Personalauswahl. Eine Frage der Passung

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Personalauswahl und Recruiting sind für alle Organisationen zentral, die Mitarbeiter:innen suchen und einstellen. Diese Prozesse sind die wichtigsten Regulationsmöglichkeiten für die Entwicklung und Aufrechterhaltung des jeweiligen Fachwissens, der Organisationskultur und informellen Vernetzung in das Marktumfeld. Somit ist dieses Thema gerade für Organisationen mit einer demokratischen Unternehmenskultur, in der zum Teil erhebliche Selbstorganisationskompetenzen gefordert sind, von besonderer Bedeutung.

Personalauswahl heute

Ich fang subjektiv zur Personalauswahl bei meinen eigenen Bewerbungserfahrungen an: Ich habe mich insgesamt auf diverse Stellen als angestellter Mitarbeiter beworben und war vier Mal fest angestellt. In allen Fällen war das Schema des Bewerbungsgesprächs das gleiche: Ich unterhielt mich mit dem jeweiligen Chefärzten und in zwei Fällen mit einem Geschäftsführer. Lediglich in der Hälfte der Fälle hatte ich die Chance, das Team vorab kennenzulernen, mit dem ich später zusammenarbeiten sollte. Und nur einmal kannte ich vorher meine direkte Vorgesetzte während diverse Unternehmen es nicht mal für nötig befunden hatten, auf meine schriftliche Bewerbung zu antworten. Und so war das Ergebnis auch eher zweifelhaft: In lediglich zwei Fällen gab es eine gute Passung zum Team, die zweifelsfrei einen entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsleistungen hat. Auch wenn das statistisch nicht im Geringsten repräsentativ ist, so scheint es doch typisch für die Erfahrungen vieler anderer auf dem Weg zur Festanstellung.

Denn es ist bis heute kein durchgängiger Standard, auf alle vier Ebenen der Passung zwischen BewerberInnen und der ausgeschriebenen Stelle zu achten:

  • Job – Bewerber (zB Chen 2010)
  • Team – Bewerber (zB Young-Seong & Kristof-Brown 2012)
  • Führungskraft – Bewerber (zB Safavi & Bouzari 2020)
  • Organisation(skultur) – Bewerber (zB Klein 2017)

Bereits vor zwei Jahrzehnten untersuchte eine Metastudie 172 Studien und kam zu einem klaren Ergebnis: “Aus diesen Ergebnissen geht eindeutig hervor, dass die Passung wichtig ist. Selbst bei relativ kurzen Begegnungen vor dem Einstieg werden Einstellungen und Entscheidungen stark von verschiedenen Arten der Passung beeinflusst.” (Kristow-Brown et al. 2005: 316) Dabei hatte die Passung zwischen der Organisation und Bewerber:innen einen etwas stärkeren Einfluss auf die Fluktuation als die Passung zwischen Job und Bewerbenden. Wichtig ist darüber hinaus, die Passung als dynamisch im Zeitverlauf zu begreifen: “Während PE-Fit lange Zeit als ein Zustand des „Seins“ dargestellt wurde, d. h. als ein statischer Zustand, den Menschen nach Selektion und Sozialisation erreicht haben, könnte Fit besser als ein Prozess des „Werdens“ betrachtet werden: ein sich verändernder Zustand, der eine fortlaufende Entwicklung, Aufrechterhaltung und Selbstregulierung sowohl über die Zeit als auch über die psychologische Zeit hinweg erfordert… ” (Vleugels et al. 2023: 394)

Wer sich heute auf den üblichen Pfaden der Bewerbung über Online-Jobbörsen begibt, findet zunächst mal das gewohnte Einerlei. Am Anfang steht meistens die Beschreibung und Anforderung des Jobprofils, für den neue Mitarbeitende  gesucht werden. Klar, das ist verständlich, keine Frage und schadet auch nicht. Allerdings wars das auch schon. Danach folgt das bekannte Bullshit-Bingo von Engagement, Teamfähigkeit, Durchsetzungsstärke, hohen Kommunikationsfähigkeiten und so weiter. Dabei erfährt man und frau so ziemlich nichts über den direkten Vorgesetzten, das Team und die Unternehmenskultur. Dabei ist es mit wenig Nachdenken schnell einleuchtend, dass es vor allem um Passung auf mindestens den oben aufgeführten Ebenen geht. Stellenprofile, auf die jemand passt, gibt es viele. Aber die Bewerber:innen würden sich keineswegs bei allen Arbeitgebern trotz gleicher oder sehr ähnlicher Stellenanforderungen wohl fühlen, so dass sie auch gerne zur Arbeit kommen und nicht zum eigennutzenmaximierenden Homo oeconomicus mutieren, der seine Arbeitsleistung so minimiert, dass er die relative Lohnhöhe maximiert.

Damit wären wir bei einem älteren Beitrag, der eine Lanze dafür bricht, die messbare Intelligenz von Bewerber:innen mit ins Kalkül zu ziehen: “Wenn sich alles verändert und aktuelles Wissen schneller veraltet, starre Lösungswege nicht mehr funktionieren und Antworten auf Fragen gesucht werden, die sich vorher noch niemand gestellt hat, wenn also die Komplexität zunimmt – dann ist Intelligenz das Letzte, das Sie vernachlässigen dürfen! Und Intelligenz zeigt sich nicht zwingend an guten Noten! … Aber Intelligenz (in ihren verschiedenen Ausprägungen) lässt sich messen!” (Zaborowski 2017): Personalauswahl mit Intelligenz. Hervorhebung im Original). Keine Frage, Intelligenz ist wichtig. Allerdings stellt sich eine zentrale Frage: Was nutzen einem Arbeitgeber blitzgescheite neue Mitarbeiter:innen, wenn sie nicht zum direkten Vorgesetzten, dem Team oder der Unternehmenskultur passen? Wenn dann jemand besonders intelligent und nach einer Weile besonders frustriert ist, steigen sogar die Chancen, am Ende sogar einen besonders gewieften Saboteur im Hause zu haben.

Personalauswahl morgen?

Des weiteren ist es nicht ganz so unstrittig, was denn nun die relevanten Erfolgsfaktoren sind. Der Harvard Psychologe Howard Gardner, der sich auch intensiv mit (multipler) Intelligenz beschäftigt, hat nämlich die Lebensläufe einiger großer und erfolgreicher Genies untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass Volition, der Wille zum Erfolg, ein zentrales gemeinsames Merkmal dieser Personen ist. Mir persönlich erscheint das durchweg plausibel. Denn Intelligenz alleine sagt wiederum nichts darüber aus, mit welcher Stringenz und welchem Willen jemand seine Aufgaben und Zielsetzungen angeht. Möglicherweise ist jemand mit großem Biss und etwas geringerer Intelligenz erfolgreicher, als ein anderer Mensch, der zwar intelligenter ist, aber weniger für seine Erfolge zu kämpfen bereit ist.

Recruiting ist viel zu wichtig, als dass man es Berufsanfängern als Karrieresprungbrett überlassen sollte. Allerdings würde ich ergänzen: Die letztendliche Beurteilung, welche Bewerber:innen eingestellt werden, sollte auch nicht nur einem Recruiter und vielleicht noch der jeweiligen Führungskraft überlassen werden. Vielmehr ist es hochgradig sinnvoll, das Team, in dem die Bewerber:innen schlussendlich arbeiten werden, in diese Entscheidung miteinzubeziehen. Eine Studie mit 1200 Befragten zeigte, das mit knapp 46% fast die Hälfte aller Befragten die Einbindung des Teams begrüßen würde. Übrigens gab es kaum Unterschiede zwischen Generationen X und Babyboomern: 43,8% vs. 45,8% (Jobst-Jürgens 2020: 69)

Das Recruiting an die Teams abzugeben ist ein typischer Fall taktischer Partizipation, die in meinem Partizipationsmodell eine von vier Partizipationsreichweiten ist (operativ, taktisch, strategisch und normativ). Mehr Augen und Ohren sehen und hören mehr. Was einer oder zwei Personen im Bewerbungsprozess durch die Lappen gehen kann, wird mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit durch ein eingebundenes Team zur Sprache kommen. Außerdem stellt sich die zentrale Frage: Wer kann wohl am ehesten beurteilen, welche der Bewerber:innen am besten zur aktuellen Vorgesetzten und dem Team passt? Und häufig sitzen zudem diejenigen, die die Fachkompetenz neuer Bewerber:innen beurteilen können in dem Team, mit dem die Bewerber:innen am Ende arbeiten werden.

Summa Summarum: Für die Personalauswahl bietet sich zweierlei an:

  1. Erstens die Passung auf die genannten vier Ebenen ausrichten.
  2. Beide Prozesse den Teams übergeben, die jeweils suchen. Die können bei Bedarf von HR Expert:innen unterstützt werden.

 

Herzliche Grüße
Andreas

 

Literatur

Bildnachweis

 

Comments (6)

Hallo Andreas!
Danke für diesen Beitrag. Ich blicke in meiner Berufslaufbahn auch auf einige Jahre Recruitingerfahrung in einem Elektronikkonzern zurück – als damals nicht ganz junge Mitarbeiterin (!). Vieles, was du in deinem Beitrag ansprichst, kann ich sehr unterstreichen.
Im Recruiting war ich mit der Gestaltung der Stellenausschreibung betraut: Das ist insofern ein spannender Prozess, als er (für mich) voraussetzt(e), mich intensiv mit den Anforderungen/Bedürfnissen der ausschreibenden Abteilung zu beschäftigen und den BewerberInnen ein möglichst klares Bild davon zu vermitteln, was sie erwartet und was von ihnen erwartet wird. In die finale Auswahl war ich nicht eingebunden und daher auch nicht für die Besetzung verantwortlich. In mehreren Fällen erinnere ich mich, dass es Teamentscheidungen gab. Und das liegt mehr als 13 Jahre zurück.
Was du nicht erwähnt hast, ist die mE höchst zweifelhafte Praxis von Auswahl Assessment Centers. Dabei handelt es sich um eine Laborsituation für alle Beteiligten und auf allen Seiten müssen Entscheidungen unter Druck stattfinden. Für mich sind solche Entscheidungen unter Druck Zeichen einer völligen Durchökonomisierung – leider auch eines so sensiblen Bereichs wie der Passung zwischen Person/Aufgabenprofil/Team/Organisation. Recruiter werden oft individuell an ihrer „fill rate“ und „time to fill“ gemessen (!).
„Volition“ halte ich ebenfalls für ein überaus wichtiges Kriterium bei der Bewerberauswahl. Ja, es mag sogar bedeutender sein als „Intelligenz“; jedenfalls ist es erfolgsentscheidender als formale Bildung(sabschlüsse). Ich selbst war völlige Quereinsteigerin in den Personalbereich – ohne betriebs- oder personalwirtschaftliche Vorbildung – und habe mir mit viel Interesse, Fleiß und Kreativität das nötige Wissen eigenständig angeeignet. Dass das möglich war, lag an einem Vorgesetzen und Kolleginnen, die mich wohlwollend beobachtet, mir viel zugeMUTet und mich punktuell (durch Feedback) unterstützt haben.
Nicht zu unterschätzen ist, dass neue/junge MitarbeiterInnen oft neues Wissen und einen unverstellten Blick auf eingefahrene Praktiken, veraltete Methoden und Prozesse mitbringen können und damit neuen Schwung in die Bude. Da ist es eine Frage der Organisations- und Führungskultur, ob bei der „Passung“ (v.a. in der sensiblen Phase des Onboardings) eher auf Selbstähnlichkeit geachtet wird als auf Diversität und die Chance Neues zu lernen und zu integrieren.
Besonders der Generation Y/den Millenials sagt man nach, dass sie „anspruchsvoll“ in Bezug auf die Berufs-/Jobwahl ist und zu sehr auf die eigenen Interessen achtet (Lebensbalance, Sinn, Mitgestaltung, Zusammenarbeit auf Augenhöhe, etc.). Dabei sollten wir nicht vergessen, dass sich viele (?) Unternehmen noch kaum darauf verstehen, auf diese mE berechtigten Ansprüche zum Wohle aller Mitarbeitenden einzugehen und der eigenen Kultur eine Frischzellenkur zu verpassen. Das erscheint wohl zu wenig „effizient“ und wäre zu langfristig gedacht.

Liebe Karin,
danke für Deine wieder anregende Zeilen. Zu den einzelnen Punkten:
1. Auswahl durch Personaler
Du beschreibst kurz den Prozess, wie Du die Anforderungen der jeweiligen Abteilung erhoben hattest, um eine passende Ausschreibung zu verfassen. Das illustriert ein weiteres Problem des üblichen Procederes: Wie immer geht auf diesem Wege natürlich Information verloren, bzw. es ist deutlich aufwändiger, als wenn die jeweilige Abteilung selbst für die Personalsuche und -auswahl verantwortlich wäre. Herrlich ineffizient das Ganze.
2. Assessment Center
Ja, du hast völlig Recht. Darauf wollen wir noch gesondert eingehen. Die von Dir angesprochenen Ratings sind natürlich bodenloser Blödsinn.
3. Volition
Vielen Dank für diesen Einblick in Deinen persönlichen Werdegang – ein schönes Beispiel über die Bedeutung des Wollens gegenüber der Reduktion auf Intelligenz vor allem i.S. einer fachlichen Qualifikation.
4. Veränderte Ansprüche von ArbeitnehmerInnen
Ich persönlich glaube nicht im Geringsten an eine besondere Prägung der Gen Y/Z. Neulich war ich an einer Uni und habe vor Gen Z Leuten nen kurzen Vortrag über Unternehmensdemokratie mit anschließender Diskussion gehalten. Anschließend hatte exakt einer (!) von ca. 80-100 TeilnehmerInnen eine Frage. Der Rest war schweigende Masse. Keine Fragen zur Arbeitswelt, in die sie in ein paar Jahren eintreten werden. Das war die dumpfeste Reaktion die ich je erlebt habe. Bislang gab es alles, nur nicht ein derartige Nicht-Beteiligung. Und das von der angeblich so an Mit/Selbstbestimmung, Sinn, Nachhaltigkeit etc. interessierten Generation. Ein Witz.
Ansonsten kann ich zu dem Thema sagen: Ich bin überrascht, von wo überall Interesse aufflammt. Die Motive finde ich nicht immer überzeugend (Effizienzsteigerung etc.) – aber immerhin: Ich komme ich Gespräche mit Menschen in Unternehmen, an die ich beim Schreiben meines letzten Buches nicht im Geringsten gedacht hatte… Selbst in der Konzernwelt tut sich was. Und das macht Mut.

Lieber Andreas,
Danke für deine comments. Zu Punkt 4 möchte ich ein persönliches Erlebnis mit dir/euch teilen. Der Bericht darüber liegt schon fast 3 Jahre zurück und ist hier nachzulesen:
http://www.leadershift.cc/blog/generation-heisst-verantwortlich-fuehren/#more-87
Die “Kontrollgruppe” waren 70 international studierende, junge Frauen (70%) und Männer aus dem CEMS Umfeld an der Wirtschaftsuniversität Wien. CEMS = Global Alliance in Management Education. Natürlich ist diese Gruppe nicht repräsentativ.
Liebe Grüße, K

Liebe Karin
Danke für das Link zu dem Bericht. Das ist natürlich interessant und auch erfreulich. Nur eben leider nicht repräsentativ, wie Du ja selber schreibst. Allerdings sehe ich darin, dass es möglicherweise gar keine spezifische Prägung der Gen Y/Z gibt, kein Problem. Ich glaube statt dessen vielmehr an die Bildung von Gruppen mit spezifischen Eigenschaften über Generationen hinweg. Vielleicht helfen da ja eher Sinus Mileus weiter… Ich selbst bin ja umgekehrt auch nicht gerade der Prototyp der Gen X …
Liebe Grüße zurück!

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#LTTV - Ist Lean überhaupt noch zeitgemäß? - Lean Knowledge Base

[…] Eine Frage der Passung“ –> https://www.unternehmensdemokraten.de/personalauswahl-eine-frage-der-passung/ „New Work. Der Ausverkauf hat begonnen“ […]

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