Immer wenn die Frage aufkommt, ob Neue Arbeit und Unternehmensdemokratie auch in Konzernen und Großunternehmen möglich sei, geht es mir ein bisschen wie Phil Connors. Keine Ahnung wer das ist? Na klar, solltest Du zur typischen Altersgruppe der LeserInnen dieses Blogs gehören (18-34), dann ist das kein Wunder. Phil Connors ist der tragikomische Protagonist in der Komödie “Und täglich grüßt das Murmeltier“, erschienen 1993. Also nichts für ungut. Phil Connors jedenfalls ist aus irgendeinem Grund in eine Zeitschleife geraten. Er wacht immer am selben Morgen auf und erlebt denselben Tag wieder und wieder und wieder. Das wird zu einer skurril-grotesken Form der Hölle. Nun, und ähnlich geht es mir, wenn nach Vorträgen oder in Workshops immer und immer wieder die Frage kommt: Geht das auch in Konzernen?
Da mag man fast glauben, dass die meisten Leute dort arbeiten. Stimmt aber nicht. In den DAX 30 sind es nicht mal 10% der deutschen Erwerbstätigen. Ja, klar. Nicht alle Großunternehmen sind dort gelistet. Das ändert allerdings nichts am Faktum, dass nun mal die meisten Menschen nicht in dieser Kategorie von Unternehmen arbeiten. Aber sei’s drum. Darum geht es heute nicht. Sondern vielmehr um die Frage, warum es in Großunternehmen verdammt noch mal soviel schwieriger ist, Arbeit erst neu zu denken und dann zu leben.
Neue Arbeit: Komplexität ist eine große Hürde
Die offensichtlichste und trivialste Antwort: Der Komplexitätsgrad ist wesentlich höher. Darüber musste ich mich bislang noch nie mit jemanden streiten. Es gibt allerdings auch BeraterInnen, die tatsächlich behaupten, dass das keine Rolle spiele und auch ein Konzern in ein bis zwei Jahren vollständig (was immer das heißen mag), zu transformieren sei und zum Musterbild Neuer Arbeit wird. Nun denn, selig (oder auch nicht) wer mit derartigen Größenphantasien ausgestattet ist. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten von Euch indes 1 + 1 zusammenzählen können (ich hab da manchmal Schwierigkeiten) und einfach erkennen: Wenn ich 600.000 MitarbeiterInnen und Führungskräfte in Niederlassungen auf allen Kontinenten aus einem Haufen unterschiedlichster Ethnien erfolgreich in einen grundlegenden Wandel einladen will, ist das halt aufwändiger, als wenn ich das mit 100 vorwiegend deutschen, ähnlich gut ausgebildeten Wissensarbeitern an einem Standort mache und damit bereits die ganze Belegschaft im Boot habe.
Neue Arbeit: Die Frage nach dem Eigentum
Aber es gibt auch noch andere Gründe. Markus Väth, der sich ebenfalls intensiv mit dem Themenfeld Neue Arbeit auseinandersetzt, hat dazu den Blogpost “Können Konzerne New Work?” veröffentlicht. Er argumentiert, dass es vor allem einen fundamentalen Unterschied zwischen Konzernen und kleineren Unternehmen gibt: Die Eigentumsstruktur. In Konzernen wären Manager die Verwalter fremden Geldes, im Mittelstand würden die Top-Führungskräfte ihr Eigentum managen und hätten somit die alleinige Verfügungsgewalt, ob ein Unternehmen demokratisiert wird oder nicht. Das ist allerdings nur bedingt richtig. Das kann so sein, muss aber nicht. Denn nicht alle Großunternehmen sind Aktiengesellschaften in der Hand institutioneller Großanleger. Es gibt auch große Unternehmen, wie dm drogeriemarkt (ca. 55.000 MitarbeiterInnen) oder Würth (über 70.000 MitarbeiterInnen), die weiterhin in privater Hand sind und von ihren Eigentümern geführt werden. In diesen Fällen wäre es also keineswegs nötig, externe Geldgeber wie Banken oder Shareholder von einer Transformation zu überzeugen.
Was Markus indes nicht angesprochen hat, ist das überall auftretende Grundproblem Neuer Arbeit und Unternehmensdemokratie, dass bis heute nicht umfassend gelöst ist: Die Eigentumsfrage und damit verbundene (Haftungs-)Risiken. In Inhaber geführten Unternehmen verbleibt das Letztentscheidungsrecht meistens bei den GeschäftsführerInnen, weil es um Ihr Eigentum geht und das Risiko, durch Managementinnovationen dieses Eigentum zu verspielen. Last not least sind sie es, die mit einem Bein im Gefängnis stehen, denn die Insolvenzstrafbarkeit betrifft sie und nicht ihre Mitarbeiter. Die wären im schlimmsten Fall arbeitslos. Das ist zweifelsfrei keine faire Situation. Allerdings gibt es zumindest Teillösungen für diese Problematik:
- Die Geschäftsführung oder der Vorstand kann mit einem auch kulturell verbrieften Vetorecht gegenüber Belegschaftsentscheidungen ausgestattet werden, sofern eine Entscheidung die potentiellen (Haftungs-)Risiken der Geschäftsführung betrifft. Juristisch ist dieses Recht bis auf Ausnahmefälle ohnehin vorhanden. Es muss aber kulturell legitimiert sein, damit ein in seltenen Fälle ausgesprochenes Veto auch von der Belegschaft respektiert und nicht als Verrat einer Unternehmensdemokratie beurteilt wird. Dieses Vorgehen ist beispielsweise im Gesellschaftsvertrag der in Gründung befindlichen Bank für Gemeinwohl fixiert.
- Das finanzielle Risiko kann durch verschiedene Formen von Erfolgs- und Kapitalbeteiligungen auf mehrere Schultern verteilt werden. “Dadurch kommen sie in den Genuss von Informations-, Kontroll- und Mitentscheidungsrechten und tragen damit zusammen dieselben Risiken wie die anderen Anteilseigner: Haftungsrisiko, variable Erträge, Kursschwankungen und das Risiko des Totalverlustes bei Insolvenz. Selbst im Falle einer Fremdkapitalbeteiligung, bei der die Mitarbeiter dem Unternehmen für einen vereinbarten Zeitraum eine festgelegte Geldsumme zur Verfügung stellen, die verzinst und nach Ablauf des Zeitraumes zurückgezahlt wird, droht bei einer Insolvenz ein Teil- oder Totalverlust des investierten Kapitals. … Wer als Inhaber, als geschäftsführender Gesellschafter oder Vorstand mehr und weitreichende Mitbestimmung verwirklichen will, kann sein Risiko also erheblich reduzieren.” (Zeuch, A. (2015): Alle Macht für niemand. Murmann: 40)
- Letztlich wäre es möglich, gemäß Umwandlungsrecht die Rechtsform der Gesellschaft zu ändern, beispielsweise von einer GmbH in eine eingetragene Genossenschaft. Natürlich ist das aufwändig. Aber die Möglichkeit besteht und wurde auch schon von Unternehmen genutzt. Die je aktuelle Rechtsform ist also keineswegs in Stein gemeißelt und ein unumstößliches Argument gegen eine Demokratisierung eines Unternehmens oder einer Non-Profit-Organisation.
Neue Arbeit: Scheinbar Altes kann modern sein
Übrigens: Genossenschaften, die durch Ihre Grundausrichtung dem Konzept der Unternehmensdemokratie nahestehen, müssen keineswegs klein und verstaubt sein. Die spanische Genossenschaft Mondragon war zumindest über Jahrzehnte ausgesprochen selbstorganisiert unterwegs – und das mit aktuell über 74.000 Mitgliedern. Wir reden hier also über eine Größe, die einem kleinen Konzern durchaus das Wasser reichen kann. Noch beeindruckender ist der venezuelanische Genossenschafsdachverband Cecosesola. Der hat zwar nur rund 20.000 Mitglieder, erwirtschaftet aber einen Jahresumsatz von 100 Millionen US Dollar – und das bei einer überragenden Form von Organisationsdemokratie.
Abgesehen von den hier aufgeführten, durchaus ernst zu nehmenden Fragen und Herausforderungen, zeigt die unternehmerische Praxis jedoch, dass Unternehmen auch mit bekannten Rechtsformen wie einer GmbH über Jahrzehnte hinweg äußerst erfolgreich demokratisch aufgestellt sein können. Wer mehr darüber wissen will, und mein Buch noch nicht kennt, kann dort äußerst verschiedene Fälle nachlesen und sich davon überzeugen, dass wesentlich mehr möglich ist, als gemeinhin angenommen. Für Großunternehmen und Konzerne gilt allerdings immer noch: Erstens ist die Komplexität enorm und zweitens stellt sich die Frage nach den Eigentumsverhältnissen. Wenn es sich dann noch um eine AG handelt, dürfte es aussichtslos sein, irgendwann flächendeckend in solchen Molochen Neue Arbeit zu verwirklichen. Die gute Nachricht zum Schluss ist eine Wiederholung: Rund 90% der deutschen Erwerbstätigen arbeiten überall – nur nicht in Großunternehmen.
Herzliche Grüße
Andreas
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- Merck Hauptversammlung: Armin Kübelbeck, CC BY-SA 3.0