Selbstbestimmung. Mitbestimmung. Fremdbestimmung.

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Heute versuche ich einmal mehr, ein bisschen Ordnung ins begriffliche Durcheinander der neuen Arbeitswelt zu bringen. Neben all den Buzzwords wie Agilität, Augenhöhe, New Work, Purpose Unternehmen und so weiter werden auch andere Begriffe meistens unsystematisch genutzt. Dazu gehört für mich die Trias Mitbestimmung, Selbstbestimmung und Fremdbestimmung.

Grundlegendes Begriffsverständnis

Fürs Erste eine kurze Bestimmung dieser drei Begriffe, die mir im Kontext selbstbestimmter Arbeit (Sammelbegriff für die obigen Buzzwords) sinnvoll erscheint:

  1. Mitbestimmung – ich treffe gemeinsam und gleichberechtigt mit anderen unter Nutzung entsprechender Methoden (Konsent, Systemisches (Online) Konsensieren, Abstimmen etc.) eine Entscheidung. Ich wirke an dieser Entscheidung im selben Maße wie alle anderen mit, aber es ist nicht sicher, ob am Ende das gemacht wird, was ich für richtig, sinnvoll etc. halte.
  2. Selbstbestimmung – Ich alleine entscheide etwas und setze diese Entscheidung auch um, ohne mir dafür eine Erlaubnis von Dritten holen zu müssen. Damit ist sicher gestellt, dass ich auch tatsächlich das mache, was ich für richtig und sinnvoll halte.
  3. Fremdbestimmung – einer oder mehrere Dritte treffen ohne jegliche Mitwirkung meinerseits eine Entscheidung. Ich habe keinerlei Einfluss auf den Entscheidungsprozess und vor allem das je erzielte Ergebnis und bin somit von diesem Prozess ausgeschlossen. Dabei gibt es zwei Formen von Fremdbestimmung durch zwei grundsätzlich unterschiedliche Vorgehensweisen:
    • Starre Hierarchie mit einer Führungsposition, an die meist disziplinarische Befugnisse gekoppelt sind.
    • Dynamische Hierarchie mit gewählten Führungskräfte, die somit demokratisch legitimiert sind.

Unternehmensdemokratie braucht Selbstbestimmung UND Mitbestimmung

Ein weit verbreitetes Missverständnis zur Unternehmensdemokratie besteht in der Annahme, dass in demokratischen Organisationen entweder immer alle gemeinsam bestimmen (Basisdemokratie) oder – alternativ –  alle alles selbst bestimmen (Vulgär-Anarchie ohne Kenntnisse der Anarchie). Beides ist als Generalisierung sachlich unhaltbar, sprich: völliger  Humbug. Einige Unternehmen hatten in ihrer Startup Phase sicherlich einen basisdemokratischen Anspruch, der aber im Laufe des Wachstums und der weiteren Entwicklung meistens einer traditionellen hierarchischen Struktur und Kultur gewichen ist. Und dass alle 24/7 nur selbstbestimmt unterwegs sind, ist alleine schon aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Rahmen (GmbH Gesetz, Aktiengesetz etc.) leicht erkennbarer Quatsch. Außerdem dürfte im Allgemeinen klar sein, dass sich Menschen in sozialen Systemen koordinieren müssen, das gilt selbst schon im kleinsten aller sozialen Systeme, in der Dyade, also Zweierbeziehung. Da können nicht andauernd alle machen was sie jeweils wollen ohne Absprache mit den anderen Menschen in diesem System.

Es braucht also immer und ausnahmslos auch Mit-Bestimmung. Ein Vorgehen, in dem ich bereit bin, zugunsten der positiven Entwicklung des sozialen Systems, in dem ich agiere, immer wieder auf meine Präferenzen zu verzichten; es braucht regelmäßig einen Kompromiss – übrigens auch in traditionellen, starren Hierarchien selbst im Topmanagement. Wenn dort zum Beispiel drei gleichberechtigte Geschäftsführer das Unternehmen leiten, müssen diese drei Personen wieder und wieder eigene Entscheidungspräferenzen zurückstellen.

Auswirkung und Komplexität

Und wann machen die je verschiedenen Formen der Entscheidungsfindung Sinn? Dazu vorab erst mal eine kurze Reflexion zu einem zentralen Aspekt der Entscheidungsfindung:

Je größer die Auswirkung und Komplexität einer Entscheidung, desto mehr Mitbestimmung wird nötig.

Mitbestimmung, also gemeinschaftliche Entscheidungsprozesse unter Nutzung der diversen Perspektiven und Informationsverarbeitungen der teilnehmenden Akteure, wird bei zunehmend weitreichenden und komplexen Entscheidungen wichtiger. Denn genau deshalb macht es ja Sinn, den Entscheidungsprozess für mehrere Beteiligte zu öffnen: Um durch die Diversität und Heterogenität eine deutlich höhere Informationsverarbeitung zu nutzen, als bei Entscheidungen durch wenige oder gar nur eine Person. Nur so kann dauerhaft der (weiter steigenden) Komplexität erfolgreich begegnet werden (Ashby’s Law), wie ich es auch schon in verschiedenen Beiträgen dargestellt hatte (zB Demokratie bei strategischen Entscheidungen).

Wenn wir die bekannte Unterteilung in operative, taktische und strategische Entscheidungen nutzen, braucht es spätestens ab der Partizipationsreichweite taktischer Entscheidungen Mitbestimmung statt Selbstbestimmung. Im Gefilde strategischer Entscheidungen erscheint mir die traditionelle Fremdbestimmung durch das Topmanagement (Geschäftsführung oder Vorstand) ausgesprochen sinnentleert. Abgesehen von der bereits erwähnten Problematik eines funktionalen Umgangs mit Komplexität kommt dann noch hinzu, dass die üblichen Strategieentwicklungen oder andere strategische Entscheidungen wie Standortschließungen, Fusionen etc. durch Fremdbestimmung erheblich an Anschlussfähigkeit bei der Belegschaft einbüßt.

Systematische Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Fremdbestimmung

Nach diesem Vorlauf plädiere ich für folgende ideale Systematisierung:

  1. Selbstbestimmung – Alle operativen Entscheidungen, die nicht mit Kolleg*innen koordiniert werden müssen oder bei denen es nur einen meist geringen Koordinationsaufwand gibt.
  2. Mitbestimmung – Alle operativen Entscheidungen mit größerem Koordinationsaufwand sowie alle taktischen und strategischen Entscheidungen.
  3. Fremdbestimmung
    • Gewählt – verschiedene taktische Entscheidungen, die in den Aufgabenbereich der gewählten Führungskraft fallen.
    • Vorgesetzt – So wenig wie möglich, so viel wie zwingend nötig.

Nach dieser typischerweise abstrakten Beschreibung nun in der Tabelle mein Versuch, das konzeptuelle Skelett mit beispielhaftem Leben zu füllen. Selbstverständlich hat die Aufzählung nicht mal näherungsweise einen Anspruch auf Vollständigkeit. Desweiteren habe ich die klassische vor-gesetzte Fremdbestimmung durch traditionelle Führungspositionen außen vorgelassen.

 

 

Herzliche Grüße
Andreas

 

Literatur

  • Zeuch, A. (2015): Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten. Murmann
  • Zeuch, A. (2014): Strategieentwicklung & Belegschaft: Vielfalt schlägt Einfalt. In: Becker, L. et al. (Hrsg.): Business Development Management: 217-230. Symposion

Bildnachweis

  • Beitragsbild: © Andreas Zeuch, 2019
  • Tabelle: © Andreas Zeuch, 2019

 

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