New Work Policies: Am 22.06.21 führten wir unser erstes Event mit unserer Gemeinschafts-Inititiative durch. Unsere politischen Gäste waren diesmal in alphabetischer Reihenfolge der Staatssekretär des BMAS, Björn Böhning (SPD), MdB Dr. Franziska Brantner, MdB Thomas Sattelberger (FDP) und MdB Jana Schimke (CDU), sowie – noch als Gast – Sabine Kluge, die einen der drei Workshops gestaltete. Dieser Bericht ist nur meine persönliche Sicht und repräsentiert nicht die Meinung der Kolleg:innen, die mit uns gemeinsam die NWP Inititiative aufbauen.
Die Anmeldelage sah für ein erstes Event, dass wir nicht übermäßig beworben hatten, ordentlich aus: Etwas über 100 Teilnehmer:innen wollten bei der ersten Ausgabe der New Work Policies Events dabei sein. Weniger überzeugend war dann die tatsächliche Anwesenheit: hier habe ich laut Zoom ca. 40 Personen in Erinnerung, was eine deutlich höhere Ausfall- als Anwesenheitsquote ist. Wenn ich das mit dem ersten Tacheles Reden! Event zum Thema Purpose gemeinsam mit Ralf Janssen vergleiche, entstehen bei mir Fragen: Denn auch die Tacheles-Veranstaltung war kostenfrei und ein Nichterscheinen hätte für niemanden verlorenes Geld bedeutet. Trotzdem waren zum Purpose Dialog über 80% der Angemeldeten da, was doppelt soviel ist, wie beim ersten NWP Event (nur rund 40%). Das deutet für mich auf ein bislang deutlich geringeres Interesse hin, neue/alternative Formen der Arbeit endlich auch politisch zu diskutieren, als sich mit einem der augenblicklichen Buzzwords zu beschäftigen. Auch wenn das in keiner Weise repräsentativ ist, so nehme ich das doch als einen wichtigen Hinweis war.
Die Moderation und das Energetisieren übernahmen Lorina Brugger, Manuel Kreitmeir und Sascha Bilert aus dem wunderbaren Heidelberger Taekwondo-Dojo von Dr. Björn Pospiech, der auch beim Center for Open Social Innovation mitarbeitet. Manuel übernahm die Anmoderation bis hin zu den Workshops, Lorina sorgte dafür, dass wir nicht zu lange mehr oder weniger immobil rumsaßen, sondern wenigstens ein Mindestmaß an Bewegung und Stretching bekamen. Denn schließlich gehört zu alternativen Formen der Arbeit eben auch, nicht stumpf dem Herzinfarkt und der Verfettung entgegenzusitzen. Etwas seriöser formuliert: Neue Arbeit sollte auch gesunde Arbeit sein.
Workshops
Der erste Teil des Events von 12 bis 15 Uhr bestand aus drei Workshops, angeboten und geleitet von Sabine Kluge (Kluge & Konsorten), Markus Väth (Humanfy) und mir. Hier eine kurze Zusammenfassung, soweit möglich, da ich natürlich selbst nicht bei den Workshops von Sabine und Markus dabei war. Von Markus erhielt ich Notizen aus seinem Workshop, von Sabine leider nicht. Die Teilnehmer:innen verteilten sich ziemlich exakt in drei gleichgroße Gruppen, so dass wir alle in einer angenehmen Gruppengröße von rund 11-12 Personen arbeiten konnten.
New Work als politisches Projekt (Markus Väth)
Die Fragestellung seines Workshops: Warum sollte sich die Politik mit New Work beschäftigen? Nach welchen Regeln und Prinzipien funktioniert das “politische Spiel”? Und welche Strukturen und Personen braucht man, um New Work in der Politik anzustoßen? Diese und andere Fragen wollen wir in unserem Workshop klären. Markus sendete mir folgende sehr komprimierte Zusammenfassung: “Wir haben uns erstmal als “Anwalt der Bürger” gesehen und gefragt: Warum ist es aus Sicht der GEsellschaft interessant, sich mit New Work zu beschäftigen? Als Zweites haben wir dann Ideen gesammelt, wie man das “Polit-Projekt” New Work auf dei Straße bringen könnte.” Zur weiteren Illustration hier die Ergebnisse der virtuellen Post-it Sammlung (zum Lesen Bilder bitte anklicken):
New Work – New Laws: “Ist das gut oder kann das weg?” (Sabine Kluge)
Workshopbeschreibung
Rein quantitativ gesehen fehlt es unserer Gesellschaft keineswegs an Regelwerken, um Erwerbsarbeit im Sinne der Demokratie und sozialen Marktwirtschaft zu organisieren: AGG, AÜG, ArbGG, ArbZG, BBiG, BetrVG, BGB – kaum vorstellbar, dass es angesichts dieses Konvolutes noch Regelungslücken gibt, die Raum bieten, relevante Fragestellung rund um zeitgemäße Arbeitsorganisation neu zu verhandeln.
Daher – mit Blick auf die sich wiederholenden Forderungen an Ethik und Fairness zwischen den Interessenparteien: Was müssen wir überhaupt neu regeln, was ist bereits gut geregelt und muss lediglich umgesetzt/gelebt werden, und wo müssen Regelungen abgeschafft werden, weil sie gute, zeitgemäße Arbeitsorganisation im Interesse beider Interessensparteien behindern.
Im Workshop sammeln wir die uns bekannten Regeln und Positionen und identifizieren in einer allerersten Annäherung, was neu oder anders geregelt werden muss. Die unterschiedlichen Perspektiven liefern die Grundlage für den Austausch mit den anwesenden Vertretern der Parteien. Im nächsten Schritt ist die Community eingeladen, ergebnisoffen das Thema gemeinsam weiter zu entwickeln.
Sabines Zusammenfassung
Die Unternehmenspraktiker:innen und Organisationsexpert:innen diskutierten im Rahmen unseres Workshops, welche gegenwärtigen, jedoch aus der Zeit gefallenen Rahmenbedingungen von Erwerbstätigkeit einer kritischen Überarbeitung unterzogen werden müssten, um unsere komplexer, digitaler, zeitlich und örtlich unabhängigeren Arbeitswelt gerecht zu werden.
Dazu tauschten sich die Teilnehmer:innen zunächst über die Motivation aus, gesetzliche, aber auch andere Rahmenbedingungen (Traditionen, Interessensvertreter-Organisationen wie Kammern, Verbände, Lobbyvereine) unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeiten einer neuen Arbeitsorganisation zu hinterfragen. Um ein grundsätzliches Einvernehmen im Hinblick auf die Denkrichtung zu erhalten, wurden daraufhin Positionen zur Frage: Was verstehen wir eigentlich unter „guter Arbeit“? ausgetauscht. Diese Konsensfindung ist wichtig, um in einem nächsten Schritt Ansatzpunkte herauszuarbeiten, die eine genaue Analyse notwendig machen.
Da wir NewWork in verschiedenen Kontexten mit Humanisierung von Erwerbstätigkeit konnotieren, braucht es auch über den Workshop hinaus eine weitere Schärfung und Klarheit über die Attribute der neuen Arbeitswelt – bis hin zur Grundsatzfrage, ob sie nur Segnungen – also beispielsweise Freiheit, Mitgestaltung, Resonanzerfahrung – bringt. Oder auch Lasten – wie Kontrolle, Überforderung, Spaltung der Gesellschaft. Und wie sich die Verantlichkeit für diese Implikationen verteilt. Mithin die Frage: Welche steuernde Rolle nimmt der Staat in einer neuen Arbeitswelt ein, ist er nach wie vor Schützer der augenscheinlich schwächeren Interessengruppe (jenen, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen) – oder braucht es sogar weniger Schutz- und mehr offene Gestaltungsräume, um der notwendigen Beweglichkeit von Unternehmen und Organisation Rechnung zu tragen.
Und daran schließt sich ein weiterer Denk- und Handlungsraum an, nämlich: Kann man Rahmenbedingungen überhaupt noch national denken in einer vollkommen globalen, vernetzten Welt?
Die lebhafte, bisweilen kontroverse Diskussion war nur ein Anfang, um sich zunächst in Haltung und Perspektive anzunähern oder auch zu verstehen, was die anderen Teilnehmer:innen meinen, wenn sie das gleiche sagen. Dieser „Sprachkurs“ ist der notwendige Ausgangspunkt, wenn es darum geht, über zeitgemäße Rahmenbedingungen einer neuen Arbeitsorganisation nachzudenken: To be continued!
Arbeit als Demokratielabor (Andreas Zeuch)
Hier der Teaser zu meinem Workshop: Wir leben in einer halbierten Demokratie. Es gibt eine Differenz zwischen den Rechtssubjekten “Bürger” und “Arbeitskraft”. Als abhängige Angestellte sind wir nicht im Vollbesitz unserer bürgerlichen Rechte. Außerdem stellt sich die Frage, wie wir als Bürger:innen kompetent handeln sollen, wenn die meisten von uns bei der täglichen Arbeit Erfüllungsgehilf:innen sind? Wenn wir Organisationen demokratisieren werden wir kompetentere Bürger:innen und machen gleichzeitig unsere Organisationen robuster und anpassungsfähiger.
Ich begann den Workshop mit einem kurzen Impuls, in dem ich zunächst die grundlegende Problematik der halbierten Demokratie etwas ausführlicher skizzierte, um im nächsten Schritt auf die Lösungsoptionen einzugehen, die wir unternehmensdemokraten sehen: Wir sollten unsere Organisationen (Unternehmen, NGO/NPO und öffentliche Dienste) zur Demokratieentwicklung als Vermittler zwischen der Mikroebene der einzelnen Bürger:innen einerseits und Makroebene der gesamten Gesellschaft begreifen. Wenn wir unser aller Arbeit demokratisieren, hat dies gemäß des augenblicklichen Stands der empirischen Organisationsforschung höchstvermutlich einen positiven demokratischen Einfluss auf die einzelnen Personen sowie auf die Gesellschaft insgesamt.
Der erste Schwerpunkt der anschließenden Diskussion widmete sich dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5, Abs. 1. Der erste Redebeitrag machte sogleich eine erschreckende Situation klar: Eine Teilnehmerin erzählte, dass ihr nochmals klar wurde, dass es für sie tatsächlich einen großen Unterschied gibt zwischen der Meinungsäußerung während der Arbeit und außerhalb. Jenseits des Kontextes als abhängige Angestellte, äußert sie furchtlos, wie es sein sollte, ihre Meinung. In der Arbeit aber hat sie bereits eine “Schere im Kopf”, hat eine Zensur bereits verinnerlicht und geht dort nicht so vertrauensvoll vor. Anderen Teilnehmer:innen ging es teils ähnlich. Allerdings gab es glücklicherweise auch andere Erfahrungen: Ein Teilnehmer sieht vor allem eine Chance darin, die eigene Angst zu hinterfragen und zu reflektieren. Eine weitere Teilnehmerin berichtete, wie sie sich irgendwann traute, um dann festzustellen, dass ihre Sorgen oder gar Ängste nicht berechtigt waren. So ging sie mit gutem Beispiel voran und konnte Kolleg:innen inspirieren, ebenfalls den Mund aufzumachen. So oder so, es zeigte sich klar: Alleine die grundrechtlich zugesicherte freie Meinungsäußerung ist bereits in der Arbeitswelt nicht ohne Konsequenzen zu verwirklichen. Das brachte ein Teilnehmer gut auf den Punkt: “Es gibt ein Recht auf freie Meinungsäußerung, aber nicht auf Karriere.”
Desweiteren stellte sich heraus, dass sich einige Teilnehmer:innen noch gar nicht bewusst mit der Problematik der halbierten Demokratie beschäftigt, bzw. diese wahrgenommen hatten. Was möglicherweise damit zusammenhängt, dass dieses Thema teils tabuisiert ist, wie eine Teilnehmerin aus Ihrer Erfahrung mit Coachees berichtete. Und so ist es wenig verwunderlich, dass sich Menschen aufgrund dieser eingeschränkten Selbstwirksamkeit in der Arbeit einen Ersatz in der Freizeit suchen. Was den Widerspruch nur noch stärker hervortreten lässt: Denn dort sind diese Menschen hochkompetent und -engagiert. Darüber hinaus mäandrierten wir noch durch verschiedene weitere Aspekte, wobei wir die nicht ähnlich vertieften wie das bis hierher Beschriebene. In der abschließenden Podiumsdiskussion hatte ich unsere wichtigsten Ergebnisse folgendermaßen zusammengefasst:
- Meinungsäußerung: einerseits schwierig, aber es kann auch gehen. Kein echtes Verbot, aber hochsensibel: Recht auf Meinungsäußerung, aber kein Recht auf Karriere. Dabei braucht UD radikale Besprechbarkeit.
- Aufklärung durch Politik, was neue Formen von Arbeit eigentlich heißt und nicht nur die Arbeit von einzelnen Personen und/oder Organisationen. ZB, dass es nicht darum geht Führung abzuschaffen, oder überhaupt keine Hierarchie mehr zu haben. Oder das Zusammenaspiel institutioneller und freier Mitbestimmung.
- BGE würde Freiräume schaffen, um nicht gezwungen zu sein, in den üblichen Bedingungen zu arbeiten. Denn im aktuellen System sind die meisten Menschen gezwungen zu arbeiten.
- Gesetze: Es braucht def gesetzliche Regularien, wie zB beim Homeoffice durch Corona.
Podiumsdiskussion
Durch die Podiumsdiskussion führte Sascha Bilert (Sterneundplaneten), beeindruckend gut vorbereitet mit erheiternden und auf alle Politiker:innen zugeschnittenen Checkin-Fragen. Danach führte Sascha in die eigentlich Diskussion ein. Für alle, die sich einen eigenen Eindruck bilden möchten, gibt es hier den Videomitschnitt der Podiumsdiskussion:
Kritische Selbstreflexion
Ganz persönlich sehe ich noch deutlichen Verbesserungsbedarf für die nächsten Veranstaltungen:
- Mangelnde Partizipationsmöglichkeit in der Podiumsdiskussion: Ein Nogo fürs nächste Mal ist die ausgebliebene Partizipation der Teilnehmer:innen an der Podiumsdiskussion, weil die im Chat notierten Fragen, Kommentare und Statements aus zeitlichen Gründen gar nicht mehr diskutiert werden konnten. Dabei lag und liegt uns natürlich genau das am Herzen. Wir hatten nicht vor, eine topdown Podiumsdiskussion zu veranstalten, bei der die Teilnehmer:innen den Politiker:innen zuhören können, aber sich nicht beteiligen dürfen.
- Ein Workshop konnte aus Zeitgründen am Ende im Plenum mit den Politiker:innen nicht diskutiert werden: In diesem Fall hat es mich selbst und den Workshop Arbeit als Demokratielabor getroffen. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Workshop am Ende hinten runter gefallen ist. So oder so ist das ebenfalls inakzeptabel.
- Die Workshopergebnisse hätten besser die Teilnhmer:innen selber vorgestellt.
Dies haben – aus meiner Sicht – wir alle zu verantworten, die wir diese Veranstaltung vorbereitet und organisiert hatten. Unser Fehler: Wir haben zuviele Inhalte in die vorhandene Zeit gepackt. Drei Workshops waren zuviel – vielleicht sogar überhaupt Workshops zusätzlich zur Podiumsdiskussion anzubieten. Wir werden das intern reflektieren und es beim nächsten Mal besser machen. Mit Sabine und Alexander konnte ich darüber schon kurz reden und wir sind in allen Punkten einig.
Herzliche Grüße im Namen des gesamten NWP Teams
Andreas
Bildnachweis
- Alle Bilder: ©COSI, mit freundlicher Genehmigung.