Wirtschaftswachstum ade, Teil 2: Wenn die Mutter nicht arbeitet

Letzte Woche berichtete ich über eine Studie von McKinsey über die Umkehrung des Wachstumsprozesses beim Einkommen junger Generationen. Die Studie zeigte auf erschreckende Weise, dass es eben nicht immer weitergeht mit dem Wachstum. Und das bedeutet, dass es nicht nur Stagnation gibt, sondern sogar schrumpfende Ergebnisse (die natürlich angesichts des Wachstumswahsinns gerne „Negativ-Wachstum“ genannt werden, um zumindest noch das Wort Wachstum weiter verwenden zu können.) Zu den beschriebenen Studienergebnissen gesellt sich eine aktuelle Untersuchung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Sie eruierte den Zusammenhang zwischen der Arbeit von Müttern und Kinderarmut. Das Ergebnis stützt den von McKinsey aufgezeigten Trend hin zu geringeren und rückläufigen Einkommen. 

Studiendesign

Armutsdefinition

Zu Beginn ist natürlich zentral, was eigentlich als arm gilt, wird doch diese Frage in vielen Armutsdebatten immer wieder heftig diskutiert. Als arm oder armutsgefährdet werden folgende Kinder und Jugendliche betrachtet:

  1. Sie leben in Familien, deren Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt, da sie über weniger als 60% des mittleren äquivalenzgewichteten Haushaltseinkommen verfügen.
  2. Ergänzend und anders als in vielen anderen Untersuchungen wird der Bezug von SGB II Leistungen als Armutslage betrachtet.

“Die Kombination der beiden Konzepte erweitert insofern die Perspektive als zum einen trotz erheblicher Überschneidungen beide Konzepte durchaus unterschiedliche Personengruppen als arm bzw. bedürftig kategorisieren. Zum anderen ist für die dynamische Perspektive von Interesse, ob das Verlassen einer Armutslage ein substanzielles oder nur marginales Überschreiten der jeweiligen Schwelle bedeutet” (Tophoven et al. 2018: 24)

Datenbasis, Längs- und Querschnitt

Auf dieser Basis wertete das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) für die Bertelsmann Stiftung die Daten des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) aus. Das sind seit 2006 jährlich rund 15.000 befragte Menschen ab 15 Jahre in deutschen Haushalten. 

„Grundlage für diese Studie sind die bereits in einer früheren Publikation des Forschungsprojekts identifizierten Einkommensverlaufs- bzw. Armutsmuster (Tophoven et al. 2017). Um diese Muster zu ermitteln, wurden die Einkommensverläufe von Kindern bzw. deren Familien über fünf aufeinander folgende Jahre im Zeitraum 2006 bis 2015 betrachtet. Daran anschließend wurden Gruppen von Kindern mit möglichst ähnlichen Verläufen („Sequenzen“) zusammengefasst. In der Analyse konnten so fünf Muster („Cluster“) gebildet werden“ (a.a.O.: 11)

  • Dauerhaft gesichert (68,9%)
  • Temporär nicht gesichert (9,9%)
  • Prekäre Einkommenslage (3,7%)
  • Dauerhafter Leistungsbezug (5,8%)
  • Dauerhaft nicht gesichert (11.6%)

Besonders problematisch ist dabei die Stabilität der Einkommenslagen. Für diejenigen, die dauerhaft gesichert sind, ist dies natürlich von Vorteil. Ganz anders aber für alle jene, die mehr oder minder von Armut betroffen sind. Denn ein Aufstieg in weniger von Armut betroffene Cluster ist selten (Tophoven (2017): Armutsmuster in Kindheit und Jugend). 

Studienitems

Die materielle Versorgung im Rahmen des PASS wurde durch folgende Items erhoben:

Cover der StudieWohnung

  • Trocken
  • Separates Badezimmer mit Badewanne oder Dusche in der Wohnung
  • Toilette in der Wohnung
  • Garten, Terrasse oder Balkon

Nahrung und Kleidung

  • Ab und an neue Kleidung kaufen können, auch wenn es noch nicht nötig ist
  • Mindestens täglich eine warme Mahlzeit
  • Ausreichende Winterkleidung

Konsumgüter

  • Waschmaschine
  • Fernseher
  • Auto
  • Computer mit Internetanschluss
  • Videorekorder oder DVD Player

Finanzen

  • Miete oder Zinsen für Eigentum immer pünktlich zahlen können
  • Nebenkosten immer pünktlich zahlen können
  • Festen Betrag sparen können
  • Ärztliche Behandlungen zahlen können, die von der Krankenkasse nicht übernommen werden
  • Unerwartet anfallende Ausgaben bezahlen können
  • Abgenutzte aber noch brauchbares Mobiliar ersetzen können

Soziale und kulturelle Teilhabe

  • Monatlich Freunde zum Essen nach Hause einladen können
  • Monatlich auswärts Essen gehen können
  • Monatlich Theater, Konzert oder Kino besuchen können
  • Jährlich mindestens eine einwöchige Reise unternehmen können

Für mein Dafürhalten machen die Items größtenteils Sinn, einige allerdings sind ausgesprochen zweifelhaft und haben wenig mit Armut zu tun: Ich selbst habe seit einem halben Jahr kein Auto mehr und bin froh darüber. Gerade in Städten mit gutem ÖPNV ist ein Auto in keiner Weise ein nützlicher Indikator für Armut. Ebenso verhält es sich mit einem Fernseher, Videorekorder oder DVD Player. Ich habe wiederum nichts davon, aber nicht weil ich es mir nicht leisten kann, sondern weil es für mich völlig überflüssig ist. 

Studienergebnisse

Erwerbssituation der Mütter

Grundsätzlich wurde festgestellt, dass nicht einmal jede zweite Mutter einen stabilen Erwerbsstatus hat (ca. 40%). Die 60% der instabilen Erwerbssituationen verteilen sich unterschiedlich: Im betrachteten Zeitraum nehmen fast 30% eine Erwerbstätigkeit auf und fast 8% weiten diese Arbeit noch aus. Dem stehen ca. 7% gegenüber, die von einer Vollzeit- in eine Teilzeitstelle wechseln oder oder sogar zu einer geringfügigen Beschäftigung bzw. Nicht-Erwerbstätigkeit. Schließlich gibt es noch knapp 8% die eine große Variabilität von einer Vollzeitstelle über Teilzeit und geringfügige Beschäftigung bis hin zur Erwerbslosigkeit aufweisen.

Zusammenhang Mütterarbeitslosigkeit und Kinderarmut

Das übergreifende, zentrale Ergebnis besteht in der Einsicht, “dass insbesondere eine Arbeitslosigkeit oder eine Nicht-Erwerbstätigkeit aus anderem Grund (Elternzeit, Hausfrau) wichtige Determinanten der Clusterzugehörigkeit sind (vgl. Kapitel 2.5 und Anhang 9). Beide sind mit einem signifikant höheren Risiko von Niedrigeinkommenslagen verbunden. (a.a.O.: 36f) Dies zeigt sich unter anderem in diesen Ergebnissen:

  • Erschreckende 96% aller Kinder von alleinerziehenden Müttern, die nicht erwerbstätig sind, wachsen dauerhaft oder temporär in Armut auf. Selbst wenn alleinerziehende Mütter länger mehr als 30 Wochenstunden arbeiten, erleben immer noch 16% ihrer Kinder Armut. 
  • Mütter in einer stabilen Teilzeitbeschäftigung oder mit einem Minijob können in 20% der Fälle nicht verhindern, dass ihre Kinder fortwährend oder zeitweilig in Armut aufwachsen. Dazu kommen 40% der betroffenen Kinder, die wenigstens temporär mit Armut konfrontiert werden. 

Problematisch ist dabei die mangelnde kulturelle Teilhabe der Kinder in diesen Verhältnissen. Sie wachsen in einem kleineren sozialen Netz auf, sind in Vereinen weniger aktiv (Vereinsmitgliedschaften im Cluster dauerhaft gesichert = 75,1%, im Cluster dauerhaft nicht gesichert = 37,1%, vgl. a.a.O.: 68)) und haben weniger enge Freunde. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund wichtig, dass sozialer Rückhalt einen positiven Einfluss auf die Gesundheit hat, wie wir schon länger wissen (vgl. zB Bartens 2010). So sind die gesundheitlichen Risiken aufgrund geringer psychosozialer Interaktionen “… ähnlich groß wie beim chronischen Konsum von 15 Zigaretten täglich oder wie bei einem Alkoholiker.” (Bartens 2010) Umgekehrt steigert ein gutes soziales Netz die Wahrscheinlichkeit, ein hohes Alter zu erreichen um satte 50% (vgl. Holt-Lunstadt et al. 2010).

Das alte Wirtschaftswunder-Erwerbsmodell mit dem Pater familias, der als Alleinverdiener die Familie ernährt und, wenn er nur fleißig und diszipliniert genug ist, in den Wohlstand führt, ist Geschichte. Wir sind an dem Punkt angekommen, dass Kinder Eltern brauchen, die beide einer stabilen Erwerbstätigkeit nachgehen, um nicht irgendwann im Laufe ihres Aufwachsens mit großer Wahrscheinlichkeit eine Armutserfahrung zu machen. Wenn das kein Fortschritt ist. Und eine wirklich gute Nachricht für die Zukunft der Arbeit!

 

Herzliche Grüße
Andreas

 

Quellen & Literatur

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Zentrum von Halle-Neustadt, ©Bettenburg, CC BY-SA 2.0 de
  • Cover Bertelsmann Studie: IAB/BertelsmannStiftung

Comments (2)

Traurig das so viele Menschen an der Armut grenze leben und manche Leute einfach viel zu viel haben, einfach ungerecht.
Lg Margret

Leider wahr…
Herzliche Grüße, Andreas

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