Partizipation: “Ich lasse die Affen doch nicht den Zoo regieren” – so der ehemalige CEO von Eastern Airlines, Frank Bormann zu einer stärkeren Beteiligung der Arbeiter:innen Mitte der 1980er. Aus dieser menschenverachtenden Aussage macht der Organisationssoziologe und Berater Stefan Kühl den Titel seines 1994 erstmals veröffentlichten Buchs “Wenn die Affen den Zoo regieren”, um darin die “Tücken der Flachen Hierarchien” zu untersuchen. Selbstverständlich bringen flachere Hierarchien und Partizipation neue Herausforderungen mit sich. Keine Frage. Allerdings kann Partizipation und damit die Demokratisierung von Arbeit auch erhebliche Vorteile mit sich bringen. Wieso also ist Partizipation wichtig?
Partizipation bietet höhere Anpassungsfähigkeit
Unternehmen müssen sich an Veränderungen von Märkten und Umfeldern anpassen. Dabei gilt Ashby’s Law: “Je größer die Varietät eines Systems ist, desto mehr kann es die Varietät seiner Umwelt durch Steuerung vermindern.” (Wikipedia) Anders gesagt: Ein (soziales) System muss über ein ausreichendes Maß an Komplexität verfügen, um in einem gegebenen Maß an Komplexität der Umwelt erfolgreich handeln zu können. Da sich die Umwelt von Unternehmen in der Folge steigender Dynamik und Komplexität (Dynaxity) zunehmend schneller verändert – so wie aktuell durch die Entwicklung künstlicher Intelligenz – gewinnt die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen an Bedeutung. Anpassungsfähigkeit setzt wiederum eine höhere Kapazität in der Informationsverarbeitung voraus. Partizipation meint in dem Zusammenhang die Steigerung der Informationsverarbeitung bis zu den daraus entstehenden, viel schnelleren und direkteren Entscheidungsprozessen.
Der Erfolg der demokratisch geführten Unternehmen, die ich in “Alle Macht für niemand” beschreibe, könnte möglicherweise unter anderem durch eine gesteigerte Anpassungsfähigkeit erklärt werden. Denn sobald Mitarbeiter mehr Entscheidungsrechte bekommen, steigt erstens die Komplexität der Informationsverarbeitung und Entscheidungsprozesse. Denn dann fließen mehr verarbeitete Informationen in die organisationalen Entscheidungsprozesse. Zweitens können Unternehmen an den Berührungspunkten mit dem Markt, wie Support-Center oder im Vertrieb, schneller entscheiden, schließlich muss niemand dem Kunden erst klarmachen, dass er die notwendige Entscheidung nicht treffen darf und deshalb erst mit dem Vorgesetzten reden muss, der die Entscheidung dann am besten weiter zu seinem Chef durchreicht.
Ein Beispiel für die Ineffizienz hierarchischer Strukturen wurde mir vor vielen Jahren von einem Meister eines der größten deutschen Unternehmen berichtet: Ein Mitarbeiter des Meisters brauchte einen Bürostuhl mit Lordosenstütze, was der Betriebsarzt verordnete. Der Meister als direkter Vorgesetzter durfte allerdings diesen Stuhl nicht bestellen. Er musste dies als Anfrage an seinen Chef weitergeben, der in Urlaub war. Danach musste dieser Chef dann nochmals eine Hierarchiestufe höher anfragen – aber dieser Vorgesetzte war gerade krank. So zog sich der Kauf wesentlich länger hin, als wenn der Betriebsarzt, der ja bereits die Entscheidung aus medizinischen Gründen gefällt hatte, die Bestellung hätte auslösen können. Das Vorurteil, partizipative Entscheidungsstrukturen wären langsamer als Topdown, ist mehr als fraglich. Selbst wenn beide Vorgesetzten des geschilderten Falls vor Ort gewesen wären.
Größere Krisenrobustheit
Mit steigender Dynaxity nimmt die Gefahr von Systeminstabilitäten zu. Durch die hohe, globale Vernetzung können auch kleine Krisen schnell systemrelevant werden oder relativ unscheinbare weitere Ereignisse zur Verschärfung einer Krise beitragen. Dies war unter anderem in der Finanzkrise 2007/2008 der Fall. Aber selbst wenn die Anzahl und Intensität der Krisen nicht zunehmen würde oder durch welche trickreichen Interventionen auch immer begrenzt werden könnte, so bliebe es immer noch nützlich, wenn ein Unternehmen in Krisen robust bleibt und nicht beim ersten kleinen Beben wie ein Kartenhaus zusammenbricht.
Wie robust ein Unternehmen wiederum auf Krisen reagiert, hängt von seiner Adaptivität ab. Krisen bedeuten immer deutliche bis zu katastrophalen Veränderungen des Marktes und des Umfelds. Um diese Veränderungen aufzufangen, kann eben eine angemessene Anpassungsfähigkeit in manchen Fällen sogar überlebensnotwendig sein. Ein aktuelles Beispiel sind die massiven Probleme der deutschen Autohersteller, insbesondere VW im Moment. Ob und inwiefern sich die drohenden Werksschließungen vermeiden lassen, ist offen. Aber die mangelnde Partizipation bei der Lösungsentwicklung bereits im Vorfeld war und ist sicherlich nicht hilfreich, um die Schließungen abzuwenden beziehungsweise völlig neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Ein weiterer Hinweis dafür, dass eine zentralistische top-down Steuerung kein Garant für Unternehmenserfolg ist.
Steigerung der Innovationsfähigkeit
Die Selbstdarstellung von Unternehmen als innovativ dürfte mittlerweile eine der inflationärsten Marketingbehauptungen sein. Man muss schon mit der Lupe suchen, um ein Unternehmen zu finden, dass dies nicht von sich behauptet. Das mag daran liegen, dass die Halbwertszeit von Innovationen abzunehmen scheint, das auf alle Fälle jedoch Innovationen durch teils illegale Kopien schnell an Wert verlieren. Dann muss die nächste Innovation her. Schließlich hat nicht jedes Unternehmen ausreichend viel Geld zur Verfügung, um erstens die eigene Innovationskraft durch erfolgreiches Marketing herbeizuschwafeln und zweitens Konkurrenten in endlose Patentkriege zu verwickeln.
Also ist es nötig, innovativer zu werden. Genau das kann durch die Demokratisierung von Unternehmen erreicht werden. Wenn Ideen nicht mehr im Vorschlagswesen untergehen und Innovationen zentral tot gemanaged werden, sondern Mitarbeitende eigenverantwortlich kreativ werden dürfen, dann hat das einen positiven Einfluss auf die Innovationskraft. Das zeigen bekannte, demokratische Unternehmen wie W.L. Gore genauso, wie die Fallbeispiele in meinem Buch “Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten“.
Senkung von Personalkosten
Die in traditionell geführten Unternehmen immer wieder und leider oft torpedierte intrinsische Motivation der Mitarbeitenden führt zu negativen Folgeeffekten: Krankenstand und Fluktuation. Im ersten Kapitel von “Alle Macht für niemand” beziehe ich insgesamt fünf jeweils repräsentative Studien aufeinander und zeige, dass es starke Hinweise dafür gibt, dass die mangelnde Partizipation einen direkten Einfluss auf Personalkosten hat. Ein erster wichtiger Mechanismus ist dabei die jeweils erlebte “Job-Demand-Control“: Besonders unter Bedingungen hoher Arbeitsanforderungen kann mangelnde Autonomie zu starkem Stresserleben bis hin zu depressiven Erkrankungen führen.
Die beiden klassischen epidemiologischen Studien Whitehall I und II untermauern den Zusammenhang von Partizipation und betrieblicher Gesundheit: Es wurde gezeigt, dass männliche Angestellte des tiefsten Dienstgrades eine dreimal so hohe Sterblichkeit aufwiesen wie Studienteilnehmer mit dem höchsten Dienstgrad, gemessen im Rahmen einer Langzeitstudie über 10 Jahre. In der darauf folgenden Studie Whitehall II wurde unter anderem weiter herausgearbeitet, dass der Kontrollverlust über einen wichtigen Teil des eigenen Lebens in Folge einer Anstellung auf einer geringen Hierarchiestufe mit längeren Krankenfehlzeiten verbunden ist. Was sich wiederum mit dem seit 2003 erhobenen Gallup Engagement Index deckt. Eine kurze Darstellung von Whitehall I und II findet Ihr in meinem Blogbeitrag dazu.
Ein weiteres Bindeglied zwischen Partizipation einerseits und den Folgekosten in Form von erhöhtem Krankenstand und Fluktuation ist dabei die jeweils vorliegende Arbeitsmotivation. Interessanterweise zeigt sich bei den voneinander vollkommen unabhängigen Studien, die ich in “Alle Macht” vorstellte, dass es drei verschieden starke Arbeitsmotivationen gibt. Mitarbeitende sind hoch, mittel oder niedrig motiviert. Das entspricht beispielsweise beim Gallup Engagement Index seit 2003 der Typologie “starke positive emotionale Bindung an das Unternehmen”, “Dienst nach Vorschrift” und “innere Kündigung”. Bei einer der DGB Studien “Gute Arbeit, schlechte Arbeit” sind dies die Typologien “gute Arbeit”, “mittelmäßige Arbeit” und “schlechte Arbeit”. Im Grunde sind die Ergebnisse nicht allzu überraschend. Du kannst Dich selber fragen, wann Du motivierter arbeitest: Wenn Du Freude bei der Arbeit hast und sie als sinnvoll erlebst, oder wenn es morgens eine Qual ist, zur Arbeit zu gehen, weil sie Dich frustriert oder ärgert und Du sie als sinnlos erlebst?
Attraktiver für Fachkräfte
Der Fachkräftemangel ist ein zunehmender Engpass für den wirtschaftlichen Erfolg. Die “Statistik der Bundesagentur für Arbeit weist für das Jahr 2022 200 Engpassberufe aus.” (Bundesagentur für Arbeit 2024). Auch wenn sich der Arbeitsmarkt langsam dreht und für Arbeitgeber wieder günstiger wird, stellt sich doch die Frage, wie Arbeitgeber, die vom Fachkräftemangel betroffen sind, für die Menschen, die sie suchen, attraktiver werden können. Das Angebot für die Mitarbeitenden, sich an der Gestaltung und Führung der Organisation beteiligen zu können und relativ viel Autonomie zu erhalten, kann dabei ein Aspekt sein, der die Attraktivität der Arbeitgebermarke (Employer Branding) erhöht.
Maßgeblich für die Wahrnehmung der Arbeitgeberattraktivität sind verschiedene Faktoren. Unter anderem zählen dazu seit langem die Arbeitsplatzqualität (Lievens & Highhouse 2003) mit Möglichkeiten der (eigenen) flexiblen Gestaltung des Arbeitspensums etc. sowie der Führungsstil (Berthon et al. 2005, Knox & Freeman 2006). Wenn Mitarbeitende die Möglichkeit bekommen, eigene operative Entscheidungen zu fällen und darüber hinaus mehr an der Führung und Gestaltung der Organisation zu partizipieren, dann bedeutet dies nicht, dass jeder dazu gezwungen ist, was ohnehin ein eklatanter Widerspruch wäre. Somit kann Partizipation als Einladung und Option in der Außenkommunikation zur Stärkung der Arbeitgeberattraktivität genutzt werden. Idealerweise kann der Arbeitgeber diverse Modelle anbieten, die ihn für Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen attraktiv macht. Die Möglichkeit zur Partizipation ist dann eine Option, um diejenigen potentiellen neuen Kolleg:innen anzuziehen, die genau das attraktiv finden.
Spillover-Effekt durch Demokratisierung
Über die direkten wirtschaftlichen Gründe, warum Partizipation wichtig ist, gibt es noch eine gesellschaftlichen Grund. Unternehmen sind grundsätzlich in die sie umgebende Gesellschaft eingebettet. Da wir in der “westlichen Welt” in mehr oder weniger starken Demokratien leben [1], stellt sich die naheliegende Frage nach einem möglichen Zusammenhang von Unternehmensdemokratien und der sie umgebenden gesellschaftlichen Demokratie. Hat Unternehmensdemokratie einen Effekt auf die gesellschaftliche Demokratie?
Dieser Frage sind eine Vielzahl von Wissenschaftlern bereits seit den 1970ern nachgegangen. Es konnte tatsächlich immer wieder ein solcher positiver Zusammenhang gezeigt werden, der unter dem Begriff Spillover-Effekt zusammengefasst wurde. Verdichtet lässt sich feststellen, dass es eine proportionale Funktion gibt: Je demokratischer ein Unternehmen ist, desto stärker sind die positiven Effekte auf das demokratische Verhalten der Mitarbeiter außerhalb der Arbeitszeit. Dazu hatte ich vertiefende Artikel hier im Blog veröffentlicht, zum Beispiel den Beitrag “Spillover-Effekt: Organisationsdemokratie und pro-demokratische Einstellungen.” Weitere Publikationen dazu von mir: “Demokratischer Spillover” (2023) oder “Partizipative Nachhaltigkeitsentwicklung – Wie wir Nachhaltigkeit und Demokratie zugleich entwickeln können” (2023). Beide Beiträge könnt Ihr auf Anfrage als PDF erhalten.
Interessant am Spillover-Effekt ist zudem ein weiterer Effekt: Denn Unternehmen können ihren Einsatz für unsere Demokratie wiederum nach außen hin öffentlichkeitswirksam kommunizieren und so die eigene Arbeitgebermarke attraktiver gestalten. Wer nicht nur eigene Produkte und/oder Dienstleistungen verkauft und Geld auf die Konten der Eigentümer:innen und Belegschaften befördert, sondern sich ernsthaft für die Stärkung und Weiterentwicklung unserer Demokratie einsetzt, der wird für all diejenigen Arbeitnehmenden deutlich attraktiver, denen unsere Demokratie wichtig ist.
Wert der Partizipation: Zusammenfassung
Damit gibt es also in Summe fünf gute Gründe, warum Partizipation wichtig ist:
- Höhere Anpassungsfähigkeit (Adaptivität)
- Größere Krisenrobustheit
- Stärkere Innovationskraft
- Senkung von Personalkosten
- Attraktiver für Fachkräfte
- Spillover Effekt
Das sollte zumindest reichen, um eine ernsthafte, seriöse und vor allem unvoreingenommene Auseinandersetzung mit Unternehmensdemokratie zu führen.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Fußnoten
[1] Tatsächlich ist das demokratische Versprechen bislang uneingelöst. Eine echte “Herrschaft” des Volkes findet nicht statt. Das aktive und passive Wahlrecht hat seit der Gründung der französischen und amerikanischen Demokratie nachweislich eine Erbaristokratie durch eine Wahlaristokratie ausgetauscht: „The first necessary step then, is, to depute power from the many, to a few of the most wise and good.“ (John Adams 1776) Knapp 20 Jahre später formulierte der Vorsitzende des Konvents, der den Verfassungstext vorbereiten sollte, François-Antoine Boissy D’Anglas in seiner Rede 1795 vor dem Konvent noch flammender: „Wir müssen von den Besten regiert werden; die besten sind diejenigen, die am besten ausgebildet sind und die am meisten an der Aufrechterhaltung der Gesetze interessiert sind … von wenigen Ausnahmen abgesehen, findet man solche Menschen unter denen, die Eigentum haben…“ (zit. nach Wilms 2014: 626f).
Literatur
- Berthon, P. et al. (2005): Captivating company: Dimensions of attractiveness in employer branding, International Journal of Advertising, 24(2): 151–172
- Bundesagentur für Arbeit (2024): Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Berichte: Arbeitsmarkt kompakt – Arbeits- und Fachkräftemangel trotz Arbeitslosigkeit
- Knox, S.; Freeman, C. (2006): Measuring and managing employer brand image in the service industry, Journal of Marketing Management, 22(7/8): 695–716
- Kühl, S. (1998): Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücken der flachen Hierarchien. Campus
- Lievens, F.; Highhouse, S. (2003): The relation of instrumental and symbolic attributes to a company’s attractiveness as an employer, Personnel Psychology, 56(1): 75–102
- Zeuch, A. (2023): Partizipative Nachhaltigkeitsentwicklung – Wie wir Nachhaltigkeit und Demokratie zugleich entwickeln können. In: Sommer, J. (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung. Republik Verlag
- Zeuch, A. (2023): Demokratischer Spillover. Wie Unternehmen unsere Demokratie stärken können. In: izbd² (Hrsg.): D²-Sourcebook Demokratie und Diversity in Betrieb(en). izbd²: 55-58. (Auf Anfrage Kostenlos als PDF)
Bildnachweis
- Beitragsbild: ©DALL·E/Zeuch 2025 – Prompt Andreas Zeuch
- Massenandrang: Bundesarchiv, Bild 102-12023 / Georg Pahl, CC-BY-SA 3.0
- Relief von Amarna: Wilhelmy, CC BY-SA 3.0
- Frau fasst sich an den Kopf: ©Arif Riyanto, unsplash lizenzfrei