Demokratischer Supermarkt: Vor einiger Zeit wurde ich bei LinkedIn auf Fabian Gebert aufmerksam. Unter seinem Namen stand “baut den ersten transparenten und demokratischen Supermarkt”. Das hat natürlich sofort mein Interesse geweckt und ich vernetzte mich mit ihm, um mehr über diesen demokratischen Supermarkt zu erfahren. Schnell wurden wir uns einig, dass wir darüber einen Dialog bei uns im Blog führen wollen. Gesagt getan…
Andreas: Hallo Fabian. Bevor wir zu Eurem spannenden Fallbeispiel kommen, vorab meine Standardfrage an Dich, damit unsere Leser:innen einen ersten Eindruck von Dir bekommen: Wer bist Du, woher kommst Du und wohin gehst Du?
Fabian: Aufgewachsen bin ich mit meiner Schwester und meinen Eltern in Hamburg. Schon als Kind war ich immer sehr gern in der Natur und habe das Glück gehabt, dass es an meinem Elternhaus einen Garten gibt, den ich mitgestalten durfte. Seitdem ich 6 Jahre alt bin, esse ich kein Fleisch mehr, weil ich auf einem Bauernhof im Urlaub mitgekriegt habe, wie sich Schweine davor gewehrt haben, geschlachtet zu werden.
Mich treibt vor allem die Frage, wie wir uns als Gesellschaft zusammentun können, um endlich soziale und ökologische Werte zu schaffen, statt immer nur Schuldige zu suchen oder über negative Auswirkungen zu reden. Meine Utopie ist eine Welt, in der sich der Mensch als Teil der Natur und nicht als ihr Gegner versteht und wo es selbstverständlich ist, solidarisch miteinander umzugehen.
Demokratischer Supermarkt: Der Hintergrund
Andreas: Danke Dir – das ist in meinen Augen schon mal ein spannender Einstieg, auch und gerade was die Verbindung zur Natur angeht. Wenn wir alle den schmerzhaften Prozesse der Aufzucht und des Schlachtens miterleben würden, gäbe es ein paar mehr Vegetarier und Veganer. Die industrielle Massentierhaltung funktioniert nur, weil wir vom Produktionsprozess entkoppelt sind und das Endprodukt fein säuberlich hygienisch verpackt in der Theke kredenzt bekommen (vgl. Kühl 2010: 4). Damit verbunden erlebe ich eine den Mitmenschen gegenüber abgespaltene Lebenshaltung: Wer viel Fleisch konsumiert – und ich meine all diejenigen, auf die der deutsche Durchschnittsverzehr von gut einem Kilo pro Woche oder gar mehr zutrifft – gibt sich häufig pseudotolerant. Er würde ja die Vegetarier tolerieren, also müssten die ihre Fleischlust auch tolerieren. Dabei übersehen sie einen kleinen Fehler in der Rechnung: Auch ich als vorwiegend vegetarisch lebender Mensch zahle all die externen Kosten der industriellen Fleischproduktion mit: Ressourcenverbrauch (zB ein Kilo Rindfleisch = rund 15.000 Liter Wasser u.a.m.) sowie Umweltbelastungen (zB. Nitrate). Der Fleischfreund (meistens Männer, bezeichnenderweise) hingegen wird durch Vegetarier oder Veganer finanziell und ökologisch wesentlich weniger belastet (vgl. Tempolimit, Fleischkonsum und falsch verstandene Freiheit). Soviel zur Solidarität, die Du angesprochen hast.
Aber jetzt zu Eurem demokratischen Supermarkt: Wie kam es denn dazu, was war der Ausgangspunkt, was hat Euch dazu bewegt?
Fabian: Wir sind mit der offenen Frage gestartet, welche Kräfte in Landwirtschaft und Ernährung wirken, die das System sozial gerechter und ökologisch nachhaltiger machen und welche Kräfte das verhindern. Dazu haben wir im Jahr 2020 eine Workshop-Reihe mit Menschen vom Acker bis Teller gemacht und einige spannende Erkenntnisse gewonnen:
- Eine Gruppe mächtiger Akteur:innen schiebt sich systematisch die Schuld gegenseitig zu – immer auf die jeweils andere Gruppe. So verändert sich nichts, weil immer erst jemand anders anfangen soll.
- Es gibt eine Wachstumsspirale, die durch Wettbewerb, Kostendruck und Zinsen angekurbelt wird und beispielsweise landwirtschaftliche Betriebe verschwinden oder wachsen lässt (“wachsen oder weichen”).
- Konzerne verfügen inzwischen über so viel Macht, dass sie durch systematische Einflussnahme auf die Politik Gesetze in ihrem Interesse gestalten – was derzeit leider Gewinnmaximierung bedeutet.
Da haben wir gesehen: Supermärkte stecken in diesem Geflecht tief drin – da muss sich etwas verändern lassen. Und uns war auch klar: das gelingt nur gemeinsam, da die großen Akteur:innen zu mächtig sind. Wir brauchen die Kraft einer demokratischen Community, die das Thema gemeinsam mit uns in die Hand nimmt.
Andreas: Die Schuld, oder besser Verantwortung, fortlaufend anderen Marktakteuren in die Schuhe zu schieben, ist eine beliebte Strategie, um den Status Quo zu wahren, das glaube ich gerne. Und das Problem des (scheinbaren) Zwangs zum Wirtschaftswachstum ist eine weitere fatale Bremse. Die Situation ist also mehr als herausfordernd. An der Stelle meine erste Rückfrage: Und wie ging es nach dieser Analyse weiter? Zweitens interessiert mich, inwiefern auch im Innenverhältnis Demokratie eine Rolle spielt? Dass ihr eine starke demokratische Community braucht, leuchtet mir ein. Aber wie sieht es im Innenverhältnis aus? Deshalb die Frage nach der Unternehmensdemokratie.
Fabian: wir haben erstmal austariert, wie konsequent wir unser Projekt ausrichten wollen – und wir haben letztlich die Formel entwickelt: die Transformation findet bei uns hinter der Türschwelle statt und nicht davor. Um mitmachen zu können, brauchst du kein spezielles Wissen über Ernährung, Nachhaltigkeit, Demokratie oder Landwirtschaft. Du bist neugierig, offen und möchtest mit anpacken – perfekt. Alle weiteren Schritte gehen wir gemeinsam. Als wir diesen Entschluss gefasst haben, war auch gleichzeitig klar, dass wir von Anfang an möglichst viele Menschen einbeziehen wollen. Wir haben also erstmal mit unseren internen Strukturen experimentiert und dabei direkt Einiges gelernt. Zum Einen: Manche Menschen nehmen Dinge ganz selbstverständlich in die Hand – andere brauchen mehr Hilfestellung oder sogar konkrete Aufgaben. Außerdem haben wir gesehen, dass viele Menschen sich sehr schnell einen Wandel wünschen und dann auch schnell wieder weg sind, wenn das Projekt nicht in der Geschwindigkeit vorangeht, wie sie das erwarten.
Wandel braucht Durchhaltevermögen und das ist eine weitere Lernerfahrung von uns: Es ist wichtig, immer wieder die Balance zu finden zwischen “einfach machen” und “alle mitnehmen” und außerdem zwischen “das muss jetzt fertig werden” und “dafür können wir uns Zeit lassen”. Gerade für mich aus der agilen Software-Entwicklung, wo die Aufgaben oft in kleinen Dopamin-Häppchen (sogenannten Tickets) strukturiert sind und dein Job eigentlich wie eine Droge ist, ist dies eine spannende und herausfordernde Reise.
Unsere Unternehmensdemokratie funktioniert momentan so: Wenn du als Mitglied unserer Community etwas verändern oder anpassen möchtest, bringst du dies als Impuls in die Organisation ein. Das kannst du digital machen oder bei einem unserer Treffen. Du wirst dann dorthin weitergeleitet, wo Menschen bereits an dem Thema arbeiten. Beispiel: Du möchtest, dass wir im WirMarkt auch im Winter Tomaten anbieten. Dazu gab es bereits von der Sortiment-AG Gedanken dazu, warum wir das bislang nicht machen. Nun kommt dein Vorschlag zur Sortiment-AG und dort wird versucht, Deinen Vorschlag mit der Position der anderen Mitglieder zu integrieren. Dafür gibt es einen Prozess, der dann herangezogen wird, wenn es nicht eine offensichtliche einfache Einigung gibt. Sollte es zu keiner Einigung kommen, kann jemand aus dem Gründungsteam zur Moderation hinzugenommen werden – nicht aber, um die Entscheidung zu treffen. Oft lassen sich Konflikte auf einer tieferen Ebene auflösen, indem geschaut wird, welche Werte die beteiligten Menschen vereinigen und wie auf der Basis eine Lösung aussehen könnte. Wenn dies aber auch nicht gelingt, kann das Thema mit der gesamten Community per Abstimmung entschieden werden – das sollte aber in der Praxis nicht passieren und wir haben extra in die Präambel der Satzung geschrieben, dass wir integrativ entscheiden wollen. Es lässt sich an dieser Stelle sehen: eine wichtige Kompetenz sind die Soft-Skills der Menschen, die mitmachen.
Das EntscheidungsDesign
Andreas: Bezüglich Eures Entscheidungsprozesses scheint mir die übliche Kritik zuzutreffen, Unternehmensdemokratie wäre durch aufwändige Entscheidungsprozeduren im Vergleich zu top-down geführten Unternehmen deutlich langsamer. Wie steht es denn um selbst getroffene Entscheidungen? Sagen wir, jemand hat bei Euch die Rolle/Verantwortung, sich um die Point of Sales zu kümmern, also wo die einzelnen Produkte im Markt angeboten werden: Liegen sie im Regal oben oder unten, am Eingang/Ausgang oder eher im hinteren Bereich etc. Muss dann diese Person das als Vorschlag einbringen, der dann in der von Dir beschriebenen Weise prozessiert wird, oder kann sie das einfach selbst entscheiden? Nochmal anders gefragt: Welche Arten von Entscheidungen werden in der von Dir beschriebenen Weise getroffen?
Fabian: Wenn du wie in deinem Beispiel schon konkret die Rolle und damit das Mandat für den Point of Sales hast, dann kannst du die Entscheidung einfach treffen – gegebenenfalls mit den Leuten, mit denen du dir die Rolle teilst. Oftmals sind diese Rollen aber nicht klar definiert und hier ist die Idee, dass du das Thema – zum Beispiel die Beziehung zu einer neuen Lieferantin – einfach in die Hand nimmst (“Advice-Prozess”, siehe z.B. New Work-Glossar oder Rotzinger 2017). Dabei wendest du Dich bestmöglich an die Menschen, die mit Deinem Projekt Berührungspunkte haben. In diesem Beispiel könnten das die Point of Sales-Menschen oder der Einkauf sein. Deren Feedback integrierst Du, und setzt das Projekt um.
Das geht natürlich schneller, als wenn die Person wie in klassisch-hierarchischen Organisationen erstmal die Hierarchie hoch- und runterlaufen muss, bis sie jemanden gefunden hat, der:die entscheidet und dann wiederum auch die relevanten Informationen suchen muss, die sich viel leichter von den Personen holen lassen, die täglich mit den Themen zu tun haben.
Andreas: Ok, also zusammengefasst nutzt Ihr im Kern vor allem zwei Entscheidungsinstrumente: den soziokratischen Konsent, bzw. die von Brian Robertson daraus abgeleitete “integrative Entscheidungsfindung” und den konsultativen Einzel- bzw. Gruppenentscheid, der unter Laloux als Beratungs- bzw. Advice Process neu benannt noch bekannter wurde [1]. Wie seid Ihr denn auf diese Methoden gekommen und vor allem: wie habt ihr entschieden, wann ihr welche Methoden bzw. Instrumente einsetzen wollt? Bei vielen, auch teils stark selbstorganisierten Unternehmen ist das aktuelle Entscheidungs-Design, also welches Set von Methoden angewendet wird, zufällig und nicht gezielt entstanden. Ich hab grad das Gefühl, dass Ihr da systematischer vorgeht, was ich spannend fände.
Fabian: Verantwortung zu übernehmen ist für mich als Unternehmer etwas ganz intuitives. Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass eigentlich viel mehr von uns – auch beruflich – selbst Dinge in die Hand nehmen wollen. Unsere Strukturen beim WirMarkt dienen dabei vor allem dazu, den Menschen die Angst zu nehmen, Verantwortung zu übernehmen. Konkret die Angst davor, einen Fehler zu machen und eine:n Vorgesetzte:n zu enttäuschen. Denn in einer Kultur, in der es für alles eine Vorschrift oder ein Gesetz gibt, sind wir daran gewöhnt, uns mit Regeln abzusichern. Wer also beim WirMarkt Initiative ergreift und dann wider Erwarten abgewiesen wird, kann sich auf die Strukturen berufen. Selbstverständlich ersetzt dies keinen kulturellen Wandel, es sichert ihn aber ab.
Du beschreibst in Deiner Frage, dass offenbar schon viele Menschen sich mit Entscheidungs-Design beschäftigt haben. Bei uns war es auch eher so, dass wir uns umgehört haben bei anderen Organisationen (z. B. Neue Narrative, Tricargo, Premium Kollektiv, IT Agile) und dann passende Strukturen in unser soziales Betriebssystem importiert haben. Unser Zugang ist also eher intuitiv und die Systematik rational.
Andreas: Ich muss kurz vorab noch etwas richtigstellen: Ich meinte eben nicht, dass sich schon viele Mitarbeiter:innen und Geschäftsführungen mit dem EntscheidungsDesign ihres Unternehmens befasst haben, sondern genau das Gegenteil. Sonst käme es ja nicht zum, wie ich sagte, mehr oder minder zufälligen Einsatz so einseitiger und auf Dauer dysfunktionaler Methoden.
Nun aber zu meiner nächsten Frage: Wenn es darum geht, Menschen die Angst oder vielleicht eher Sorge vor Verantwortungsübernahme zu nehmen, dann beziehst Du Dich ja vermutlich auf neue Kolleg:innen. Wenn ich das richtig verstanden habe: Wie sucht, findet und stellt Ihr dann neue Leute ein? Und falls jetzt noch nicht, wie habt Ihr das zukünftig geplant? Die Personalsuche und -einstellung ist ja traditionell zentral über die Personal- bzw. HR Abteilung organisiert. Ist beziehungsweise soll das dann ebenfalls demokratisch laufen? Und falls ja, wie genau?
Wie die Genoss:innen das Ganze tragen
Fabian: Das Neue an unserem Supermarkt-Konzept ist, dass es kaum bezahltes Personal gibt. Die meiste Arbeit wird unentgeltlich durch die Mitglieder der Genossenschaft erledigt. Die drei bezahlten Stellen, welche die Mitgliederarbeit koordinieren werden vom Vorstand der Genossenschaft besetzt – uns ist wichtig, dass niemand in Verantwortungspositionen ist, der/die nicht unmittelbar auch im Unternehmen arbeitet.
Die Mitgliederarbeit schafft Beziehung zwischen den Mitgliedern, zu den Lieferant:innen, und natürlich auch den Lebensmitteln und bringt viel mehr Selbstwirksamkeit, als es klassische Supermärkte bieten. Die Mitgestaltung von Sortiment, Arbeitsabläufen, Preisgestaltung etc. läuft natürlich auch viel informierter ab, wenn die Mitglieder involviert sind.
Die potenziellen Mitglieder erreichen wir durch Flyer-Aktionen, direkte Ansprache in der Nachbarschaft, Mund-zu-Mund-Werbung und Pressearbeit. Inzwischen sprechen uns auch Menschen an, die in ihrer Nachbarschaft in ganz anderen Städten einen WirMarkt gründen wollen. Der Vorstand (und damit das Personal) wird von den Mitgliedern der Genossenschaft aus den Mitgliedern gewählt. Es sind also Menschen, die das Konzept bereits kennen und darüber hinaus Verantwortung übernehmen möchten.
Andreas: Ah, jetzt kommen wir zum Kern dessen, was Euch ausmacht und wie das Ganze langfristig funktionieren soll. Jetzt muss ich erst mal fragen, denn momentan verstehe ich das Konzept an der Stelle noch nicht: Die Arbeit in einem Supermarkt erscheint mir als Laien bezüglich Einzelhandel doch als “normale” berufliche Tätigkeit in dem Sinne, dass die Angestellten dort vermutlich mindestens halbtags tätig sind und die meisten sogar mehr oder minder Vollzeit arbeiten. Wie finanzieren also Eure Genoss:innen ihr Leben, das aktuell immer teurer wird, wenn sie einen erheblichen Teil ihrer Zeit investieren dafür aber nicht bezahlt werden? Über eine genossenschaftliche Dividende kann ich mir das nicht vorstellen, zumal die im Allgemeinen jährlich ausgeschüttet wird – falls überhaupt. Hinzu kommt, dass die Leute erst mal Genossenschaftsanteile erwerben müssen, also im Gegensatz zu herkömmlichen Angestellten sogar anfänglich investieren müssen. Kurzum: Da habe ich einen Knoten im Hirn.
Zweitens zu meiner Recruitingfrage: Damit ging es mir vor allem um die Herausforderung, passende neue Kolleg:innen zu finden, die bereit und in der Lage sind, die demokratische Arbeitsweise erstens aufrechtzuerhalten und zweitens fortlaufend weiterzuentwickeln. Das führt zu einem anderen Fokus beim Recruiting, als wenn Angestellte für eine traditionell geführte Organisation gesucht werden, die auf Anweisungen hin handeln und nicht eigenständig partizipativ arbeiten. Wenn die Arbeit durch die Genoss:innen erledigt wird, geht es also darum, neue Genossenschafts-Mitglieder zu finden. Wenn die die Arbeit selber ohne Gehalt organisieren wird das vermutlich zu einer positiven Selbstselektion führen, da es gar kein traditionelles Angestelltenverhältnis ist und zudem sogar Genossenschaftsanteile erworben werden müssen. Vermutlich ist es noch viel zu früh, um zu wissen, ob das Geschäftsmodell auch hinsichtlich dieser personellen Herausforderung funktioniert. Oder greift Ihr da auf Erfahrungen anderer Genossenschaften zurück?
Fabian: Als Mitglied der Genossenschaft arbeitest du nur alle vier Wochen für drei Stunden mit. Du gehst also weiterhin deiner beruflichen Tätigkeit nach. Es funktioniert also nur, weil wir viele sind. Nicht ein paar wenige, die ganz viel arbeiten, wie im herkömmlichen Supermarkt. Sondern ganz viele, die ein bisschen anpacken, sodass es für alle gut ist. Dazu nutzen wir eine genau für das Modell entwickelte Open Source-Schichtplanungs-Software von der mit uns befreundeten Initiative SuperCoop aus Berlin. Und wir tragen auch zur Weiterentwicklung dieser Software bei. Durch die Mitarbeit sinken die Personalkosen und damit werden die Preise im Supermarkt für mehr Menschen erschwinglich.
Deine Recruitingfrage ist total spannend – ich kenne Recruiting vor allem aus meinen vorherigen, konventionellen unternehmerischen Kontexten, wo ich leider oft nur Gehalt und Pseudo-Vorteile nennen konnte, weil es nicht wirklich einen Unterschied gab zwischen der Firma, für die ich rekrutiert habe und den anderen Angeboten. Das ist natürlich bei uns anders. Aber dennoch wird es für uns viel Fingerspitzen-Gefühl und Ausprobieren bedürfen, um passende Kolleg:innen zu finden. Ich bin mir sicher, dass wir da auf die Erfahrung befreundeter Genossenschaften zurückgreifen. Tricargo macht diesbezüglich zum Beispiel einen super Job.
Andreas: Ah, sehr gut, Danke, Knoten aufgelöst! Wenn viele wenig arbeiten dann macht das sofort Sinn für mich. Beim Recruiting bin ich dann gespannt, was die Zukunft bringt. Zum Abschluss noch eine letzte Fragen: Was sind Eure Pläne für die Zukunft, was steht als nächstes an und dann mittel- und langfristig – sofern Du das verraten willst…
Fabian: Letzte Woche haben wir für drei Tage den WirMarkt als Popup aufgemacht – das hat super viel Spaß gemacht. Wir haben auch direkt die Mitglieder eingebunden, die dann in Schichten geflyert, kassiert, beraten und sich mit Interessierten unterhalten haben. Seitdem sind zirka 40 Menschen mehr Mitglied. Ein paar ähnliche Aktionen werden wir noch wiederholen, bis wir dann vorraussichtlich Ende Sommer auf einer 250qm-Fläche in Hamburg Altona eröffnen können. Dafür sprechen wir gerade mit der Wohnungsbaugenossenschaft, die die Fläche vermietet, der Bank, die uns vermutlich einen Kredit gibt, und arbeiten mit den Mitgliedern an Einrichtungskonzepten. Auf der Fläche soll es auch ein Café geben, für das wir noch nach einer:m Partner:in suchen.
Langfristig wollen wir, dass mehrere solcher demokratischen Supermärkte entstehen und von den Menschen in der Nachbarschaft eigenständig betrieben werden. Der erste Laden ist gewissermaßen auch ein Pilotladen, auch wenn es in Berlin und München schon ähnliche Läden gibt. Was uns besonders wichtig ist, ist die sozialen und ökologischen Auswirkung unseres Konzepts mit der Community und der Wissenschaft auch wirklich zu messen. Um zu belegen, dass Demokratie eine Lösung auf dem Weg zu einer Lebensmittelversorgung ist, die gesund für die Menschen und den Planeten ist. Wenn uns das gelingt, wollen wir die Maßnahmen, die wir dafür im Supermarkt umgesetzt haben, natürlich auch an die Politik und andere Initiativen weitergeben.
Andreas: Vielen Dank Fabian für diese Eindrücke aus Eurem Supermarkt. Wir wünschen Euch für Eure nächsten Schritte ebenso alles Gute wie für Euren langfristige Entwicklung.
Herzliche Grüße
Fabian & Andreas
Fußnoten
[1] Tatsächlich findet sich der konsultative Entscheid mindestens schon bei Niels Pfläging in seinem Buch “Führen mit flexiblen Zielen” von 2008 (214ff). Laloux hat das in seiner zu Pfläging identischen Bezugnahme auf den konsultativen Entscheid bei AES entweder übersehen oder verschwiegen. Ich vermute Ersteres.
Literatur
- Kühl, S. (2010): Die Fassade der Organisation. Überlegungen zur Trennung von Schauseite und formaler Seite von Organisationen. Working Paper 1/2010
- Laloux, F. (2015): Reinventing Organizations. Vahlen.
- Pfläging, N. (2008): Führen mit flexiblen Zielen. Beyond Budgeting in der Praxis. Campus
- Rotzinger, J. (2017): Advice-Prozess: Entscheiden statt wählen. Capital
Bildnachweis
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[…] Gestern ist die wir:coop die wir mit SuperCoop Hamburg zusammen anbieten in die nächste Runde gegangen.Wir haben in der Zwischenzeit an unserem Konzept gefeilt und einige Teams aufgebaut für Einkauf, Koordination und Sortiment. Das hat heute echt gut funktioniert. Danke an alle, die sich eingebracht haben.Wer Lust hat, vorbeizuschauen: mittwochs zwischen 18 und 19 Uhr in der Waidmannstraße 12b in 22767 Hamburg.Das ganze ist wie ihr seht noch kein richtiger Supermarkt, aber der nächste Zwischenschritt dorthin. Wir sind schon sehr gespannt, wann’s dann auf der großen Fläche losgeht.Beim Aufbau unserer Organisation orientieren wir uns übrigens an dem Konzept der Soziokratie – für agile und gleichzeitig selbstbestimmte Zusammenarbeit. Unsere Motivation: mehr Demokratie in der Wirtschaft. (Siehe dazu unser Interview mit den unternehmensdemokraten.) […]