Gastbeitrag von Tom Müller_Was ist eigentlich Gruppenintelligenz? Was unterscheidet sie von Schwarmintelligenz? Was sind Expertenfehler? Die Antworten auf diese Fragen findest Du hier in diesem Beitrag – und die Unterschiede meiner Meinung zu allgemein geltenden Vorstellungen.
Expertenwissen begünstigt Expertenfehler
Meine wichtigste Referenz ist James Surowiekis Buch ›Die Weisheit der Vielen‹, in dem er einen besonderen Effekt beschreibt. Ich nenne ihn ›Expertenfehler‹, und er ist für mich die Gegenkraft, das Gegenteil von Gruppenintelligenz.
Gruppen von Experten und Fachleuten bedienen sich oftmals ähnlicher Denk- und Verfahrensweisen, wenn es um die Lösung von Problemen geht. Diese führen sodann zu ähnlichen Ergebnissen. Dieser fatale Reflex in Gruppen wird gelegentlich Schwarmdummheit genannt. (Vortrag ›Schwarmdummheit‹ von Prof. Dr. Gunter Dueck)
Neben anderen negativen Auswirkungen hat dieser Effekt einen erheblichen Nachteil: Es kommt irgendwann nichts wirklich Neues mehr dabei heraus. Das damit verbundene Risiko beschreibt Henry Fords Zitat einleuchtend: ›Wenn Sie immer nur das tun, was Sie bisher getan haben, werden Sie auch immer nur das bekommen, was Sie bisher bekommen haben.‹
Die Weisheit der Vielen ist mehr als viel Wissen
Surowieckis Buchtitel habe ich ergänzt – wollte damit Gruppenintelligenz und ihren Nutzen beschreiben, wie ich sie verstehe. Ein Zitat Einsteins hat mich dazu ermutigt: ›Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.‹ Und genau darum geht es.
Logisches Denken ordnen wir im Allgemeinen der linken Hirnhemisphäre zu. Ich denke, dort wohnen neben Ja und Nein, richtig und falsch eine unübersehbare Fülle von Formeln, Plänen und Methoden. Ich vermute, dass auch Expertenwissen dort beheimatet ist. Soweit so gut.
Zur rechten Gehirnhälfte schreibt der Schweizer Neuropsychologe Peter Brugger: ›Speziell die rechte Hemisphäre des Gehirns erzeugt zu jeder Beobachtung semantische Assoziationen. Dies ist eine Hauptquelle menschlicher Kreativität‹.
Aha, da war doch noch etwas – jenseits von richtig und falsch, schwarz und weiß oder dem rechten Winkel: Die Kreativität. Eine Wirkkraft die essenziell ist, wenn es um Lösungen abseits eingetretener Pfade geht. Also Antworten und Ideen, die gemeinhin nicht mit Expertenwissen gewonnen werden.
Wo die Intelligenz (überall) wohnt
Nach und nach enthüllt die Wissenschaft das Eigenleben weiterer Regionen im menschlichen Körper: Herznahen Nervenzellen werden ebenso Autonomie und Steuerungsintelligenz zugeschrieben, wie etwa denjenigen im Bauchraum. So ganz falsch scheint die Idee von Kopf, Herz und Bauch wohl nicht zu sein. Ich glaube ganz unwissenschaftlich an Herz- und Bauchintelligenz. Gruppenintelligenz ist ein Phänomen, das sich eben nicht nur in den Köpfen abspielt.
Meine Überzeugung ist, dass ich über geeignete sprachliche Suggestion zusätzlich zur linken – bei Rechtshändern die sprachverarbeitende Region – auch die rechte, kreative Hirnhälfte aktivieren kann. Es braucht jedoch mehr als nur die beiden Hirnhälften.
Die besondere und noch nicht bewiesene Kunst ist, darüber hinaus auch Herz- und Bauch-Intelligenz zu aktivieren. Dies ist nach meiner Erfahrung überaus diffizil. Stelle Dir nur einfach vor, wie schnell man ein komisches Gefühl im Bauch hat.
Darüber hinaus hat ein Gruppenintelligenz-Coach, wie ich ihn verstehe, nun die Aufgabe, eine (Arbeits-) Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle Bäuche wohlfühlen. Und damit noch nicht genug: Auch die Herzen mögen noch frei und offen bleiben können – und mitwirken.
Wie das geht und was dies mit Unternehmensdemokratie zu tun hat, beschreibe ich in Teil 2 dieses Artikels – hier in diesem Blog.
Tom Müller · Gruppenintelligenz-Coach
Bildnachweis
- Beitragsbild: Key Visual Gruppenintelligenz, Original, iStockphoto ‘School of Fish’, 03-06-12, © lemga,
- Buchcover: Goldmann / Random House
- Gehirn: Polygon data were generated by Life Science Databases (LSDB), CC BY-SA 2.1 jp