transferieren, stehe ich und sofern es unsere entstehende Community auch möchte, weiterhin als Sparring Partner zu Verfügung und nach ein paar Wochen kommen wir wieder zusammen und eruieren, reflektieren und diskutieren.

Zwar ist die Zukunft noch ungeschrieben, doch muss jemand den ersten Satz beginnen. (Franziska Köpnick)

Also, worauf warten wir dann noch? Beginnen wir doch einfach, die Zukunft zu schreiben! Den Link zum VirtShop findet ihr hier.

 

Herzliche Grüße

Franzi

 

Literatur

  • Arnold, R. (2019): Wie man wird, wer man sein kann: 29 Regeln zur Persönlichkeitsbildung. Carl-Auer Lebenslust

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Franziska Köpnick
  • Buchcover: ©Carl-Auer
  • Rebel: ©Franziska Köpnick

 

 

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