Vor einigen Jahren dürfte ich als Interimmanager ein Unternehmen in der Restrukturierung federführend begleiten. Es handelte sich um ein Unternehmen der medizintechnischen Branche, welches in den 60er Jahren gegründet wurde und aufgrund seiner hervorragenden Produkte die Position des Weltmarktführers erobert hatte. Zweifelsohne waren auch heute noch die Produkte von hervorragender Qualität, jedoch hatte sich der Abstand zu den Konkurrenten minimiert. Obgleich die Produktpreise des Unternehmens über denen der Konkurrenz lagen, waren die Kunden bereit, diese Preise zu bezahlen, da das Unternehmen mit einer hervorragenden Servicequalität zu punkten imstande war.
Die Ausgangslage
Spannend an diesem Unternehmen war für mich die Haltung der Mitarbeiter zu ihrem Arbeitgeber; eine Haltung, wie ich diese bis dato noch nie erlebt hatte. In jeder Faser, in jeder Zelle dieses Unternehmens, in jedem Mitarbeiter war ein allzeit fühlbares, ubiquitäres Wir-Gefühl vorhanden. Dieses wir Gefühl war neben der Technologieführerschaft des Unternehmens sicherlich eines der Hauptassets, die das Unternehmen kennzeichnete. Ähnliches kannte ich nur aus der Literatur. Es erinnerte mich sehr stark an den „Aniliner“, den BASF-Mitarbeiter oder an das ebenso ausgeprägte Miteinander des „Rotfüßlers“, dem ehemaligen Höchst-Mitarbeiters. Heute kennt man sowas kaum, bestenfalls lässt sich so etwas nach meinem Erfahrungsschatz nur noch bei schwäbischen Autobauern finden.
Dieses Wir-Gefühl hatte jedoch auch eine Schattenseite. Es entwickelte sich nach und nach zu einem Mantra, welches gebetsmühlenartig immer wieder wiederholt wurde, sich zu einem Credo entwickelte und nicht mehr in Frage gestellt werden durfte. Das Ergebnis: Interne Kritik wurde in Gänze abgebügelt, so wie dies auch in Familien oder anderen Sozialstrukturen zu beobachten ist, die eine hohe interne Verzahnung aufweisen. Verstärkt wurde dies durch den skandinavischen Grundcharakter des Unternehmens und der sich daraus ergebenden Einbettung des Unternehmens in einen Kontext, der an sich schon wenig Kritik als Kulturelement pflegt. Der sich darüber hinaus einstellende wirtschaftlicher Erfolg trug des Weiteren dazu bei, interne Kritiker aufs Glatteis zu schieben.
Dies hatte seine Konsequenzen. Ein wenig Schlendrian hier, ein wenig ich-schau-darüber-hinweg an anderer Stelle, die Unfähigkeit des Managements viele Entwicklungen zu unterbinden, führte dazu, dass die wirtschaftliche Spannkraft des Unternehmens verlorenging. Man näherte sich einer einstelligen Rendite – und dies in einem Markt, der üblicherweise EBIT-Margen in der Größenordnung von 20 bis 30 Prozent erwartet. Ein Beispiel: über die Jahre des laissez faire hatten sich nach und nach 2 unabhängig voneinander operierende Forschungs- und Entwicklungszentren etabliert. Während das eine im skandinavischen Raum saß, war das andere der romanischen Region zuzurechnen. Wie sich unschwer vorstellen lässt, waren beide Entwicklungs- und Forschungszentren nicht synchronisiert und entwickelten völlig voneinander neue Produkte, die nicht nur miteinander nicht kommunizierten, sondern sich bisweilen auch in ihrer Markenpolitik völlig widersprachen.
Die Gründungseigentümer sowie das Management der zweiten Generation waren mittlerweile in die Jahre gekommen. Dies, die sich reduzierende Marge und ein überaus großzügiges Angebot eines Investors führte dazu, dass das Unternehmen seinen Eigentümer wechselte. Der strategische Investor legte nach kurzer Auszeit sein Gewand ab. Bereits in der Nacht des Eigentumswechsels wurden sämtliche Assets auf den Investor übertragen. Sehr rasch wurde dem verbliebenen Management klar, dass nun ein anderer, ein rauerer Wind wehen würde. Die Gesprächsinhalte zwischen dem Investor und dem Management wandelten sich vom detailverliebten Produktgespräch hin zu einer reinen Margenorientierung.
Bis hierhin hätte der Eigentümerwechsel noch ohne größere Probleme vonstattengehen können. Ein wenig Diät und ein wenig Straffung taten dem Unternehmen durchaus gut. Man war träge, satt und phantasielos geworden und sonnte sich bisweilen ein wenig zu lange in der Sonne der Vergangenheit. Doch der Investor begann gierig zu werden und überzog den Bogen. Im ständigen Drang noch günstiger produzieren zu können, so wie in der allgegenwärtigen Haltung des Investors das Servicegüte völlig überbewertet, dafür aber teuer sei, wurden viele Dienstleistungen, die der Kunde liebgewonnen hatte entweder völlig abgebaut oder in einer Art und Weise verändert, die dem Kunden wenig goutierte. Das Ergebnis: Die Kundenbindung brach völlig zusammen, verstärkt durch eine aggressive Preispolitik.
Der Auftrag
In dieser Phase wurde ich in das Unternehmen gerufen. Das Ziel ganz eindeutig: Umsatzverluste verhindern, Kundenbindung stärken, Kunden zurückgewinnen, Vertriebskosten straffen, um so nach und nach Umsatz und Ertrag zu verbessern. Über die Hintergründe wusste ich wenig und so machte ich mich frohen Mutes an meiner Arbeit .
Sehr schnell konnte ich den Scherbenhaufen erkennen, den der Investor verursacht hatte. Blinde Margengier hatten zu einem deutlichen Angriff auf den Markenkern geführt. Mitarbeiter waren frustriert, Kunden verärgert. Die an sich durchaus sinnvolle Kostenstraffung der Logistik führte dazu, dass die Kunden ihre Produkte entweder unvollständig oder verspätet bekamen. Darüber hinaus war das Unternehmen, bedingt durch einen Umbau des Call Centers für den Kunden nur noch erschwert erreichbar.
Nachdem ich mir das bunte Treiben einige Tage angeschaut hatte, überlegte ich mir wie dem Unternehmen zu helfen sei. Ich entschloss mich dazu, auf der einen Seite mit dem Element der sehr straffen Führung zu arbeiten, um so den Mitarbeitern ein Gefühl der Ruhe und Verlässlichkeit an die Hand zu geben. Das erwünschte Motiv: „Der Alte weiß was er tut.“ Zum anderen setzte ich sehr deutlich auf das Prinzip der Partizipation. Dies tat ich aus mehreren Gründen. So bin ich zum einen zutiefst davon überzeugt, dass die Lösung für ein unternehmerisches Problem nicht selten im Unternehmen verankert und in diesem auch bestens bekannt ist. Man muss sich zumeist schlichtweg nur mit den Mitarbeitern unterhalten und die Lösungen, die zumindest theoretisch denkbar sind, werden offensichtlich.
Des Weiteren verhalten sich Mitarbeiter – Oh Wunder! – wie Menschen. Und Menschen wollen gesehen, gehört und wahrgenommen werde. Dies empfinden sie aus gutem Grund als Wertschätzung, so wie es ihnen deutlich zu verstehen gibt, dass man sie als Mensch und Mitarbeiter und nicht nur als Ressource wahrnimmt
Ich setze auf eine Kaskade der unterschiedlichen Elemente, um der Partizipation den Raum zu geben, den sie meiner Meinung nach brauchte. In einer ersten Runde sprach ich intensiv und mehrfach mit den Mitarbeitern im Arbeitsalltag – einzeln und auch in größeren Runden. Der Kommunikationsstil war offen und konstruktiv, jeder durfte alles sagen, solange es wertschätzend formuliert war. Bashing einzelner Personen und Funktionsgruppen gestattete ich nicht. Nach und nach baute sich damit zwischen den Mitarbeitern und mir eine Vertrauensebene auf
Das nächste Element, welches ich nutzte, war das einer Zukunftskonferenz. Ich zog bewusst einen Moderator hinzu, um so die Diskussion nicht zu sehr durch mich zu kanalisieren. Die zentrale Frage der Veranstaltung war die Frage nach der Zukunft des Unternehmens. Bewusst reihte ich mich in die Schar der Mitarbeiter ein, ohne eine Führungsrolle zu übernehmen. Es sollte eine Veranstaltung der Mitarbeiter sein und nicht die meinige.
Das Ergebnis der Veranstaltung war phänomenal. Die Mitarbeiter erarbeiteten mehrere Arbeitsfelder, die als relevant für die Zukunft des Unternehmens erschienen. Des Weiteren Weg bot ich den Mitarbeiter an, dass ein Vertreter aus ihren Reihen die Verantwortung für eines der unterschiedlichen Arbeitsfelder dahingehend übernehmen sollte, indem er oder sie cross-funktional die Projektverantwortung zusätzlich zur angestammten Tätigkeit übernahm und dabei an mich berichtete.
Nach guten 12 Monaten hatten wir das Gröbste hinter uns. Obgleich wir den Vorgaben des Investors (Umsatzsteigerung, Kostenreduktion) nachkommen konnten komme, waren wir in der Lage die erhitzten Gemüter der Mitarbeiter und Kunden zu beruhigen. Wir waren gemeinsam durch das Tal der Tränen durchgewandert. Für mich nach wie vor unbestritten ist die Tatsache, dass Partizipation nicht nur als der Ausdruck eines menschlichen Miteinanders zu verstehen ist, sondern auch einen erheblichen Anteil zur Problemlösung darstellen kann. Der Grund dahinter ist banal: Menschen, die partizipieren dürfen und können, fühlen sich wertgeschätzt. Und Wertschätzung ist ein ganz zentrales Element, so es um die Wertschöpfung im Unternehmen geht.
Herzliche Grüße
Bodo Antonic
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