3 Ansatzpunkte, um “den Unternehmer” neu zu denken

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Stell dir eine Person vor, die ihr eigenes Unternehmen gegründet hat. Wer kommt dir in den Sinn, wenn du an ein:e Unternehmer:in denkst? Welche Eigenschaften hat diese Person? Denkst du an einen Mann, eine Frau, eine nicht-binäre Person oder an jemand anderen? 

In einem Forschungsteam wollten wir genau das herausfinden, wir haben uns gefragt, welche Vorstellungen Menschen in Bezug auf Unternehmer:innen haben. Denn das Bild “des Unternehmers” ist traditionell ein männliches, aber es scheint sich in den letzten Jahren verändert zu haben. Zumindest wird dieser Eindruck durch das wachsende Angebot an Förderprogrammen für Unternehmerinnen geweckt. Um herauszufinden, ob sich tatsächlich etwas in den Vorstellungen der Menschen verändert hat, haben wir untersucht, wie junge Erwachsene Unternehmer:innen beschreiben. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch: Junge Erwachsene beschreiben immer noch ein stark männlich geprägtes Bild vom “Unternehmer”.

Für mich selbst war dieses Ergebnis nur bedingt überraschend. Über mehrere Jahre hinweg habe ich Workshops im Rahmen einer Summer School zu Entrepreneurship gegeben. Jedes Jahr war es mein Ziel, das Bild und die Stereotypen, die die Teilnehmenden von “dem Unternehmer” hatten, kritisch zu reflektieren und zu diskutieren. Nach einer Vielzahl von Diskussionen hat sich dabei stets das gleiche Muster abgezeichnet: die meisten Teilnehmenden stellten sich unter “dem Unternehmer” jemanden vor, der keine Angst vor Risiken hat und ein totaler Überflieger ist. In diesem Kontext sprachen zudem alle Teilnehmenden von “dem Unternehmer” und dem, was “er” ist und tut, selbst wenn sie auch Beispiele von Unternehmerinnen nannten.

Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass der männliche Stereotyp, also “der Unternehmer”, ein größerer Diskussionspunkt in der Entrepreneurship-Forschung sein sollte. Zugleich scheint es Hoffnung für Unternehmerinnen zu geben, diesen Stereotyp herauszufordern, da es wachsende Aufmerksamkeit für “Female Entrepreneurs” gibt. Verschiedene Preise wie der “EU Prize for Women Innovators” oder der “Margaret Prize 2020 for Women Entrepreneurs” werden jedes Jahr an Unternehmerinnen vergeben. Das Ziel ist, so scheint es, „Female Entrepreneurs“ in das Rampenlicht zu stellen. Doch obwohl die Zahl der Unternehmerinnen wächst, bleibt die Mehrheit der Unternehmer:innen Männer.

Wie können wir uns also einen Reim darauf machen, dass Frauen einerseits zunehmend durch Entrepreneurship-Programme und Awards gefördert werden, während andererseits die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen überhaupt Unternehmerinnen werden, geringer ist? Einer der wichtigsten Einflussfaktoren sind dabei Stereotype, hier insbesondere Stereotype, die sich auf das Geschlecht beziehen. Aber wie wirken sich nun Geschlechtsrollenstereotype auf das Bild von Unternehmer:innen bei jungen Erwachsenen aus? Das wollten wir, meine Kolleginnen Silke Tegtmeier, Stefanie Pakura und ich, in einer Studie mit deutschen Studierenden herausfinden. Deutschland ist aufgrund einer Besonderheit der deutschen Sprache ein interessanter Kontext für eine solche Studie. Denn “der Unternehmer” ist sprachlich gesehen ein generisches Maskulinum und damit nicht nur die männliche Form, sondern die allgemeine Form des Begriffs (theoretisch).

Unsere Vorstellung von Geschlecht wird durch soziale Interaktionen geprägt 

“Alle Männer sind an Sex interessiert, während alle Frauen an Liebe interessiert sind.” (Hardy, 1995, S. 425-426 , eigene Übersetzung) – richtig? Dies ist ein Beispiel für einen Geschlechtsrollenstereotyp. Das Geschlecht wird durch soziale Interaktionen, Normen und Erwartungen geformt. Die Erwartungen, die wir in Bezug darauf haben, wie sich eine Person, von der wir glauben, dass sie wie eine Frau oder ein Mann aussieht, verhält, sind Erwartungen an die Erfüllung einer bestimmten Geschlechterrolle. Eine Geschlechterrolle bezieht sich auf das Verhalten einer Person als Mann oder Frau – die relativen männlichen oder weiblichen Eigenschaften, wie sie Personen von sich selbst wahrnehmen oder von anderen wahrgenommen werden (Hardy, 1995). Daher gilt: “Ein Geschlechtsrollenstereotyp ist die Unterscheidung zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit und schreibt Männern und Frauen aufgrund ihres Geschlechts simplifizierte Eigenschaften zu.” (Hardy, 1995, S. 425-426, eigene Übersetzung). Diese Simplifizierung stellt eine binäre Sicht auf die komplexe Identität unseres menschlichen Seins dar und ist daher ein stark vereinfachtes Bild.

Welche Rolle das Geschlecht bei Unternehmer:innen spielt

Wenn sich ein Mann selbstständig macht, wird er zum Unternehmer. Wenn eine Frau das Gleiche tut, wird sie zum „Female Entrepreneur“. Obwohl wir vorgeben, dass jede:r mit der richtigen Einstellung ein:e Unternehmer:in sein kann, bleibt Entrepreneurship von vielen Stereotypen geprägt. Der Einfluss des Geschlechts auf Entrepreneurship wird deutlich, wenn wir hinterfragen, warum es ein eigenes Forschungsfeld und eigene Preise zu “Female Entrepreneurship” überhaupt gibt, während es kein entsprechendes “Male Entrepreneurship” gibt. Der “Unternehmer” wird als die Norm und Female Entrepreneurs als “das Andere” betrachtet (Ahl, 2006). Dieses Bild impliziert die Annahme, dass mit jeder Person, die nicht in dieses Bild passt, also insbesondere Frauen, etwas nicht stimmt (Ahl und Marlow, 2012). Obwohl Diskussionen darüber geführt werden, wie Unternehmerinnen unterstützt werden können, wird der Kern des Problems, der Stereotyp von “dem Unternehmer” an sich, selten in Frage gestellt.

Unser Vorgehen

Zu Beginn unserer Forschung haben wir vermutet, dass, wenn sich die Wahrnehmung von Unternehmer:innen geändert hätte, wir zuerst eine Veränderung der Stereotypen bei jungen Erwachsenen sehen würden. Daher haben wir das vorherrschende Bild von Unternehmer:innen bei jungen Erwachsenen untersucht, und eine Stichprobe von Studierenden einer deutschen Universität verwendet. Wir haben einen Online-Fragebogen an insgesamt 86 junge Erwachsene zwischen 18 und 33 Jahren verschickt. Für unsere Untersuchung haben wir den Schein Descriptive Index (SDI) verwendet. Dieser Index wurde entwickelt, um Stereotypen zu messen. Der Index besteht aus 92 Begriffen, die dazu dienen, Eigenschaften von Menschen zu beschreiben. Die Begriffe setzen sich meist aus Adjektiven wie “sympathisch” oder “selbständig” zusammen. Die Teilnehmenden wurden gebeten, auf einer Skala von 1 (uncharakteristisch) bis 5 (charakteristisch) anzugeben, ob sie denken, dass der entsprechende Begriff charakteristisch für eine bestimmte Gruppe sei. Alle Teilnehmenden haben einen Fragebogen mit der Aufgabe ausgefüllt, Unternehmer:innen im Allgemeinen zu beschreiben und einen, der sie anwies, entweder einen “typischen Mann” oder eine “typische Frau” zu beschreiben.

Unsere Ergebnisse 

Erstens: Männer und Unternehmer:innen werden in ihren Eigenschaften als sehr ähnlich beschrieben. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass es keine klare Verbindung zwischen den Adjektiven, die typisch für Männer sind und denen, die typisch für Unternehmer:innen sind, gibt. Nur zwei der zehn typischsten Eigenschaften zeigen einen Zusammenhang. Aber sieben von zehn Items, die als am untypischsten für Männer beschrieben wurden, werden auch als untypisch für Unternehmer:innen beschrieben (z. B. “passiv, unterwürfig, schüchtern, unsicher”). Das bedeutet, dass es nicht die typischen Adjektive sind, die zwischen Männern und Unternehmer:innen übereinstimmen, sondern die untypischen. Die Ähnlichkeit von Männern und Unternehmer:innen wird also eher dadurch beschrieben, wie sie nicht sind, als dadurch, wie sie sind.

Zweitens: Frauen und Unternehmer:innen werden in ihren Eigenschaften als nicht ähnlich beschrieben. Wie zu erwarten konnten wir keinen Zusammenhang zwischen der Beschreibung von Frauen und Unternehmer:innen ausmachen. Wirklich, keinen. Unsere Studie bestätigt, dass das, was junge Erwachsene als typisch für Frauen beschreiben, von ihnen als untypisch für Unternehmer:innen beschrieben wird.

Drittens hatte die explizite Vorstellung vom Geschlecht von Unternehmer:innen, die die Teilnehmenden nach eigenen Angaben im Kopf hatten (wir fragten sie vor der Befragung, an welches Geschlecht sie bei Unternehmer:innen denken), keinen Einfluss auf ihre Bewertungen im Fragebogen. Unsere Studienergebnisse zeigen, dass selbst wenn die Teilnehmenden angaben, dass sie explizit an eine Unternehmerin dachten, dieses Bild die Ergebnisse des Fragebogens nicht veränderte. Diese Antworten zeigen, dass die Teilnehmenden der Studie Geschlechterstereotypen im Kopf hatten, die ihnen selbst nicht bewusst waren.

Ansatzpunkte, um den “Unternehmer” neu zu denken

Nachdem wir nun mehr über die vorherrschenden Geschlechterstereotypen in Entrepreneurship wissen, möchte ich uns dazu herausfordern, unser eigenes Bild von Unternehmer:innen zu überdenken. Es scheint, dass viele von uns Erwartungen haben, wie jemand zu sein hat. Diese Erwartungen stimmen jedoch selten mit der Realität überein. Wir alle kennen zum Beispiel die Situation, in der wir jemanden zum ersten Mal treffen und diese Person anfangs nicht mögen. Manchmal baut sich aber gerade zu dieser Person eine Freundschaft auf. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Stereotypen uns in die Irre führen können und uns und unseren Handlungsspielraum einschränken.

1. Männer sollten keinen Freifahrtschein als Unternehmer erhalten

Wenn wir über Geschlechterstereotypen sprechen, sollten wir auch bedenken, dass diese eine Wirkung haben. Nicht nur darauf, wie viele Frauen Unternehmerinnen werden, sondern auch darauf, wie sie unterstützt werden, insbesondere in finanzieller Hinsicht. Frauen, die sich entscheiden, Unternehmerinnen zu werden, erhalten mit geringerer Wahrscheinlichkeit als Männer Fördermittel und besetzen im Vergleich zu Männern Branchen, die weniger Geld einbringen. Eine OECD-Studie fand heraus, dass “im Jahr 2013 83 % der selbständigen Frauen und 64 % der selbstständigen Männer ihr Unternehmen mit 5 000 EUR oder weniger gegründet haben.” Dieselbe Studie fand heraus, dass “12 % der selbständigen Männer ihr Unternehmen mit einem Startkapital von 25 000 bis 100 000 Euro begannen, aber nur 4 % der selbständigen Frauen verfügten über dieses Finanzierungsniveau.” Diese Zahlen verdeutlichen, dass Frauen mit weniger Kapital starten als Männer. Hinzu kommt, dass Frauen von Investor:innen anders behandelt und wegen scheinbar “mangelnder Eignung” bestraft werden, wenn sie ein Unternehmen in einer männerdominierten Branche gründen (Kanze et al., 2020). Das Ziel sollte hier nicht sein, es Männern schwerer zu machen, sondern fairer für Frauen sowie alle anderen, die nicht dem Stereotyp des “Unternehmers” entsprechen, um Unterstützung für die Gründung unabhängig vom Geschlecht zu erhalten.

2. Frauen können Unternehmerinnen sein, nicht nur “ Female Entrepreneurs”

Es ist schön, dass Frauen durch Awards und Programme Anerkennung erhalten, aber wir sollten vielleicht noch einmal überdenken, wie wir diese Programme gestalten. Jedes Mal, wenn eine Frau einen Award als “Female Entrepreneur” erhält, müssen wir uns der Tatsache bewusst sein, dass wir damit auch Geschlechterstereotypen reproduzieren. Wie wäre es also damit, dass wir, wenn wir über unternehmerisch tätige Frauen sprechen, sie einfach Unternehmerinnen nennen und nicht “Female Entrepreneurs”? In diesem Text haben wir uns zudem bewusst dafür entschieden, Unternehmer:innen zu verwenden und nicht vom “Unternehmer” als allgemeine Form zu sprechen (außer bei konkretem Bezug auf den Stereotyp). Gerade die Sprache hat eine wichtige Rolle in Bezug darauf, wie wir bestimmte Dinge wahrnehmen, und kann dazu anregen, Stereotypen kritisch zu hinterfragen. Einfach das generische Maskulinum, also “Unternehmer”, für vorgeblich alle Personen zu verwenden, stärkt wiederum den männlichen Stereotyp. Mit einer simplen Anpassung, also wenn wir z. B. von Unternehmer:innen sprechen, können wir diesem Stereotyp ein Stück entgegen wirken.

3. Über unsere eigenen Bilder nachdenken

Versteht mich nicht falsch. Ich plädiere nicht dafür, Geschlechterkategorien komplett abzuschaffen. Kategorien sind unserer menschlichen Natur inhärent und dienen uns in vielerlei Hinsicht, da sie es dem menschlichen Gehirn ermöglichen, die Komplexität der Welt zu reduzieren. Nicht die Kategorien selbst sind der Kern des Problems. Das Problem sind die binären Kategorien, in die wir Dinge einteilen. Diese können unser Handeln einschränken und schließen Menschen, die weder der einen noch der anderen Kategorie entsprechen können, von einer gleichberechtigten Teilhabe aus. Eine binäre Sicht auf die Welt spiegelt die Komplexität der Welt, der Identität und der Erfahrungen von Menschen nicht angemessen wider. Unsere Ergebnisse zeigen zum Beispiel, dass es auch für Männer Einschränkungen gibt, da es Erwartungen an sie gibt, wie sie sein sollten und wie nicht.

Was können wir nun mit diesen Ergebnissen anfangen? Wenn wir nun an das Beispiel der Summer School zum Thema Entrepreneurship zurückdenken, kann die aktive Diskussion und Reflexion über Stereotypen ein erster wichtiger Schritt sein. Denn wenn wir uns der Stereotypen bewusst werden, die wir reproduzieren und die uns auch selbst einschränken, verlieren sie etwas von ihrer Macht. Dazu müssen wir auch die binäre Sichtweise von Geschlecht in Frage stellen, die alle diejenigen bestraft, die nicht den Geschlechtsrollenstereotypen entsprechen (wer tut das schon?) und alle Personen, die sich in binären Vorstellungen nicht wiederfinden. Doch Geschlechterstereotypen sind nur ein Beispiel für Stereotypen in Bezug auf “den Unternehmer”. Der stereotypische “Unternehmer“ ist auch weiß, heterosexuell, hat keine Behinderungen und stellt insgesamt eine Norm dar, die Viele nicht erfüllen können. Wir sollten nicht danach streben, diese Norm zu erfüllen, sondern wir sollten danach streben diese Norm zu hinterfragen. Dieser Artikel stellt drei Ansatzpunkte dafür vor, “den Unternehmer” endlich neu zu denken.

Herzliche Grüße

Verena

 

Literatur

  • Vollständiger Artikel: Meyer, V., Tegtmeier, S., & Pakura, S. (2017). Revisited: How gender role stereotypes affect the image of entrepreneurs among young adults. International Journal of Gender and Entrepreneurship, 9(4), 319-337.
  • Überblick zum Thema: Sundermeier, J., Birkner, S., Ettl, K., Kensbock, J., Tegtmeier, S. “Hello Diversity! Chances and Challenges of Entrepreneurial Diversity in the Digital Age”, Communications of the Association for Information Systems, forthcoming.
  • Lesenswert: D. Kanze, M. A. Conley, T. G. Okimoto, D. J. Phillips, J. Merluzzi (2020). Evidence that investors penalize female founders for lack of industry fit. Science Advances, 6, eabd7664.
  • Weitere Quelle: Hardy, M.S. (1995), “Gender role theory”, in Diamant, L. and McAnulty, R.D. (Eds), The Psychology of Sexual Orientation, Behavior, and Identity: A Handbook, Greenwood Publishing Group, Connecticut.

Dieser Artikel ist in einer hervorragenden Co-Kreation mit Henriette Reinhardt entstanden.

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Illustration von Lele Schlaich (lele@czyk.de)

 

Comments (2)

Sehr interessanter Ansatz der Befragung!
Als jemand, der in einem Unternehmen in die Arbeitswelt gestartet ist, in der die höheren Positionen zu (verhältnismäßig) großen Teilen aus Frauen bestanden, würde ich mich über ein generelles Umdenken der Unternehmer:innen / Chef:innen-Rolle freuen.
Auch die Tatsache, dass es nun mal Unterschiede zwischen der Konnotation von Männern und Unternehmer:innen, sowie Frauen und Unternehmer:innen gibt, zeigt, dass solche wissenschaftlichen Arbeiten wie diese hier sehr wichtig für das weitere Vorgehen auf dem Gebiet sind.

Vielen Dank für das Feedback! Ein generelles Umdenken der Unternehmer:innen und Chef:innen-Rolle finde ich auch sehr wichtig – und spannend, dass Sie selbst in einem Unternehmen gestartet sind mit tendenziell vielen Frauen in höheren Positionen. Je nach Branche kann das natürlich sehr unterschiedlich sein.

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