Unternehmenserfolg: Wer sich mit der Demokratisierung von Unternehmen auseinandersetzt, muss sich auch fragen, was für sie oder ihn Unternehmenserfolg bedeutet. Schließlich schwebt die ganze Zeit über der wirtschaftliche Misserfolg über der Firma. Das gilt insbesondere für demokratische geführte Unternehmen, zumal dort ausbleibender unternehmerischer Erfolg als Argument gegen Unternehmensdemokratie in Stellung gebracht wird. Wenn der Erfolg ausbleibt, wird Unternehmensdemokratie nicht selten monokausal dafür verantwortlich gemacht. Das Verständnis von Unternehmenserfolg ist dabei oft eine Reduktion. Denn er ist nicht objektiv alleine auf wirtschaftlichen Erfolg herunter zu brechen.
Dimensionen und Chronologie des Unternehmenserfolgs
Um die Frage nach dem Unternehmenserfolg zu beantworten, müssen wir erst klären, was ein Unternehmen ist. Das scheint nur auf den ersten Blick selbstverständlich. Ein Unternehmen “ist eine wirtschaftlich selbständige Organisationseinheit, die mit Hilfe von Planungs- und Entscheidungsinstrumenten Markt- und Kapitalrisiken eingeht und sich zur Verfolgung des Unternehmenszweckes und der Unternehmensziele eines oder mehrerer Betriebe bedient.” (Wikipedia). Dabei fällt aber unter den Tisch, dass jedes Unternehmen von Menschen gegründet wird, die Teil einer Gesellschaft sind und die durch diese über Jahre hinweg geprägt wurden bevor sie eines Tages eine Geschäftsidee haben. Bis heute hat trotz ChatGPT noch keine Maschine ein Unternehmen gegründet, wenngleich dies in der Zukunft normal werden mag [1]. Am Anfang jedes Unternehmens standen und stehen also Menschen als Teil einer Gesellschaft. Somit entsteht zu Beginn erst einmal ein soziales Gefüge aus einzelnen Personen als Teilmenge der sie umgebenden Gesellschaft.
Vielleicht wurde schon von Anfang an klargestellt, wozu das Unternehmen dienen soll, was sein Zweck ist. Geht es darum, seine Gründer:innen reich zu machen, damit sie den Rest des Lebens in der Karibik Luxusvillen kaufen und dort den Bauch in die Sonne halten können [2]? Oder wurde es gegründet, weil die Produktidee ein ernsthaftes Problem löst, indem es zum Beispiel eine positive Umweltwirkung hat, wie die junge amerikanische Firma Reecycle, die seltene Erden aus Technikschrott extrahiert? Oder wird die Firma gegründet, weil die Gründer:innen keine Lust auf einen 9to5 Job haben? So oder so, vieles ist denkbar. Es kann aber auch sein, dass der Zweck zu Beginn der Gründung gar nicht bewusst durchdacht wurde.
Nach dem Entstehen oder Entwickeln der Geschäftsidee wird versucht, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu erzeugen. Ich würde mich wundern, wenn jemand ernsthaft behaupten würde, am Anfang wäre der Gewinn gewesen, ein volles Konto und daraufhin hätte ein Unternehmer das Konto mit dem Geld für sich in Anspruch genommen und dann damit seine Geschäftsidee und sein Geschäftsmodell umgesetzt. Natürlich kann eine Unternehmerin mit einem ersten Unternehmen Gewinn erwirtschaftet oder ein Erbe erhalten haben, das sie dann einsetzt, um ein zweites Unternehmen zu gründen. Aber das ändert nichts an der Reihenfolge des Beginns ihrer Unternehmerinnenkarriere. Auch Investoren ändern dieses Spiel nicht, denn erst mal muss fleißig gearbeitet, ein Geschäftsmodell entwickelt, ein Prototyp gebaut und einen Businessplan erstellt werden, bevor Investoren den Geldfluss ermöglichen.
Erst danach erfolgt der – hoffentlich – erfolgreiche Verkauf der Produkte oder Dienstleistungen, um am Ende des Tages nach Abzug aller Kosten und Steuern einen Gewinn zu erzielen. Dann ist endlich der erstrebte Nettogewinn erreicht. Dann kann dieses Geld in verschiedenen Formen genutzt werden.
Die zeitliche Reihenfolge lässt sich nicht genau bestimmen. Klar ist nur, dass jeder Unternehmer, noch lange bevor er seine Geschäftsidee entwickelt, bereits Teil einer menschlichen Gesellschaft war und durch deren Kultur und Technologien geprägt wurde, wie oben angedeutet. Dieser Rahmen ermöglicht erst die Geschäftsidee und den Unternehmenszweck. Kein mittelalterlicher Bauer wäre auf die Idee gekommen, ein Smartphone zu bauen und zu verkaufen. Ob jedoch erst drei Freunde bei einem Kasten Bier ihrer Sehnsucht nachgehen, gemeinsam “etwas zu unternehmen” und deshalb eine Geschäftsidee entwickeln, oder ob eine Hausfrau alleine eine Serviceidee für andere Hausfrauen entwickelt und dann Mit-Unternehmerinnen sucht ist ebenso offen, wie die Frage, ob der Unternehmenszweck vor der Geschäftsidee entwickelt wurde. Insofern bleibt die folgende Auflistung bezüglich der Chronologie unscharf, bis auf die zwei Tatsachen, dass jeder Unternehmer immer erst Teil einer Gesellschaft war und immer erst zusammen gearbeitet werden muss, bevor Geld erwirtschaftet wird:
- Gesellschaft: Einbettung ins menschliche Umfeld
- Geschäftsidee: Produkte & Dienstleistungen
- Sinn: Unternehmenszweck
- Mensch: Unternehmen als soziales System
- Ökonomie: Finanzieller Gewinn
Der gesellschaftsrechtliche Rahmen
Für die Erfolgsfrage ist der gesellschaftliche Rahmen zentral. Erfolg muss anders interpretiert werden, wenn es keine einzelnen Eigentümer:innen oder keine sehr eng gefasste Gruppe von Eigentümer:innen gibt, wie eine einzelne Familie. Sobald es mehr oder weniger breit gestreute Anteilseigner:innen gibt, wie sie in Aktiengesellschaften üblich sind, verändert dieser rechtliche Rahmen auch das Verständnis von Erfolg, da dann die Perspektiven der Anteilseigner:innen mitbedacht werden müssen. Warum investieren sie in die Aktien des Unternehmens? Ist die Rendite und deren mögliche Maximierung der einzige Grund? Oder will ein Anteilseigner eine gesellschaftsverändernde Geschäftsidee unterstützen? Hinzu kommt die Frage, wer die Anteilseigner:innen sind. Privatpersonen oder institutionelle Anleger wie ein Rentenfonds? Was wäre in den jeweiligen Fällen Erfolg?
Aber auch das reicht bezüglich des gesellschaftsfrechtlichen Rahmens noch nicht, um die Frage nach dem Erfolg einzugrenzen. Denn es gibt auch rechtliche und kulturell geprägte Forderungen. Neben der im deutschen Recht kodifizierten Sorgfaltspflicht des AG Vorstands kommt noch die Treuepflicht hinzu, “mit bestem Wissen und Gewissen zum Vorteil der Gesellschaft und unabhängig von persönlichen Interessen zu handeln. Im deutschen Recht ist dieser Grundsatz nicht kodifiziert worden.” (Lieder 2016: 41) Was dann wiederum zum Vorteil der Gesellschaft ist, wirft weitere Fragen auf, die letztlich durch das oberste Entschlussorgan der Aktiengesellschaft entschieden werden: Die Anteilseigner:innen in der Hauptversammlung.
Unternehmenserfolg ist subjektiv
Was wir als Wirklichkeit wahrnehmen und wir wir sie interpretieren und gewichten, ist unsere persönliche Angelegenheit. Objektiv scheint mir nur zu sein, dass wir durch unser Umfeld, die Gesellschaft in der wir aufwachsen, beeinflusst werden. Alle Unternehmer:innen bzw. Eigentümer:innen entscheiden für sich, was den Erfolg des Unternehmens ausmacht. Alle Mitarbeitenden müssen diese Frage ebenfalls für sich beantworten, genauso wie Investoren und alle anderen Stakeholder. Selbst wenn jemand der neoliberalen Definition folgt, Unternehmen hätten nur den (sozialen) Zweck, Gewinn zu steigern [3], so bleibt dies eine individuelle Entscheidung.
Und diese Entscheidung ist eine Folge der über Jahre hinweg entstandenen Perspektiven, Wissensbestände, Glaubenssätze und persönlicher Werte. Eine Wirklichkeit kann so oder so interpretiert werden. Dabei lässt sich keinesfalls immer feststellen, ob die eine oder andere Perspektive richtig ist, wie die Illustration zu den verschiedenen Perspektiven verdeutlicht. Was objektiv gegeben sein muss, ist ein gewisser ökonomischer Erfolg: Wenn das Unternehmen nicht zumindest dauerhaft eine schwarze Null erwirtschaftet, wird es früher oder später nicht mehr existieren.
Unternehmensdemokratie ist kein Garant für (Miss-)Erfolg
Wenn wir all dies in Rechnung stellen, wird deutlich, dass Unternehmensdemokratie weder Erfolg noch Misserfolg sicher nach sich zieht. Das liegt über das bis hierher Durchdachte auch daran, dass traditionell geführte Unternehmen ebenso erfolgreich sein oder scheitern können. Was im Übrigen einer der durch und durch verqueren Aspekte in der Diskussion um den Erfolg von Unternehmensdemokratie ausmacht. Denn die meisten Unternehmen sind nach wie vor nicht demokratisch geführt, was nichts daran ändert, dass auch top-down gesteuerte Unternehmen immer wieder scheitern. Somit sind die meisten gescheiterten Unternehmen nicht-demokratisch geführt. Die Demokratisierung der Arbeit ist also mitnichten ein zwingender Grund für Misserfolg.
In einem der Fallbeispiele meines letzten Buchs “Alle Macht für niemand“ erzähle ich die Geschichte einer gescheiterten Unternehmensdemokratie. Der Unternehmenserfolg hinsichtlich der ökonomischen Dimension ist irgendwann ausgeblieben. Allerdings hat dieses Unternehmen immerhin 33 Jahre lang auch große wirtschaftliche Erfolge feiern können, wurde sogar eine Zeitlang zum europäischen Marktführer in seiner Sparte. Erst dann, als sich die Marktbedingungen radikal änderten, kam der Absturz. Aber ist deshalb die Unternehmensdemokratie gescheitert? Wieviele andere, nicht demokratisch geführte Unternehmen sind in dieser Martklage schon früher in die Insolvenz gekommen? Wieviele solcher Unternehmen hängen seit Jahren am Tropf von Fremdfinanzierungen in der Hoffnung auf einen Turnaround? Und: War es nicht ein großartiger Erfolg, dass über Jahrzehnte hinweg die Mitarbeitenden dieses gescheiterten, demokratischen Unternehmens die Freiheit hatten, mitzubestimmen, wenn sie wollten?
Was ist Unternehmenserfolg?
Nach den bisherigen Überlegungen, würde ich die Frage nach dem Unternehmenserfolg solchermaßen beantworten:
Unternehmenserfolg ist ein subjektiver Begriff, der zumindest die Dimensionen Gesellschaft, Geschäftsidee, Sinn, Mensch und Ökonomie umfasst. Außer dem ökonomischen Minimalerfolg ist eine objektive Feststellung unmöglich, welche dieser oder weiterer Dimensionen relevant sind.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Fußnoten
[1] Die Anmerkung mit ChatGPT erfolgte 8 Jahre nach Veröffentlichung dieses Blogbeitrags. Fast 10 Jahre später ist die Gründung eines Unternehmens durch KI noch immer eine gewagte Vorstellung. Und selbst wenn das eines Tages passieren sollte, nachdem dazu die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen wurden, gilt meine Argumentation für menschlich gegründete Unternehmen weiterhin.
[2] Das Bild mutet nur auf den ersten Blick übertrieben an. Sam Bankman-Fried, der mittlerweile verurteilte Gründer der Krypto-Börse FTX, drehte vor seinem Niedergang offensichtlich völlig durch.
[3] Ich beziehe mich auf die Friedman-Doktrin “„The Business of Business is Business.“ Milton Friedman publizierte diese immer wieder zitierte und als Scheinargument genutzte Formulierung in einem Artikel von 1970: A Friedman doctrine‐- The Social Responsibility Of Business Is to Increase Its Profits. New York Times, 13.09.1970
Quellen
Lieder, J. (2016): Die Treuepflicht der Vorstandsmitglieder. TFM 2016/1
Bildnachweis
Beitragsbild: ©popmelon, Pixabay lizenzfrei
[…] Ein weiterer Hinweis dafür, dass eine zentralistische top-dwon Steuerung kein Garant für Unternehmenserfolg […]
[…] steckt allerdings Potential und Sprengstoff zugleich. Andreas selbst hat schon über eine neue Definition des Unternehmenserfolges […]
[…] Beweis für die Nichtigkeit des Homo oeconomicus, einfach so getan, als ob Kontrolle zu mehr Unternehmenserfolg führen würde – ohne dabei diesem behaupteten Ertrag den dazugehörigen Aufwand […]
Hallo. Vielen Dank für den interessanten Artikel. In der Wirtschaftswoche vom 19. Juni 2016 gab es auch zum Thema Erfolg einige Beiträge: http://weiter-lesen.net/1937/deinen-erfolg-sichern/ Meiner Meinung nach gehört zum Erfolg, Dinge zu tun, die einem liegen, die man idealerweise sogar liebt und nicht zu früh aufzugeben! Und ohne eine gewisse Disziplin geht es meisten auch nicht!