Die Dialog Methode

Dialog. Wir reden täglich: morgens, mittags, abends und nachts. Reden scheint uns selbstverständlich. Wir machen uns dabei kaum Gedanken über die Art, wie wir miteinander reden und wie wir auf das Reden der anderen reagieren. Weder erforschen wir in der Tiefe, wie wir zu bestimmten Meinungen und Argumenten gekommen sind, noch die Wurzeln unserer Emotionen. Genau das ist der Sinn und Zweck des Dialogs als Methode mit einem klaren Setting: Erkundung unserer Ansichten, mentalen Modelle, Glaubenssätze sowie der Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren. In einer zunehmend beschleunigten Zeit, in der Agilität schon fast zum Standardnarrativ wurde und in der wir in Echtzeit quer über den Globus mit Kollaborationstools chatten können, braucht es wieder Räume der Ruhe.

Die Entstehung der Dialog Methode

David Bohm, Begründer der Dialog-Methode
David Bohm, Begründer der Dialog-Methode

Der Dialog ist im Grunde eine alte Tradition. Nichts wirklich Neues. In der heutigen Form geht der Dialog auf den amerikanischen Quantenphysiker und Philosoph David Bohm (1917-1992) zurück, wobei die Wurzeln viel weiter zurück reichen: Das klassische Griechenland mit Platons sokratischen Dialogen, Indigene Völker und schließlich die Quäker mit ihrem Ansatz “Sitting the question”, also eine Frage nicht gleich beantworten zu wollen, sondern diese Frage mit all ihren Implikationen überhaupt erst einmal zu erkunden und zu verstehen.

David Bohm entwickelte seine Vorstellungen und Konzeptualisierung über das Denken im Rahmen vieler Unterhaltungen mit dem indischen Philosophen und Theosophen Jiddu Krishnamurti und seine Ideen zum Dialog durch seine Auseinandersetzung mit dem Sozialpsychologen Patrick de Maré. Letztere untersuchte vor allem Veränderungen in Gruppen, die über längere Zeit dialogisch kommunizieren. So entwickelte Bohm mit der Zeit sein Konzept des Dialogs.

“Wenn wir gemeinsam denken, können wir vielleicht unsere gemeinsamen Probleme lösen.” David Bohm

Falls Du glaubst, das wäre trivial: Beobachte mal, wo wir wirklich gemeinsam denken und nicht vielmehr jeder für sich. Wie oft glauben wir, schon längst zu wissen, was der andere eigentlich sagen will. Und schon sind wir dabei, die argumentativen Messer zu wetzen um das Gegenüber maximal effizient in die Pfanne zu hauen. Und wenn es schon nicht so kriegerisch zugeht, dann wenigstens belanglos. Das Gegenüber plappert irgendwas und wir packen es so schnell wie irgend möglich in eine schon lange bestehende Schublade. Wirklich darüber nachdenken, nicht nur was gesagt wurde, sondern vielmehr was gemeint ist und was das in mir auslöst und wieso eigentlich – das ist zumindest meiner Erfahrung nach die Ausnahme. Der Dialog schafft einen Raum, diese Ausnahme zum goldenen Standard zu machen.

Anwendungsgebiete der Dialog Methode

1. Ergänzung zu agilen Methoden

Wenn wir uns im Rahmen unserer Arbeit besprechen, geht es darum, Ergebnisse zu erzielen. Möglichst schnell. Genauer: Immer schneller. Eine großer Pool agiler Methoden soll das ermöglichen, fast scheint es schon die Ausnahme, dass eine Organisation nicht mit Scrum arbeitet. Nicht mehr ewig diskutieren, sondern schnell Handeln um in iterativen Schritten zu lernen und Anpassungen vorzunehmen.

Das hat seinen Wert und seine Richtigkeit. Aber etwas wird dabei oft vergessen: Wir brauchen daneben Räume, um in Ruhe unsere Hoffnungen, Erwartungen, Sorgen und Ängste vor Veränderungen zu reflektieren und einen gelungenen Umgang mit ihnen zu finden. Angst- oder wutzerfressen werden wir in keine agile Haltung kommen, um all die schönen Methoden erfolgreich anzuwenden. Der Dialog bietet die Möglichkeit, ein stabiles emotionales und kognitives Fundament zu entwickeln, auf dem wir agil hoch hinaus können. Neben diesem sehr aktuellen Anwendungsfeld kann der Dialog noch fundamentaler und allgemeiner genutzt werden.

2. Kultur- und Kommunikationsentwicklung

Wir können Kultur nicht geplant durch Interventionen zielgenau beeinflussen. Aber natürlich können wir sehr wohl durch verschiedene Optionen Einfluss auf die jeweilige Organisationskultur nehmen. Der Dialog ist eine solche Option mit dem Fokus der Kommunikationskultur. Wer immer wieder über einen gewissen Zeitraum Dialoge führt, ändert nicht automatisch, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sowohl seine innere Haltung zur Kommunikation als auch sein tatsächliches Verhalten.

Wer die Ruhe und Entschleunigung des Dialogs immer wieder als effizienter erlebte, als hektische Meetings; wer erfährt, dass er oder sie nicht immer auch etwas gesagt haben muss, um zu partizipieren und mitzugestalten; wer endlich mal das Gefühl hat, richtig zuhören zu können und gehört zu werden; wer die Haltung der Lernenden in sich aufsaugt und mit anderen die Meinungen, Sichtweisen und Glaubenssätze der Dialogteilnehmenden gemeinsam erkundet; die oder der wird vermutlich das eigene Kommunikationsverhalten ändern. Die dialogische Haltung sickert langsam in die Alltagskommunikation ein.

3. Entscheidungsvorbereitung

Entscheidungen bestehen nicht nur aus dem eigentlichen Prozess der Entscheidung sondern haben drei Phasen: Entscheidungsvorbereitung, Entscheidung und Umsetzung. Der Dialog kann gerade bei fundamentalen, wegweisenden Entscheidungen zum Beispiel im Rahmen von Strategieentwicklungen  oder Geschäftsmodellinnovationen eine gute Option sein, um die anstehende Entscheidung gemeinsam vorzubereiten. Und zwar hinsichtlich der tieferliegenden mentalen Modelle, Glaubenssätze sowie Hoffnungen, Erwartungen einerseits und Sorgen und Ängsten andererseits.

Dies ist natürlich vorwiegend dann sinnvoll, wenn nicht nur eine Person alleine oder einige wenige Akteure wie drei Geschäftsführer die Entscheidung treffen, sondern wenn mehrere Menschen eingebunden sind. Das kann ein aus Vertretern der Organisation repräsentativ zusammengesetztes Gremium sein, ein Wirtschaftsausschuss und dergleichen mehr.

Dialogarten

Der strategische Dialog dient in erster Linie der Lösung einer konkreten Aufgabe unter Einbezug tiefer liegender Werte, Annahmen, Glaubenssätze und Emotionen: Wie kommen eigentlich unsere Meinungen zustande? Worin wurzeln sie? Weshalb sehen und fühlen wir etwas so und nicht anders? Hier bietet der Dialog die kraftvolle Möglichkeit, all das zu erkunden und verstehen zu lernen. Welche Werte, welche Identitäten sind damit verknüpft? Erst dann können wir langfristig agil arbeiten. Ansonsten verstricken sich die Kommunikationspartner im Wurzelwerk ihrer Meinungen, Argumente und Emotionen, die sie selbst nicht verstehen. Und reagieren schnell gereizt oder verletzt – und die nötigen Ergebnisse bleiben auf der Strecke.

Der generative Dialog dient vor allem der Entwicklung einer effektiven kommunikativen Kultur in Organisationen. Im Zentrum der Beobachtung und der Erkundung stehen diejenigen Ereignisse, die während unserer Gespräche ablaufen, wenn wir anderen zuhören. Was ärgert, verletzt oder langweilt mich, wenn ich einer anderen Person zuhöre? Wann möchte ich am liebsten sofort etwas sagen, wann schweigen, wann den Raum verlassen? Normalerweise machen wir uns über diese Reaktionen keine Gedanken, sondern führen sie einfach aus. Wenn wir flexibler werden, ohne wie ein Automat immer wieder durch dieselben Reizpunkte angetriggert zu reagieren, können wir auch in einer agilen VUCA Welt bessere Ergebnisse erzielen. Das ist auf lange Sicht der Sinn und Zweck der Dialog-Methode, wie wir sie verstehen und anwenden.

Der strategische und besonders der generative Dialog ist eine künstliche kommunikative Situation, die es erfordert, erst einmal einen Schritt zurück zu machen: Bisher haben wir immer Schlag auf Schlag miteinander geredet. Das gilt besonders in agilen Organisationen oder solchen, die es werden wollen. Jetzt geht es darum, das agile Tempo mit ruhigen Reflexionsräumen in Balance zu bringen.

Dialogkompetenzen und -regeln

Wer mich kennt, weiß:

Eine Regel ersetzt nicht ihren Sinn.

Eigentlich gibt es im strengen Sinne in der Dialog Methode keine Regeln, sondern die zehn Kernfähigkeiten des Dialogs. Der Einfachheit halber habe ich mir allerdings erlaubt, diese Kernfähigkeiten im Rahmen eines ersten kurzen Einblicks in den Dialog auf vier Regeln zu verdichten. Wer es von Euch genauer wissen will, kann gerne meine Zusammenfassung eines der deutschen Standardbücher über das Dialogverfahren herunterladen – dort habe ich die Regeln und Grundhaltungen ausführlicher als hier beschrieben und erklärt, aber immer noch sehr viel kürzer als im Buch.

Nur wer den Stein hat, spricht

Diese erste Regel hat eine lange, lange Tradition und geht zurück auf verschiedene teils indigene Kulturen. Dort wurde schon früher bei wichtigen Besprechungen ein Talking Stick eingeführt. Ein symbolischer Gegenstand, der gut sichtbar markiert, wer jetzt sprechen darf und wer zuhört. Jeder darf sich diesen Gegenstand aus der Mitte des Gesprächskreises nehmen und reden. Wer ihn nicht hat, darf nicht reden.

Sinn der Regel: Eine deutliche Entschleunigung des Gesprächs. Wer eine konsequente Dialogrunde das erste mal erlebt, ist genau davon fasziniert: Endlich mal genug Zeit, um wirklich zuzuhören und das Gesagte erst einmal zu verstehen, bevor wir gleich wieder reflexhaft antworten.

Sprich von Herzen

Klingt blumig, irgendwie nach 68er, nach Hippies, die mit Margeritenkränzen glücklich verklärt barfuß über eine Frühlingswiese hüpfen. Tatsächlich ist diese “Regel” aber ausgesprochen hart. Das wird sofort deutlich, wenn man sie als Ausschluss formuliert: Wenn Dich das, was Du sagen willst, nicht wirklich berührt, halt einfach die Klappe. Will heißen: Ich nehme nur dann den Redestein oder -stab, wenn ich das Gefühl habe, etwas wirklich wirklich Wichtiges sagen zu wollen, was mich emotional auch berührt.

Sinn der Regel: Reduktion von belanglosen Beiträgen, bei denen es häufig nur darum geht, dass auch ich noch was gesagt habe. Dadurch werden Dialogrunden deutlich gehaltvoller. Die Essenz am Ende ist im allgemeinen qualitativ hochwertiger, als wenn wir alle durcheinander quatschen.

Fasse Dich kurz

Wer den Stein hat, hat die Redemacht. Und damit eine Verantwortung, die Zeit des Dialogs gemeinsam mit allen anderen für alle optimal zu nutzen. Dabei werden Dialogbegleiter*innen keinen Timer rauskramen und den Teilnehmern eine Redezeit von 120 Sekunden vorschreiben und sie messen. Es geht auch hier um die Haltung. Komm auf Punkt, laber nicht lang rum, konzentrier Dich auf einen klaren Fokus. Dabei ist es interessant, dass ich noch nie eine Totalentgleisung erlebt habe, bei der ich eingreifen musste. Auch hier funktioniert Selbstorganisation ausgesprochen gut.

Sinn der Regel: Verhinderung egoistischer Monologe durch Regel 1. Wenn nur der redet, der den Stein hat und alle anderen dann zuhören, könnte jemand auf die Idee kommen, nun endlich mal allen ausführlich die Meinung zu geigen.

Beobachte den Beobachter

Klingt komisch, oder? Irgendwie intellektuell überzogen. Warum heißt es nicht: Beobachte Dich selbst? Ganz einfach: Diese Formulierung macht eben unmittelbar klar, dass wir alle auch Beobachter und damit Zuhörer sind. Und es geht genau genommen darum, zu erkunden, was verschiedene Personen mit ihren Redebeiträgen bei mir auslösen. Es ist gewissermaßen aktives Zuhören der zweiten Ordnung. Ich höre zunächst aktiv den anderen zu – und gleichzeitig mir selbst, wie ich auf das Gehörte reagiere.

Sinn der Regel: Wer sich in Dialogen regelmäßig selbst beobachtet, entdeckt mit der Zeit Reaktionsmuster. Solche in Bezug auf andere Menschen und solche, die generalisiert ablaufen und unabhängig von der konkreten Person sind, der ich gerade zuhöre. Je besser wir unsere Muster kennen, umso besser können wir alternative Verhaltensoptionen entwickeln. Somit dient diese Regel dazu, die Varianz der eigenen Wahrnehmung, Interpretation, Denken und Handeln zu erhöhen.

Anwendung

Der Dialog ist keine Eintagsfliege. Wer seine Vorteile im Sinne der Ergänzung zu agilen Methoden und zur Kultur- und Kommunikationsentwicklung in seiner Organisation nutzen will, sollte ihn zumindest über eine gewisse Zeit regelmäßig einsetzen. Gut wäre ein 14 tägiger Turnus, aber das ist leider häufig schwierig. Meiner Erfahrung nach ist schon ein vier bis sechswöchiger Turnus über mindestens sechs Monate Erfolg versprechend. Pro Dialogrunde sollten dabei rund 90 Minuten angesetzt werden: 15 Minuten ankommen, 60 Minuten Dialog und am Ende 15 Minuten zum Ausklang mit einer kurzen Reflexion der gelaufenen Dialogrunde. Die Teilnahme sollte natürlich freiwillig erfolgen.

Zur Entscheidungsvorbereitung ist der Dialog natürlich auch punktuell einzusetzen, wobei er effektiver wird, wenn die Teilnehmenden darin schon durch eine Phase regelmäßiger Dialoge geübt sind. Hier kann die Dauer der einzelnen Dialogrunde selbstverständlich variiert werden, wobei der eigentliche Dialog mindestens 45 Minuten haben sollte, was der gezielten Entschleunigung durch den oben erwähnten Talking Stick geschuldet ist. Eine besondere Qualität des Dialogs besteht ja eben darin, dass dort auch Schweigen willkommen ist und nicht unmittelbar als ineffizient verunglimpft wird.

Last not least empfiehlt es sich, einen ruhigen Raum zu wählen, der idealerweise auch eine einigermaßen schöne Atmosphäre bietet. Die Stühle stehen in einem geschlossenen Kreis für Gruppengrößen von rund sechs bis dreißig Teilnehmende. Eine Person sollte als Facilitator die Gruppe begrüßen und durch den Ablauf führen. Im Dialog selbst ist er oder sie genauso Teilnehmer*in und achtet vor allem auf den zeitlichen Rahmen. Versuche der Steuerung der Dialogrunde würde ich unbedingt auf ein absolutes Minimum beschränken. Idealerweise steuert sich die Gruppe komplett selbst.

 

Ich kann Euch diese Methode nur wärmstens empfehlen. Ich bin seit 2001 Dialog Begleiter und habe seit dem ausnahmslos gute Erfahrungen gesammelt. Wahrscheinlich gerade deshalb, weil die Methode so bestechend einfach im Ablauf ist bei gleichzeitig erstaunlichem Tiefgang, wenn man und frau den Rahmen stabil genug hält. In diesem Sinne wünsche ich Euch allen für heute

 

dialogische Grüße

Andreas

 

Literatur

  • Ellinor, L.; Gerard, G. (1998): Der Dialog im Unternehmen. Inspiration, Kreativität, Verantwortung. Klett-Cotta
  • Hartkemeyer, M. & F., Dhority, L. (1999): Miteinander Denken. Das Geheimnis des Dialogs. Klett-Cotta
  • Isaacs, W. (1999): dialogue. And the Art of Thinking Together. Doubleday
  • Zeuch, A. (2018): Die Dialog-Methode. Eine Zusammenfassung. Unveröffentlichtes Manuskript

Bildnachweis

  • Beitragsbild pixabay, CC-0 Lizenz, gemeinfrei

 

Comments (2)

Vielen Dank für diesen wertvollen Impuls. Hindsight-Bias hin oder her, ich wusste das und habe es trotzdem nicht berücksichtigt. Merci bien für die Sensibilisierung.

Laßt uns doch wieder streiten, ihr Pussys! - New Work Streitkultur - priomy

[…] ein konstruktiver Dialogprozess dann erst einmal auf Basis einer Vertrauenskultur eröffnet, macht es Sinn, sich über die […]

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