Im Februar 2017 veröffentlichte ich hier im Blog den Artikel “Sozialdarwinismus. Die Mär vom Kampf aller gegen alle“. Dort führte ich aus, das die altbekannten sozialdarwinistischen Argumente für einen ökonomischen Verdrängungswettbewerb nicht haltbar sind. In diesem Beitrag werde ich ein weiteres Puzzlestück über Konkurrenz vs. Kooperation hinzufügen. Im September 2016 erschien in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) ein äußerst interessanter Studienbericht über das Kooperationsverhalten von Schimpansen. Einmal mehr wird deutlich: Selbst in der rauen Natur lässt sich die Annahme eines allumfassenden Wettbewerbs beziehungsweise einer damit verbundenen Konkurrenz nicht aufrechterhalten.
Grundlegende Bedeutung von Kooperation
Das Gegensatzpaar von Konkurrenz (Wettbewerb) und Kooperation ist in zweierlei Hinsicht für Organisationen von Bedeutung: Erstens im Innenverhältnis der Zusammenarbeit der Belegschaft. Welche der beiden diametral gegenüberliegenden Verhaltensweisen entspricht tendenziell eher einer natürlichen Präferenz und welche ist in Bezug auf welche Zielsetzung (ökonomisch: Effizienz, Produktivität, Umsatz etc.; (sozial)psychologisch: Wohlbefinden, Arbeitszufriedenheit, Sinnerleben etc.) wünschenswerter? Zweitens stellt sich die gleiche Frage im Außenverhältnis mit anderen Stakeholdern, allen voran natürlich potentiellen Wettbewerbern im unternehmerischen Bereich.
Wenn wir uns für eine der beiden Seiten oder beide entscheiden, hat das sofort erhebliche Konsequenzen für die Aufbau- und Ablauforganisation jeglicher Organisationen. Wir können Organisationen so strukturieren und kulturell inszenieren, das eben eine der beiden Seiten oder beide durch die Struktur und Kultur gefördert werden. Die Frage nach Konkurrenz und/oder Kooperation beschäftigt uns schon lange, immerhin wurde die “Ellenbogengesellschaft” 1982 zum Unwort des Jahres gekrönt. Und tatsächlich scheint an vielen Stellen im Arbeitsleben Konkurrenz erst einmal ein geradezu zwingender Bestandteil zu sein. Wir bewegen uns immer noch oft, wenn nicht sogar meist im Rahmen von Nullsummenspielen: Eine(r) bekommt den Arbeitsplatz, alle 300 anderen gehen leer aus; eine(r) schafft den Schritt auf die Führungsposition, die anderen bleiben Mitarbeiter*innen; eine(r) wird erfolgreichster Vertriebsmitarbeiter*in und gewinnt die Reise auf die Seychellen, alle anderen dürfen im Büro bleiben und abends auf der heimischen Couch Reisedokus glotzen.
Viel häufiger Kooperation als Konkurrenz
Die Forschergruppe um Malini Suchak, zur Zeit Assistent Professor am US amerikanischen Casinius College, untersuchten das Konkurrenz- oder Kooperationsverhalten von 11 Schimpansen. Die konnten sich entscheiden, eine Belohnung durch Futter entweder durch Konkurrenz oder Kooperation zu erlangen. Der Versuchsaufbau sah vor, dass die Affen an einem Apparat ziehen mussten, um an das Obst zu gelangen. Sie waren dabei in keiner Hinsicht auf das eine oder andere Verhalten trainiert. Sie hatten die Wahl, entweder kooperativ – auch bei steigendem Schwierigkeitsgrad der Aufgabe – oder konkurrierend und egoistisch vorzugehen. Zum Beispiel konnten die Affen andere Gruppenmitglieder vertreiben oder einfach das Obst nach erfolgreicher Aufgabenlösung klauen.
In Summe gabe es 3665 Kooperationen und gut 600 mal konkurrierendes Verhalten. Die Affen entschieden sich, neutrales Verhalten (Agonie) eingerechnet, rund fünf mal häufiger für ein kooperatives Vorgehen. Dieses Ergebnis kam dadurch zustande, dass sich die Affen die für sie richtigen Partner suchten und zudem konkurrierende Gruppenmitglieder bestraften. Durch dieses systematische Vorgehen reduzierten die Schimpansen Schritt für Schritt den Wettbewerb aus ihrer Gruppe. Bemerkenswert ist dabei noch, dass der einzige Affe, der durchschnittlich öfter konkurrierte als zu kooperieren, ein beinahe blindes, altes Weibchen war. Diese auch für die Forscher überraschenden Ergebnisse wurden durch die Untersuchung einer weiteren Gruppe überprüft und bestätigt. Dort war das Verhältnis sogar 6:1
Diese Ergebnisse waren und sind dabei durchaus beachtlich. Denn bislang wurde Kooperation als “menschliche Anomalie” beschrieben und Schimpansen demgegenüber als eher konkurrierend betrachtet. Demgegenüber zeigten die Affen vielmehr ein großes Vermögen, Wettbewerb auszuschließen und stattdessen zu kooperieren. Diese Ergebnisse widerlegen auch bisherige Annahmen, dass Kooperation bei Schimpansen nur oder vorwiegend in Situationen auftritt, die von Anfang an auf Kooperation ausgerichtet sind. Tatsächlich entspricht das Verhältnis von Kooperation zu Konkurrenz auch dem menschlichen Verhältnis: In einer Langzeitstudie wurde gezeigt, dass Ehepaare, die nicht zumindest ein Verhältnis von 5:1 positiven Interaktionen haben, mit höherer Wahrscheinlichkeit geschieden werden (Gottman, JM; Levenson, RW).
Kooperation ist grundlegender als Konkurrenz
Wie schon in meinem eingangs erwähnten Post über den Unsinn des Sozialdarwinismus ausgeführt, ist es viel mehr als eine Frage betriebswirtschaftlicher Leistung, ob wir eher Kooperation als Konkurrenz anstreben und ermöglichen sollten. Es ist eine Frage von Lebensqualität – wie ja auch die oben nur kursorisch erwähnte Untersuchung von Gottman und Levenson über den Zusammenhang von Kooperation und Scheidungsrate zeigt. Einerseits ist es trivial, weil offensichtlich: Wer will schon dauernd auf Kosten gelungener Kooperation in Konkurrenz sein, wie auch das Buch “Prinzip Menschlichkeit” von Joachim Bauer nahelegt? Das, was sich da in der Scheidungsquote zeigt, dürfte wohl auch in der Fluktuationsquote von Organisationen zu finden sein. Zumindest indirekt:
Denn einerseits finden sich alle möglichen Gründe dafür, warum Mitarbeiter Arbeitgeber verlassen (Aufzählung ist kein Ranking): Mangelnde Karrieremöglichkeiten, mangelnde Wertschätzung, schlechte Beziehung zum direkten Vorgesetzten, bessere Gehälter beim neuen Arbeitgeber, zu hoher Arbeitsdruck, mangelnde Work-Life-Balance, der Job erfüllt nicht die Erwartungen, mangelnde Passung zu einer oder mehreren der (mindestens) vier Passungsdimensionen, mangelndes Feedback/Coaching, mangelnde Entscheidungskompetenzen der Vorgesetzten, organisationale Instabilität, u.a.m.
Andererseits fehlt offensichtlich etwas: Eine Konkurrenz und Wettbewerbs getriggerte Organisationskultur wird wohl kaum alle Menschen zum Bleiben verleiten. Diejenigen, die im ewigen Sich-Messen-und-Vergleichen-Müssen stecken geblieben sind, werden auf ihre Kosten kommen, haben sie doch eine schöne Spielwiese, um ihre Top-Performance permanent zu demonstrieren. Aber die anderen, die das nicht wollen? Vielleicht gibt uns ja der jährliche Gallup-Engagement-Index einen ersten Hinweis: Die Konkurrenz Geschädigten könnten sich auf den Dienst nach Vorschrift oder die innere Kündigung zurückziehen.
Alles in allem: Die hier vorgestellte Studie ist wieder ein bisschen mehr Wasser auf die Mühle der Kooperation. Je mehr wir empirisch aus der Natur lernen, umso deutlicher scheint zu werden: Konkurrenz und (Verdrängungs)Wettbewerb sind keineswegs die besten Optionen für gelungenes Wirtschaften. Letztlich bleibt neben der Auseinandersetzung, welches grundsätzliche Verhalten denn am Ende des Tages nun mehr Erfolge erzeugt, die aus meiner Sicht zentrale Frage: In welcher Welt wollen wir leben?
Herzliche Grüße
Andreas
Quellen
- Suchaka, M. et al. (2016): How chimpanzees cooperate in a competitive world. PNAS, 113(36): 10215-10220
- Gottman JM, Levenson RW (1992) Marital processes predictive of later dissolution. Behavior, physiology, and health. J Pers Soc Psychol 63(2):221–233
Bildnachweis
- Beitragsbild: Meles 1, CC BY-SA 3.0
- Schimpansen im Suchak-Experiment: Screenshot des Papers