Motivation durch Bestrafung

Am 16. Februar 2016 wurde in den Annals of Internal Medicine eine möglicherweise denkwürdige Studie zum Thema Motivation veröffentlicht: “Framing Financial Incentives to Increase Physical Activity Among Overweight and Obese Adults.” Vermutlich dürfte sich jetzt der eine oder die andere von Euch fragen, was denn diese Untersuchung mit Unternehmensdemokratie zu tun hat. Einiges, wie ich und mein Kollege Dr. Marius Poersch, Oberarzt in der Dr. von Ehrenwall’schen Klinik, glauben. Prototypisch konnte mit dieser neuen Studie ein zumindest kurzfristiger positiver Effekt nachgewiesen werden, der eventuell auch Auswirkungen auf andere Aufgabenstellungen in der Arbeitswelt haben könnte, als in der untersuchten. Lüften wir den Schleier der möglichen Verwirrung:

Studiendesign

Adipositas historischEine Forschungsgruppe um Dr. Mitesh Patel von der Abteilung für allgemeine innere Medizin der Universität von Pennsylvania untersuchte, welche extrinsischen Motivatoren am besten helfen, um ein vorgegebenes Gesundheitsziel zu erreichen. Dazu führten sie mit 281 Probanden eine randomisierte und kontrollierte Studie durch. Alle StudienteilnehmerInnen waren übergewichtige bis fettleibige Angestellte mit einem durchschnittlichen Body-Maß-Index von rund 33 im Alter von durchschnittlich 39,7 Jahren. Die Teilnehmer sollten über einen Zeitraum von 13 Wochen täglich 7000 Schritte gehen und waren, um dieses Ziel zu erreichen, in vier verschiedene Gruppen aufgeteilt:

  • Gruppe 1: Die TeilnehmerInnen erhielten bei Zielerreichung täglich 1,40 US Dollar.
  • Gruppe 2: Die TeilnehmerInnen durften bei Zielerreichung täglich ein Los ziehen, mit einem möglichen Gewinn zwischen 5 und 50 US Dollar.
  • Gruppe 3: Die TeilnehmerInnen erhielten 42 US Dollar im voraus. An jedem Tag, an dem sie das Ziel verfehlten, mussten sie 1,40 US Dollar zahlen.
  • Gruppe 4: Die TeilnehmerInnen dieser Kontrollgruppe erhielten weder finanzielle Anreize noch Strafen. Sie erhielten lediglich die Information über die täglich erreichte Schrittzahl.

Studienergebnisse

Die vier Gruppen zeigten deutlich unterschiedliche Ergebnisse: TeilnehmerInnen der ersten und zweiten Gruppe lagen noch sehr nah beieinander: Gruppe eins erreichte das Bewegungsziel an 36% der gemessenen Tage, Gruppe zwei an 35% und waren damit deutlich erfolgreicher, als die Kontrollgruppe, die nur auf eine Erfolgsquote von 30% kam. Die dritte Gruppe hingegen, in der die TeilnehmerInnen für jedes nicht erlangte Bewegungsziel bestraft wurden, erreichte das Ziel mit einer Quote von 45%.

Konsequenzen für die (betriebliche) Gesundheitsförderung

Diese Ergebnisse könnten die bisherigen, zunehmenden Motivationsstrategien von Krankenkassen und Arbeitgebern, gesundheitsförderliches Verhalten durch geldwerte Vorteile zu entlohnen, ändern. Denn die in der Psychologie schon lange bekannte “Verlustaversion” besagt, dass Menschen eher dazu neigen, Verluste vermeiden zu wollen, anstatt Gewinne einzustreichen. Die Studie von Patel und seinem Team zeigt dies einmal mehr, diesmal im Kontext von betrieblicher Gesundheitsförderung und dem dazugehörigen Gesundheitsmanagement.
Momentan ist noch nicht davon auszugehen, dass die Verlustaversion gleich systematisch als extrinsische Motivation in verschiedenen Zusammenhängen von Arbeitgebern und anderen institutionellen Akteuren eingesetzt wird. Das hat mehrere Gründe: Erstens war der Effekt nur kurzzeitig wirksam. Gegen Ende des untersuchten Zeitraums gab es keinen Unterschied mehr  zwischen der Gruppe 3 mit den Strafzahlungen und der Kontrollgruppe. Zweitens ist es ausgesprochen fraglich, wie sich Strafzahlungen im Arbeitskontext auf die Motivation auswirken würden.
Schließlich muss man davon ausgehen, dass jede Intervention, die Wirkung hat, auch Nebenwirkungen haben wird! Hier stellt sich die Frage, inwiefern sich der Stress der versuchten Verlustvermeidung mittel- und langfristig gesundheitlich auswirkt. Wir gehen davon aus, dass eine kurze aber vorübergehende Wirkung durch eine längeranhaltende Nebenwirkung vor allem im Bereich der psychischen Gesundheit „erkauft“ wird. Im Grunde zeigt die Studie mittelfristig durch die nachlassenden Effekte, dass die Teilnehmer wahrscheinlich ein Ohnmachtserleben hatten, trotz massiver Anstrengung ohne eigene (intrinsische) Motivation die eigentlichen Ziele nicht erreicht zu haben. Leider hat das menschliche Stressgedächnis einen relativ guten Langzeitspeichereffekt, wie Studien an Mitarbeitern zeigten, die mehrere Entlassungszyklen im Unternehmen überstanden haben. Pointiert könnte man sagen: Vergessen wir die heuchlerische Motivation über Verlustaversion und engagieren „Gesundheitsantreiber“, die ggf die langsamsten mit Elektroschocks bestrafen. Das würde kurzfristig zu den stärksten Bewegungsimpulsen führen…
Das eigentliche Thema für die betriebliche Gesundheitsförderung: Gesundheit geht am besten gemeinsam! Auch in der Planung und Durchführung und Bewertung von Interventionen (vgl. “Alle Macht für niemand”, Kapitel “Mitbestimmt gesund”, S. 162-176).

Strafzahlungen und Unternehmensdemokratie

Schlussendlich die Antwort auf die Frage, was das alles mit Unternehmensdemokratie zu tun hat: Gelebte Unternehmensdemokratie realisiert erstens das Selbstbestimmungsrecht seiner Unternehmensbürger (Thomas Sattelberger) und ermöglicht zweitens im Rahmen einiger fundamentaler Leitplanken Wertevielfalt und lebt auch von ihr. Eine Monokultur ökonomischen Totalitarismus, in der Menschen durch Strafzahlungen zu gesundheitsförderlichem Verhalten extrinsisch motiviert werden, steht damit deutlich in Widerspruch. Auch und gerade dann, wenn Verlustaversion dazu genutzt wird, um fremdbestimmte Zielvorgaben unter dem Diktat ökonomischen Erfolgs zu verwirklichen.

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch & Marius Poersch

Bildnachweis

 

Comments (4)

7000 Schritte? ich komm an einem normalen Tag auf 6000, und zwar wenn ich nicht von zu Hause weggehe (Homeoffice). D.h. dei Challenge ist wohl eher unter 7000 zu blieben (und ja, ich hab Übergewicht bzw liege ‘deutlich über dem Normalwert’, BMI 31,5. an sich will ich ja 10000 machen, aber da ich 30 min am tag auf dem Trimmrad bin sind 6000 nicht schlimm ,)

Danke Oliver, für den Kommentar. Das spricht wohl für Deine intrinsische Motivation! Bei 281 StudienteilnehmerInnen ist nicht zu erwarten, dass die vor allem besonders faule und demotivierte Personen aufgenommen hatten…

Interessante Studie, wobei ich es schwierig finde, die Ergebnisse in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Mir sind die Prämien einiger Krakenkassen bekannt, die dann ausgelobt werden, wenn zum Beispiel gewisse Voruntersuchungen in einem bestimmten Zeitraum eingehalten werden. Selbst wenn es effektiver sein sollte, Strafzahlungen einzuführen, verliert man die positive Assoziation zum Begriff Gesundheit und würde sie stattdessen eher als Zwang betrachten. Das Gleiche würde wohl auch auf Arbeitsebene passieren und ich glaube, der Arbeitsplatz würde so eher mit Druck und Stress in Verbindung gebracht anstatt mit Freude an Produktivität.

Hi Lukas,
da kann ich nur rundum zustimmen. Neben den von Dir genannten Punkten ist auch noch die Dauer des Effektes vollkommen fraglich, da dieser gegen Ende des Untersuchungszeitraums abnahm.
HGA

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