Das Corporate Design der Impertinenz

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Abwrackprämie 2.0: Ich bewundere Ingo Zamperoni. So etwas kommt bei mir nicht oft vor. Aber was er sich da von VW Chef Herbert Diess in den Tagesthemen vom 27.04. anhören musste, diese schamlos offensichtlichen Ausweichmanöver, ohne im Entferntesten auf eine Frage zu antworten, diese Widersprüche innerhalb von knapp Sieben  Minuten Gespräch, und letztlich die Impertinenz, mit der der aktuelle Vorstandsvorsitzende das eigene Unternehmen und gar die ganze Branche für Post-Corona-Subventionen empfahl – das hätte ich nicht ausgehalten. Sei’s drum,  ich bin kein Fernsehmoderator, das ist der Job von Zamperoni. Gut so.

Da es dieses Gespräch in sich hat, konnte ich nicht widerstehen, eine kleine Analyse anzufertigen. Wer Zweifel an meiner Transkription hat, kann sich die Sendung immer noch im Archiv der Tagesthemen ansehen.

Abwrackprämie 2.0 oder das Credo des Herrn Diess: “Ja, ich glaube…”

Zamperoni: “… Sie fordern baldige, kraftvolle Maßnahmen. Bundestagspräsident Schäuble sagt zu dem Thema “Hoffentlich werden uns nicht wieder nur Abwrackprämie (n) einfallen, die es der Industrie ermöglichen, weiterzumachen wie bisher.” Eine berechtigte Überlegung des Bundestagspräsidenten – wenn selbst die Wirtschaftswoche, nicht gerade bekannt für ihre generell kapitalismuskritische Ausrichtung, am 04.05. titelte: “Bloß keine Abwrackprämie.” (Seiwert 2020) Somit kommt Zamperoni zu seiner ersten Frage: “Welche innovative Idee kommt denn von Ihnen jetzt?”

Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender VW (©Alexander Migl)

Diess: “Ja, ich glaube, dass wir dringend ein(e) Konjunkturprogramm brauchen. Das Automobil bietet sich an, es hängen viele Arbeitsplätze dran. … ”

Klar, das Totschlagargument der Arbeitsplätze muss natürlich gleich zu Beginn ausgepackt werden. Folgerichtig erläutert Dies erst mal ausschweifend, warum die Automobilbranche so wichtig für die deutsche Gesellschaft und den Arbeitsmarkt ist. Da geht – wer könnte es leugnen – “die Bestellkette los, wir setzen ein ganzes System in Bewegung … und natürlich die Materialketten, Stahl, äh, Kunststoff … ähm, auch der Maschinenbau bekommt neue Aufträge” und so weiter und so fort. Und weil doppelt gemoppelt besser hält: “Ich glaube schon, dass es sehr sinnvoll ist, die Wirtschaft wieder mit einem kraftvollen Impuls anzuwerfen. Das Automobil bietet sich an.” Und dann wird die Argumentation faszinierend:

Diess: “Ich glaube wir sind auch historisch in einer Situation, die einzigartig ist, weil wir können auch einen großen Beitrag zu einem besseren Umweltschutz leisten. Die Fahrzeuge, die wir im Jahr 2020 absetzen, … emittieren rund 100g CO2 im Durchschnitt. Und wenn wir mal 10 Jahre zurückblicken, dann waren das 150 etwa. Das heißt wir machen 30% Fortschritt durch neue Fahrzeuge, gleichzeitig reduzieren wir äh Emissionen, Stickoxide, Partikel dramatisch, Faktor fünf, Faktor 10. Also ich glaub es hilft sowohl der Umwelt, als vor allem auch der Wirtschaft natürlich und den Arbeitsplätzen, wenn wir jetzt ein kraftvolles Programm starten.” (Hervorhebung AZ)

Wie war gleich nochmal die sehr klare Frage von Zamperoni? Ja, genau: “Welche innovative Idee kommt denn von Ihnen jetzt?” Bis hierhin sind mit diesem Werbeblock gut anderthalb Minuten verstrichen, ohne dass Diess nur eine Sekunde darauf verschwendet hätte, Red und Antwort zu stehen, wenn es um unser aller Steuergelder geht. Eine brillante Strategie, die sich da abzeichnet, denn so geht es später weiter. Aber davor erlaube ich mir das Offensichtliche kurz ins Gedächtnis zu rufen:

#dieselgate

Da steht also jetzt nach einem Bäumchen-Wechsel-Dich von Vorstandsvorsitzenden der aktuelle oberste Chef im Fernsehen und tut so, als sei all der Betrug um Abgaswerte nie geschehen. Und erwartet, dass wir ihm die genannten Werte einfach so glauben. Indes haben aktuell 235.000 VW Kunden den Vergleich mit VW angenommen, was den Konzern mindestens 317.250.000 € kostet und je nach individueller Höhe der Entschädigung im Mittel auch bei 893 Millionen Euro oder mehr liegen könnte (vgl. Jahberg 2020). Aber das sind noch Peanuts, denn bereits 2019 lag die Gesamtrechnung für den systematischen Betrug bei rund 30 Milliarden Euro (dpa 2019). Geld, das zumindest teilweise eine gesunde, selbst erwirtschaftete Rücklage für schwere Zeiten wie jetzt hätte sein können.

Über dieses Problem hinaus verschweigt Diess erwartungsgemäß den möglichen Reboundeffekt durch die besseren Abgaswerte. Und obwohl #dieselgate noch nicht vorbei ist, will der Mann ernsthaft schon wieder Subventionen, ohne dass es VW trotz des dreisten Skandals wirtschaftlich besonders schlecht gehen würde (was im Umkehrschluss nur heißen kann, dass es den Käufern egal ist, ob sie oder andere Käufer betrogen worden sind, auch interessant).

Zamperoni macht weiter: “… wenn Sie die Umwelt so ansprechen: Man könnte dann ja auch nur Autos fördern, die klimafreundlicher sind als andere, nur klimafreundliche Antriebe beispielsweise. Wäre das eine Option?

Diess antwortet dann erst mal mit der gesamten Palette aller Antriebe, “die neueste Generation der Diesel, die neueste Generation der Benziner … ” – da fällt ihm Zamperoni das erste mal ins Wort und hakt nach: “Benziner und Diesel sagen Sie, diese Autos wollen Sie auch wieder fördern. Aber wäre das nicht die Chance, mal richtig innovativ und nur die Umweltfreundlichen anzukurbeln?” Und natürlich antwortet Diess wieder nicht: “Ja, wir haben auch kraftvolle Programme ja für im Wesentlichen die Elektrofahrzeuge, Plugin-Hybride.

Aber in Summe wird die Flotte einfach um soviel besser und wir können massiv den äh Umweltschutz beschleunigen, indem wir die Fahrzeuge verkaufen, die wir jetzt ins Programm bekommen im Jahr 2020.”

Eine Welt voller VWs, eine großartige Vision!

What? Ich hab’s mir mehrfach angesehen und angehört. Das hat der Mann tatsächlich so gesagt. Jeder kann es nachhören und -sehen. Wieso sollte der Umweltschutz beschleunigt werden, wenn weitere Verbrennungsmotoren verkauft werden und nur ein Teil des Absatzes in Hybriden und Elektrofahrzeugen besteht, anstatt die Verkaufsanreize auf Elektrofahrzeuge zu fokussieren? Es geht – offensichtlicher könnte es nicht sein – lediglich darum, das geplante Programm durchziehen zu können, um am Ende das Delta zwischen den unternehmerischen Zielen vor und nach Corona möglichst weitgehend zu minimieren. Herr Diess steht natürlich nicht alleine mit dieser Meinung da. Es kommen weitere, fast schon mystische Behauptungen in den großen Medien hinzu, wie jüngst der Kommentar “Kauf ein Auto, kassier die Prämie, hilf damit allen”. In seinem Werbetext schreibt Michael Kröger, Leiter Ressort Auto beim Spiegel: “Jeder andere Weg, die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, wäre teurer und brächte mehr Schaden für die Umwelt.” (Kröger, M. 2020, Hervorhebung AZ). Wie er darauf kommt, dass mehr Schaden für die Umwelt entstehen soll, wenn weniger Autos – egal ob Verbrenner oder Elektro – produziert würden, bleibt er schuldig. Mit diesem Satz hat er sogar seine Kolumnenfolge beschlossen, deren Titel ungefähr denselben geistigen Nährwert hat, wie der ehemalige Coca-Cola Slogan “Trink mehr Coke!” Zurück zum Diess Intervies:

Zamperoni merkt noch kurz süffisant an, dass es verständlich sei, dass Diess verkaufen wolle und bohrt dann weiter: “Warum sollte jetzt mal wieder die Autobranche unterstützt werden, wo doch fast alle Branchen irgendwie betroffen sind. Wäre da nicht etwa eine allgemeine Senkung der Mehrwertsteuer viel sinnvoller?”

Diess gesteht großzügig ein, dass dies eine zulässige Diskussion sei, führte flugs ein paar Beispiele auf und kam dann schnell zurück zum Werbeblock: “Das Auto hat den Vorteil, dass eben eine ganze Wertschöpfungskette in Betrieb setzt. Insbesondere in Deutschland. Deutschland ist ein Autoland.

Und äh Absatz- ähm äh Programme im Automobil stimulieren die gesamte Wirtschaft nachhaltig. Und damit bietet sich das Auto an.” Herbert Diess, Tagesthemen 27.04.2020

Mit Verlaub, wir Zuschauer haben es verstanden, Botschaft angekommen, wir müssen das nicht zum dritten Mal durchkauen. Allein: Jetzt operiert Diess schon mit dem Universalquantor “gesamte”. Es wird also angeblich nicht nur Automotive mit den Zuliefererketten Tier 1-n gefördert, sondern eben die “gesamte Wirtschaft”. Und als ob das nicht ohnehin schon ein klein wenig verwegen ist als Behauptung, so würden diese Subventionen auch noch nachhaltig sein. Sind wir jetzt ins Diesssche Kaninchenloch gefallen und in Herberts Wunderland angekommen?

Dann zeigt sich der oberste Chef mal kurz verständig, dass auch andere Branchen hart getroffen sind, vielleicht sogar mehr als die Automobilhersteller und deren Universum, wobei er das sogleich wieder relativiert: “Zumindest kurzfristig.” Aha, also langfristig bluten die armen Automotivekonzerne mehr. “Aber”, schließt Diess, “das Auto hat den größeren Effekt.”

Zamperoni: “Denen würden Sie also den Vorzug lassen, bevor man sich um die Autos kümmert?”

Diess: “Ja ich glaub, man muss man zwei Phasen unterscheiden.” Die erste war die Stabilisierung, aber jetzt ginge es um die Stimulierung, denn “wir brauchen Konsum. Die Wirtschaft muss sich wieder in Bewegung setzen.” Keine Frage, den selbstzerstörerischen kapitalistischen Mechanismus, dass unsere Wirtschaft von Konsum abhängt, hat Diess bestimmt nicht erfunden. Das ist ein anderes Thema, das ich hier nicht weiter erkunden will: Wieviel ist genug? Allerdings können wir ja sehr wohl innerhalb des bestehenden Paradigmas fragen, was für einen Konsum wir subventionieren wollen, denn das ist unser aller Geld. Aber das ist natürlich nicht auf der Marketingagenda von Diess. Für ihn ist das Auto nicht nur eine sehr gute Möglichkeit, um den nötigen Konsum zu stimulieren, sondern “wahrscheinlich die beste”.

Abwrackprämie 2.0 oder: Diess, Meister des semantischen Saltos

Dr. Herbert Diess, Chairman of the Board of Management of Volkswagen AG.

Zamperoni merkt nun an, dass VW “dem Vernehmen nach” plane, wieder Milliarden an Dividenden an die Aktionäre auszuzahlen: “Wie passt das denn mit dem Ruf nach staatlicher Unterstützung durch eine Kaufprämie zusammen?” Eine wohl berechtigte Frage, denn ansonsten ist der Gedanke nicht allzu abstrus, das letztlich die staatliche Förderung in die Taschen der Aktionäre fließt. Wieso, könnte mensch fragen, intensivieren die Aktionäre jetzt in der Krise nicht selbst Ihre Investition in das Geschäftsmodell, an das sie offensichtlich glauben. Warum sollte das eine Gemeinschaft von Menschen tun, von denen eine Menge dieses Geschäftsmodell nicht nur für überholt, sondern für schädlich hält?

Diess lässt sich dadurch selbstredend nicht im Mindesten aus der Spur bringen, sonst wäre er wohl kaum an der Spitze der Hierarchie bei VW gelandet. Stattdessen stellt er sogar stolz klar, dass VW ” … ein sehr erfolgreiches 2019 (hatte) äh und äh etwa 20 Milliarden Gewinn, 17 Milliarden nach Sondereffekten.

Wir hatten also eines der erfolgreichsten Jahre der Geschichte von Volkswagen -“

Zamperoni: “Dann brauchen Sie ja eigentlich gar keine Hilfe?”

Diess walzt einfach weiter, überhört die kritische Anmerkung, unabhängig von der Frage, ob die “Sondereffekte” vielleicht auch Kosten Dank #dieselgate waren: “Natürlich geht’s dann auch darum, das Geld zu verteilen. 30% wird davon Steuern bezahlt, es werden die Mitarbeiter davon auch bedient mit großen Programmen, 500 Millionen gehen an die VW Mitarbeiter, bei Porsche … kriegen die einzelnen Mitarbeiter bis zu 9000,- Euro. Natürlich gehts drum auch das erwirtschaftete  Vermögen zu verteilen. Viel geht davon auch an den Staat zurück.” Nun muss also wohl extra erwähnt werden, dass VW seine Steuern zahlt. Aber vor allem muss VW seine Zusagen an die Mitarbeiter*innen – und wohl noch viel mehr an seine Aktionäre – einhalten. Da müssen man sich schon “sehr gut überlegen, wann man diese Zusagen aufhebt.”

Zamperoni arbeitet den Widerspruch zwischen Subventionsforderung, Rekordgewinnen, Kurzarbeitergeld, Dividenden und Bunuszahlungen heraus und kommt zu der nicht völlig abwegigen Frage: ” … müsste man dann nicht auch Dividenden vielleicht sogar Bonuszahlungen kürzen?”

Diess: “Ja als letztes Mittel werden wir uns das sicherlich auch noch überlegen.” Klare Kante, will ich meinen. Wenn Diess und sein Vorstand entscheiden würden, die Boni zu kürzen, müssten sie wohl zum Zwecke der Glaubwürdigkeit auch die eigenen Einkommen reduzieren. Dieser Schritt ist also die letzte Option. Und nun kommt eine höchst interessante Wendung:

“Aber zunächst kommen wir ohne Staatshilfen aus und haben das auch vor, die Krise ohne Staatshilfe zu bewältigen.” Herbert Diess, Tagesthemen 27.04.2020

Nun steigt mein Neokortex völlig aus. Ein paar Minuten zuvor widerholt Diess sein Mantra vom Auto als bestes aller Subventionsobjekte, nur um jetzt dieses Satz zu sagen? Aber nein, keine Sorge, war wohl nicht wirklich ernst gemeint, denn am Ende erfolgt nach diesem Salto rückwärts sogleich der vorwärtsgerichtete und alles ist wieder in der richtigen Spur: “Wir versuchen die Krise natürlich bestmöglich zu meistern, wir stehen auf der Bremse beim Geld ausgeben, äh bereiten uns jetzt auf den Wiederanlauf vor, aber das ist natürlich mit ein Grund, warum wir sagen,

wir müssen jetzt die Wirtschaft in Bewegung bringen und ne Absatzhilfe für Autos würde dabei sehr gut helfen.” Herbert Diess, Tagesthemen 27.04.2020

Fazit

Alles in allem lässt sich dieses Gespräch folgendermaßen zusammenfassen:

  1. VW hatte 2019 eines der erfolgreichsten Geschäftsjahre seiner Geschichte.
  2. Die Einschränkung von Boni und Dividenden ist die letzte Option.
  3. VW will die Krise ohne Staatshilfe bewältigen.
  4. Subventionen von allen Auto-Antriebsarten seien die wirtschaftlich und ökologisch beste Investition.

Ich wüsste jetzt gerne zum Schluss, welche bislang geheime bewusstseinserweiternde Substanz ich applizieren müsste, um diese für mein beschränktes Wachbewusstsein unfassbare Logik zu entwickeln und so offen zu kommunizieren. Soviel zum neoliberalen Ammenmärchen der selbstregulierenden Märkte und den permanenten Schädigungen durch den Staat, der vor allem durch seine fortwährende Insuffizienz auffällt.

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Literatur

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©VW, Pressemappe
  • Diess: Alexander Migl, CC BY-SA 4.0
  • Welt voller VW: ©VW, Pressemappe
  • VW Hauptversammlung: ©VW, Pressemappe

 

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